1 Stürze verhindern
In wissenschaftlichen Untersuchungen ist herausgefunden worden, dass es vor allem an mangelnder Muskelkraft und nachlassendem Gleichgewichtsgefühl liegt, wenn ältere Menschen stürzen. Jeder, der älter wird, weiß, dass man umso mehr tun muss, um die Funktionsfähigkeit des Körpers zu erhalten, je älter man wird. Wer sich im Alter nicht oder immer weniger bewegt, wird eher an Muskelkraft und an Gleichgewichtsfähigkeit verlieren und deshalb auch eher stürzen. Wer dagegen bis ins höchste Alter hinein aktiv bleibt, der trainiert die Funktions- und Leistungsfähigkeit seines Körpers und damit auch die Standfestigkeit, die Mobilität und die Bewegungssicherheit. Dadurch nimmt auch die Wahrscheinlichkeit, zu stürzen, deutlich ab.
Dieses Buch ist für Übungsleiter und Kursleiter geschrieben, die Sturzprophylaxegruppen für ältere Menschen anbieten, die zu Hause leben. Solche Gruppen werden zur Zeit sowohl von Turn- und Sportvereinen als auch von anderen Institutionen angeboten. Es fasst den aktuellen Wissensstand zum Thema „Sturzprophylaxe durch Bewegung“ zusammen und gibt viele praktische Anregungen und Tipps, wie aktive Sturzprophylaxe in der Gruppe aussehen kann. Auf dieser Grundlage können Übungsleiter und Kursleiter selbstständig ein Programm für einen Kurs „Aktives Sturzprophylaxe-Training“ zusammenstellen. Sie können aber auch einzelne Bausteine „herausnehmen“ und diese in andere Übungsgruppen mit Älteren integrieren.
1.1 Was ist ein Sturz?
Was versteht man eigentlich unter einem Sturz?
Experten definieren Sturz als ein „unbeabsichtigtes, auf den Boden oder eine tiefer gelegene Ebene zum Liegen oder Sitzen kommen“.
1.2 Die Häufigkeit von Stürzen
Leider passiert es häufig, dass ältere Menschen stürzen oder zumindest beinahe stürzen. Jahr für Jahr ereignen sich in Deutschland insgesamt etwa vier bis fünf Millionen Stürze. Es wird geschätzt, dass etwa ein Drittel der Menschen über 65 Jahren mindestens 1 x pro Jahr hinfällt.
Je älter man wird, umso größer wird auch das Sturzrisiko. Bei den 80- bis 89-Jährigen sind es sogar 40-50 %, die mindestens 1x pro Jahr fallen. Und bei den 90- bis 99-Jährigen ist es bereits deutlich mehr als die Hälfte aller Menschen, die sich nicht mehr sicher auf den Beinen halten können.
Bei Heimbewohnern ist das Risiko, zu stürzen, besonders groß. Mehr als jeder zweite Heimbewohner erleidet gegenwärtig einen Sturz pro Jahr. Mehr als 20 % stürzen mehr als 3 x pro Jahr.
1.3 Die Folgen eines Sturzes
In der Regel verschlimmern sich mit zunehmendem Alter leider auch die Folgen eines Sturzes. Junge Menschen tragen oft nur einen „blauen Fleck“ oder eine leichte Prellung davon, mindestens 10 % der Älteren verletzen sich jedoch ernsthaft.
Viele Stürze haben schlimme Folgen: Mehr als 120.000 ältere Menschen erleiden einen Oberschenkelhalsbruch oder brechen sich den Oberschenkel unmittelbar unterhalb des Oberschenkelhalses. Diese Verletzungen werden in der Folge als Hüftbrüche bezeichnet. Oftmals heilen solche Brüche nur schlecht. Mehr als die Hälfte der Menschen ist nach dem Bruch in ihrer Beweglichkeit erheblich eingeschränkt, 20 % werden sogar in einem Heim ständig pflegebedürftig. Die Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen sind eindeutig: Während vor einem Bruch drei Viertel der untersuchten älteren Menschen noch selbstständig und ohne Hilfsmittel gehen konnten, waren es nach dem Bruch lediglich noch 15 %. Es versterben sogar bis zu 10 % der Menschen innerhalb eines Jahres an den Folgen eines solchen Bruchs.
Neben den körperlichen Folgen eines Sturzes sind die psychischen Folgen für alte Menschen eklatant. Wer einmal gestürzt ist, hat oft Angst, wieder hinzufallen. Die Folge: Man wird unsicher, zieht sich zurück, bewegt sich noch weniger. Das Selbstvertrauen sinkt, man traut seinem Körper immer weniger zu. Ein Teufelskreis kommt in Gang, der kaum noch zu stoppen ist. Wer sich weniger bewegt, sich kaum noch vor die Tür traut, verliert immer mehr Muskelkraft und Gleichgewichtsfähigkeit. Das Risiko, erneut hinzufallen, steigt dadurch immer weiter. Ängste, Depressionen, Rückzug, Vereinsamung – all dies können die Folgen sein, wenn ältere Menschen stürzen.
1.4 Die Kosten eines Sturzes
Stürze verursachen hohe Kosten. Die Operation einer Oberschenkelhalsfraktur kostet etwa 7.500,- €. Die anschließende Rehabilitation oft noch mals 5.000,- €. Allein für Heimbewohner werden die Kosten von Stürzen im Jahr in Deutschland mit mehr als 300 Millionen Euro angegeben. Insgesamt entstehen Kosten von mehr als 1 Milliarde Euro.
1.5 Die Ursachen von Stürzen
Die Sturzursachen sind in großen Studien wissenschaftlich untersucht worden.
Im Folgenden sind die wichtigsten Risikoindikatoren aufgeführt, die in verschiedenen deutschen und ausländischen Untersuchungen, u. a. in der Ulmer Untersuchung von Stürzen, festgestellt worden sind.
Tab 1: Risikoindikatoren für Stürze älterer Menschen
Gleichgewichtsschwächen | 2,9 |
Gebrauch von Gehhilfen | 2,6 |
Eingeschränkte Alltagsbewältigung | 2,3 |
Kognitive Einschränkungen | 1,8 |
* Unter Odds Ratio versteht man die Erhöhung des Risikos eines Bewohners, einen Sturz im nächsten Jahr zu erleiden. Ein Odds Ratio von 2,0 bedeutet eine Verdopplung des Risikos. Ein Odds Ratio von 1,0 bedeutet kein erhöhtes Risiko. Zahlen unter 1,0 bedeuten ein vermindertes Risiko.
Liegen mehrere Risikofaktoren vor, liegt die Wahr scheinlichkeit eines Sturzes im nächsten Jahr bei bis zu 80 %!
Personenbezogene Sturzursachen
Bei älteren Menschen kommt es im Bereich der Kraft- und Ausdauerfähigkeit zu Verschlechterungen von jeweils etwa 10 % pro Lebensdekade, im Bereich der Schnelligkeit sind diese Verluste noch höher. Dies kann dazu führen, dass Schwellenwerte für die Ausfüh rung der Aktivitäten des täglichen Lebens unterschritten werden. Besonders dann, wenn die Betroffenen inaktiv sind. Wenn die Leistungsfähigkeit nachlässt, können Ältere ein Ausrutschen oder Stolpern beim Gehen nicht mehr kompensieren. Die häufige Folge: Stürze und Verletzungen. Ein Muskelkraftdefizit ist der mit am besten untersuchte Risikofaktor für Stürze, ebenso gut ist dies für den Bereich der Gangstörungen untersucht. Weiterhin gibt es ausreichende Befunde für eine nachlassende Standbalance oder für die Nutzung von Gehhilfen. Inaktivität ist eines der größten Sturzrisiken Nicht selten kommt es jedoch auch zu zunehmender Inaktivität nach einem Sturz, weil die Personen von der Umgebung entmutigt werden bzw. selbst aus Angst weniger aktiv sind. Bis zu 70 % der Älteren, die einen Sturz erfahren haben, aber auch 40 % von denen, die noch keinen Sturz im Alter erlebt haben, berichten über eine Angst zu stürzen. Etwa die Hälfte dieser Personen reduziert deswegen nachweisbar ihre sozialen und physischen Aktivitäten. Angst wiederum führt dazu, dass Menschen langsamer gehen, ihre Lebensqualität niedriger bewerten und auch die Kraftwerte reduziert sind.
Ein besonderes Problem sind Vitamin-D-Mangelzustände, die nicht nur zur Osteoporose führen, sondern unmittelbar auch mit Kraftdefiziten verbunden sind.
Eine kognitive Einschränkung ist ein weiterer wichtiger Risikofaktor für das Auftreten von Stürzen und selbst geringere kognitive Defizite sind mit einem erhöhten Unfallrisiko verbunden. Welche Teilbereiche der Mentalfunktionen besonders bedeutsam sind, ist noch nicht ausreichend untersucht. Vor allem Defizite bei der gleichzeitigen Ausführung verschiedener Aufgaben spielen...