„Der erste umfassende Maßnahmenkatalog hinsichtlich der Klassenformen und Bildungsgänge für ausländische Kinder findet sich in den Empfehlungen der Kultusministerkonferenz von 1971“[134]. Aufgrund dessen wurden für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund vereinzelt, vor allem in den Ballungszentren, die sogenannten Vorbereitungsklassen mit verstärktem Deutschunterricht eingerichtet. Diese Klassen setzten sich ausschließlich aus Zweitsprachenlernern zusammen und sollten für jeden Schüler maximal zwei Jahre dauern. Parallel dazu sollten die ausländischen Schüler bereits in den „spracharmen“ Fächern wie Musik, Kunst und Sport mit deutsch-sprachigen Schülern gemeinsam unterrichtet werden, damit die vollständige Integration im Anschluss an die Vorbereitungsklassen reibungsloser verlief. Daneben sahen die KMK-Empfehlungen einen fakultativen Unterricht zum Erhalt der Erstsprache vor, wobei es im Ermessen der einzelnen Bundeländer lag, ob sie dieses Angebot ermöglichten. [135]
Seit den 80er Jahren gibt es zunehmend Bemühungen diese KMK-Empfehlungen und den veränderten Anforderungen an Schule gerecht zu werden. Da aber nicht jede Schule, nicht jede Region, in gleichem Maße durch Multikulturalität und Mehrsprachigkeit beeinflusst wird, sind in den einzelnen Bundesländern verschiedene Beschulungssysteme[136] entstanden. Im Folgenden soll nun exemplarisch die „sächsische Konzeption zur Integration von Migranten“ näher beleuchtet werden.
Das sächsische Schulgesetz beginnt mit folgenden Worten: „Der Erziehungs- und Bildungsauftrag der Schule wird bestimmt durch das Recht eines jeden jungen Menschen auf eine seinen Fähigkeiten und Neigungen entsprechende Erziehung und Bildung ohne Rücksicht auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage“[137]. Folglich müssen Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergund die gleichen Bildungschancen wie deutsche Schüler erhalten. Voraussetzung hierfür ist zunächst einmal, dass auch für alle Migranten, die im Freistaat Sachsen leben, Schulpflicht besteht. Als weitere Maßnahme wurde im Jahr 2000 „Die Sächsische Konzeption zur Integration von Migranten“ erarbeitet und im August des Jahres veröffentlicht. Des Weiteren bildet der Lehrplan für das Fach „Deutsch als Zweitsprache“ eine wesentliche Grundlage für die Verwirklichung der migrationsspezifischen Förderung im sächsischen Schulsystem.[138]
Der Integrationsprozess zur Teilnahme am regulären Bildungsangebot in der Schule erfolgt dabei über drei Etappen, an deren Ende der normgerechte Gebrauch der deutschen Sprache und die Eingliederung in den Regelunterricht stehen. „Zeitlich und inhaltlich variiert dieser Prozess in Abhängigkeit von den Vorkenntnissen, dem Bildungsweg und den Persönlichkeitsmerkmalen der Schüler in erheblichem Maße.“[139] In der ersten Etappe werden die Zweitsprachenlerner zunächst in die sogenannten Vorbereitungsklassen aufgenommen, wo ihnen grundlegende Kenntnisse und Fähigkeiten in der deutschen Sprache beigebracht werden, damit sie sich in der Schule und ihrer Umgebung orientieren können. Diese Phase soll den ausländischen Schülern die Möglichkeit geben, sich mit der neuen Lebenswelt vertraut zu machen, und dem Betreuungslehrer die Gelegenheit verschaffen, Informationen über die Lebenssituation, den Sprachstand und die Persönlichkeit der Schüler zu sammeln. Aufgrund dieser Anamnese wird die Einstufung des Schülers vorgenommen, in Bezug auf die Klassenstufe und die Fächer, mit denen er beginnt. Wie lange diese Etappe letztlich dauert, liegt im Ermessen der Lehrer, auch wenn die Konzeption schulartspezifische Richtwerte vorgibt.[140]
Im zweiten Entwicklungsschritt wird das Erlernen der deutschen Sprache zwar in der Vorbereitungsklasse fortgeführt, allerdings in veränderter Form. „Es werden die Deutschkenntnisse vermittelt, die zur sozialen, in zunehmendem Maße aber zur schulischen Integration hinführen.“[141] Zu diesem Zweck wird vor allem die Sprachaufmerksamkeit der Zweitsprachenlerner trainiert, damit sie an der Alltags- und Unterrichtskommunikation aktiv teilnehmen können. Die ausländischen Schüler nehmen in immer mehr Fächern am Regelunterricht teil, wobei die Wahl von den weniger sprachintensiven hin zu den stärker sprachorientierten Fächern erfolgt. Dabei wird der Lernfortschritt durch kontinuierliche Sprachstanddiagnosen kontrolliert und festgehalten, um auch weiterhin eine bestmögliche Förderung zu gewährleisten.
In der dritten Etappe werden die Schüler mit Migrationshintergrund voll integriert, d.h. sie nehmen in allen Fächern am Regelunterricht teil. Deutsch als Zweitsprache dient nun lediglich als fakultatives Angebot, dass während der gesamten Schullaufbahn in Anspruch genommen werden kann.
Allerdings spielen für eine erfolgreiche Integration noch weitere Rahmenbedingungen eine Rolle. Überhaupt muss erst einmal der für den Schüler optimale Bildungsweg gefunden werden. Dazu erhalten die Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund, bevor sie einer Vorbereitungsklasse zugeführt werden, auf der Basis ihrer bisheriger schulischen Erfahrungen, eine individuelle Beratung zu ihren Bildungsmöglichkeiten durch die Schulaufsicht des Freistaates Sachsen. „Zur Unterstützung der Schullaufbahnberatung wurden Informationsmaterialien in verschiedenen Herkunftssprachen veröffentlicht.“[142] Außerdem werden die Vorbereitungsklasse möglichst wohnortnah eingerichtet, damit anschließend alle Migranten die Chance besitzen, eine ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten entsprechende Schullaufbahn einzuschlagen. Jedoch mit der Einschränkung, dass für Gymnasien im Freistaat Sachsen keine derartigen Klassen vorgesehen sind. Dennoch besteht durchaus die Möglichkeit im Anschluss an den Integrationsprozess, falls der Sprachstand und das Fachwissen den Anforderungen entsprechen, von der Mittelschule auf das Gymnasium zu wechseln.[143]
Generell ist die korrekte Beratung und Betreuung während der gesamten Schullaufbahn von entscheidender Bedeutung. Der Fachlehrer für „Deutsch als Zweitsprache“ kümmert sich nicht nur während des Integrationsprozesses und nicht nur im Rahmen der Vorbereitungsklassen um die bilingualen Schüler, sondern auch darüber hinaus, wofür ihm bis zu zwei Wochenstunden gutgeschrieben werden. Ebenso gehört „zu den Aufgaben eines Betreuungslehrers […] die Information, Beratung und Sensibilisierung von Schülern, Lehrern und Eltern“[144], sowie die Gestaltung und Planung der außerschulischen Förderung. Dies setzt aber eine enge Zusammenarbeit zwischen allen Fachlehrern, sowie mit den Eltern und Schülern voraus. Nur mittels gegenseitiger Absprachen und Rückmeldungen kann der Schüler optimal unterstützt werden. Denn der Betreuungslehrer benötigt das Feedback der Fachlehrer, um eine genaue Sprachstandbestimmung durchführen zu können, auf deren Grundlage wiederum die nächsten Lernziele festgelegt werden. Der Fachlehrer dagegen ist darauf angewiesen, dass der zweisprachige Schüler ausreichend auf die sprachlichen Anforderungen im Regelunterricht vorbereitet wird, damit er dem Unterrichtsgeschehen folgen und sich aktiv daran beteiligen kann, ohne dass daraus ein Nachteil für die übrigen Klassenkameraden entsteht. Folglich holt der Fachlehrer „sie dort ab, wo sie sprachlich stehen und leistet im Rahmen des Fachunterrichts auch die spezifische Unterweisung in der Fachsprache.“[145] Im Rahmen der Lehrplanreform ist diesbezüglich das Eckwertepapier „Sprachliche Bildung für Migranten“ entwickelt worden, welches die sprachliche Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund zur Angelegenheit aller Fachlehrer erklärt.
Die Eltern müssen einerseits darauf achten, dass ihr Kind die Schulaufgaben erledigt und den Gebrauch der Zweitsprache übt, andererseits müssen sie sich aber auch um den Erhalt der Erstsprache kümmern. Demnach können Eltern über die sprachübergreifenden Kompetenzen, die allgemeine geistige Entwicklung und das Lernverhalten außerhalb der Schule Auskunft geben.
Weiterhin gibt es eine Fremdsprachensonderregelung für Schüler mit Migrations-hintergrund, wonach für Zweitsprachenlerner die Möglichkeit besteht, sich ihre Herkunftssprache als erste oder zweite Fremdsprache anerkennen zu lassen, damit sie während des Zweitsprachenerwerbs nicht durch die Aneignung einer weiteren Fremdsprache belastet werden. Voraussetzung dafür ist, dass entweder eine bereits im Herkunftsland erlernte Fremdsprache an der deutschen Schule nicht fortgeführt werden kann, oder dass eine dem Angebot an deutschen Schulen entsprechende Fremdsprachenausbildung noch nicht begonnen wurde. Die Anerkennung der Erstsprache als Fremdsprache erfolgt dann am Ende eines jeden Schuljahres mittels einer Feststellungsprüfung.[146]
Die Struktur des Lehrplans für das Fach „Deutsch als Zweitsprache“ orientiert sich an den Etappen des Integrationsprozesses,...