Die für deutsche Investoren wohl interessanteste Frage, ist die nach den konkreten Auswirkungen der Kündigung. Durch die Kündigung ist der Steuerzahler bei seinen internationalen Transaktionen der ständig agierenden brasilianischen Steuergesetzgebung ausgeliefert. [79] Dementsprechend soll zunächst ein kurzer Überblick über das brasilianische Steuerrecht gegeben werden, um darauf aufbauend die einzelnen Folgen der Kündigung im Detail erörtern zu können.
Das brasilianische Steuerrecht gehört zu den komplexesten Steuerrechtsordnungen der Welt. Dies liegt hauptsächlich an der erheblichen Regelungsdichte, die durchschnittlich durch 35 Steuernormen pro Wochentag erweitert wird. [80] So verwundert es nicht, dass Brasilien im Global Competitiveness Report 2012-2013 des World Economic Forums bei der Frage nach dem Einfluss der Steuern eines Landes auf den Anreiz dort zu arbeiten oder dort zu investieren unter 144 Ländern den letzten Platz belegt. [81]
a) Rechtsquellen
Um bei dieser Vielzahl von Steuernormen den Überblick behalten zu können, ist zunächst ein Blick auf die verschiedenen Rechtsquellen des Steuerrechts notwendig.
Die wichtigste Rechtsquelle des brasilianischen Steuerrechts ist die brasilianische Bundesverfassung von 1988 (Constituição da República Federativa do Brasil - CF) mit ihren Artikeln 145 bis 169, in denen insbesondere die verfassungsrechtlichen Schranken der Besteuerung und die Aufteilung der Steuerkompetenzen im brasilianischen Bundesstaat geregelt sind.[82]
Auf der nächsten Stufe stehen die ordentlichen Gesetze. Die Besonderheit bei den ordentlichen Steuergesetzen in Brasilien ist, dass alle drei Gebietskörperschaften, also Bund, Länder und Gemeinden, volle Steuerhoheit genießen, mithin auf dem Gebiet der Steuern über Gesetzgebungshoheit, Verwaltungshoheit und Ertragshoheit verfügen.[83] Somit erfolgt die Steuergesetzgebung in Brasilien nicht nur von den Gesetzgebern des Bundes, sondern auch von denen der 27 Länder (inkl. Bundesdistrikt - Distrito Federal) und von denen der über 5.000 Gemeinden, was unstreitig einer der Hauptgründe für die Komplexität des Steuersystems ist.[84]
Ein weiterer Grund für die Komplexität sind die dem italienischen Rechtssystem[85] nachempfundenen Provisorischen Maßnahmen mit Gesetzeskraft (Medida Provisória com força de lei - MP), die der Präsidentin Brasiliens erlauben, in relevanten und dringenden Angelegenheiten Neuregelungen auf dem Gebiet der Abgabenordnung mit sofortiger Wirkung zu treffen.[86]wen
Eine vierte Rechtsquelle sind die sog. Rahmengesetze, die auch als Verfassungsergänzungsgesetze (Lei Complementar à Constituição) bezeichnet werden, und die von den Gesetzgebern des Bundes, der Länder und den Gemeinden beachtet werden müssen.[87] Das für das Steuerrecht wichtigste Rahmengesetz ist das brasilianische Steuergesetzbuch (Código Tributàrio Nacional - CTN), das von der deutschen Abgabenordnung in ihrer ursprünglichen Fassung von 1919 stark beeinflusst wurde.[88]
Schließlich spielen noch Verwaltungsverordnungen und die Steuerrechtsprechung als Rechtsquellen eine gewisse Rolle.
b) Einteilung der Abgaben
Das brasilianische Steuerrecht unterscheidet zunächst zwischen drei Arten von Abgaben (tributos), die gem. Art. 145 CF von allen drei Gebietskörperschaften eingeführt werden können, namentlich Steuern (impostos), Gebühren, die für bestimmte öffentliche Leistungen als Gegenleistung bezahlt werden (taxas) und Beiträge, die als Gegenleistung für die durch öffentliche Bauten bewirkte Wertsteigerung von Immobilien bezahlt werden (contributes de melhoria, decorrente de obras públicas).
Auch im brasilianischen Steuerrecht stellt sich der Begriff der Abgaben somit als Oberbegriff für Steuern, Gebühren und Beiträge dar, was auch in Art. 5 CTN einfachgesetzlich geregelt wird. Die Differenzierung richtet sich dabei weniger nach der Natur der Abgabe, sondern nach den mit der Erhebung der Finanzmittel verbundenen Verwendungszwecken und nach den die Abgabe begründenden Tatbeständen.[89]
Daneben gibt es noch weitere Abgaben sowie abgabenähnliche Zwangsabgaben, die ausschließlich vom Bund erhoben werden können, namentlich Zwangsanleihen im Sinne des Art. 148 CF (empréstimos compulsórios) und Sonderbeiträge im Sinne des Art. 149 CF, die sich wiederum aus Sozialbeiträgen (contribuiçôes sociais), Beiträgen zur staatlichen Intervention in die Wirtschaft (CIDE - s.o.) und Beiträgen im Interesse von Berufs- und Wirtschaftsklassen zusammensetzen.[90]
Die Sozialbeiträge sind zwar in Art. 195 CF und damit in dem Kapitel über das Sozialwesen geregelt, daraus lässt sich jedoch entgegen der Annahme vieler Steuerrechtsanwälte nicht ableiten, dass sie keinen Abgabencharakter haben.[91]
c) Verfassungsrechtliche Grundsätze
Art. 150 CF stellt verfassungsrechtliche Grundsätze auf, die dem Schutz des Steuerpflichtigen dienen. So gilt zunächst auch in Brasilien der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung, nachdem keine Abgabe ohne Gesetz erhoben werden darf. Dieser Grundsatz spezifiziert den allgemeinen Gesetzesvorbehalt nach Art. 5 Ziffer II CF und setzt im Bereich des Steuerrechts ein förmliches, von der Legislative erlassenes Gesetz voraus, wobei auch eine provisorische Maßnahme mit Gesetzeskraft (s.o.) als ausreichend erachtet wird.[92] Gefolgt wird der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung vom Grundsatz der Gleichbehandlung, der ebenfalls bereits in Art. 5 CF allgemein normiert ist, und von einem Rückwirkungsverbot, das gem. Art. 5 Ziffer XXXVI CF bereits für allgemeine Gesetze gilt. Im Zusammenhang mit dem Rückwirkungsverbot ist auch der sog. Grundsatz der Annuität zu verstehen, nachdem Abgaben nicht im gleichen Haushaltsjahr erhoben werden dürfen, in dem das Gesetz veröffentlich worden ist, das die Abgabe geschaffen oder erhöht hat.[93]
Schließlich normiert Art. 150 CG ein Enteignungsverbot, nach dem Abgaben keine konfiskatorische Wirkung entfalten dürfen, sowie ein Verbot der Beschränkung des Personen- und Warenverkehrs zwischen den Ländern oder den Gemeinden durch Erhebung von Abgaben.
d) Aufteilung der Steuerkompetenzen
Die Aufteilung der Kompetenzen für die einzelnen Steuerarten erfolgt in den Art. 153 bis 156 CF. Dabei ist zunächst beachtenswert, dass jede Steuerart ausschließlich einer der drei Gebietskörperschaften zugewiesen wird. In diesem Zusammenhang bedeutet Zuweisung die Pflicht zur Erhebung der Steuer, einschließlich der Organisation der sonstigen Steuerverwaltung, sodass keine einheitliche hierarchische Finanzverwaltung besteht, sondern jede Körperschaft ihre Finanzen selbständig verwaltet[94]. So existieren die Finanzverwaltung des Bundes, der Länder und Gemeinden nebeneinander, was den Gedanken der Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Institutionen in einer föderalistisch strukturierten Republik unterstreichen soll.[95] Diese Zuweisung entscheidet jedoch nicht über die Verteilung des Steueraufkommens.
Im Einzelnen sind dem Bund die Importsteuer, die Exportsteuer, die Einkommensteuer der natürlichen und der juristischen Personen, die Steuer auf Industrieerzeugnisse, die Steuer auf Kredit-Versicherungs-, Währungs- und Finanzoperationen und die Grundsteuer auf ländliche Anwesen zugewiesen. [96] Außerdem wäre dem Bund eine sog. Steuer auf große Vermögen zugeteilt, die allerdings bis jetzt noch nicht eingeführt wurde. Zu den Landessteuern gehören die Erbschafts- und Schenkungsteuer, die Steuer auf Warenverkehr und die Kraftfahrzeugsteuer. Schließlich sind den Gemeinden die Grund- und Gebäudesteuer in städtischen Gebieten, die Grunderwerbsteuer und die Steuer auf Dienstleistungen, die nicht dem Bund zugeteilt wurden, zugewiesen. [97]
e) Einkommensteuer der natürlichen Personen [98]
Die Einkommensteuer der natürlichen Personen (Imposto de Renda da Pessoa Física - IRPF) ist eine Bundessteuer. Steuersubjekt sind natürliche Personen mit Wohnsitz in Brasilien. Seit 2010 gibt es zudem eine Wohnsitzfiktion im Falle des Wegzugs in ein sog. Niedrigsteuerland.
Besteuert wird grundsätzlich das Welteinkommen auf einer jährlichen Basis, allerdings unter monatlichen Steuervorauszahlungen. Zudem kennt auch das brasilianische Einkommensteuerrecht die Quellenbesteuerung, die vor allem im Bereich der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und bei Einkünften, die von juristischen Personen gezahlt werden, zur Anwendung kommt. Die einbehaltene Steuer wird grundsätzlich wie eine Steuervorauszahlung behandelt und wird auf die am Jahresende zu begleichende jährliche Steuerschuld angerechnet.
Für die Zwecke der Einkommensteuer der natürlichen Personen, können die Einkünfte in zwei Kategorien eingeteilt werden, zum einen in Veräußerungsgewinne und zum anderen in sonstige Einkünfte. Während die Veräußerungsgewinne mit einer Flat Tax von 15 % besteuert werden unterliegen die sonstigen Einkünfte einem...