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Sozialraumorientierte Kinder- und Jugendhilfe und deren Bedeutung für die Handlungsstrategien der Professionellen

AutorJenny Rauschkolb, Martina Müller
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2005
Seitenanzahl278 Seiten
ISBN9783638342407
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis39,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2004 im Fachbereich Sozialpädagogik / Sozialarbeit, Note: 1,3, Katholische Hochschule für Soziale Arbeit Saarbrücken , 88 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Familien mit Kindern bilden die Grundlage für eine langfristige stabile Investition in die Zukunft unseres Landes. Ehe und Familie haben sich über die Jahrhunderte des gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Wandels als Urzelle der Gesellschaft bewährt. In Familien suchen und erfahren Menschen Liebe, Geborgenheit, Lebenssinn, gegenseitige Hilfe und Unterstützung. Ehe und Familie gehören in den Mittelpunkt einer Politik. Sie sind natürliche Lebensformen und Grundpfeiler einer freien und solidarischen Gesellschaft. Die Familie genießt verfassungsrechtlichen Schutz. Kinder sind eine Bereicherung für Familie und Gesellschaft. Kinder bedeuten Zukunft. Die Familie ist die beste Grundlage für die Solidarität der Generationen. Kinder lernen und erfahren durch die Familie Regeln des Zusammenlebens, kulturelle Werte und solidarisches Verhalten. Die Familie fördert die Persönlichkeitsentwicklung und vermittelt Lebenschancen wie keine andere Erziehungs- und Bildungsgemeinschaft. Familien haben somit einen Anspruch auf umfassende staatliche und gesellschaftliche Hilfen. Heute zeichnet sich eine Gesellschaft ab, in der das Denken und Verhalten der Bürger immer stärker von Individualismus, Egoismus und Entsolidarisierung geprägt wird und in der die Zukunftsperspektiven durch Globalisierung, Arbeitslosigkeit, Sozialabbau und Verarmungsprozesse für beträchtliche Teile der Bevölkerung - insbesondere für Familien - bedroht sind. Diese Krisenerscheinungen prägen die Erlebniswelt von Kindern und Jugendlichen. Vor diesem Hintergrund ist festzustellen, dass Kindheit und Jugend zunehmend selbst als gesellschaftliches Problem wahrgenommen werden: denn die Probleme der Kinder und Jugendlichen - und die Probleme, die sie uns bereiten - sind ein Spiegelbild der Probleme, die die Gesellschaft mit sich selbst hat. In der gegenwärtigen und zukünftigen gesellschaftlichen Lage müssen sich die Jugendlichen hohen Leistungsanforderungen stellen und sind gleichzeitig erhöhten Risiken ausgesetzt. Das betrifft schulisches wie berufliches Versagen ebenso wie Risiken der persönlichen Sicherheit in einer Welt offener Grenzen und überlasteter öffentlicher Sicherheitsapparate. Die heutige gesellschaftliche Situation ist geprägt vom Streben nach raschem, hohem Lebensstandard und sozialer Anerkennung, verbunden mit starkem Konkurrenzdruck im Arbeits- wie Privatleben.

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Leseprobe

1.1 Anpassungsprozesse der Kinder- und Jugendhilfe an


gesellschaftliche Veränderungen 3


Die öffentliche Jugendhilfe und ihr Recht haben nach Sachße ihre historischen Wurzeln in den kommunalen Sozialreformen des deutschen Kaiserreichs. Im Prozess der Ausdifferenzierung der traditionellen Armenfürsorge in den deutschen Großstädten der Jahrhundertwende hat sich auch die Fürsorge für Kinder und Jugendliche als eigenständiger Handlungsbereich kommunaler Sozialpolitik herausgebildet. Die Jugendhilfe in ihrer heutigen Gestalt ist im Kontext des massiven Modernisierungsschubes entstanden, den die kommunale Sozialpolitik seit den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts erfahren hat.

In den Jahrzehnten der großen Krise seit dem „Gründerkrach“ hatte sich Deutschland zu einer modernen, industriellen Massen- und Klassengesellschaft entwickelt. Der wirtschaftliche Aufschwung bot seit Anfang der 90er Jahre den ökonomischen Spielraum für soziale Reformen. Die Psychologie und die Pädagogik versprachen eine wissenschaftliche Persönlichkeitsdiagnose und eine Therapie, die Unwissenheit, Unangepasstheit und abweichendes Verhalten gänzlich zu beseitigen verhieß. Somit hielt der Erziehungsgedanke seinen Einzug in die Sozialpolitik. Der gesellschaftliche Hintergrund der sozialpädagogischen Innovationen, deren konkreter Anlass die Probleme und Notlagen von Kindern und Jugendlichen unter neuartigen, großstädtischen Lebensbedingungen waren, war geschaffen.

Anpassungsprozesse der Kinder- und Jugendhilfe an gesellschaftliche Veränderungen _________________________________________________________________________

Der Prozess der Urbanisierung hatte die Auflösung familiärer und nachbarschaftlicher Bindungen weiter vorangetrieben und die Industrieproduktion hatte einen neuen Typ des bindungslosen jugendlichen Arbeiters geschaffen, der die bescheidenen Freiheiten des Arbeitsmarktes zu nutzen wusste. Auf diesen beiden Ebenen entstand ein erzieherisches Vakuum, das einen sozialpädagogischen Blick auf sich zog und nach Ausfüllung durch öffentliche Erziehungsmaßnahmen verlangte.

Der Grad der Ausdifferenzierung und Institutionalisierung öffentlicher Jugendhilfe hatte bereits vor dem 1. Weltkrieg die negative Konsequenz einer organisatorischen Zersplitterung. Dies hatte zur Folge, dass die organisatorische Vereinheitlichung der Jugendfürsorge immer deutlicher zum Leitthema neuer Reformbestrebungen wurde. Noch vor Ausbruch des Krieges wurden daher die ersten städtischen Jugendämter als organisatorische Zentren der neuen Maßnahmen und Einrichtungen öffentlicher Erziehung eingerichtet.

Im Jahre 1905 wurde von Wilhelm Polligkeit erstmals das „Recht des Kindes auf Erziehung“ gefordert. Er konzipierte dieses Recht als Gegenseite zur elterlichen Erziehungspflicht. Die Durchsetzung des Anspruches des Kindes auf Erziehung, die es naturgemäß nicht selbst verfolgen kann, erforderte jedoch einen staatlichen Kontroll- und Überwachungsapparat, was bedeutete, dass die Verwirklichung dieses Kindesrechts zur staatlichen Aufgabe wurde. Nach Sachße nimmt der Widerspruch von staatlicher Kontrolle und Unterstützung, von „Eingriff“ und „Leistung“, der die Diskussionen um das Jugendhilferecht im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts bestimmen wird, hier bereits Gestalt an.

Polligkeit schwebte ein umfassendes Reichserziehungsgesetz vor, in dem die staatliche Überwachung der Erziehung aller Minderjährigen in ihren Grundzügen neu geregelt werden sollte. Die Verwirklichung von Polligkeits Konzept blieb jedoch zunächst juristisches Stückwerk. Der Gedanke an ein umfassendes Erziehungsgesetz wurde während des 1. Weltkrieges mehrfach wieder aufgegriffen, seine Realisierung aber nicht ernsthaft in Angriff genommen. Mit dem Inkrafttreten der Weimarer Verfassung verbesserten sich die Bedingungen für die Schaffung eines Jugendfürsorgegesetzes erheblich und nach mehrjährigen Vorarbeiten wurde im Juni 1922 das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz (RJWG) im Reichstag verabschiedet und trat am 1. April 1924 in Kraft. Mit dem RJWG erhielt die öffentliche Jugendhilfe eine einheitliche, gesetzliche Grundlage und mit dieser jene organisatorische und rechtliche Gestalt, die sie in ihren Grundzügen noch heute trägt.

Anpassungsprozesse der Kinder- und Jugendhilfe an gesellschaftliche Veränderungen _________________________________________________________________________

Das RJWG schuf mit der Bildung von Jugendämtern, wie sie in einzelnen Städten bereits seit der Vorkriegszeit bestanden, erstmals eine einheitliche kommunale Erziehungsbehörde, die die Zuständigkeiten für den Schutz von Pflegekindern, die Amtsvormundschaft, die Fürsorgeerziehung, die Schutzaufsicht und die Jugendgerichtshilfe bei sich konzentrierte und außerdem noch für die Jugendpflege und die Fürsorge für Säuglinge und Kleinkinder zuständig war.

In der Folgezeit wurden jedoch einige Schwachpunkte des RJWG deutlich. So führten beispielsweise unklare Zuständigkeitskataloge, ein unübersichtliches Durcheinander von Organisationsnormen, Zuständigkeitsregelungen und Leistungsverpflichtungen in den einzelnen Abschnitten dazu, dass letztlich Kontrolle und Aufsicht im Gesetzestext über erzieherische Leistung, Betreuung und Beratung dominierten und dem Gesetz den Charakter eines Eingriffsgesetzes vermittelten, obwohl ihm ursprünglich das Recht des Kindes auf Erziehung als Leitformel vorangestellt war. Diese Ambivalenz von Leistung und Eingriff blieb im RJWG ungelöst und bereits in der 2. Hälfte der 50er Jahre gab es eine breite Diskussion um eine grundsätzliche Reform des Jugendhilferechts. Im Sommer 1961 führte ein Novellierungsentwurf dann zur Novellierung des RJWG, das nunmehr JWG hieß. Das novellierte JWG sah neue Erziehungsmaßnahmen und verstärkte Kontrollen der Einrichtungen öffentlicher Erziehung vor und verstärkte die Rechtsposition der betroffenen Kinder und Jugendlichen.

Seit Ende der 60er Jahre nahm die kritische Auseinandersetzung mit der öffentlichen Jugendhilfe und ihrem Recht erneut eine Wendung. In Folge der Studentenbewegung wurden die Formen und Strukturen öffentlicher Jugendhilfe in Frage gestellt. Die Jugendhilfe wurde mit Fragen konfrontiert, ob Konzepte und Maßnahmen der Fürsorgeerziehung überhaupt mit dem Grundgesetz vereinbar seien, ob die Grundrechte nicht auch in Erziehungseinrichtungen Geltung haben mussten oder ob die immer noch vorherrschenden Grundstrukturen der Jugendhilfe den Anforderungen, die eine moderne Gesellschaft an das System öffentlicher Erziehung stellt, noch genügten.

Im Jahre 1973 wurde von einer Expertenkommission ein Diskussionsentwurf für ein neues Jugendhilfegesetz vorgelegt, der zur Grundlage einer breiten Fachdiskussion um Entwicklung und Perspektiven des Jugendhilferechts wurde.

Anpassungsprozesse der Kinder- und Jugendhilfe an gesellschaftliche Veränderungen _________________________________________________________________________

Er enthielt folgende Forderungen:

- Ausbau der öffentlichen Jugendhilfe zu einem eigenständigen Erziehungsbereich

- Ausbau des Leistungscharakters öffentlicher Jugendhilfe durch Betonung der offenen, präventiven vor den geschlossenen, reaktiven Maßnahmen

- Ausbau der Rechtsposition von Kindern und Jugendlichen durch Gewährung einklagbarer Ansprüche

Bis zur tatsächlichen Verabschiedung eines neuen Gesetzes sollte allerdings noch viel Zeit vergehen. Die deutsche Wiedervereinigung, die damit verbundenen massiven Sparzwänge der Kommunen, aber auch die gesellschaftlichen Entwicklungen wie Anstieg der Scheidungsrate, Zunahme der Zahl von Teil- und Stieffamilien, mehr Frauenerwerbstätigkeit, usw. haben die Fachdiskussion über Funktion und Grenzen der öffentlichen Jugendhilfe neu belebt. Am 26.06.1990 wurde die nunmehr Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) genannte Novelle erlassen, die am 01.01.1991 in Kraft getreten ist.

Erklärtes Ziel dieser Gesetzesreform war es, das eingriffs- und ordnungsrechtlich bestimmte Instrumentarium des JWG, bei dem der Gedanke vorherrschte, dass der Staat eingreift und z.B. die Erziehungsrechte wegnimmt, durch ein modernes, präventiv orientiertes Leistungsgesetz zu ersetzen, das Eltern bei ihren Erziehungsaufgaben unterstützen und jungen Menschen das Hineinwachsen in die Gesellschaft erleichtern sollte. So sollten sich Heranwachsende also zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten innerhalb der sozialen Gemeinschaft entwickeln, die dem Menschenbild des Grundgesetzes entspricht. Hierfür kommt es entscheidend darauf an, jungen Menschen nicht erst dann zu helfen, wenn Probleme bei ihrer Entwicklung oder Erziehungsschwierigkeiten bereits eingetreten sind.

Am 01.07.1998 trat das Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts in Kraft. Der von der Bundesregierung 1996 vorgelegte Gesetzentwurf wollte erreichen, dass die Rechte der Kinder verbessert und das Kindeswohl auf bestmögliche Art und Weise gefördert werden sollten. Änderungen erfuhren das Abstammungsrecht, die elterliche Sorge und das Umgangsrecht, das elterliche Erziehungsrecht, das Namens- und...

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