Teil 1
Warum Stellenbeschreibungen/ Rollenbilder?
Überlegungen zu Sinn, Zweck und Nutzen
Eine Meinungsumfrage zum Einsatz und Nutzen von Stellenbeschreibungen bei Personalmanagern großer Unternehmungen, durchgeführt im Jahr 2000, hat folgendes Bild ergeben:
Sämtliche befragte Unternehmen sind mit Stellenbeschreibungen ausgestattet, überwiegend beschränkt auf indirekt produktive Bereiche. Über 70% der Befragten halten die Stellenbeschreibungen für aktuell und fast 90% halten sie für ausreichend akzeptiert.
Der Nutzen der Stellenbeschreibungen wird vorwiegend dem Organisationsinstrument zugeschrieben, etwas geringer eingestuft wird der Beitrag für die Personalführung. Wenig Nutzen bringen sie – so die Befragten – für das Qualitätsmanagement. Etwa ein Fünftel der Befragten sieht relevanten Nutzen auch für das Recruiting und für die Gehaltsfindung.
Lässt sich aus der Stellenbeschreibung mehr Nutzen holen – zum Beispiel durch ergänzende Informationen zum Zeitbedarf, der für die einzelnen Aufgaben aufzuwenden ist, oder auch durch auswertbare Hinweise, welchen Prozessen bestimmte Aufgaben zugeordnet werden können? Und könnte die Stellenbeschreibung schließlich als Instrument zur Beurteilung der Aufgabenerfüllung dienen?
Nur knapp die Hälfte meint dazu, dass organisatorische Auswertungen mit den Erkenntnissen daraus von ergiebigem Nutzen sein könnten. 70% vertreten die Auffassung, dass sich mit solcher Informationsanreicherung vor allem mehr Nutzen für Personalführung und Mitarbeiterbeurteilung ergeben könnte und damit auch Effekte in Richtung Entgeltinstrument. Eine erweiterte, intensive Nutzung der Stellenbeschreibungen erachten knapp 40% der Befragten als elementar wichtig, etwas über 40% schätzen den Komfort, für Luxus gibt es keine Nennung, jedoch warnen etwa 20% der Befragten vor einer Aufblähung der Stellenbeschreibung zum bürokratischen Ballast.
Die Frage nach der derzeitigen Gehaltsfindung – abgeleitet aus einer Stellenbewertung – beantworten 80% mit Ja. Die Frage nach der fundierten Mitarbeiterbeurteilung und ihrem derzeitigen Einfluss auf die Gehaltsreaktion beantworten knapp 60% mit Ja.
Im persönlichen Kontakt mit einigen Befragten erhärtet sich das Meinungsbild:
Zur Eignung der Stellenbeschreibung als Beurteilungsinstrument (Aufgabenerfüllung des Stelleninhabers): Klare Zustimmung und große Erwartungen an den Effekt der zwangsläufig rollenden Aktualisierung, die sich die direkt Befragten von der jährlichen Beurteilung der Aufgabenerfüllung versprechen.
Zur Eignung der Stellenbeschreibung für Prozessoptimierung, sofern die Prozesse in auswertbarer Form ergänzt werden: Klare Zustimmung.
Zur Eignung für die Optimierung der Zeitverwendung, sofern die Aufgaben mit Angaben zum Zeitbedarf ergänzt werden: Klare Zustimmung.
Stellenbeschreibungen sind, so das Resultat dieser Studie, noch keineswegs einzumotten. Es sieht so aus, als ob sie eine Revitalisierung erfahren könnten, wenn sie mittels IT-Zugriff und IT-unterstützten Auswertungen besser in den Führungsalltag einbezogen werden.
Unternehmen im Fusionierungsfieber machen die Erfahrung, dass die infolge der Verschmelzung erforderliche Neuordnung und Zusammenlegung von Organisationsbereichen erst recht Orientierungsinstrumente wie Stellenbeschreibungen, Stellenbewertungen, Entgeltsysteme erfordert.
Diese Haltung der Befragten und die darüber hinausgehenden persönlichen, vertieften Kontakte mit Diskussionspartnern gaben letztlich den entscheidenden Anstoß, das Thema Stellenbeschreibung im vorliegenden Buch kritisch aufzurollen und Anregungen zur nutzbringenderen Gestaltung und Handhabung dieses Personalführungs- und Organisationsinstruments zu bieten.
Die Organisation im Griff?
Es mag auf ersten Blick verwunderlich erscheinen, dass Unternehmen mit weitgehend vergleichbaren Führungs- und Organisationsgrundlagen in Akzeptanz, Wirkung und Nutzen solcher Grundlagen so unterschiedliche Erfahrungen machen. Ein von der Wissenschaft lange Zeit empfohlenes und in Vorzeigeunternehmen etabliertes, bewährtes Instrument sollte doch ohne Wenn und Aber in die eigene Unternehmenswelt übernommen werden können. Wie kommt es, dass ein Unternehmen überaus erfolgreich Führungsgrundlagen installiert und mit ihnen arbeitet, andere dagegen auf nur mäßige Erfolge verweisen oder gar Schiffbruch damit erleiden? Die Erklärung dafür liegt vermutlich in folgendem Umstand:
Jedes Unternehmen hat seine Organisationstendenz – meistens in Übereinstimmung zum Lebenszyklus: Chaotische Gründerphase, pragmatische Macherphase, Phase der erfolgserhaltenden Systematiker, Phase der selbsterhaltenden Bürokraten.
Die Organisationsphilosophen kennen folgende Schwerpunkte von Organisationstendenzen, zeigen, wie häufig sie anzutreffen sind, und empfehlen, mit welchen grundsätzlichen Reaktionen Extremtendenzen zu begegnen ist:
Anstoß zur Selbsterkenntnis: Welcher Tendenz neigt mein Unternehmen übermäßig zu? Welcher Handlungsbedarf ergibt sich daraus: mehr organisieren oder mehr deregulieren, flexibilisieren?
Der Begriff »Rollenbild«
Seitdem über Organisationen und deren Strukturen philosophiert wird, gilt die Stelle als kleinstes Element der Aufbauorganisation. Der Stelle sind Aufgaben, Verantwortlichkeiten und Kompetenzen, auch Pflichten und Rechte zugeordnet. Wenn eine Organisation ihren Zweck erfüllen soll, müssen ganz bestimmte Funktionen ablaufen und Wirkungen erzielt werden. Diese Funktionen werden sinnvoll kombiniert, sodass sie in den erforderlichen Qualifikationen und Arbeitsmitteln und im zeitlichen/örtlichen Ablauf einem oder mehreren zusammenwirkenden Funktionsträgern zugeordnet werden können. Der Funktionsträger ist also jene Stelle oder jener Knotenpunkt, wo mehrere Funktionen angesiedelt sind. So erklärt sich der Begriff Stelle und auch jener des Angestellten, der an dieser Stelle positioniert ist. Daraus leitet sich auch der synonyme Begriff »Posten« ab.
Der Terminus »Stelle« assoziiert demnach ein statisches, unflexibles Funktionsgebilde, etwa aus der Haltung heraus: »Nun haben wir endlich Ordnung gemacht, jeder weiß, was er zu tun hat – und jetzt soll sich jeder gefälligst daran halten und ja nichts mehr ändern.« So tappt man in die Konservierungsfalle.
Dem Wort »Stelle« haftet somit etwas Antiquiertes oder Verstaubtes an.
Der Begriff »Funktion« für dieses Organisationselement trifft auch nicht ins Schwarze. Er assoziiert »mechanisches Funktionieren«. Die Gesamtwirkung der Stelle ergibt sich jedoch nicht nur aus der perfekten Ausführung der aufgetragenen Aktionen, sondern auch aus der Wirkung der Persönlichkeit des Stelleninhabers, nämlich aus seinen Verhaltensweisen, seiner Art auf andere einzugehen usw.
Der Begriff »Rolle« trifft das heutige Stellenverständnis noch am besten. Professor Hilb von der Universität St. Gallen meint, dass die moderne und künftige Organisation kaum mehr eine Zuordnung von angestammten Aufgaben kennt. Die Mitarbeiter/innen übernehmen eine Rolle mit sich ständig ändernden, wechselnden Aufgaben, die sie sich zum guten Teil sogar selbst zuweisen, ohne Vorgabe von »oben«. In vernetzter Zusammenarbeit wissen die Beteiligten selbst am besten um ihre Stärken und Schwächen und können daher in Selbstorganisation die Resultate optimieren, vorausgesetzt, man lässt dies zu.
Um den Beteiligten der Organisation das richtige Rollenverständnis zu vermitteln, wird man ohne Rollendefinition kaum auskommen, insbesondere bei komplexen und wirkungsweiten Rollen. Wie sollen solche Definitionen aussehen? Um den richtigen Eindruck von den Rollen zu erhalten, wird es auch hier nicht ohne die beispielhafte Erwähnung von typischen Aufgaben gehen, mit denen der Mitarbeiter häufig betraut wird. Hilb empfiehlt, sich gedanklich radikal von den herkömmlichen Stellenbeschreibungen zu lösen und deshalb – wenn nicht ganz auf dieses Organisations- und Führungsinstrument verzichtet wird – einen neuen Begriff dafür zu wählen. Auch wenn das neue Instrument in einigen Punkten der traditionellen Stellenbeschreibung entspricht.
Das Rollenbild als neue Generation der Stellenbeschreibung geht also nicht aus einer Revolution hervor, es handelt sich viel mehr um eine evolutionäre Straffung und Weiterentwicklung.
Der Begriff »Stelle« ist dagegen im Sprachgebrauch derart verankert, dass es verfrüht und als allzu avantgardistisch anmuten würde, ihn durch »Rolle« ersetzen zu wollen.
Die Stelle im Blickfeld des Rollenbildes
Die Stelle – Element der Organisationsstruktur
Eine Stelle für sich allein, isoliert zu beschreiben, führt zwangsläufig zu einer...