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Systemische Ansätze in der Heilpädagogik

AutorHeidrun Kiessl
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl170 Seiten
ISBN9783170330665
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Systemische Ansätze eröffnen für die Heilpädagogik eine neue Sicht auf die Praxis. Schließlich verlagern systemische Ansätze die Perspektive weg vom 'Defizit' des Individuums hin auf das Wechselspiel sozialer und kommunikativer Interaktion in Familie, KiTa, Schule und Arbeit. Das Buch legt die Schnittstellen heilpädagogischen und systemischen Denkens und Handelns offen. Dabei klärt es über die theoretischen Grundlagen und die Methodenvielfalt auf und macht deutlich, wie sich das gesamte Handlungsfeld Heilpädagogik unter systemischer Perspektive erweitert. Auf diese Weise werden systemische Ansätze als konkretes Werkzeug für die Praxis nutzbar gemacht.

Dr. Heidrun Kiessl ist Professorin für Heilpädagogik und Beratung an der Fachschule der Diakonie in Bielefeld und systemische Therapeutin.

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Leseprobe

1          Einleitung


 

 

 

In diesem Kapitel werden die Entstehungsphasen Systemischer Ansätze und der Bezug zu systemischem Denken und Handeln in der Heilpädagogik beschrieben. Dabei werden grundlegende Begriffe geklärt und ein kurzer historischer Überblick gegeben. Die Zielsetzung dieses Buches, die Motivation der Autorin sowie der ›rote Faden‹ in Form einer abschließenden Gliederungsübersicht wird vorgestellt.

1.1       Die Entstehungsphase Systemischer Ansätze und Begriffsklärungen


Der Systemische Ansatz ist einer der am weitesten verbreiteten Therapie- und Beratungsansätze, der Einzug in vielfältige Arbeitsfelder gefunden hat wie unter anderem in Beratung, Therapie, Supervision, Organisationsentwicklung, Pädagogik oder Pflege. Dahinter steht insbesondere eine bestimmte Art, die Wirklichkeit zu sehen und daraus Herangehensweisen für Beratung oder Therapie abzuleiten, um Kommunikation zu ermöglichen und Lösungsprozesse aus der Selbstorganisation heraus für manifeste Probleme anzustoßen (vgl. Systemische Gesellschaft 2016).

Historisch entstand die systemische »Familientherapie« in der 40er Jahren des 20. Jahrhunderts aus den Bedarfen und Bedürfnissen, die damals psychoanalytisch geprägte und als begrenzt erlebte Psychotherapie aus der Praxis heraus – zunächst ohne Theoriefundierung – zu erweitern (Kriz 2009), die Familie in die Therapie einzubeziehen, um Unsicherheiten zu reduzieren, Kooperation zu erreichen und Veränderungen nachhaltiger zu ermöglichen. Die ursprünglichen Ansätze der Familientherapie – zunächst bezogen auf das spezielle Setting der Beteiligung der Familie im Unterschied zur Einzeltherapie – waren pragmatisch angelegt mit dem Fokus auf praxistaugliche Konzepte und der Entwicklung von Methoden und Techniken.

In Abbildung 1 werden zur Hinführung zwei der Ansätze der frühen Familientherapie beschrieben, auf die im Folgenden an verschiedenen Stellen Bezug genommen wird ( Abb. 1).

Methoden beziehen sich im Folgenden auf die Art und Weise des Vorgehens und sind immer bezogen auf ein Regelsystem aufbauendes Verfahren, das zur Erlangung von Erkenntnissen oder praktischen Ergebnissen dient (Duden 2018). Die Gründerväter und Gründermütter der heutigen Systemtherapie hinterließen ein reichhaltiges

Abb. 1: Frühe Ansätze (1970 +), eigene Darstellung

und noch immer aktuelles Erbe an methodischen Schätzen, auf die insbesondere in Kapitel 5 ausführlich Bezug genommen werden wird. Folgende Übersicht dient der ersten Orientierung der ersten Ansätze der systemischen Familientherapie ( Abb. 2) unter Bezugnahme auf die Kybernetik erster Ordnung (ausführlich Kap. 2).

Bis in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts wandelte sich die Familientherapie begrifflich und inhaltlich hin zur Systemischen Therapie unabhängig vom Setting Familie. So konnte sie zunehmend in unterschiedlichen Systemen, Subsystemen oder Settings mit einer maßgeblich systemischen Herangehensweise, Haltung und Methodik der Therapeutin bezogen auf das zu unterstützende (Klienten-)System und auf die Umwelt eingesetzt werden ( Abb. 3). Diese Ansätze beziehen sich in ihrer theoretischen Verortung auf die Kybernetik zweiter Ordnung (ausführlich Kap. 2).

Nach Molter (2016, 23) ist Systemische Therapie »ein psychotherapeutisches Verfahren, dessen Fokus auf dem sozialen Kontext psychischer Störungen liegt. Dabei werden zusätzlich zu einer Indexperson (identifizierte Person mit ›Diagnose‹ oder Problem) weitere Mitglieder des für den Patienten bedeutsamen sozialen Systems einbezogen«. Im Unterschied zu den traditionellen Schwerpunkten der Familientherapie mit dem Fokus auf der innerfamiliären Interaktion und Beziehungsqualität erschließen sich in der systemischen Therapie darüber hinaus Kontexte wie Gemeinschaft, Gesellschaft, sozio-ökonomischer und kultureller Hintergrund.

Abb. 2: Methodenschätze ausgewählter Systemischer Ansätze (Kybernetik I) (1970 +), eigene Darstellung

Abb. 3: Methodenschätze ausgewählter Systemischer Ansätze (Kybernetik II) (1980 +), eigene Darstellung

Mittels einer Kontextualisierung wird beleuchtet, welche Auswirkungen die nun »weiter gefassten Systeme und der soziale Kontext« auf das Leben der Menschen haben. Einbezogen werden angrenzende Systeme und ihre Ressourcen. Es interessiert die System-Umwelt-Beziehung (Molter 2016, 22). Folgende Abbildung beschreibt exemplarisch aktuellere Weiterentwicklungen Systemischer Ansätze ( Abb. 4), auf die in diesem Buch an anderer Stelle noch ausführlicher Bezug genommen wird ( Kap. 5).

Abb. 4: Neuere Entwicklungen (1990 +), eigene Darstellung

1.2       Systemische Therapie und Systemische Beratung


Systemische Therapie ist Systemische Beratung im besonderen Kontext, nämlich ein Heilverfahren im Gesundheitswesen und in der Psychotherapie. Sobald über diesen Kontext hinaus einzelne oder mehreren Menschen unterstützt werden, Lösungen für von ihnen identifizierte Probleme zu finden, befinden sich diese in Systemischer Beratung (sehr ausführlich Schlippe & Schweitzer 2016, 31).

Systemische Therapie und alle daraus abgeleiteten systemischen Beratungsformate widmen sich Ansatzübergreifend dem »Schaffen von Bedingungen für Selbstorganisationsprozesse auf allen Systemebenen« (Rufer & Schiepek 2014, 328). Eine Schwierigkeit einer klaren Definition ist gegeben, jedoch auch in anderen Therapieansätzen zu finden (Schiepek 2013, 10). Der Begriff Systemische Therapie beschreibt eine theoretische Orientierung und kein bestimmtes therapeutisches Setting – so gibt es systemische Einzeltherapie, Paartherapie, Gruppentherapie, usw. (Sydow, Beher, Retzlaff & Schweitzer 2006, 14). Unterschiedliche Fachrichtungen (wie zum Beispiel Physik, Biologie, Philosophie, Soziologie, Psychologie, Medizin) speisten und speisen mit ihren interdisziplinären systemwissenschaftlichen Erkenntnissen die Theoriebildung und Fundierung sowie die Entwicklung entsprechend systemisch ausgerichteter Methoden, die mittlerweile nicht nur im therapeutischen Setting, sondern vor allem auch in Beratung und anderen psychosozialen und auch wirtschaftsbezogenen Handlungsfeldern angewendet werden. Neue Sichtweisen und Haltungen konnten sich in diesen Handlungsfeldern daraus etablieren.

1.3       Zielsetzung des Buches


Dieses Buch hat das Ziel, professionelles heilpädagogisches Handeln und die heilpädagogische Beratungspraxis in der jeweiligen Vorgehensweise durch Begründungen aus den Systemischen Ansätzen heraus zu legitimieren und Synergien zwischen heilpädagogischem und systemischen Denken und Handeln herzustellen, die sich für die heilpädagogisch-systemische Praxis in unterschiedlichen Handlungsfeldern nutzbar machen lassen. Grundprinzipien wie Feinheiten des systemisch-heilpädagogischen Arbeitens werden illustriert. Gemeinsame Grundlagen, Haltungen, Sichtweisen, Kernkompetenzen, aber auch Grenzen von Methodenintegration genauso wie die Erforderlichkeit von Methodenanpassungen oder Neukreation an der Schnittstelle Systemischer Ansätze an die Heilpädagogik werden diskutiert.

Der Begriff Ansatz


Laut dem Duden ist ein Ansatz technisch betrachtet ein Verlängerungsstück, aber auch ein erstes sichtbares Zeichen, also die Stelle, wo ein Körperteil oder Glied ansetzt, beginnt.

Der Begriff System


Ein System (griechisch systema = das Gebilde, das Zusammengestellte, das Verbundene) meint einen »Zusammenhang von Teilen, deren Beziehungen untereinander quantitativ intensiver und qualitativ produktiver sind als ihre Beziehungen zu anderen Elementen« (Schlippe & Schweitzer 2016, 31). Von seinen Umwelten werden Systeme durch Grenzen unterschieden, das heißt, ein System ist von seiner Umwelt abgegrenzt.

Systemische Denkansätze und systemische Forschung betrachten nicht einzelne Phänomene und deren lineares oder kausales Ursache-Wirkungsverhältnis. Systeme sind aus einzelnen Teilen zusammengesetzte Einheiten, die in Beziehung zueinanderstehen. Sie werden zirkulär betrachtet. Die Stabilität und Funktionalität von Systemen in ihrer evolutionären Entwicklung sowie ihre Verknüpfung mit der Umwelt wird von Systemtheoretikern als Reflexionsfolien betrachtet, die Deutungen zum Verstehen der Eigengesetzlichkeit von Systemen liefern können.

1.4       Systemische...


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