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Stadt als Erlebnis: Wolfsburg

Zur stadtkulturellen Bedeutung von Großprojekten

AutorAnnette Harth, Gitta Scheller, Ulfert Herlyn, Wulf Tessin
VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl252 Seiten
ISBN9783531919126
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis26,99 EUR
Die vierte stadtsoziologische Untersuchung der 1938 gegründeten Stadt Wolfsburg führt eine in Deutschland einmalige Langzeituntersuchung fort. Im Mittelpunkt der neuen Studie steht die Stadtentwicklungsphase, in der in Wolfsburg versucht wurde, über den Bau erlebnisorientierter Großprojekte den Charakter und das Image der Stadt neu zu bestimmen. In keiner anderen Stadt ist dieser 'Festivalisierungsansatz' einerseits so konsequent und insofern auch paradigmatisch, andererseits aber auch so ortsspezifisch verfolgt worden. Die Untersuchung beschäftigt sich mit den stadtkulturellen Auswirkungen dieser 'erlebnisorientierten' Stadtentwicklungspolitik für die Integration der Bewohnerschaft, die Urbanität der Stadt und die lokale Demokratie.

Dr. Wulf Tessin ist und Dr. Ulfert Herlyn war Professor für Planungsbezogene Soziologie am Institut für Freiraumentwicklung der Fakultät für Architektur und Landschaft an der Leibniz Universität Hannover.

Dr. Annette Harth und Priv.-Doz. Dr. Gitta Scheller sind wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am selben Institut.

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Leseprobe
4 Großprojekte und lokale Demokratie (S. 181-182)

4.1 Problemaufriss

Die Debatte um eine ‚Stadtentwicklung über Großprojekte’, wie sie in Wolfsburg in der hier untersuchten Phase geradezu exemplarisch zum Ausdruck kommt, kreist auch um ihre möglichen kommunal- und planungspolitischen Chancen und Risiken. Und da die Großprojekte häufig als Public Private Partnerships (PPP) durchgeführt werden, rankt sich die Diskussion sehr stark um diese spezielle Politikform (z. B. Selle 1993). Dabei werden in Bezug auf die Stadtentwicklung die folgenden Erwartungen und Befürchtungen im Wesentlichen diskutiert:

Erstens erwartet man, dass die zukünftige Stadtentwicklung in einer ganz neuen und weitaus dynamischeren Dimension erfolgen kann, insofern als eine Umsetzung der geplanten komplexen Großprojekte überhaupt nur möglich sei mit einem potenten Partner an der Seite. Zweitens verspricht man sich eine Beschleunigung der Stadtentwicklung, da die Entscheidungswege verkürzt werden.

Die Experten erwarten ein neues Verhältnis zwischen Politik und Verwaltung mit einer völligen Veränderung der Entscheidungswege. Während bei klassischem Verwaltungsvorgehen viel Zeit ins Land gehe, bis Entscheidungen schließlich getroffen werden, sollen im Rahmen von PPPs Entscheidungen schneller und ‚auf kurzem Dienstweg’ für die Politik vorbereitet werden, die dann nur noch quasi ‚wasserdichte’ Vorlagen erhalte. In kleinem Kreise werde durch ständige Kooperation und Abstimmung eine Konsensfindung im Vorfeld erreicht, die dann durch die Beteiligten in die jeweiligen Gremien der politischen Willensbildung getragen werden, so dass die letztendliche Entscheidung relativ konfliktfrei vonstatten gehen könne.

Drittens erhofft man sich in Bezug auf die Kommunalverwaltung einen Zugang zu effektiveren Management-Methoden, Erfolgsorientierung und damit eine stärkere Betonung betriebswirtschaftlicher Handlungslogiken. Viertens sieht man eine Möglichkeit, die Verwaltung zu entlasten, indem verschiedene Aufgaben schlichtweg ausgegliedert werden. Fünftens verspricht man sich nicht nur eine Mobilisierung privaten Kapitals für die Realisierung der Vorhaben, sondern auch eine Erwirtschaftung von Gewinnen. Mit Public Private Partnerships verbinden sich jedoch nicht nur große Hoffnungen, sondern auch Risiken.

Den Vorteilen solcher Kooperationsformen stehen gewichtige Nachteile gegenüber (Heinz 2008, 262): Ein in der Literatur immer wieder diskutierter Konfliktpunkt der Kooperation zwischen öffentlichen und privaten Akteuren ist das Machtverhältnis zwischen beiden. Es werden Einschränkungen bei der kommunalen Gestaltungshoheit, sogar bis hin zur Gefahr einer „Refeudalisierung der Stadtpolitik“ (Häußermann/Siebel 1993; vgl. auch Häußermann 2008, 583) befürchtet.

So würden „die intermediären Instanzen des politischen Systems geschwächt, die Wirksamkeit bürgerlicher demokratischer Organisation ausgetrocknet und die institutionalisierten Formen der gesellschaftlichen Selbstregulierung langfristig ausgehöhlt“ (Häußermann/Siebel 1993, 30; vgl. auch Mayer 2008, 133). Klaus Selle (1992) verweist außerdem auf das Risiko der Sozialisierung möglicher Folgelasten und Werner Heinz (1998, 233) führt „politische Akzeptanzprobleme durch Vermischung öffentlicher Gemeinwohl- und privater Gewinninteressen (insbesondere im Falle gemischt-wirtschaftlicher Gesellschaften)“ als einen weiteren möglichen Nachteil an.

Kommunen fungieren aus der Sicht der privaten Akteure als „risk-minimizer“, während die Privaten für die Kommunen im gelingenden Fall „profit-maximizer“ sein können (Haughton/Whitney 1989, zit. nach Heinz 1998, 217). Schließlich macht Heinz darauf aufmerksam (ebenda, S. 231), dass die privaten Unternehmen an solchen Flaggschiff-Projekten oft nur solange Interesse haben, wie ein ‚generelles Umfeld des Erfolges’ gegeben ist; anderenfalls ziehen sie zurück.
Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Inhalt5
Einführung in die vierte soziologische Wolfsburg-Studie7
1 Der Weg Wolfsburgs zur ‚Erlebnisstadt’12
1.1 Ziel, Gegenstand und Methode der Studie12
1.2 Die Entwicklung Wolfsburgs bis Anfang der 1990er Jahre21
1.3 Die große VW-Krise 1992/93 als Wendepunkt27
1.4 Die Neuausrichtung der Stadtentwicklung30
1.5 Die Wolfsburg AG als Motor der Stadtentwicklung36
1.6 Die erlebnisorientierten Großprojekte40
1.7 Eine erste Bilanz62
2 Großprojekte und gemeindliche Integration76
2.1 Problemaufriss76
2.2 Großprojekte und Integration in Wolfsburg79
2.3 Erlebnisorientierung der Wolfsburger Bevölkerung83
2.4 Großprojekte als Erlebnisangebote90
2.5 Soziale Selektivität der erlebnisorientierten Großprojekte104
2.6 Großprojekte und Identifikation mit der Stadt115
2.7 Fazit121
3 Großprojekte und städtische Urbanität124
3.1 Problemaufriss124
3.2 Das traditionelle Urbanitätsproblem Wolfsburgs129
3.3 Wolfsburg auf dem Weg zu einer urbaneren Stadt136
3.4 Belebung der Innenstadt und ‚Inselurbanismus’152
3.5 Das ‚verschobene’ Stadtzentrum169
3.6 Fazit177
4 Großprojekte und lokale Demokratie180
4.1 Problemaufriss180
4.2 Lokale Politik im Schatten von VW184
4.3 Das Verhältnis von Stadt und VW in der Wolfsburg AG190
4.4 Die Rolle der Bürgerschaft im Prozess der Großprojektpolitik200
4.5 Akzeptanz der erlebnisorientierten Stadtentwicklungspolitik210
4.6 Fazit226
Schlussbetrachtung230
Literatur:240

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