Szenen einer Ehe
Friderike von Winternitz mit ihren Töchtern Alix Elisabeth und Susanne Benediktine, 1912. (Privatbesitz Oliver Matuschek)
Eine literarische Vermählung der besonderen Art: Am Mittwoch, dem 28. Jänner 1920, ehelicht der 39jährige Schriftsteller Stefan Zweig im Wiener Rathaus die 38jährige Schriftstellerin Friderike Maria geschiedene von Winternitz, geborene Burger. Die Braut ist – sie wollte das so – abwesend. An ihrer Stelle gibt ein gemeinsamer Freund, der 35jährige Schriftsteller Felix Braun, das Jawort. Zuvor, um 10 Uhr 30, haben sich die Hochzeitsgäste im Café Landtmann am Ring versammelt. In einem Einladungsschreiben, entweder an den Schriftsteller Eugen Antoine oder an den Schriftsteller Hans Prager, Felix Brauns Schwager, gerichtet – die beiden fungierten als Trauzeugen –, hatte Zweig launig um »Beistand bei der homosexuellen Ceremonie« gebeten. Sie werde, versicherte er, nicht lange dauern: »Um 11 geschieht das Gewaltige, um ¼12 dürfte alles vorüber sein.«1 Es wurde eine ziemlich heitere Aktion. Bei den obligatorischen guten Wünschen des Standesbeamten für reichen Kindersegen des Paares sei der Bräutigam in Gelächter ausgebrochen.2 Doch auch Friderike Zweigs Formulierung, in dem von ihr herausgegebenen und mehr als zart zensurierten Briefwechsel mit ihrem verstorbenen Exgatten, hat etwas Missverständliches: »Stefan fuhr nun im Jänner nach Wien, um im Wiener Rathaus unsere Ehe zu vollziehen.«3 Unter Vollzug der Ehe versteht man gemeinhin Vollzug des Geschlechtsverkehrs …
Wegen »Zugsperre«, der Nachkrieg in Restösterreich hatte schwerwiegende Folgen, konnte der frischgebackene Ehemann sein nunmehriges Eheweib, das in Salzburg – im Haus auf dem Kapuzinerberg – auf ihn wartete, nicht umgehend aufsuchen. Die Neue Freie Presse vom 30. Jänner meldete: »Infolge außerordentlicher Erschwerung der Verkehrsverhältnisse muss bis auf weiteres der Fahrkahrtenvorverkauf für die Westbahnzüge eingestellt werden.«4
So schien Friderikes briefliche Frage an Stefan »Wie hast Du die Hochzeitsnacht verbracht?« durchaus angemessen. Eine Antwort ist nicht überliefert. Aber die Zeit des Wartens nutzte Friderike sinnvoll, sie sortierte die üppigen Briefschaften ihres Gemahls, weil dessen Sekretärin, Anna Meingast, damit wohl in jeder Hinsicht überfordert gewesen wäre: »Sehr lästig sind mir beim Ordnen die Frauenbriefe aus der Zeit, wo ich dachte, dass neben mir nicht so viel anderes Raum hatte, andererseits sind Briefe dabei, die Dich in den Augen der biederen Frau M. als Don Juan erscheinen ließen. Es ist also unmöglich, dass Du ihr die Korrespondenz zur Durchsicht übergibst. Du hast selbst vergessen, was für und wie viel unmögliche Briefe darunter sind.«5 Nicht der Tadel verblüfft, lediglich die Tatsache, dass sie damals – das erste Mal dokumentiert – schroff Anstoß an Zweigs lebhaftem Liebesleben nahm. In den acht vorangegangenen Jahren ihres nicht unkomplizierten Verhältnisses hatte sie nichts dergleichen getan, im Gegenteil: Sie bestärkte ihn in einem Fall geradezu darin. Naturgemäß ein Trick. Nie hätte er sich an jemanden gebunden, der seine erotische Freiheit einzuschränken versuchte. Friderike war eine kluge, psychologisch versierte Dame. Sie wusste genau, was sie wollte. Und zwar von Anfang an.
Mein hoher Prinz
Sie hatte ihn erwählt, ihm blieb praktisch keine Wahl. Die Beziehungsanbahnung ging – völlig unüblich für die kakanische Epoche, als Frauen sich von Männern erobern ließen und nicht umgekehrt – zur Gänze von ihr aus. Am 24. Juli 1912 bemerkte sie im Gasthaus Riedhof in der Wiener Wickenburggasse am Nebentisch Stefan Zweig, der ihr schon vier Jahre zuvor, beim Abschiedsfest für den großen Volksschauspieler Alexander Girardi im Wirtshaus Stelzer in Rodaun, aufgefallen war. Bei einem Besuch ihres wegen »Magenbeschwerden« im Sanatorium weilenden Ehemanns hatte sie damals feststellen müssen, »daß eine überaus interessante Patientin seine Aufmerksamkeit gefangengenommen hielt«.6 Grund genug, offenen Blicks durch die Welt, insbesondere die Männerwelt zu gehen.
Dass ihr ein Bekannter an diesem Abend in der Josefstadt ein Exemplar von Zweigs Verhaeren-Nachdichtung »Hymnen an das Leben« überreichte, erschien ihr als Wink des Himmels. Bereits am 25. Juli schickte sie Zweig einen halb anonymen Brief. Es falle ihr leicht, heißt es darin, »das zu tun, was die Leute ›unschicklich‹ nennen«. Die selbstbewusste Entschuldigung: »Ich dichte auch.« Sie wende sich nicht an ihn, behauptete sie fälschlich, damit er etwas erwidere, »obwohl es mich freute. Und wenn Sie irgend Lust hätten dazu, schreiben Sie an Maria von W., postl. Rosenburg am Kamp.«7 Stefan Zweigs Reaktion auf diesen »Brief einer Unbekannten« dürfte ermutigend gewesen sein. Friderike wies sofort auf ein weiteres Zeichen der Nähe hin, diesmal der geographischen: »Jene Nacht, nach dem Abendessen im Riedhof, schlief ich seit vielen Jahren wieder in der Stadt und zwar wenige Häuser weit von Ihnen, in Ihrer Gasse.«8 So spielt Fortuna – zumindest, wenn ein bisschen nachgeholfen wird. Zweig wohnte in Kochgasse 8. Friderikes Schwiegervater, Regierungsrat, später Hofrat Jakob von Winternitz, gelernter Journalist und einflussreicher Beamter im k.u.k. Außenamt9, mit dem sie sich längst weit besser verstand als mit ihrem Ehemann Felix, wohnte Kochgasse 29. Friderike brachte ihre Geschütze in Stellung, die erotische Belagerung konnte beginnen. »In Ihren Augen ist ja so viel Schönheit, Sie sehen alles mit jenem ›sinnenden Leuchten‹. Ich wage nicht, vor Ihnen zu bestehen.«10 Derlei hört man/Mann immer gern.
Friderike von Winternitz hatte übrigens erheblich früher »gedichtet«, als sie später wahrhaben wollte. Schon 1904 war, unter ihrem Mädchennamen Fritzi Burger, das Erzählungsbändchen »Die Liebe ist die Gefahr des Einsamsten. Ein Beitrag zur Psychologie des Mädchens«11 erschienen. Sie sollte es fast ebenso hartnäckig verschweigen12 wie ihre jüdische Herkunft. »Die Liebe ist die Gefahr des Einsamsten« ist ein Zitat – immerhin aus Nietzsches »Also sprach Zarathustra. Ein Buch für alle und keinen«. Darin wird bereits ein Lebensthema Friderike von Winternitz’ angeschlagen: die seelische und körperliche Entwicklung eines von seiner Familie und Umwelt unverstandenen Mädchens, das Erwachen der Sinne und des Intellekts, hier dasjenige einer gewissen Lorle Lichtweg, die sich zur Malerei berufen fühlt. Im Kreise ihre Mitschülerinnen spricht sie große Worte: »Wir brauchen die Liebe, das echte Weibsein – das Menschsein für unsere Kunst –. Wir brauchen die Liebe – aber wir verkaufen unsere Kunst nicht an sie.«13 Zwei Männer sind Lorle wichtig, der junge, gut aussehende und eher oberflächliche Georg und der ältere Professor Blink, der an ihr Talent glaubt. Von Georg trennt sie sich bald, ihren Lehrer an der Akademie Blink nennt sie ehrfürchtig »Meister«. Ihm legt sie ihr »Glaubensbekenntnis« ab: »Ich will arbeiten, will schaffen und gestalten, doch ich will um der Kunst willen nicht darben an meiner Weibseele – ach, ich möchte ihn finden den starken, den guten Mann, der sich meiner Gaben freut. Ihn will ich finden, dessen Seele eins ist mit der meinen, dem ich Königin bin und Magd und Weib und Freund und – Mutter. Ich will ihn finden, zu dem ich aufblicken kann, als meinem Gott und dessen Hand ich küssen kann vom strahlenden Thron, zu dem er mich erhob – in Demut. Und seinem Willen will ich gehorchen und erlöst will ich sein von meinem Willen. – Amen.«14
Das ist zwar nicht wirklich überzeugende Literatur, war aber als Lebensentwurf durchaus brauchbar, zumindest für Fritzi Burger. 1906 heiratet sie den Finanzkommissär Dr. Felix von Winternitz. Der Ehe entsprossen zwei Mädchen: Alexia Elisabeth (Alix), geboren 1907, und das 1910 geborene Sorgenkind Susanne Benediktine (Suse), das an chronischem Stoffwechselversagen litt und fast die ganze Aufmerksamkeit der Mutter beanspruchte: »Diese neuen Lasten so gut wie allein zu tragen, wuchteten zu schwer auf meinen Schultern«, heißt es in Friderike Zweigs Erinnerungen. »Nichts hatte sich in meiner Neigung zu meinem sehr gutmütigen, doch kraftlosen Mann geändert, aber ich erwartete keine Stütze, keine Erleichterung mehr von ihm.«15 War Stefan Zweig der »starke, der gute Mann«, den sich Lorle und mit ihr Fritzi einst ersehnt hatte?
Die erste persönliche Begegnung fand verzögert, bedingt auch durch Stefan Zweigs Reisen und Friderikes Sorge um Suse, am 23. September 1912 im Haus der Familie von Winternitz in Döbling statt. Der Gast ist laut Tagebuch beeindruckt: »Das nun ein gutes Gespräch mit einer wahrhaft sensiblen Frau, die wohl das Zarteste ist was man sich erdenken kann aber mit einer Energie der seelischen Aufrichtigkeit, die sie groß macht. Wie sie das sagte, es sei tragisch, die Kinder immer nur von einem Manne zu bekommen – wie kühn wie edel das auszusprechen. Es ist mir in solchen Momenten selig zu wissen, daß dies meine höchste Lebensaufgabe ist, Menschen aufzuschließen, in ihnen durch eine Aufrichtigkeit über alle Scham hinaus (ich bin da ganz frei) ein Bedürfnis zu erwecken, auch ihrerseits einen verborgendsten Gedanken zu sagen. […] Ich weiß, daß ich in Frauen aber auch Männern oft etwas befreie. Nur hüte ich mich, dies erotisch auszunützen, vielmehr ich erzeuge diese Freiheit erst durch eine ungesprochene erotische Ablehnung. Was hier ja leicht ist, einem so fragilen zarten Wesen gegenüber, die aber doch rührend, unsäglich rührend war...