1. Einleitung
Was haben Familien, Vereine, öffentliche Verwaltungen und Unternehmungen gemeinsam? Sie alle können als lebendige Einheiten, und somit als soziale Systeme, beobachtet und – mehr oder weniger – verstanden werden. Sie treten durch die Wechselwirkung ihrer Systemelemente in Erscheinung und grenzen sich durch ihre eigene Operationslogik von ihrer Systemumwelt ab.
Die nachstehende Arbeit fokussiert sich insbesondere auf Organisationen als soziale Systeme, deren Existenzlegitimation sich primär in einer ausgeprägten Sach- und Aufgabenorientierung ausdrückt. Somit sind Familiensysteme kein Betrachtungsgegenstand dieser Arbeit, da in der Regel keine Familien mit einer formalen Managementsystemlogik als strukturdeterminierendes Systemelement bestehen. Die vorgenannte Aussage könnte sicherlich bei Familienunternehmungen bejaht werden, wobei auch hierbei die möglicherweise widersprüchlichen Beobachtungsaspekte „Familie“ und „Unternehmung“ voneinander abgegrenzt werden, sofern dieses überhaupt möglich wäre. In einem Familienunternehmen verwirklichen zugleich zwei soziale Systeme. Diese sind eben die Familie und die Organisation. Beide operieren mittels unterschiedliche Logiken. Auch wenn eine Familie als ein soziales System nicht weiter zum Gegenstand dieser Masterthesis gemacht wird, wird im weiteren Verlauf der Stellenwert der Entwicklung von Operationsmustern in sozialen Systemen aber auch in psychischen Systemen skizziert. Dieses erscheint vor dem Hintergrund sinnvoll, da sich Muster von Bewusstseinsoperationen von psychischen Systemen koevolutionär zu den kommunikativen Operationsmustern in sozialen Systemen und umgekehrt entwickeln können.
Aus Sicht des Verfassers dieser Arbeit ist eine vorangeschrittene Professionalisierung, vor allem im Dienstleistungssektor, insbesondere im nationalen Sozial- und Gesundheitswesen, in den letzten 17 Jahren zu beobachten gewesen. Hier haben Managementkonzepte und -systeme eine weite Verbreitung erfahren. Möglicherweise ist diese Entwicklung durch die Bestrebungen um Effizienzverbesserung begünstig worden. Diese sind wahrscheinlich durch ein verändertes Organisations-, Dienstleistungs- und Kundenverständnis in Verbindung mit Ressourcenverknappung als frühe Folgen des sich zunehmend abzeichnenden demografischen Wandels gefördert worden. Darüber hinausgehend können die Bestrebungen um Effizienzverbesserungen vor dem Hintergrund des zunehmenden Markteintritts von weiteren Organisationen, wie beispielweise weiteren Pflegeheimbetreibern, beobachtet, beschrieben und bewertet werden. Die Effizienzverbesserungen haben sicherlich einen maßgeblichen Beitrag zur Existenzsicherung sowie zur Verbesserung der ergebnisorientierten Marge zahlreicher Organisationen geleistet. So wurden insbesondere Qualitätsmanagementansätze (im Folgenden: QM-Ansätze) bei der Entwicklung von Organisationen zunehmend berücksichtigt und akzeptiert. Dies ist so weit vorangeschritten, dass QM-Ansätze als zentrale Ausgestaltungslogik von Management- und Führungskonzepten dienten und immer noch dienen. Vor dem Hintergrund der berufspraktischen Erfahrungen des Verfassers dieser Masterarbeit kommt dieser zu der Einschätzung, dass beispielsweise die Logik und die strukturgebende Gliederung der DIN EN ISO 9001 zunehmend als Medium zur Organisation von betrieblichem Arbeits- und Gesundheitsschutz oder organisationalem Umweltschutz verwendet wird. Insbesondere die Grundkonzepte, die Struktur und die selbstreferenzielle Logik des Plan-Do-Check-Act-Zyklus (im Folgenden: PDCA-Zyklus) kann hier als strukturdeterminierend für die Operationen in Organisationen verstanden werden. Bei der Ausgestaltung von Managementsystemansätzen erscheint –– die Ergebnisqualität als emergentes Outcomephänomen der wechselwirkenden Funktion von Strukturen und Prozessen maßgeblich.
Die wissenschaftliche Notwendigkeit für die Entwicklung und die Erarbeitung der systemischen Managementsystematik als normativer Leitfaden für eine nachhaltigere Organisationsentwicklung ergibt sich aus Optimierungsbedarfen mit humanistischen Prägung. Es geht um die Effektivitäts- sowie Effizienzoptimierung des Wirkens von Humanressourcen. Die praktischen Erfahrungen des Verfassers dieser Masterthesis im Bereich des nationalen Sozial- und Gesundheitswesens in den letzten 17 Jahren zeigen immer wieder, dass einige Fragen scheinbar unbeantwortet bleiben:
- Warum werden auf den Bühnen der alltäglichen Betriebsrealitäten vom Drehbuch abweichende Tragödien und Komödien inszeniert und ausgelebt?
- Warum kommt es trotz aller „gut“ durchdachter Strukturen und Prozesse dennoch zu Fehlhandlungen?
- Warum spielt sich das echte Betriebsleben manchmal ganz anders ab, als dieses in der Theorie durchdacht wurde?
- Warum verselbstständigen sich Reaktions- und Verhaltensmuster im Verlauf der Zeit und weichen so immer wieder von den selbstauferlegten Standards der Organisation ab?
Mit dieser Masterarbeit wird der Versuch unternommen, Antworten auf die zuvor formulierten Fragen zu erarbeiten. Die Antworten können durch Brückenschläge zwischen scheinbar isoliert voneinander stehenden, theoretischen Modellen und das miteinander in Beziehung setzen eben dieser theoretischen Modelle erzeugt werden. So werden Ansätze der systemischen Beratung, der Feldtheorie, des Neurolinguistischen Programmierens und der DIN EN ISO 9001:2015-Managementsystematik skizziert und für die Entstehung der systemischen Managementsystematik gedanklich miteinander verknüpft. Insofern soll ein wahrscheinlich neuer Denkansatz entstehen, mit dem versucht wird, die unterschiedlichen „Denkschulen“ miteinander zu kombinieren und aus dessen Perspektive veränderte Beobachtungen von Organisationen als Grundlage für Organisationsberatung zu ermöglichen.[1]
Im Sinne des Soziologen Niklas Luhmann sind Organisationen eine Form von sozialen Systemen. Das Geschehen in Organisationen ist etwas Soziales, das vor dem Hintergrund der Vielzahl von sich anschließenden Möglichkeiten in Erscheinung tritt und beobachtbar wird.[2] Der Psychologe Kurt Lewin hat sich in seiner Feldtheorie damit auseinandergesetzt, was menschliches Verhalten situativ beeinflusst. Lewin beschreibt das menschliche Lebensumfeld als Lebensräume, in der das beobachtbare Verhalten eines Menschen als Funktionsreaktion der Person und der Umwelt verstanden werden kann. In den Lebensräumen wirken anziehende und abstoßende Feldkräfte, die auf den Menschen einwirken.[3]
Das Neurolinguistische Programmieren (im Folgenden: NLP) der Begründer John Grinder und Richard Bandler ist insbesondere geprägt von den gestalttherapeutischen Ansätzen Fritz Perls, den familientherapeutischen Ansätzen von Virginia Satir und der Hypnotherapie von Milton Erickson.[4] Das NLP kann heute sicherlich als eine Interventionsform verstanden werden, die insbesondere von der Haltung des Intervenierenden, sowie dem Methodenfundus aus den vorgenannten therapeutischen Schulen, geprägt ist.
Die DIN EN ISO 9001 ist eine international gültige Qualitätsmanagementnorm. Sie beschreibt, welchen Anforderungen an ein Managementsystem eine Organisation genügen muss, damit die Konformität mit dem Standard bei der Umsetzung des Qualitätsmanagements in Anspruch genommen werden kann.
Die systemische Managementsystematik unternimmt – wie zuvor bereits angedeutet – den Integrationsversuch der vorgenannten „Denkschulen“. Sie kann vor diesem Hintergrund keine einfach zu konsumierende und leicht verdaubare Kost sein, eben weil es um die Komplexität von sozialen Systemen geht. Hierbei ist die systemische Managementsystematik eben genau das: komplex. Der Anspruch bei der Entwicklung war der Komplexität von sozialen Systemen unter veränderten Systemwelten gerecht zu werden, und hierbei nicht kompliziert daher zu kommen. Stark vereinfacht ausgedrückt: Die systemische Managementsystematik erhebt den Anspruch an sich selber komplex, aber nicht kompliziert zu sein. Die High Level Structure (im Folgenden: HLS) bietet hierbei sicherlich einen zunehmend akzeptierten Orientierungs- und Gliederungsrahmen, mit dem zunehmend viele Organisationen in ihrem jeweiligen Kontext in Kontakt gekommen sind und dieses sicherlich auch weiterhin werden. Diese These stützt sich insbesondere auf die stetig steigende Anzahl der ISO 9001-Zertifizierungen. So schreibt die International Organization for Standardization (im Folgenden: ISO) auf ihrer Homepage: „In fact, there are over one million companies and organizations in over 170 countries certified to ISO 9001“[5].
Es besteht das Risiko, dass dieser normative Leitfaden für die systemische Managementsystematik eine Paradoxie beinhaltet: weniger Formalismus, weniger Technokratie und weniger Dokumentation und gleichzeitig formuliert dieser normative Leitfaden für die systemische Managementsystematik (Mindest-)Anforderungen an die Gestaltung einer systemischen Managementsystematik in einer Organisation. Risikoverschärfend könnte wirken, wenn dieser normative Leitfaden lediglich als ein abzuarbeitendes Pflichten- und Lastenheft bzw. eine Checkliste verstanden und angewendet wird. Dieser entstehenden Paradoxie kann dadurch begegnet werden, indem die formulierten (Mindest-)Anforderungen im Sinne von orientierungsgebenden Leitplanken für die organisationale Reflektion als Grundlage für die eigene (Weiter-)Entwicklung verstanden und interpretiert werden. Ein „Sowohl-als-auch“ ist hier die Auflösung der Paradoxie: Sowohl die Konformität mit den (Mindest-)Anforderungen dieses normativen Leitfadens für die systemische Managementsystematik her- und sicherstellen, als auch der Mut zum Ausfüllen und zur organisationalen Ausgestaltung...