Der Wandel geht weiter
Auf den ersten Blick sind wir ein ungewöhnliches Autoren-Duo: Der eine ist Pater, der andere Unternehmer. Unter normalen Umständen haben beide nicht viel miteinander zu tun, doch es gibt Ausnahmen. Dann, wenn ein Unternehmer in Zeiten der Krise nach Lösungen sucht, die nicht dem üblichen Muster folgen, schon gar nicht den typischen Ratschlägen und Konzepten, die Manager in einem der unzähligen Führungsseminare vermittelt bekommen.
Im Jahr 2010 war es der Unternehmer von uns beiden, der auf der Suche nach Wegen aus seiner Krise in ein Kloster ging. Er hatte nach dem frühen Tod seines Vaters das Familienunternehmen Upstalsboom in zweiter Generation übernommen. Bei dem Versuch, es aus einer wirtschaftlichen Krise zu führen, wandte er die neuesten Erkenntnisse, Strategien, Methoden und Instrumente im Business-Bereich an – und landete damit auf dem Bauch. Den Mitarbeitern war das zu technisch, zu wenig menschlich. Er musste menschlicher werden, auch sich selbst gegenüber. Das war die eindeutige Direktive, die eine Mitarbeiterbefragung im Jahr 2010 ergab, bei der die Mitarbeiter offen wissen ließen, dass sie sich einen anderen Chef wünschten. Es galt also, eine schwierige Situation zu bewältigen, die unter anderem durch das Ego des Unternehmers entstanden war. Daher ging der Unternehmer ins Kloster, ins Stadtkloster der Benediktiner in Würzburg, und begegnete dort einem Pater. Einem Pater, von dem er zuvor schon viel gelesen und gehört hatte; einem Pater, der als Cellerar, als wirtschaftlicher Leiter des Klosters, nicht nur für die Gemeinschaft in seinem Kloster da war, sondern für viele Menschen, die auf der Suche nach Lösungen und Antworten für ein gelingendes Leben oder Wegen aus der Krise waren. Und so wurde Pater Anselm Grün auch für mich, Bodo Janssen, im Rahmen seiner Seminare zu einem wichtigen Inspirator. Mit seiner so leicht verständlichen und vor allem zeitgemäßen Übersetzung biblischer Geschichten, Bilder und Gleichnisse, seinen Fragen und Übungen hielt er mir einen Schlüssel hin, den ich nur zu nehmen brauchte. Einen Schlüssel für eine Tür, die mich auf einen Weg führte, auf einen Weg zu meinem Selbst. Dieser Weg, der sich mir damals erschloss, ist heute, sieben Jahre später, als Upstalsboom-Weg in Wirtschaft und Wissenschaft bekannt.
Ich schrieb über diese Krise ein Buch, Die stille Revolution, und die Rückmeldungen über meinen Weg und der damit einhergehenden Entwicklung des Unternehmens Upstalsboom, das in der Hotellerie und der Vermietung von Ferienwohnungen tätig ist, zeigten uns, dass offensichtlich in vielen Menschen eine große Sehnsucht besteht, die Freiheit zu haben, das zu leben, was ihnen als Mensch wirklich wichtig ist, dass sie aber auch mit ihren Gedanken in den Verwicklungen ihres Lebens, ihrer Arbeit oder Führung gefangen waren. Immer wieder hörte ich: »Ist das, was Sie geschafft haben, überall umsetzbar? Ich möchte das nämlich auch versuchen. Aber wie gehe ich vor, wenn alle um mich herum – und ganz besonders mein Chef – das nicht verstehen und mich daran hindern?«
Emotionalität und Ermutigung durch den von Upstalsboom beschrittenen Weg waren und sind offensichtlich vorhanden. Doch ihnen fehlt die Klarheit, wie sie dieser Sehnsucht erfolgreich begegnen können. Das, was sie wollen, ist also vielen klar, unklar ist, wie sie das erreichen.
Die Sache mit dem Wie ist tatsächlich nicht so ganz einfach, wie die Upstalsboomer selbst erfahren durften. Immer mehr Mitarbeiter folgten mir ins Kloster und auf dem hier eingeschlagenen Weg. Hier erhielten sie wertvolle Hinweise, die sie innerhalb der Gemeinschaft »Hotel« praktisch anwenden konnten. Zusammen führten wir uns vor Augen, dass das, was wir im Kloster gehört und dann in gemeinsam entworfenen Curricula vertieft und aufgenommen haben, ganz gut zum Unternehmen und den sich darin bewegenden Menschen passen könnte.
Und es passte. Nach und nach wurden bei Upstalsboom die Auswirkungen spürbar. Die Mitarbeiter wurden seltener krank und waren auch nicht mehr so schnell geneigt, sich wieder einen anderen Arbeitgeber zu suchen. Die Anzahl der Bewerbungen stieg in früher unvorstellbare Dimensionen, zudem entwickelte sich die Mitarbeiterzufriedenheit rasant nach oben. Die offensichtlich bessere Stimmung steckte dann die Gäste an, denn deren Zufriedenheit wuchs ebenfalls. Zu guter Letzt blieben davon die wirtschaftlichen Faktoren nicht unberührt. Die Umsätze verdoppelten sich innerhalb von nur drei Jahren, und auch die Bekanntheit vervielfachte sich innerhalb kurzer Zeit.
In Anbetracht unserer Vorgehensweise ernteten wir des Öfteren ungläubiges Staunen, weil die Entwicklung jenseits bekannter Wirtschaftstheorien und betriebswirtschaftlicher Erkenntnisse erfolgte. Der beschrittene Pfad ist vielmehr ein durchaus spiritueller und vor allem auf den Erfolg des Menschen ausgerichteter Weg. Götz Werner, Gründer der dm-Drogeriekette, sagte einmal: »Kümmere dich um die Menschen, dann kümmern sich die Ergebnisse um sich selbst.« Und mit diesem Satz beschreibt er, wohl aus eigener Erfahrung, was auch wir immer häufiger erleben durften.
Spiritualität hat für mich in Bezug auf den Menschen zwei konkrete Bedeutungen. Erstens bedeutet Spiritualität für mich die Art und Weise, wie ich das, was mir als Mensch wirklich wichtig ist, im Alltag leben kann. Zweitens bedeutet Spiritualität für mich auch, den menschlichen Geist wieder mehr wertzuschätzen und ihn dadurch in Bewegung zu bringen.
Durch die Wertschätzung des Geistes entsteht Begeisterung und letztlich Beteiligung. Das, was wir allerdings in vielen Unternehmen erleben, ist genau das Gegenteil. Denn dort existieren häufig Formen der Entgeisterung und Betroffenheit. Aus diesem Grund bedarf es unserer Wahrnehmung nach eines grundlegenden Umdenkens bei Unternehmern, Shareholdern, Vorständen und Führungskräften, aber auch Mitarbeitern.
Eine große Mehrheit von Arbeitenden glaubt, dass die Wirtschaft einen Neuanfang braucht, was die Aufmerksamkeit für Menschen und Ziele angeht, das betrifft aber auch die Produkte sowie die Gewinne. Manche Firmen haben ihren Erfolg ganz sicher auf den grundlegenden Einstellungen eines ehrbaren Kaufmanns und auf starken Visionen aufgebaut, aber viele vor allem auch auf Kosten anderer, insbesondere anderer Menschen und der Umwelt. Es gibt deutliche Anzeichen dafür, dass die einstigen Regeln und Definitionen von Arbeit, Zielsetzungen und Unternehmensführung in absehbarer Zeit nicht mehr gelten. Auf einmal scheinen sie in einer immer weiter steigenden Anzahl von Betrieben außer Kraft gesetzt zu sein. Führungskräfte sind ratlos. Sie verstehen oftmals nicht, welche Wünsche, Bedürfnisse und Ansprüche plötzlich auftauchen und wie sie mit ihnen umgehen sollen.
Führung ist eine sehr anspruchsvolle Dienstleistung, eben weil Führungskräfte es mit Menschen zu tun haben, die nicht nur sehr unterschiedlich sind, sondern diese Einzigartigkeit auch in ihre Arbeit einfließen lassen wollen. Auch aus diesem Grund wird es für Führungskräfte immer schwieriger, diese Individuen mit von außen auferlegten Normen zu steuern. Viele Menschen wollen einfach nicht mehr genormt und damit normal sein. Sie wollen ein bisschen mehr von dem einbringen, was ihnen bislang verwehrt war: ihre Persönlichkeit! Und das empfinden viele Führungskräfte als verrückt – eben von der Norm ver-rückt. Die Frage, die sich ihnen daraus stellt, ist: Wie führe ich »ver-rückte«, eigentlich natürliche Menschen?
Um eine Antwort auf diese vielleicht ungewöhnlich erscheinende Frage zu finden, ist es wichtig, zunächst einen Zugang zu sich selbst zu finden. Über den Weg zu sich selbst ist es möglich, aus der Norm auszubrechen und einen Transfer in das operative Geschehen eines Unternehmens zu leisten. Und genau das soll dieses Buch ermöglichen: Ausgehend von einem spirituellen Ansatz, ergänzt mit in unserer Unternehmenspraxis umgesetzten Erkenntnissen aus der Philosophie, Psychologie und Neurobiologie, macht es bereits erfolgreich umgesetzte Angebote für die Praxis.
Aus diesem Grund führte ich mit Peter Anselm Gespräche und bat ihn seine Gedanken dazu aufzuschreiben, immer im Hinblick darauf, wie man es schaffen kann, stark in – besonders für Menschen und Unternehmen – stürmischen Zeiten zu sein. Wir erleben täglich, dass alles um uns herum unberechenbarer wird. Begriffe wie Tradition, Kontinuität oder Nachhaltigkeit gelangen in der täglichen Unruhe häufig außer Reichweite. Kein Mensch und keine Firma sind vor einem plötzlich auftretenden Sturm gefeit. Die Sicherheit, Stärke, aber vor allem auch Ruhe und Kraft, die wir uns wünschen, werden wir weder in der Zukunft noch in der ständig komplexer und verrückter werdenden Welt finden, sondern in uns!
In unserem Buch zeigen wir, dass es auch für Unternehmen und den Menschen in diesen Unternehmen möglich ist, die über eintausendfünfhundert Jahre alte Regel des heiligen Benedikt und die daraus über Jahrhunderte in der klösterlichen Gemeinschaft gemachten Erfahrungen wirksam zu verbinden und umzusetzen. Unsere Leser erfahren, wie die Upstalsboomer die klösterlichen Erfahrungen, die Gedanken von Pater Anselm aufgenommen und auf ihr Unternehmen übertragen haben. Es geht darum, im Unternehmen Selbstbewusstsein entstehen zu lassen, Haltung zu entwickeln, Verbundenheit zu stärken und Verantwortung zu übernehmen, um bei der Arbeit mehr Freude und Freiheit zu erfahren. Es geht um ein gelingendes Miteinander, also um gelingende Beziehungen, und nicht um ein Gegeneinander. Es geht um Sinnorientierung beim Einzelnen und innerhalb einer Gemeinschaft, aber auch darum, andere führen zu können, damit sie ihre...