Einleitung
Jedes Jahr, am 31. Dezember, notiere ich in einem Buch, was ich mir für das kommende Jahr wünsche. Die Einträge der letzten drei Jahre lesen sich anders als die davor – und ich finde, sie zeichnen das Bild eines Lebens, das alles andere ist als erstrebenswert. Das hat natürlich einen Grund: Mein ursprünglicher Plan, mit meinem Partner und unseren beiden Kindern ein Haus zu bauen und dort zu leben, ging nicht auf. Als er mich verließ, war unsere erste Tochter drei Jahre alt und die zweite ein Jahr alt. Neben dem Schock und Schmerz über den Verlust der Partnerschaft war auch mein Traum »einer Familie« geplatzt, was bis dato das höchste Ziel in meinem Leben gewesen war. Von heute auf morgen war ich alleinerziehende, berufstätige Mutter mit zwei kleinen, zu versorgenden Kindern, und irgendwie musste ich im Alltag funktionieren. Ich, die bis dahin immer alles gut geschafft hatte, merkte sehr schnell, dass diese Situation eine ganz neue Dimension hatte. Als Ärztin und Psychotherapeutin müsste ich doch wissen, wie ich ticke und vor allem, wie ich damit besser umgehen kann, dachte ich. Pustekuchen! Nach 14 Stunden auf den Beinen, neben meinem Job, dem Einkaufen, Kochen, Aufräumen und der Betreuung meiner zwei verunsicherten und bedürftigen Kinder, war ich restlos erschöpft. In den wenigen Stunden, in denen ich einmal »frei« hatte, lenkte ich mich ab und traf Freunde oder ich flüchtete mich ins Bett. Die Seite in mir, die noch ein Fünkchen an Klarheit hatte, stellte mit Erschrecken fest, was die Menge an Belastungen (viel zu wenig Ruhe, hohe Mietkosten, wenig Hilfe, rechtliche Auseinandersetzungen, Stress mit dem Ex-Partner und keinen Rückhalt mehr …) aus mir machte.
Das Los, alleinerziehend zu sein
Es sind nicht nur die äußeren Umstände, die Alleinerziehenden das Leben erschweren. Auch die inneren Einstellungen und Überzeugungen, die im bisherigen Leben gut funktioniert haben, sind plötzlich nicht mehr hilfreich, wenn man die meiste Zeit allein für die Kinder verantwortlich ist. Zum Beispiel teilt man mit niemandem mehr die alltäglichen Gedanken, wie die Kinder gut in das Leben finden können. Diese Frage quälte mich, weil sie ja nun auch eine Trennung verkraften mussten. In der ersten Zeit nach der Trennung befürchtete ich außerdem, ich würde nie wieder ein glückliches und zufriedenes Leben, geschweige denn eine intakte Beziehung oder ein »normales« Familienleben führen können. Ich durchlebte immer wieder Zeiten von Angst, Wut, schlechtem Gewissen, Ohnmacht und Selbstzweifeln. Mittlerweile weiß ich, dass alle diese Gefühle nach der Trennung und in der ersten Zeit, in der wir alleinerziehend sind, dazugehören. Sie sind normal und sorgen dafür, dass wir beginnen, unser Leben neu auszurichten. Zum damaligen Zeitpunkt leitete ich einige Burn-out-Gruppen an einem Institut für ambulante Therapie. Viele Manager und Führungskräfte kamen zu mir, um sich Hilfe zu holen. Doch nur selten begegnete ich einer alleinerziehenden, erschöpften Mutter, geschweige denn einem Vater. Dabei ist Unterstützung für Alleinerziehende von Anfang an dringend nötig. Denn der Weg ist lang und es dauert einige Jahre, bis es so etwas wie einen Alltag gibt oder die Kinder aus dem Gröbsten raus sind.
Laut der GEDA-Studie1 des Robert Koch Instituts (2009/2010) haben Alleinerziehende ein mehr als doppelt so hohes Risiko, an einer Depression zu erkranken, als Mütter in »klassischen« Familien. Und auch andere Quellen zeigen, dass die psychische Gesundheit bei Single-Eltern stärker gefährdet ist.2 Ich habe meine eigenen Erfahrungen als Alleinerziehende gemacht – und außerdem mittlerweile viele andere alleinerziehende Frauen und Männer beraten und begleitet. Ich selbst hatte zwar keine Depression, aber eine starke körperliche und emotionale Erschöpfung.
Die häufigsten negativen Folgen, von denen mir andere Betroffene in meinen Beratungen berichten, sind:
• | Körperliche Beschwerden, wie Kopfschmerzen, Tinnitus, Muskelverspannungen, Magenschmerzen, Verdauungsprobleme, Schlafstörungen, Appetitlosigkeit |
• | Ängste – zum Beispiel vor Armut, Einsamkeit, Arbeitsplatzverlust |
• | Ziellosigkeit und Sinnverlust |
• | Starker emotionaler Stress aufgrund von Rechtsstreit mit dem Kindsvater oder der Kindsmutter |
Mein Ziel ist es, Alleinerziehende ab Tag eins nach einer Trennung zu unterstützen, sodass sie selbst dafür sorgen können, dass es gar nicht erst zu einer Erschöpfung beziehungsweise den oben genannten Beeinträchtigungen kommt. Die psychische und körperliche Gesundheit ist die Basis dafür, dass wir Alleinerziehenden gut für unsere Kinder sorgen können und alle bei Kräften bleiben. Deshalb habe ich mich im Mai 2014 dafür entschieden, für die wachsende Gruppe an alleinerziehenden Menschen einzutreten und das Projekt »Stark und alleinerziehend« gegründet:
www.starkundalleinerziehend.de
Stark sein bedeutet nicht, alles allein zu schaffen und durchzuhalten. Es bedeutet, den Mut zu haben, sich Unterstützung zu holen, um gesund zu bleiben und so für das eigene Kind beziehungsweise die eigenen Kinder da sein zu können. In vielen Fällen ist das die Voraussetzung dafür, um wieder …
• | volle Aufmerksamkeit für die Kinder zu haben, |
• | Selbstvertrauen aufzubauen, |
• | mutig wichtige Schritte anzugehen, |
• | neue Energie und Vitalität zu entwickeln, |
• | arbeitsfähig zu bleiben, |
• | den Sinn im Leben wiederzufinden beziehungsweise neu zu entdecken und |
• | einen guten Umgang mit dem Ex-Partner auf der Elternebene zu finden. |
Ich persönlich war nie eine Heldin darin, andere um Hilfe zu bitten. Ich war immer die Starke. Aber nun blieb mir nichts anderes übrig und ich fing an, nach Lösungen zu suchen. Was ich fand, waren viele Informationen und Unterstützung zu rechtlichen und sozialen Themen. Doch ich fand keine Antworten auf meine brennenden Fragen:
• | Wie schaffe ich es als Alleinerziehende, stark zu bleiben und an mich zu glauben? |
• | Wie gehe ich mit meinem ganzen Gefühlschaos um? Mit meiner Wut, meinem schlechten Gewissen und meinen Ängsten? |
• | Wie kann ich mein Umfeld (Nachbarn, Großeltern, Bekannte …) zu etwas bewegen, was mir wichtig ist? |
• | Wie kann ich den Kindsvater dafür gewinnen, dass er sich an Vereinbarungen hält? Was kann ich tun, wenn mit ihm kein Dialog möglich ist? |
• | Wie gelingt es mir, bei Freunden um Hilfe zu fragen, wenn ich nicht mehr kann? |
• | Wie meistern andere Alleinerziehende die Situation? Wie bewältigen sie die vielen Herausforderungen und was kann ich von ihnen lernen? |
• | Wo bekomme ich Inspirationen und Anregungen oder sogar Lösungen für meine eigene Lebenssituation? Gibt es Vorbilder? Wie haben andere Alleinerziehende es geschafft? |
An Silvester 2013, ein halbes Jahr vor Gründung meines Projektes »Stark und alleinerziehend«, fing ich an, mir zu überlegen, wie ich überhaupt weiterleben wollte. Ich hatte viel gejammert und geklagt und fühlte mich vom Leben im Stich gelassen. Schuld war mein Ex, der mich verlassen hatte. Schuld war die Politik, die in diesem Land die Alleinerziehenden auf vielen Ebenen – übrigens nach wie vor – benachteiligt. Schuld war meine Familie, die nicht in meiner Nähe wohnte. Schuld war die ganze Gesellschaft. Doch diese Haltung kostete mich – zusätzlich zu meinem ohnehin anstrengenden Alltag – wahnsinnig viel Kraft. Also begann ich, mich damit auseinanderzusetzen, wie andere Menschen Krisen erfolgreich bewältigt hatten. Ich las viele Bücher, hörte Podcasts (unter anderem folgende: www.markuscerenak.com, www.selbst-management.biz) und durchsuchte das Internet nach Lebensläufen, die mich inspirierten.
Ein Podcast, den ich über mehrere Wochen anhörte, war »Toms Talk Time« (http://tomstalktime.com). Dieser startete und endete immer mit dem folgenden Zitat:
Wer will, findet Wege. Wer nicht will, sucht Gründe.
Anfänglich nickte ich nur distanziert. Doch nachdem ich den Podcast regelmäßig anhörte und diesen Satz dadurch fast täglich hörte, wurde ich neugierig: Sollte es etwa auch als Alleinerziehende möglich sein, neue Wege zu finden und diese dann auch zu gehen, trotz der schwierigen äußeren Lebensumstände? Die Antwort war mir schnell klar. Ja,...