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Sport und Integration.

Welche Rolle kann Sport im Integrationsverlauf spielen?

AutorDavid Weber
VerlagDiplomica Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl84 Seiten
ISBN9783836611909
FormatPDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis33,00 EUR

Auch 30 Jahre nach dem Anwerbestopp ist es für die "klassischen Arbeitsmigranten" und ihre Familien noch immer sehr schwierig an den zentralen gesellschaftlichen Gütern und Positionen teilzuhaben. Sicherlich haben sich die Abstände gerade in der Generationenfolge deutlich verringert, dennoch besteht nach wie vor eine Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit.

Eine große Ausnahme scheint hierbei der Sport zu sein: Fußballer, Boxer, Handballer und viele andere Sportler in den unterschiedlichsten Sportarten ernten als "Arbeitsmigranten" hohen gesellschaftlichen Respekt und Sympathie. Zumindest im Falle von Profisportlern spielen die klassischen Integrationshürden: Sprache, kulturelle Kompetenzen und Kenntnisse oder auch gesellschaftliche Diskriminierung, scheinbar keine Rolle. Anerkennung und Positionierung erfolgen alleine durch sportliche Leistung. Ähnliches gilt möglicherweise auch auf Amateur- und Freizeitsportebene. Deshalb wird in diesem Buch untersucht welchen Einfluß Sport auf die Integration von Migranten haben kann.

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Leseprobe

Kapitel 5.1, Bedeutung des Funktionssystems Sport für die Integration von Migranten

Migranten finden sich also, wie gezeigt, häufig in einer Situation wieder, in der ihre eigenen Wünsche und Vorstellungen quasi irrelevant werden. Sie müssen sich einem gesellschaftlichen System unterwerfen, dass ihnen zunächst völlig fremd ist, ihnen aber dennoch ziemlich genau vorgibt, wie sie sich zu verhalten haben, um erfolgreich teilhaben zu können.

In einer solchen Situation ist es nur logisch, dass sich die Menschen nur schwer zurechtfinden und ohne besondere eigene Fähigkeiten oder informelle Kontakte kaum eine Chance haben ihre Situation zu verbessern. Viele Migranten geraten in einen Teufelskreis aus mangelnden Sprachkenntnissen, schlechter Schulbildung, Benachteiligungen am Arbeitsmarkt und gesellschaftlicher Deprivation.

Wenn es also nicht gelingt, sich im durch die Aufnahmegesellschaft vorgegebenen System zurechtzufinden, wird man nach Möglichkeiten suchen dem Druck des gesellschaftlich konformen Verhaltens wenigsten teilweise entgehen zu können. Dies geschieht entweder durch Rückzug und Verweigerung oder durch offensives agieren zum Abbau von Frustrationen, Benachteiligung oder „Kapitalmängeln“ (schlechtes Sprachvermögen, etc.)Möglicherweise bildet Sport einen Bereich in dem es möglich ist dies zu tun und auf alternativem Weg Anerkennung und Positionierung zu erfahren, ohne sich, wie sonst üblich, den komplizierten Regeln von Bildungssystem und Arbeitsmarkt unterwerfen zu müssen. Hier scheint es so zu sein, dass der einzige Indikator für erfolgreiche Teilhabe und Positionierung, in der sportlichen Leistungsfähigkeit des Individuums zu suchen ist. Diese ist sehr transparent, für jeden klar ersichtlich und kann bis zu einem gewissen Grad von jedem Individuum selbst beeinflusst bzw. gesteigert werden.Zwar gibt es auch im Sport gewisse Regeln, die einzuhalten sind, doch scheinen diese wesentlich einfacher, direkter und transparenter als das gesellschaftliche Werte- und Normensystem. Regeln im Sport dienen vor allem dazu, die Chancengleichheit der teilnehmenden Individuen zu wahren. In der Gesellschaft erscheinen sie oft als Hürden und Barrieren. Insofern könnte gerade für benachteiligte Gesellschaftsmitglieder Sport von besonderem Reiz sein, da diese sonst kaum Chancen auf gleichberechtigte Teilhabe haben.

Gerade Menschen mit Migrationshintergrund sind im Profisport stark vertreten und zählen nicht selten zu den Leistungsträgern und Publikumslieblingen. Sprache, Bildung und Beruf sind für den sportlichen Erfolg scheinbar ohne jede Bedeutung.Da Sport vor allem in Vereinen ausgeübt wird, wäre es denkbar, dass sich hier für Migranten Möglichkeiten ergeben sehr direkt und ohne Umwege (gemäß den Dimensionen der Sozialintegration nach Esser) „Kapital zu erwerben“.Durch interkulturelle Kontakte mit Sportskameraden könnte es im Bereich der Interaktion zum Aufbau sozialer Beziehungen, über den Verein hinaus, und dadurch zur Inklusion in Freundschaftsnetzwerke kommen. Damit könnten auf der Ebene der Kulturation Sprachkenntnisse, Wissen und Fertigkeiten erworben und ausgebaut werden.

Über den sportlichen Erfolg besteht die Möglichkeit sich zumindest auf Mikroebene im Sportverein zu platzieren, Anerkennung und Respekt zu erwerben. Solch positive Erfahrungen könnten dann wiederum die Identifikation mit der Aufnahmegesellschaft fördern.Die (angenommene) Klarheit, Einfachheit und Zugänglichkeit des Funktionssystems Sport könnte sich als förderlich für die Lebenssituation sportlich aktiver Migranten erweisen und eine positive Wirkung auf den Integrationsverlauf haben.Es wird also nun im weiteren Verlauf der Arbeit näher untersucht welche Bedeutung Sport für Gesellschaft und Individuen generell hat und welche Chancen er, ausgeübt in Sportvereinen, Migranten tatsächlich eröffnet. Bedeutung von Sport für die Gesellschaft.

„Sport ist eine soziale Institution, in der Kommunikation körperlicher Leistungen stattfindet“.Sport ist ein ideales Kommunikationsmedium und damit ein soziales Phänomen. Er ist ein Kulturprodukt, das sich im Kontext sozialer Systeme entwickelt. Gesellschaften sind in der Regel schichten- und situationsspezifisch differenziert. Je nach sozialer Lage gibt es verschiedene Vorstellungen vom eigenen Körper. Diese unterschiedlichen Vorstellungen haben sich im Laufe der Geschichte in regelmäßigen Zusammenhängen zwischen Körperbewusstsein, Sportart und sozialer Schicht manifestiert.Sportliches Handeln steht mit den Reaktionen der soziokulturellen Umgebung in direktem Zusammenhang. Das Bedürfnis und Bestreben sozial anerkannt zu werden, sich vor anderen auszuzeichnen und das Verlangen nach Prestige, bestimmen auch und gerade sportliches Handeln.Durch populäre Sportarten erhält man wohl am meisten Aufschluss über gesellschaftliche Zustände, Strukturen und Prozesse, denn Sport reflektiert die Gesellschaft und wird von ihr reflektiert.

Die Organisation und Ausübung des Sports (bsp. Behandlung von Sieg und Niederlage) gibt Hinweise auf die Eigenarten einer Gesellschaft. Ebenso sind Werte, die Behandlung von Minderheiten, das Wirtschaftssystem oder die politische Struktur einer Gesellschaft Anhaltspunkte dafür, welche Rolle Sport in dieser Gesellschaft spielt.Dies wird am Beispiel des mexikanischen Stierkampfes deutlich: Familie und Gesellschaft sind in Mexiko streng hierarchisch strukturiert. Der autoritäre, patriarchalische Familienvater „regiert“ mit eiserner Hand nach eigenem Gusto (Stichwort „machismo“). So kommt es, dass gerade die Söhne der autoritären Charakterstruktur des Vaters nacheifern und nicht selten damit beginnen jüngere Geschwister zu terrorisieren. Gegensätzlich dazu das Verhalten der Töchter: Sie entwickeln mit der Zeit ein misstrauisches und ablehnendes Verhalten gegenüber Männern.Im Stierkampf stellt nun der Stier den Vater dar, während der „matador“ die Rolle des Sohns übernimmt. Dabei wird jedoch die gesellschaftliche und familiäre Situation auf den Kopf gestellt, weil hier der matador die Gelegenheit hat, durch das Töten des Stiers „den Spieß umzudrehen“ und dem Wunsch Ausdruck zu verleihen, Revanche für im Alltag erlittene Demütigungen zu nehmen.Auch die komplexe Organisation, Spezialisierung und Arbeitsteilung des American Football deckt sich mit den Schlüsselcharakteristika der US-amerikanischen Gesellschaft. Der amerikanische Sport ist wie die amerikanische Gesellschaft autoritär, bürokratisch und produktorientiert.In Amerika, dem Inbegriff des Kapitalismus, ist es nicht verwunderlich, dass Athleten zum Besitz eines Teams gehören, man über sie verfügt und nach Belieben kauft oder verkauft. Sie haben sich den Wünschen der Teambesitzer und Sponsoren zu beugen und autoritären Trainern unterzuordnen. Siegen ist alles im US-Sport. Damit wird ein zentraler Wert der amerikanischen Gesellschaft aufgegriffen: „im Konkurrenzkampf zu siegen.“ Das sozialdarwinistische Prinzip des „survival of the fittest“ manifestiert sich sowohl in der amerikanischen Gesellschaft wie im Sport.

Der unablässige Wunsch zu siegen ist jedoch kein natürliches, sondern ein rein kulturelles Phänomen. So wurde kurz nach Einführung des Fußballs in Neuguinea von Einheimischen die Regel geschaffen, dass beide Mannschaften dieselbe Anzahl von Toren erzielen müssen.Es ergibt sich somit folgender Zusammenhang zwischen Gesellschaftstypen und Formen des Sports: 1. Je höher die Arbeitsteilung, desto formalisierter sind die Regeln der Sportarten. 2. Je stärker die sozialen und politischen Zwänge, desto wichtiger ist körperliche Kraft und desto unwichtiger ist die technische Geschicklichkeit. 3. Je härter das Gehorsamstraining, desto aggressiver sind die Sportarten. 4. Je niedriger die Arbeitsteilung und je stärker die sozialen Zwänge, desto populärer sind Mannschaftssportarten.Auch gesellschaftliche Veränderungsprozesse in westlichen Industriegesellschaften spiegeln sich im Sportverhalten wieder: Werte wie Leistung, Karriere, Gehorsam und Disziplin erfahren eine Abschwächung, während Wohlbefinden, Lebensqualität und Genuss an Bedeutung gewinnen.Die Freizeit hat die Arbeitszeit quantitativ wohl überholt und Freizeitbeschäftigung steht immer öfter mit Sportausübung (= Gesundheit, Entspannung, Lifestyle) in Verbindung. Die Verteilung sozialer Gratifikationen im Sport erfolgt in der Regel auf Basis des Normen- und Wertesystems der jeweiligen Gesellschaft, da Sport selbst, als Ausdruck des soziokulturellen Systems, Abbild des Normen- und Wertesystems jeder Gesellschaft ist. Somit spiegeln sich auch gesellschaftliche Krisen, Trends und Anschauungsweisen im Sport wieder. Alles was es in der Gesellschaft gibt – Neid, Missgunst, Betrug, Erfolg, Misserfolg – gibt es auch im Sport. Sport ist also Mikrokosmos der Gesellschaft.Fest steht aber, dass die Idealität mit der Sport die Prinzipien der Fairness, Objektivität, Chancengleichheit, Vergleichbarkeit, Allgemeinverständlichkeit von Leistungen, Rangpositionen auf Basis erbrachter Leistungen verwirklicht, eine Alternative zur oftmals undurchsichtigen Komplexität der sozialen Beziehungen im modernen Leben bietet. Er scheint etwas von dem bewahrt zu haben, was den modernen Industriegesellschaften mehr oder weniger abhanden gekommen ist: „Chancengleichheit und Teilhabemöglichkeit für Alle.“

Daher eröffnet Sport wesentlich einfacher, kurzfristiger und direkter die Möglichkeit Anerkennung und Bestätigung eigener Identität zu erfahren. Dies gilt für Migranten und Deutsche gleichermaßen. Über das Bezugsfeld gemeinsamer, anerkannter Werte ermöglicht er den Individuen soziale Integration.Jene Wertstrukturen, die der Einzelne im Sozialisationsprozess verinnerlicht hat, wird er auch in seinem sportlichen Handeln anstreben und versuchen zu verwirklichen. Sport kann deshalb in unterschiedlichen Bevölkerungskreisen und -schichten ganz unterschiedliche Bedeutung für bestimmte Gruppen annehmen. So glaubt man beispielsweise, dass Boxen nur von Mitgliedern der unteren Schichten erfolgreich ausgeübt werden kann. Das instrumentelle Verhältnis unterer Schichten zum eigenen Körper zeigt sich auch in der Wahl der Sportart, die sich vor allem durch Körperkontakt, Gewalt und Kampf auszeichnet.Naturbezug scheint ein Merkmal des Sports oberer Schichten zu sein. Ebenso wird Sport hier häufig in geschlossenen Clubs ausgeübt und sportliche Aktivität nicht selten mit beruflichen Kontakten verknüpft.Empirische Untersuchungen belegen folgende Zusammenhänge zwischen Schichtzugehörigkeit und Sportengagement: In mittleren und oberen Schichten wird häufiger Sport betrieben. Es handelt sich vor allem um prestigeträchtige und kostenintensive Individual- und Trendsportarten mit geringem Körperkontakt. In unteren Schichten dominieren (Mannschafts-) Sportarten die kaum oder keinen Naturbezug haben und starken Körperkontakt fordern. Insgesamt nimmt die Sportaktivität mit steigendem Bildungsniveau und Einkommen zu.

„Sportsoziologie ist nun jene Wissenschaft, die sich mit der Erforschung sozialen Handelns im Sport sowie mit den Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft und Sport befasst„.Unter Gesellschaft versteht man jenes soziale System, welches für die menschliche Entwicklung existentiell notwendig ist und der Erreichung bestimmter Ziele oder Zwecke dient, wie beispielsweise der Befriedigung von Bedürfnissen. Sie besteht aus einer Gruppe von Individuen und zeichnet sich durch eine eigene Kultur und bestimmte Organisationsformen aus. Wie gezeigt beeinflusst die Gesellschaft die sportlichen Aktivitäten ihrer Mitglieder sehr stark. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungsschicht ist für die Art und Weise des Sporttreibens maßgeblich.Eines ist also deutlich geworden: Sport, in welcher Art auch immer, spiegelt einerseits die Gesellschaft mit all ihren Eigenschaften wider, zugleich bringt er aber auch die Bedürfnisse und Sehnsüchte der Gesellschaftsmitglieder zum Ausdruck. Im Vergleich zu anderen gesellschaftlichen Subsystemen scheint hier noch eine Chancengleichheit für die Individuen zu bestehen. Er kann ein Ventil sein, um Frustrationen oder Aggressionen abzubauen, sowie Leiden und Zwänge zu kompensieren.Sport bietet aber auch die Möglichkeit sich Anerkennung und Respekt zu erarbeiten. Auf welche Art und Weise dies geschieht variiert sehr stark und ist von verschiedenen Faktoren abhängig.Dies wird im nachfolgenden Kapitel mit Blick auf die Bedeutung von Sport für das Individuum nochmals vertieft und verdeutlicht.

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Sport und IntegrationWelche Rolle kann Sport im Integrationsverlaufspielen?1
Inhaltsverzeichnis3
1. Einleitung4
2. Lebenslagen von Migranten6
3. Integrationstheorie Hartmut Essers11
3.1 Sozialintegration11
3.2 „Investition“ & “Kapitalerwerb“14
3.3 Assimilation16
4. Gesellschaftliche Integrationsbarrieren19
5. Sport24
5.1 Bedeutung des Funktionssystems Sport für die Integration vonMigranten24
5.2 Bedeutung von Sport für die Gesellschaft27
5.3 Bedeutung von Sport für das Individuum33
6. Sportvereine als Integrationsplattformen ?42
6.1 Forschungsergebnisse42
6.2 Sportvereine im Wandel46
6.3 Bewertung48
7. Praxisbeispiel 150
7.1 Migranten im deutschen Ligenfußball50
7.2 Zugangsbarrieren im Sport60
7.3 Ethnisch geschlossene „Ausländerclubs“63
8. Praxisbeispiel 265
8.1 Schwarze im US-Sport65
8.2 Diskriminierung im Sport70
9. Fazit73
10. Literaturverzeichnis80

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