Die drei A des Magischen Erziehungsdreiecks
Wie alle Untersuchungen zeigen, sind Eltern die wichtigsten Bildungsberater ihrer Kinder. Sie wollen das Allerbeste für ihr Kind und legen die Latte der Ansprüche heute, in Zeiten eines unsicheren Arbeitsmarktes, sehr hoch. Aus aktuellen Umfragen geht hervor, dass über 70 Prozent der Eltern für ihr Kind das Abitur als den angestrebten Schulabschluss nennen, ein Wert, der noch nie zuvor eine solche Höhe erreicht hat. Dieser hohe Qualifizierungswunsch, der schon in den ersten Lebensjahren des Kindes artikuliert wird, macht auch deutlich, wie hoch der Druck im gesamten System von Erziehung und Bildung heute ist. Die Eltern müssen diesen Druck aushalten, es wird von ihnen geradezu erwartet, dass sie sich so verhalten, dass ihr Kind den Weg zum Abitur schafft. Und sie selbst bekennen ja auch, dass sie dieses Ziel haben.
In einer solchen Situation sind Unterstützung und Hilfestellung für Mütter und Väter so wichtig wie noch nie. Neben den allgemeinen Unterstützungen durch Elternprogramme brauchen Mütter und Väter ganz gezielte Hilfen im Hinblick auf die Leistungsanforderungen, die sich ihren Kindern heute stellen und die sie als Eltern an ihre Kinder richten. Die gesamte Beziehung zu den Kindern kann unter dem Diktat der Leistungserwartungen leiden, wenn Eltern den Eindruck haben, ihr Kind sei den Anforderungen nicht gewachsen, die sich schon in wenigen Jahren aus gesellschaftlichen und beruflichen Erwartungen ergeben.
Als Grundkonzeption für einen Ansatz der Unterstützung von Eltern habe ich das Modell der »Drei Pädagogischen A« konzipiert. Das Modell soll Eltern helfen, die richtige Balance aus Anerkennung, Anregung und Anleitung zu erreichen und diese drei Pole der Erziehung so eng wie möglich miteinander zu verbinden. Die drei A bilden ein »Magisches Erziehungsdreieck«: Gelingt es Eltern, alle drei Pole zu berücksichtigen und miteinander zu verbinden, dann schaffen sie eine gute Ausgangssituation sowohl für die Erziehung als auch für die Bildung ihrer Kinder.
Anerkennung
Das Kind benötigt sie, weil es Wärme, emotionale Zuwendung und Akzeptanz braucht, um an sich selbst zu glauben. Ein Kind benötigt diese gefühlsmäßige Zuwendung wie Brot und Wasser, um sozial überleben zu können. Doch so eigenartig es klingt: Es darf auch nicht zu viel der Zuwendung sein, wenn ein Kind eine starke Persönlichkeit entwickeln soll. Eine zu enge emotionale Atmosphäre kann problematisch sein, weil Kinder sich von der Liebe und Zuwendung der Eltern erdrückt fühlen und sich nicht selbstständig entfalten können. Anerkennung darf nicht »Anbetung« bedeuten, und Zuwendung darf nicht bedeuten, dass das Kind keinen eigenen Spielraum mehr für persönliche Empfindungen hat. Übertriebene Anerkennung kann die Leistungsmotivation eines Kindes empfindlich beeinträchtigen. Auf die richtige Dosierung der Anerkennung kommt es an. Zu wenig davon ist selbstverständlich auch schädlich: Eine gefühlsmäßig kühle und zurückweisende oder sogar ablehnende Haltung von Eltern kann zu Störungen des Selbstwertgefühls beim Kind führen, und die wirken sich sehr ungünstig auf seine Leistungsfähigkeit aus.
Anregung
Sie braucht das Kind in Gestalt von Rückmeldungen zu dem jeweils erreichten Entwicklungsstand im sozialen und im Leistungsbereich. Diese Rückmeldung dient der Bestätigung und Selbstvergewisserung, zugleich enthält sie Impulse für eine Weiterentwicklung und Verbesserung des Entwicklungsstandes. Ebenso wie die Anerkennung muss auch die Anregung sehr wohldosiert sein. Es kann zu viel und zu wenig davon geben, und diese Abweichungen sind für das Kind nicht förderlich. Sind die Erwartungen an die Weiterentwicklung zu hoch, kann das Kind überfordert werden. Sind sie zu niedrig, wird das Kind unterfordert. Bei einer zu niedrigen Stimulation erhält das Kind auch zu wenige Anstöße für eine höhere Motivation, es fühlt sich in der Regel nicht ernst genug genommen. Bei einer zu hohen Stimulation kann es zu Belastungen und Überforderungen kommen, die im Endeffekt auch das Bild von der eigenen Leistungsfähigkeit negativ beeinflussen. Es entsteht der Eindruck, den Standards der Eltern nicht gerecht werden zu können und ein Versager zu sein.
Anleitung
Bei der Anleitung geht es um ein der Entwicklung des Kindes und seiner Persönlichkeit gerecht werdendes Ausmaß an klaren Vereinbarungen und Umgangsformen, die Halt und Struktur im Zusammenleben geben. Werden die Umgangsformen von den Erwachsenen in einer unvermittelten Weise kategorisch einfach gesetzt, ohne auf die Wünsche und Bedürfnisse des Kindes Rücksicht zu nehmen, so kommt es zu einem autoritären Erziehungsstil, der die kindlichen Bedürfnisse unterdrückt. Werden keine klaren Regeln vereinbart und gibt es auch keine Sanktionen beim Verletzen von Regeln, dann fühlen sich Kinder wie in einem grenzenlosen Raum und suchen nach Halt und Konturen. Ungünstig ist es auch, wenn Eltern und Erzieher je nach Situation und Stimmung zwischen klaren Regelsetzungen mit scharfen Strafen bei Verletzungen und großzügiger Regellosigkeit ohne jede Konsequenz hin und her schwanken. Auch hier zählt wie bei den beiden Polen der Anerkennung und Anregung die goldene Mitte; eine klare und sichere Festlegung von Umgangsformen und Regeln und eine ebenso deutliche Vereinbarung über die Sanktionen bei Verletzungen der Regeln.
Eine Frage der Balance
In diesem Buch nimmt nun Adolf Timm als professioneller Pädagoge mit Erfahrungen in der Schüler-, Lehrer- und Elternbildung eine praktische Umsetzung und detaillierte Ausarbeitung des Magischen Erziehungsdreiecks vor. Ich selbst hatte es als einen theoretischen Entwurf konzipiert, der die Richtung für praktisches pädagogisches Handeln angibt. Adolf Timm nimmt diese Spur auf und stellt ganz konkret die Herausforderungen dar, die sich aus diesem Modell ergeben. Mit vielen Beispielen illustriert er, wie Eltern Einstellungen ausbilden können, um die drei Pole Anerkennung, Anleitung und Anregung in ein Gleichgewicht zueinander zu bringen und sie dann im alltäglichen Erziehungsprozess anzuwenden. Dass alle Kinder und Jugendlichen ihre Potenziale ausschöpfen und ihre Würde geachtet wird, ist dabei seine Leitlinie.
Nur wenn keines der drei A überbetont oder vernachlässigt wird, können sich Sprachfertigkeiten, Grob- und Feinmotorik, Lernfreude und Leistungsbereitschaft, Werte und Tugenden, Selbstkontrolle, Selbstbewusstsein und soziale Fertigkeiten beim Kind angemessen entwickeln. Nicht nur muss die jeweilige Dosierung von Anerkennung, Anleitung und Anregung stimmen, auch das Verhältnis der drei A zueinander muss in Harmonie sein. Mal braucht ein Kind die Komponente Anerkennung etwas stärker als die der Anregung, mal ist es umgekehrt. Mal kommt es besonders auf die Anleitung an, dann müssen die beiden anderen A etwas zurücktreten. Mal steht umgekehrt die Anregung im Vordergrund und die beiden anderen A halten sich zurück. Kurz: Die drei A sollten von den Eltern im Idealfall immer in einer lebendigen Balance gehalten werden, wie die drei Bälle eines Jongleurs, die sich immer in der Luft befinden, um sich kreisen und kunstvolle Figuren bilden. So können Sie Ihr Kind fördern und fordern und legen damit das Fundament, das es für eine gute Entwicklung seiner schulischen Leistungsfähigkeit braucht.
Adolf Timm zeigt, dass nicht nur Intelligenz und Wissen ausschlaggebend für den späteren Erfolg eines Kindes in Schule und Beruf sind, sondern es genauso auf andere Eigenschaften ankommt: Neugier, Selbstwertgefühl, Zielstrebigkeit, Selbstdisziplin und emotionale Kompetenz. Seine Schlussfolgerung lautet: »Unsere Kinder können mehr. Alle wollen lernen. Jeder ist gut in irgendetwas. Dass sie ihre Potenziale ausschöpfen, entscheidet sich weitgehend in der Zeit vor ihrem Eintritt in die Schule.« Dem ist voll zuzustimmen. Als Lernbegleiter ihrer Kinder sind Eltern von der Geburt an bis zum Schulabschluss gefordert.
Die Stärkung der Familie ist daher der Schlüssel zu mehr Bildungsgerechtigkeit. Familie wird nicht nur durch Geldzuwendungen und steuerliche Entlastungen gestärkt, sondern auch durch die Unterstützung ihrer Erziehungs- und Bildungskompetenzen. Die Kinder selbst wissen das sehr genau. Sie haben ein großes Interesse an kompetenten und einflussreichen und gleichzeitig entspannten Eltern. Sie wünschen sich Mütter und Väter, die im sozialen Umfeld eine sichere Position haben und diese Sicherheit auch in die Familie hineintragen.
Das zeigen auch die im Auftrag der Kinderhilfsorganisation World Vision Deutschland regelmäßig...