»Was wir brauchen, sind ein paar verrückte Leute;
seht euch an, wohin uns die Normalen gebracht haben.«
George Bernard Shaw
Zukunft 4.0: Teilzeitarbeit – Vollzeitrisiko
Wie wir mit immer weniger Arbeit immer mehr Wohlstand schaffen. Und warum es den Wohlstand hemmt, wenn wir ihn falsch verteilen.
»Du räumst jetzt sofort dein Zimmer auf. Sonst knallt’s!«
So redeten viele Eltern bis weit in die 1970er-Jahre hinein mit ungezogenen Kindern. Nicht jedem paramilitärischen Appell folgte jene Ohrfeige auf dem Fuß, die angeblich »noch keinem geschadet hat«. Aber es dauerte bis 1980, den Begriff der »elterlichen Gewalt« aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch zu entfernen und durch den der »elterlichen Sorge« zu ersetzen. Erst seit November 2000 ist Erziehungsberechtigten die Anwendung körperlicher Gewalt verboten. Kinder haben seitdem »ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.« (§ 1631 BGB)
90 Prozent aller Eltern halten das für ein vernünftiges Ideal. Aber immerhin findet noch eine knappe Hälfte von ihnen, es sei verständlich und zulässig, wenn ihnen ab und an »die Hand ausrutscht«. Und 20 Prozent sind hartnäckig autoritär – sie rechtfertigen laut einer Studie des Deutschen Kinderschutzbundes die leichte Watsche oder den »Klaps« auf den Hintern ausdrücklich als sinnvolle erzieherische Maßnahme.
Was das mit der Krise des Kapitalismus zu tun hat? Vermutlich mehr, als man im ersten Moment meinen könnte. Denn auch in der Politik ist in den letzten Jahren eine merkliche Renaissance des Autoritären zu beobachten. Erscheinungen wie den türkischen Möchtegernsultan Recep Tayyip Erdogan oder den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán kann man vor dem Hintergrund demokratischer und ökonomischer Entwicklungsverzögerungen ihrer Heimatländer deuten. Auch bei Russlands Präsident Wladimir Putin würde das funktionieren, wollte man nur seine ungebrochene Popularität im eigenen Reich verstehen. Seine wachsende Fanbase im Westen lässt sich dadurch nicht erklären.
Für die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA gibt es viele Erklärungsansätze. Drei taugen mit Sicherheit nicht: dass es dem Land an demokratischer Tradition fehle; dass es ökonomisch ein Schwellenland sei, dessen Wirtschaft zudem aktuell komplett am Boden liege; und dass Nordamerika real mit einer »Flüchtlingskrise« konfrontiert sei.
Ähnliches gilt für Frankreich, das Mutterland der Demokratie. Gewiss sind die Probleme des Landes nicht klein: übermäßig zentralistische, verkrustete Strukturen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Gewaltige Staatsschulden, die zweithöchste Staatsquote in der EU, eine Industrieproduktion auf dem Niveau von 1993. Dennoch ist Frankreich die sechstgrößte Exportnation der Welt, seine Chemie- und Pharmaindustrie spielt global ganz vorne mit, französische Unternehmen melden fast genauso viele Patente im Bereich der Hochtechnologie an wie deutsche, bei Luxusgütern haben die Gallier gar einen Weltmarktanteil von 27 Prozent. Und die demografische Entwicklung beim Nachbarn ist weitaus günstiger als bei uns. Im Übrigen hat Frankreich eher wenige Probleme mit aktuellen Migranten, sondern mit einer nahezu komplett gescheiterten Integration der Zuwanderer aus den eigenen Ex-Kolonien. Wenn also Madame Le Pen derzeit mit mehr als einem halben Bein im Élysée-Palast steht, so wird man das ebenso wenig mit akuten Krisen allein erklären können, wie den Wahlerfolg von Geert Wilders in den Niederlanden.
Finanzkrise, Bankenkrise, Eurokrise, Griechenlandkrise? Mit diesen Themen begannen hierzulande im bürgerlichen Spektrum einst die Absetzbewegungen weg von den etablierten Parteien. Nullzinsen und schleichende Entwertung von Ersparnissen? Das macht Menschen mit vier- bis fünfstelligen Rücklagen bei heimischen Geldinstituten verständlicherweise nervöser als solche mit prallen Konten im Ausland. Stagnierende Einkommen und wachsende Jobunsicherheit in weiten Teilen der Mittelschicht? Da kommt man der Wahrheit vermutlich schon näher. Wenngleich zwischen harten Zahlen und deren Deutung sich auch hier große Spielräume auftun. Dauerarbeitslosigkeit, permanent prekäre Lebensverhältnisse und Kinderarmut am unteren Ende der »Einkommenspyramide«? Auch dies liefert sicher Teile des Puzzles. Aber nicht das ganze Bild.
Leider klingen viele Antworten auf derlei Probleme immer einfacher. Und während die Ersten schon wieder wünschen, da müsse es endlich mal knallen, da müsse jemand mit starker Hand »aufräumen«, werden die realen Probleme leider nur komplexer. Und sie verschwinden umso weniger, je lauter das Geschrei wird.
Ach ja: Was ist mit »den Flüchtlingen«? Mit voller Absicht sagen wir dazu nur fünf Sätze. Erstens: Migrationsbewegungen hat es im Verlauf der Geschichte immer wieder gegeben – und wird es immer geben. Zweitens: Migration ist immer ein Symptom für, niemals die Ursache von gesellschaftlichen Problemen und Verwerfungen. Drittens: In einer Welt total globalisierter Finanz- und Warenströme, in der man deren negative wie positive Folgen dank Digitalisierung bis in die letzten Winkel der Erde betrachten kann, darf man sich erst recht nicht wundern, wenn sich irgendwann auch Menschen in Bewegung setzen. Viertens: Die Lösungen für derlei Probleme sind immer komplex, immer langfristig – und sie haben dann wenig mit Einwanderern und viel mit den Zuständen in deren Herkunftsländern (»Bekämpfung von Fluchtursachen vor Ort«) und in den Einwanderungsgesellschaften zu tun. Fünftens: Wenn wir diese Probleme für vorrangig hielten, dann hätten wir darüber ein Buch geschrieben – und nicht über die unseres Erachtens nötige Neuordnung unseres Steuer-, Sozial- und Finanzsystems.
Ohne Zins und Verstand: Bekannte Krisen, weiter köchelnd
Nach der Finanzkrise 2008 wurden Europas Banken mit Billionen von Euros gerettet. Weil sie sich nicht bloß verzockt, sondern sich teilweise auch mit kriminellen Methoden bereichert hatten, mussten sie über 300 Milliarden Euro an Strafgeldern zahlen. Freilich handelte es sich dabei nur um einen Bruchteil ihrer halb legal und illegal erzielten Profite. Leider gehören viele fragwürdige Geschäftspraktiken nach wie vor zum Repertoire der Banken – bloß dass niemand mehr so laut mit ihnen prahlt. Und leider entpuppten sich auch die meisten Versprechungen, nun aber wirklich ernst zu machen mit Bankenaufsicht und Finanzmarktkontrolle, als rhetorische Beruhigungspillen.
Einer der lautesten Prediger wider die »korrupten Eliten«, der neu gewählte US-Präsident Donald Trump, unterschreibt derweil in Serie Dekrete, die die ohnehin bescheidenen Bankenregulierungen seines Vorgängers wieder komplett außer Kraft setzen. Was bei einem Kabinett, in dem allein sechs ehemalige Top-Investmentbanker sitzen, auch keine wirkliche Überraschung ist.
Selbst wenn sie es wollten, hätten die Europäische Zentralbank (EZB) und die US-amerikanische Federal Reserve Bank inzwischen Schwierigkeiten, die von ihnen ausgelöste Geldflut wieder einzudämmen. Unvorstellbare 1,5 Billionen Euro haben die Notenbanken der Euroländer mit ihren fragwürdigen und wirkungslosen Aufkaufprogrammen in die Märkte gepumpt. Das ist monetäre Planwirtschaft in Reinkultur. Sie führt jede Logik normaler Finanzmärkte ad absurdum.
Derweil werden die Geschäftsbanken das Geld, das sie in Frankfurt für null Prozent bekommen, nach wie vor nicht als Investitionskredite bei Unternehmen los. Denn wer investiert schon, wenn er fürchten muss, seine Produkte nicht loszuwerden. Weil es nur bei ihm Geld regnet, aber nicht bei seinen Kunden bzw. bei den Verbrauchern. Weswegen die ersten Banken Bargeld schon wieder wie zu Opas Zeiten in Safes stopfen. Und andere es ungebrochen in spekulative Zockereien an den Finanz- und Immobilienmärkten stecken.
Während wir diese Zeilen schreiben, reden »die Gläubiger« (EZB, Banken, IWF) wieder einmal mit Griechenland. Wieder sollen Beobachter nachschauen, ob die dortige Regierung auch artig alle angemahnten »Reformen« umsetzt. Dabei ist allen klar, dass das Land ökonomisch ausgeblutet, das griechische Volk am Ende seiner Leidensfähigkeit angekommen und der griechische Staat heute so pleite ist wie beim Euro-Beitritt vor 16 Jahren. Dass 92 Prozent der »Rettungsgelder« gar nicht in Griechenland gelandet sind, sondern bei ausländischen Banken, die glaubten, einem bereits bankrotten Land unter dem Schirm des Euro risikolos weiteres Geld leihen zu können. Dass dafür trotzdem Europas Steuerzahler bürgen, die keinen Cent dieser »griechischen« Schulden je wiedersehen werden. Auf der Hand liegt auch, dass man den Offenbarungseid letztmalig nur noch bis zum Ende des europäischen Superwahljahres 2017 verschieben kann.
Italien ist mit einer Staatsverschuldung von 137 Prozent des BIP ebenfalls nachweislich bankrott. Die Arbeitslosenquote im Land ist die höchste seit Beginn der Datenerhebungen im Jahr 1977, die Industrieproduktion liegt auf dem Niveau von 1985. Dennoch kann sich der Staat dank europäischer Niedrigzinspolitik weiter mit frischem Geld zu Minizinsen versorgen. Anders als Griechenland sogar nach wie vor an den Kapitalmärkten. Das ist volkswirtschaftlicher Irrsinn.
Gleichzeitig enteignet die EZB mit ihrer wahnwitzigen Notenbankpolitik die Sparer. Sei es in Form von Nullzinsen beim Sparkonto, sei es auf dem Umweg über den dramatischen Renditeschwund bei Staatsanleihen, Lebensversicherungen und anderen einst »mündelsicheren« Anlageformen. Was sich da in...