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Strategie und Performanz in der Krisenkommunikation. Auswirkungen der rhetorischen Strategie auf die oratorische Performanz

AutorDaniel Pischon
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl122 Seiten
ISBN9783668086494
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis31,99 EUR
Masterarbeit aus dem Jahr 2015 im Fachbereich Rhetorik / Phonetik / Sprechwissenschaft, Note: 1,0, Eberhard-Karls-Universität Tübingen (Seminar für Allgemeine Rhetorik), Veranstaltung: Allgemeine Rhetorik, Sprache: Deutsch, Abstract: Knape stellt erstmals die Frage welchen theoretisch begründeten Platz ein rhetoriksystematisch hergeleiteter Performanz Begriff haben kann und positioniert ihn innerhalb des Theoriegebäudes der modernen Rhetorik als Aktionsweise des Mediums, das Texte speichert und sendet, gesteuert vom Orator in der Absicht kommunikativer Effektivität, worauf sich die eigentliche Definition der Rhetorik als Kunst zu überzeugen seit ihrer Begründung durch Aristoteles bezieht. Vor diesem Hintergrund erstaunt, dass sowohl beim alltäglichen Gebrauch als auch bei der Rezeption von Körpersprache vielerorts ein nonverbaler Analphabetismus zu konstatieren ist. Was der menschliche Körper als Medium bei der Aufführung von Texten tun sollte, soll in Korrelation mit den strategischen Überlegungen, die einer persuasiven Rede zugrunde liegen, am Gegenstand der Krisenkommunikation erstmals untersucht werden. Die Arbeit setzt sich zum Ziel, Pionierarbeit in der Frage zu leisten, inwiefern unterschiedliche rhetorische Strategien in der Performanz durch einen Redner spezifische Performanzmerkmale aufweisen, die sich voneinander unterscheiden. Zu diesem Zweck werden rhetorische Strategien in der Krisenkommunikation differenziert und in ihrer Inszenierung durch einen Redner analysiert. Als praktisches Beispiel fungiert die Plagiatsaffäre um den ehemaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg. Die zentrale Herausforderung dieser Arbeit besteht darin, eine rhetorische Untersuchungsmethodik für die Analyse und Interpretation von Körperausdrucksformen zu entwickeln. Grundlage dafür bilden zwei Kodierungssysteme aus der Verhaltenspsychologie, das 'Facial Action Coding System' (FACS) von Ekman, sowie das 'Body Action and posture coding system' (BAP) von Dael/Mortillaro/Scherer.

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Leseprobe

2 Krisenkommunikation


 

2.1 Die öffentliche, medial begleiteten Personenkrise


 

Der Begriff Krise[66] taucht in verschiedenen Zusammenhängen mitunter verschwommen auf und wird im heutigen Sprachgebrauch und in den Medien inflationär für jegliche Art von Drohszenario verwendet, [67] sodass er sich „sich längst zu einem zeitgenössischen semantischen Etikett gemausert hat, hinter dem sich Ungeklärtes elegant invisibilisieren lässt“[68]:

 

„Yet, despite the many different approaches scholars have adopted to study crisis communication, no universal definition of crisis exists.“[69]

 

Grundsätzlich bezeichnet die Krise „eine Phase, in der die Entscheidung über den Verlauf einer Angelegenheit ansteht, aber noch nicht gefallen ist“[70]. Prinzipiell ist der Ausgang also offen und für den Betroffenen beeinflussbar.[71]

 

Auch Luhmann betont die Ambivalenz des Begriffes, die „in der Spannung von Gefahr und Hoffnung liegt“[72]. Merten fokussiert die tendenziell negativen Folgen für den Betroffenen der Krise als Produkt von unerwarteter Veränderung einer bisherigen Prozessstruktur oder Gewohnheit[73] und schenkt auch der zugehörigen Schuldfrage Aufmerksamkeit, die eine Begleiterin der Krise sei, was insbesondere dann gelte, wenn die Krise „direkt von einer Person ausgeht, deren verfehltes Handeln oder Entscheiden zur Krise führt, die dann irgendwann sichtbar wird.“[74]Das trifft auch auf die Art der Krise zu, um die es in dieser Arbeit geht: Eine Person[75] des öffentlichen Lebens ist ungeplant und ungewollt durch die mediale Enthüllung selbstverschuldeter Verfehlung in den Fokus des öffentlichen Interesses gerückt, [76] womit eine negative Berichterstattung in erheblichem Umfang einhergeht. Diese schädigt Image und Glaubwürdigkeit der betroffenen Person in so ernstlichem Maße, dass ihr eine ihre bisherige Existenz gefährdende Veränderung droht. Spezifische Merkmale in Abgrenzung zu anderen Krisen markieren Selbstverschuldung und Eigenverantwortung der betroffenen Person für den die Krise auslösenden Vorfall. [77] Während andere Krisen oft durch externe Faktoren (mit-)ausgelöst werden und die handelnden Personen nur stellvertretend agieren und nur in geringem Maße oder gar nicht haftbar sind, [78] ist die Personenkrise mit dem Schicksal der Betroffenen untrennbar verknüpft. Hinzu kommt, dass es der Öffentlichkeit meist um moralische Werte und Kategorien wie Schuld und Unschuld geht,[79] und sich hier beinahe jeder dazu befähigt sieht ein eigenes Urteil zu fällen - was hingegen bei komplexeren Krisen, die meist struktureller Natur sind, meistens nicht der Fall ist.[80]

 

Öffentliche, massenmedial begleitete Personenkrisen bilden somit ein Substrat für Diskurse, die Fragen des kollektiven Zusammenlebens thematisieren und gemeinsame Werte diskutieren. So geht es auch in der Plagiatsaffäre nicht nur um die juristisch nachweisbare Schuld der Urheberrechtsverletzung, sondern um moralische Fragen: Wie ehrlich ist der Minister? Darf die (Macht-)politik Verstöße gegen die wissenschaftliche Ethik ignorieren? Für manche Beobachter ging es in der Guttenberg-Krise schließlich um nichts weniger als den Stellenwert der Wissenschaft in unserer Gesellschaft.[81]

 

2.2 Die Rolle der (Massen-)medien


 

Missstände wie Korruption, Schwindel oder justiziables Fehlverhalten werden von den Massenmedien meistens nur dann skandalisiert, wenn sie eine prominente Person des öffentlichen Lebens betreffen. Es handelt sich bei dieser Art der Krise also per definitionem auch immer um ein medienbegleitetes Phänomen.

 

In diesem Kontext ist einem fundamentalem Missverständnis Vorschub zu leisten, da diese Arbeit mit zwei unterschiedlichen Medienbegriffen in unterschiedlichen Zusammenhängen operiert: Medien bezeichnen einerseits „Kommunikationskanäle, die bestimmte Zeichensysteme transportieren“[82] und andererseits „Organisationen, also zweckgerichtete und zweckerfüllende Sozialsysteme“[83]. Wenn in dieser Arbeit von den Medien oder der medial begleiteten Personenkrise die Rede ist, wird der Begriff in seiner zweiten Verwendungsweise gebraucht und bezieht sich in diesem Zusammenhang auf die Massenmedien, wie öffentlich zugängliche Printmedien, Rundfunk und Film.[84]

 

Wenn in dieser Arbeit hingegen vom menschlichem Körper als Medium die Rede ist, bzw. von der Medialisierung von Texten, dann wird der Begriff in der ersteren, ursprünglichen Verwendungsweise gebraucht und stützt sich auf den erweiterten Medienbegriff von Knape, der sie als Einheiten zum Senden und Speichern von Texten definiert.[85]

 

Für die öffentliche Beurteilung einer (Personen-)Krise spielen die Massenmedien die entscheidende Rolle, weil sie die Krisensituation nicht nur medial vermitteln, sondern ebenfalls deren Inhalte und Darstellung selektieren können: Das Rollenspektrum der Medien reicht dabei von der - aufgrund des Nachrichtenwerts bereits widerlegten -„neutralen Rolle der Medien als nicht filternde Übermittler […] über eine aktive, bestehende öffentliche Meinungen verstärkende Multiplikator- und Akzeleratorfunktion“ [86], bis hin zur Urheber-Rolle, in der sie die Krisensituation kreieren, „über die sie dann berichten.“[87]

 

2.3 Die Rolle der Öffentlichkeit


 

Eine Betrachtung von medial begleiteten Personenkrisen schließt eine Betrachtung der öffentlichen Meinung[88] notwendig mit ein und verpflichtet sich folglich dem rhetorischen Ansatz, da Öffentlichkeit verstanden wird als frei zugängliches Kommunikationsfeld (Agon), in dem Oratoren mit ihren Kommunikationsbeiträgen über Massenmedien Aufmerksamkeit und Zustimmung des Publikums ersuchen.[89]

 

Damit kommt ein weiteres, wenngleich aber nicht spezifisches Merkmal der hier untersuchten Personen-Krise zur Geltung: Der Begriff Öffentlichkeit kennzeichnet eine „soziale Handlungssphäre, die frei zugänglich ist und in der soziale Akteure sich an ein unabgeschlossenes Publikum wenden und der Beobachtung durch ein solches Publikum ausgesetzt sind“[90]. Damit ist der öffentlichen Personenkrise sowohl inhärent, dass sie prinzipiell von jedem Mitglied der Gesellschaft im Rahmen öffentlicher Kommunikation verfolgt als auch kommentiert werden kann. Daraus ergibt sich für den Betroffenen eine Bedrohung - aber auch die Chance, positiv auf die öffentliche Meinung einzuwirken und diese zum eigenen Nutzen zu beeinflussen.

 

2.4 Die Rolle der Kommunikation


 

Grundsätzlich verlangt der Einfluss auf die öffentliche Meinung immer den Eintritt in die Kommunikation mit der Öffentlichkeit. Wer schweigt, überlässt das Feld anderen und verschlimmert die Krise dadurch womöglich noch, denn oft wird „nicht das Unglück selbst [...] als Skandal betrachtet“[91], sondern ausbleibende, verspätete, unzureichende oder unangemessene Krisenkommunikation. Merten schränkt zwar ein, dass Kommunikation „keinesfalls […] der Freund, der stets hilft“[92] sei, und bezeichnet sie gar als „störrisches und eigensinniges Instrument“ [93], das lediglich mache, was die Kommunikation wolle. Dabei legt er jedoch nicht die rhetorische Prämisse zugrunde, wonach Kommunikation durch einen strategischen Kommunikator gezielt beeinflusst und strategisch genutzt werden kann: „Auf den analytischen Ebenen von Interaktion und Textproduktion ist das vorausschauend-reflektierende Planen von Handlungen und Formulierungen für den Orator konstitutiv.“[94] Die kommunikative Bewältigung der Krise wird im Hinblick auf ihren ambivalenten Ausgang und der prinzipiellen Möglichkeit, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, für den Betroffenen als strategischen Kommunikator zur rhetorischen Herausforderung.

 

2.5 Rhetorische Sicht auf die Personenkrise


 

Die rhetoriktheoretische Betrachtung der Krisensituation ist bereits durch Strobel und Goeze erfolgt,[95] wobei zu beachten ist, dass ihr Interesse einer allgemeinen rhetorischen Krisensituation gilt. Im Folgenden werden die Überlegungen unter Ergänzung der spezifischen Merkmalen und Rahmenbedingungen der öffentlichen, medial begleiteten Personenkrise fortgeführt. Es geht darum, welche rhetorischen Anforderungen die Personenkrise an den Orator stellt. Auf diesen Grundlagen basieren die strategischen Möglichkeiten des Orators in der Krise, die im nächsten Kapitel besprochen werden.

 

2.5.1 Vertrauens- und Glaubwürdigkeitsverlust in der Krise


 

Nach Aristoteles kann der Redner durch dreierlei überzeugen: durch den argumentativen Beweis in der Sache (logos), der Evokation von Affekten beim Publikum (pathos)...

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