Sie sind hier
E-Book

Soziologie der Kompetenz

VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl294 Seiten
ISBN9783531919515
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis36,99 EUR
Kompetenz ist als eigenständiges Thema in der Soziologie bisher nicht, jedenfalls nicht auffällig, in Erscheinung getreten. Wer im Rahmen der Sozialwissenschaften von Kompetenzforschung spricht, denkt vor allem an Disziplinen wie Psychologie und Pädagogik. Insbesondere in der Empirischen Bildungsforschung wird der Kompetenzbegriff seit einigen Jahren in das Zentrum vieler Untersuchungen gestellt.
Ein Grund dafür, dass 'Kompetenz' bislang kaum in den Fokus von Soziologen geraten ist, dürfte darin bestehen, dass der Begriff in der Regel ausschließlich personengebunden und häufig kognitiv reduziert angewandt wird, während er in der Soziologie zumeist lediglich metaphorisch verwendet und mitunter gar gesamt- und teilgesellschaftlichen Institutionen und Organisationen zugeschrieben wird.
Der Band versammelt theoretische und empirische Herangehensweisen an Kompetenz aus soziologischer Sicht. Die Beiträge klären dabei auch die Frage nach dem Sinn und Nutzen des Kompetenzbegriffs als soziologische Kategorie, um dergestalt den Boden zu bereiten für eine dezidiert soziologische Kompetenzforschung.


Dr. Thomas Kurtz ist Privatdozent an der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld und vertritt derzeit eine Professur für Bildungsmanagement und Bildungsforschung an der Universität Paderborn.
Dr. Michaela Pfadenhauer ist Professorin für Soziologie an der Universität Karlsruhe/Karlsruher Institut für Technologie (KIT).

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe
Von der Kompetenz zur Performanz Wissenssoziologische Aspekte der Kompetenz (S. 238-239)

Hubert Knoblauch

Einleitung


Kompetenz kommt in Mode. Wie Huber (2002) in seiner vorzüglichen begriffsgeschichtlichen Übersicht erwähnt, sind von den 716 deutschsprachigen Buchtiteln zum Thema Kompetenz fast drei Viertel seit 1990 erschienen, mit einem beinahe exponentialen Wachstumsverlauf.1 Das Aufkommen dieses Begriffes ist für die Wissenssoziologie nicht unbedeutend. Handelt es sich hier um einen von ihr übersehenen Grundbegriff, den die Wissenssoziologie endlich rehabilitieren sollte? Handelt es sich um einen spezialsoziologischen Begriff, der im Zusammenhang des Fach- und Expertenwissens ein spezifisches Phänomen benennt?2 Oder hat er mit neuen gesellschaftlichen Entwicklungen zu tun, die von der zunehmenden Verwendung dieses „heiß“ gewordenen Begriffes angezeigt wird? Wie die Fragen schon andeuten, möchte ich mich hier mit dem Begriff beschäftigen.

Es geht also nicht um eine empirische Bestimmung von Phänomenen, die mit dem Begriff der Kompetenz bezeichnet werden können. Vielmehr geht es mir um eine Klärung des Begriffes selbst. In der Folge Kossellecks (1972) und Luhmanns (1980)werden solche Begriffsklärungen häufig als „Semantik“ bezeichnet, obwohl diese Bezeichnung vielfach, wie auch hier, irreführend ist. Zunächst geht es ja nicht um eine Klärung der Extension oder Intension des Bedeutungsfeldes der „Kompetenz“; die erste wissenssoziologische Frage richtet sich nämlich auf das schiere Aufkommen dieses Begriffes, also seiner, wenn man so will, Verbreitung im sozialen Lexikon bzw. seiner Anerkennung als Thema bzw. Topos, mit dem in der Gesellschaft kommuniziert werden kann (vgl. ausführlicher dazu Knoblauch 2001).

Erst wenn ein Begriff eine solche Funktion erfüllt, macht es aus soziologischen Gründen Sinn, nach seiner „Semantik“ zu fragen. Aber auch die Frage nach der Semantik hat einen doppelten Boden; als wissenschaftliche Frage geht es um die Klärung eines Begriffes im Rahmen der wissenschaftlichen Kommunikation, häufig, wie auch in meinem Fall, mit einem historisierend-begriffgeschichtlichen Zug. Sofern der Begriff auch außerhalb der Wissenschaft Verwendung findet, geht es aber auch um eine Klärung dieser Verwendung, die notwendig empirische Züge annimmt (heute oft mit diskurstheoretischen Bezügen).

Auch wenn ich eine solche Empirie hier nicht bieten kann, möchte ich doch beides tun: Zum einen möchte ich einzelne semantische Aspekte des wissenschaftlichen Begriffes in einem Bereich der wissenschaftlichen Diskussion herausstellen, der bedeutend ist, aber häufig vernachlässigt wird; indem ich argumentiere, dass diese Aspekte wissenschaftlich keine neue Bedeutungen schaffen, möchte ich zum anderen auf die gesellschaftliche Bedeutung der Begriffe hinweisen. Mein Beitrag teilt sich deswegen in einen kurzen begriffsgeschichtlichen Teil, in dem ich die Begriffsentwicklung kurz skizzieren möchte. In einem wissenschaftstheoretischen bzw. -historischen zweiten Teil möchte ich mich vor allem auf die Neukonzeption des Begriffes in der jüngeren Linguistik konzentrieren.
Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Inhalt6
Der Kompetenzbegriff in der Soziologie8
1. Einleitung8
2. Zuständigkeit in Staat und Organisation9
3. Kommunikative Kompetenz12
4. Wissen und Nichtwissen in der Wissensgesellschaft14
5. Auf dem Wege zu einer Soziologie der Kompetenz18
Die Beiträge im Einzelnen20
Literatur24
1 Zumutung27
Kompetenz-Bildung: Programm und Zumutung individualisierter Bildungspraxis28
Über Möglichkeiten einer erweiterten Bildungssoziologie28
1. Eine Erweiterung bildungssoziologischer Perspektiven28
2. Bildungsdebatten und Bildungssoziologie32
3. Globalisierende Formierungen: Bildung, Wissensgesellschaft und der Kompetenz-Komplex34
4. Bildung, Kompetenz, Lebensführung – zur individualisierten Bil-dungspraxis der Gegenwart39
5. Vorläufiges Fazit43
Literatur44
Kompetente Subjekte: Kompetenz als Bildungs- und Regierungsdispositiv im Postfordismus48
1. Kredentialismus: Politische Ökonomie der Qualifikation im Fordismus49
2. Kompetenz und Postfordismus51
3. Zur Genealogie der Verbindung von Personalverwaltung und thera-peutischer Beratung54
4. Beratung und ihre Rolle in der Personalverwaltung57
5. Veridiktion der Kompetenz: Die Messung der Kompetenzen und des Humankapitals61
6. Kompetente Subjekte63
Literatur64
Kompetenz – Eine neue Rationalität sozialer Differenzierung?67
1. Der Kompetenzdiskurs68
2. Die sozialen Teilungspraktiken71
3. Die Rationalitäten sozialer Differenzierung74
4. Kompetenz als Ausdruck einer neuen Rationalität sozialer Differenzie-rung? – Ein Fazit78
Literatur80
Zivilisierungstheorie als Kompetenztheorie: Elias, Foucault und Goffman83
1. Soziale (System-)Differenzierung, Verflechtung und Gewaltmonopoli-sierung83
2. Zivilisierende Ungleichheiten: Konkurrenzen, Aufstiege und Distink-tionen85
3. (Oberschicht-)Modelle, Modellierungen und Sickerprozesse87
4. Institutionelle Zivilisierungen und Zivilisierungsgrenzen90
Literatur102
2 Implementation103
Begriffskonjunkturen und der Wandel vom Qualifikations-zum Kompetenzjargon104
1. Von der Qualifizierung zum Training von Kompetenzen – Zur Karriere eines Begriffes104
2. Zum sozialwissenschaftlichen Kompetenzverständnis106
3. Verschiebungen des Kompetenzbegriffs und Verlust des sozialen Kon-textes110
4. Kritik des pädagogischen Kompetenzjargons111
Literatur114
Von Bildung zu Kompetenz116
Semantische Verschiebungen in den Selbstbeschreibungen des Erziehungssystems116
1. Bildung in der Selbstbeschreibung des Erziehungssystems118
2. Kompetenz als symbiotisches Symbol des Erziehungssystems121
3. Kompetenz in den Selbstbeschreibungen des Erziehungssystems126
Literatur129
„Schülerkompetenzen“ im Nadelöhr kollektiver Kompetenzen132
Ein Versuch der Erneuerung des Governanceregimes der Schule132
1. Kollektive Kompetenzen aus Sicht der Educational Governancefor-schung133
2. Zur Erneuerung des Governanceregimes135
3. Schluss142
Literatur143
3 Orientierung144
Kompetenz als Qualität sozialen Handelns145
1. Äquivokationen des Kompetenzbegriffs146
2. Die Vielschichtigkeit von Kompetenz153
3. Kompetenzdarstellung als Selbstvergewisserungspraxis161
Ausblick164
Literatur165
Wissen, Handeln, Können169
Über Kompetenzen, Expertise und epistemische Regime169
1. Kompetenz und Expertise170
2. Epistemische Regime176
3. Die epistemischen Regime der Professionen – ein Ausblick180
Literatur:183
Kompetenz und kompetentes Handeln als Gestaltung der Biografie und des Lebenslaufs186
Einleitung186
1. Theoretische Vorbemerkungen186
2. Kurze methodische Anmerkung zur Datenerhebung190
3. Digitalisierung beruflicher Lebensläufe zu Berufsbiografien192
4. „Strategien“ zur Bewältigung des Berufslebens – kompetentes Han-deln im Lebenslauf197
Fazit201
Literatur203
Kompetente Organisation oder wie man das Leben von 007 rettet204
1. Die Fähigkeit des Individuums: Fachkompetenz207
2. Die Fähigkeit der sozialen Position: Amtskompetenz214
3. Die Fähigkeit gemeinsamer Aktivität: Teamkompetenz219
4. Kompetente Organisation225
Literatur227
4 Realisierung229
Von der Kompetenz zur Performanz230
Wissenssoziologische Aspekte der Kompetenz230
Einleitung230
1. Zur Etymologie und Semantik des Begriffs231
2. Von der linguistischen Kompetenz über die Performanz zum kulturel-len Wissen233
3. Kompetenz – wissenssoziologisch eingeordnet239
4. Zur gesellschaftlichen Bedeutung von Kompetenz: Sonderwissen und Subjektivität243
Literatur246
Wann kommuniziert man kompetent?249
1. Kommunikation ist mehr als Sprechen249
2. Kompetenz als Regelbeherrschung250
3. Was heißt hier Kommunikation?253
4. Man kann nicht nicht kommunizieren254
5. Vom intimen Blick zur peripheren Wahrnehmung256
6. Kommunikatives Tun und kommunikatives Handeln257
7. Die Disziplinierungen des Kommunizierens259
8. Wann kommuniziert man kompetent?262
Literatur265
Ächtung des Selbstlobs und Probleme der Kompetenzdarstellung267
1. Die Schwierigkeiten mit der Kompetenzdarstellung oder weswegen es häufig besser ist, auf Kompetenzdarstellungen zu verzichten270
2. Der Nutzen von Professionen: Die Entlastung von der Notwendigkeit der individuell zurechenbaren Kompetenzdarstellung275
3. Zum Zusammenhang von Kompetenz und Kompetenzdarstellung280
Literatur281
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren284
Brosziewski, Achim, Prof. Dr., geb. 1961, Bildungssoziologe an der Pädagogi-schen284
Brüsemeister, Thomas, Prof. Dr., geb. 1962, Professor für Soziologie mit dem284
Dewe, Bernd, Prof. Dr., geb. 1949, Professor für berufliche und betriebliche284
Keller, Reiner, Prof. Dr., geb. 1962, Professor für Allgemeine284
Klatetzki, Thomas, Prof. Dr., geb. 1956, Professor für Soziologie, insbesondere284
Knoblauch, Hubert, Prof. Dr., geb. 1959, Professor für Allgemeine284
Kühl, Stefan, Prof. Dr., geb., 1966, Professor für Organisationssoziologie an der284
Kurtz, Thomas, PD Dr., geb. 1961, Privatdozent an der Fakultät für Soziologie284
Pfadenhauer, Michaela, Prof. Dr., geb. 1968, Professorin für Soziologie (unter284
Reichertz, Jo, Prof. Dr., geb. 1949, Professor für Kommunikationswissenschaft284
Schützeichel, Rainer, Dr., geb. 1958, vertritt derzeit die Professur für285
Traue, Boris, Dr., geb. 1973, Visiting Fellow am ‚Centre for the Study285
Truschkat, Inga, Prof. Dr., geb. 1975, Juniorprofessorin für Sozial- und285
Vonken, Matthias, Dr., geb. 1971, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der285
Willems, Herbert, Prof. Dr., geb. 1956, Professor für Soziologie an der Justus-285

Weitere E-Books zum Thema: Arbeitspsychologie - Wirtschaftspsychologie - Coaching

Teams effizient führen

E-Book Teams effizient führen
Format: PDF

Erfolgreich durch Teamwork Nichts ist mehr so wie früher, und nichts wird mehr so sein. Diese Erkenntnis verspüren heute fast alle Unternehmen, die im Zuge der schlanken Organisation,…

Teams effizient führen

E-Book Teams effizient führen
Format: PDF

Erfolgreich durch Teamwork Nichts ist mehr so wie früher, und nichts wird mehr so sein. Diese Erkenntnis verspüren heute fast alle Unternehmen, die im Zuge der schlanken Organisation,…

Teamdiagnose

E-Book Teamdiagnose
Format: PDF

Trends in der organisationalen Praxis belegen, dass Gruppen für die Bearbeitung von Aufgaben in Organisationen zunehmend an Bedeutung gewinnen. Für Personal- und Organisationsentwickler, Trainer,…

Teamdiagnose

E-Book Teamdiagnose
Format: PDF

Trends in der organisationalen Praxis belegen, dass Gruppen für die Bearbeitung von Aufgaben in Organisationen zunehmend an Bedeutung gewinnen. Für Personal- und Organisationsentwickler, Trainer,…

Weitere Zeitschriften

Berufsstart Bewerbung

Berufsstart Bewerbung

»Berufsstart Bewerbung« erscheint jährlich zum Wintersemester im November mit einer Auflage von 50.000 Exemplaren und ermöglicht Unternehmen sich bei Studenten und Absolventen mit einer ...

Demeter-Gartenrundbrief

Demeter-Gartenrundbrief

Einzige Gartenzeitung mit Anleitungen und Erfahrungsberichten zum biologisch-dynamischen Anbau im Hausgarten (Demeter-Anbau). Mit regelmäßigem Arbeitskalender, Aussaat-/Pflanzzeiten, Neuigkeiten ...

Deutsche Tennis Zeitung

Deutsche Tennis Zeitung

Die DTZ – Deutsche Tennis Zeitung bietet Informationen aus allen Bereichen der deutschen Tennisszene –sie präsentiert sportliche Highlights, analysiert Entwicklungen und erläutert ...

dima

dima

Bau und Einsatz von Werkzeugmaschinen für spangebende und spanlose sowie abtragende und umformende Fertigungsverfahren. dima - die maschine - bietet als Fachzeitschrift die Kommunikationsplattform ...

e-commerce magazin

e-commerce magazin

e-commerce magazin Die Redaktion des e-commerce magazin versteht sich als Mittler zwischen Anbietern und Markt und berichtet unabhängig, kompetent und kritisch über ...

Euphorion

Euphorion

EUPHORION wurde 1894 gegründet und widmet sich als „Zeitschrift für Literaturgeschichte“ dem gesamten Fachgebiet der deutschen Philologie. Mindestens ein Heft pro Jahrgang ist für die ...