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E-Book

Spezialtiefbau 2,0

Durch Schaden wird man klug

AutorKlaus D, Kluckert
VerlagErnst & Sohn
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl144 Seiten
ISBN9783433607107
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis25,99 EUR
Der Autor zeigt anhand eigener Erlebnisse aus seinem Berufsleben als Ingenieur im operativen Geschäft und als Sachverständiger typische Fehler im Spezialtiefbau auf, analysiert deren Ursachen und zeigt Wege zur Beseitigung auf, Mit diesem 'etwas anderen Lehrbuch' fasst er sein gespeichertes Wissen zusammen und lässt dabei Kollegen, Berufsanfänger und Studenten an seinem wertvollen Erfahrungsschatz teilhaben, Das Buch soll helfen, den einen oder anderen Fehler mit seinen mitunter gravierenden persönlichen und finanziellen Konsequenzen zu vermeiden und dadurch auch die Unfallgefahren zu minimieren

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Leseprobe

2
Die Skizze ist die Lyrik des Bauingenieurs


2.1 Zum Verständnis


Mit einem Lächeln und einem Augenzwinkern, aber durchaus bewusst setze ich das Thema „Skizze“ an den Anfang dieses etwas anderen Lehrbuchs. Schließlich hat mein Studium, das heißt meine Ausbildung zum Bauingenieur, ebenfalls mit diesem Thema angefangen. Es liegt daher nahe, den Einstieg in das komplexe Thema dieses Buches mit dem Sinn von Skizzen zu beginnen.

Mit dem Thema „Skizze als Ausdrucksmittel des Ingenieurs und ihre Anwendung“ habe ich mich bereits im Jahr 1997 intensiv befasst, als ich ein Bilderbuch „Skizzen und Notizen eines Grundbauers 1980–1995“ im Eigenverlag erstellt [18] und an Freunde und Kunden verschenkt habe – unter anderem auch an meinen geschätzten Kollegen Prof. Dr.-Ing. Stephan Semprich aus Graz. Dieser fand das Thema genauso wichtig für uns Bauingenieure wie ich selbst und stellte das Buch zusammen mit einigen daraus kopierten Seiten in einem Schaukasten des Instituts für Grundbau und Bodenmechanik an der TU Graz aus. Er schickte mir ein Foto von diesem Arrangement (Bild 2-1) und schrieb dazu „mit der Zurschaustellung will ich meinen Studierenden deutlich machen, wie wichtig es ist, Gedanken in Skizzenform ausdrücken zu können – für Sie eine bereits seit langem praktizierte Erkenntnis.“ Ein paar Jahre später, im Jahr 2003, habe ich für die Festschrift anlässlich des 60. Geburtstags meines mittlerweile zu einem guten Freund gewordenen Kollegen ein zweites Mal über das Thema „Skizzen und Ingenieure“ referiert. Dieser Beitrag [23] wurde später ebenfalls von mir gedruckt und wieder an Freunde und Kunden verschenkt (Bild 2-2).

Bild 2-1 Skizzen und Notizen

Bild 2-2 Skizzen und Ingenieure

Man mag sich nun vielleicht fragen, ob das wirklich ein Thema ist, über das es sich nachzudenken lohnt. Es hat jedoch durchaus einen interessanten und ernsten Hintergrund, auch wenn es – nicht ganz ungewollt – einigen Spielraum zum Schmunzeln lässt. Das allgemeine Thema „Fehler, Schäden und Sanierungen im Spezialtiefbau“ ist so komplex, dass man sich den Regeln und Gefahren dieser Technik (der Geotechnik) in langsamen Schritten und systematisch nähern und nicht mit der Tür ins Haus – oder gar ins offene Loch! – fallen sollte. Außer den technischen Informationen geht aus Skizzen immer auch hervor, mit welcher Einstellung der Urheber an seine beruflichen Aufgaben und Pflichten herangegangen ist und ob er die Zusammenhänge verstanden hat.

2.2 Zum Thema


Es wird allgemein anerkannt, dass die Zeichnung die Sprache des Ingenieurs ist. Aber was ist dann die Skizze? Ich behaupte: Die Skizze ist die Lyrik des Bauingenieurs. Warum?

Sprache benutzt man, um sich geistreich zu unterhalten, Vorträge zu halten oder Briefe, Berichte und Bücher zu schreiben. Mit anderen Worten, die Sprache übermittelt eine klare Botschaft. Genau wie eine Zeichnung.

Ganz anders die Lyrik. Sie übermittelt Inhalte in freier künstlerischer Form. Sie ist oft launisch, sparsam und voller Andeutungen. Sie setzt der Fantasie keine Grenzen – genau wie eine gute Skizze. Hierüber möchte ich in diesem Kapitel sprechen, bevor es anschließend richtig ernst wird.

2.3 Wie der Bauingenieur zur Skizze kommt


Wie erlangt nun ein Bauingenieur die Fähigkeit, Skizzen in der zuvor beschriebenen Form kunstvoll anzuwenden und zu zielführend nutzen?

Vor eine gute Skizze haben die Götter den Schweiß gesetzt. Wenn ein zukünftiger Bauingenieur sein Studium beginnt, kann er im Allgemeinen zwar rechnen, schreiben und lesen – aber Striche ziehen? Striche ziehen muss er erst lernen. Wir kennen das von der Bundeswehr, denn auch dort müssen junge Menschen erst gehen lernen, wenn sie dort ankommen. Genauso geht es den Ingenieurstudenten mit dem Skizzieren; junge Bauingenieure lernen es im Studienfach „Freihandzeichnen“.

Bild 2-3 Erste Striche aus Studententagen

Bild 2-3 zeigt meinen ersten Versuch, als Student des Ingenieurbaus vor rund 50 Jahren, auf einem leeren DIN-A4-Blatt Striche zu ziehen. Die Echtheit des gezeigten Werks wird durch das handschriftliche Testat „Bs.“ des gestrengen Professors Borsum dokumentiert.

Da die Welt eines Ingenieurs nicht nur aus geraden Linien besteht, muss selbstverständlich auch die krumme Linie geübt werden. Auch hierfür habe ich ein passendes Beispiel aus meiner Studienzeit vorzuweisen (Bild 2-4).

Nach dieser Grundausbildung werden die jungen Ingenieurstudenten zeichnerisch auf die Menschheit losgelassen und müssen Bauwerke und Gebrauchsgegenstände skizzieren. Bild 2-5 zeigt das Resultat meiner Bemühungen aus dem Jahr 1964, meine damals getragene Brille zu skizzieren.

Bild 2-4 Krumme Linien aus der Studienzeit

Bild 2-5 Eine weitere Skizze aus Studententagen

Spätestens beim Betrachten der in Bild 2-6 gezeigten Skizze wird hoffentlich erstmals erkennbar, was ich mit Lyrik meine. Auch diese Skizze war ein offizielles Machwerk aus dem Jahr 1964, wie an dem Testat des bereits bekannten Professors Borsum zu erkennen ist. Es handelt sich dabei um den Entwurf einer Neujahrskarte aus meiner Feder.

Bild 2-6 Eine Neujahrskarte

2.4 Die ersten Schritte im Berufsleben


Man könnte nun annehmen, die Qualität der zu Papier gebrachten Skizzen würde immer weiter steigen, bis die Welt der Ingenieure einen neuen Miro, Picasso oder wenigstens Loriot begrüßen könne. Mitnichten! Zumindest bei mir trat genau das Gegenteil ein: Meine Skizzen wurden immer einfacher (Bild 2-7).

Bei näherem Hinsehen fällt jedoch auf, mit wie wenigen Strichen die Verbausituation einer U-Bahnbaustelle in Berlin-Wilmersdorf im Jahr 1969 auf dieser Skizze charakterisiert wurde. Selbst nach 46 Jahren werden alle wichtigen Informationen ohne langes Rätselraten deutlich. Der U-Bahntunnel in der Straße mit der vorhandenen Bebauung, die verformungsarme Bohrpfahlwand auf der bebauten Straßenseite und der einfache Berliner Verbau auf der unbebauten Seite sind für jeden Geotechniker noch heute zweifelsfrei zu erkennen. Allerdings war die Lyrik in diesem Fall noch nicht reif, was von einem 25-jährigen Grundbauingenieur auch noch nicht zu erwarten war.

Bild 2-7 Eine Beschränkung auf das Wesentliche

Bild 2-8 Bitte die Krafteinleitungsstrecke eines Verpressankers nicht durch unterschiedliche Bodenarten verlegen

Bild 2-9 Das passiert, wenn sich Regen in einem Erdspalt hinter einer Bauwand sammelt

Im Lauf seines Berufslebens entwickelt sich die Skizzierkunst des Bauingenieurs weiter, sodass er schließlich auch komplizierte Situationen mit wenigen Strichen darstellen kann. Zwei Beispiele sollen dies verdeutlichen. Das erste zeigt, dass es nicht statthaft ist, die Krafteinleitungsstrecke eines Verpressankers in unterschiedliche Bodenarten zu legen (Bild 2-8). Das zweite macht deutlich, was passiert, wenn es in Erdspalten hinter einer Verbauwand hineinregnet (Bild 2-9).

2.5 Baulyrik und Baukunst


Mit ein paar Skizzen aus der Zeit, die man eher als die zweite Hälfte des Berufslebens bezeichnen würde, möchte ich meinen Streifzug durch die Welt der Baulyrik und Baukunst fortsetzen. Hierzu habe ich drei Beispiele ausgewählt, die die Lyrik des Bauingenieurs besonders deutlich erkennen lassen. Zum besseren Vergleich von Kunst und Realität zeige ich Ihnen dazu die Fotos der Originalschauplätze (besser gesagt: der Originalbauplätze).

Bild 2-10 Skizze der geplanten Stützwand am Bopparder Hamm (Sondervorschlag)

Bild 2-10 zeigt eine Skizze aus einer Angebotsbesprechung aus dem Frühjahr 1986. Sie stellt einen Sondervorschlag für eine Hangsicherung am Bopparder Hamm an der Rheinstrecke Köln–Mainz der Deutschen Bahn dar, der später tatsächlich beauftragt wurde.

Die dieser Skizze zugrunde liegende Idee war, Großbohrpfähle von einem Greiferbohrgerät vor Kopf herstellen zu lassen. In die Pfähle sollten Steckträger mit einbetoniert werden, die über Gelände mit Holz ausgefacht werden sollten, und der dreieckige Keil auf der Böschung sollte beim Bohren mit dem Bohrgut aufgefüllt werden. Auf diesem so gewonnenen, hoch liegenden Erdplanum könnte dann der Bohrbagger selbst die Baggermatratzen verlegen, auf denen er dann zum nächsten Pfahl weiter fahren könnte.

Das Besondere an dieser Methode ist, dass für die Herstellung der Pfähle kein Hanganschnitt erforderlich ist. Am Ende der Wand angekommen, werden die Verbauträger rückschreitend eingebracht. Bild 2-11 zeigt die Baustelle an der 400 m langen Stützwand unterhalb der Weinlage Bopparder Hamm im Sommer 1986.

Das zweite Beispiel zeigt eine ähnliche Baustelle, nämlich die Sanierung einer 2.200 m langen Stützwand an der Rheinstrecke der Deutschen Bahn zwischen Remagen und Oberwinter...

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