VORWORT
Das Schönbrunner Menübuch „Menus Sr. K. und K. Apost. Majestät v. 4. Mai 1913 bis 29. Jänner 1914 Schönbrunn“ zeigt Kaiser Franz Joseph aus einem sehr privaten, fast intimen Blickwinkel. Es ist eine Sammlung handschriftlicher Vorschläge für Déjeuners und Dîners, die von kaiserlichen Hofköchen erstellt und dem Kaiser täglich zur Durchsicht vorgelegt wurden. Die von Franz Joseph nicht gewünschten Gänge wurden mit Rot- oder Blaustift gestrichen, die eine oder andere Änderung wurde entgegengenommen, die Uhrzeit festgelegt und bei privaten Dîners oder Familiendîners Personenanzahl und Sitzordnung durch den Kaiser bestimmt. Die korrigierte Endfassung diente als Druckvorlage für die offiziellen Menükarten, die manchmal dem Menübüchlein durch die zuständigen Hofköche beigefügt wurden.
Die zuständigen Hofköche? Erstklassige Spitzenkönner, die sich auch nach Ende des „Kaiserdienstes“ eines hohen Rufes erfreuten und noch jahrelang in das kulinarische Geschehen Wiens eingebunden waren. So auch in Verbindung mit jüngeren Köchen, die sich im Rahmen des Verbandes der Köche für die Wiener Küche einsetzten. Mit vielfältigen Aktivitäten, wie der Führung einer Berufszeitung, verschiedener kulinarischer Ausstellungen und einer Kochkunstschau im Wiener Kursalon wurde die Wiener Küche gepflegt und einem neuen bürgerlichen Publikum nahegebracht. Ganz vorne dabei stand der junge, aufstrebende Küchenchef Franz Ruhm, der die Berufszeitung betreute, die neue Wiener Küche in der Öffentlichkeit präsentierte und sich in kurzer Zeit mit den ersten Kochsendungen des neugegründeten Radios und eigenen Rezepten einen Namen machte. Franz Ruhm wurde ein Begriff und stand in guter Verbindung mit allen Persönlichkeiten der kulinarischen Welt – so auch mit ehemaligen Hofköchen.
Einer dieser Hofköche hatte bei seinem Ausscheiden aus dem kaiserlichen Dienst ein handgeschriebenes Menübuch der kaiserlichen Hofküche in Verwahrung und hat dieses Büchlein seinem Freund Franz Ruhm geschenkt. Und dieses Büchlein wollen wir – genau 100 Jahre nach seinem Entstehen – der Öffentlichkeit vorstellen.
Ein Tag mit dem Kaiser
Ein ganz normaler Tag in Schönbrunn: Die Menükarten sind gedruckt, in der Hofküche wird gekocht, die Hofzuckerbäckerei bereitet das Dessert, die Hofsilber- und Tafelkammer deckt die Hoftafel, im Hofkeller stellt der Hofkellermeister die Getränke bereit. Wieviel Einsatz und Fleiß, Fachwissen und Kreativität die Mitarbeiter der K. und K. Hofhaushaltung in ihre vielfältigen und überaus anspruchsvollen Aufgaben einbrachten, mögen die nachstehenden Seiten vermitteln.
Der Arbeitstag von Franz Joseph war lang. Sein erstes Frühstück nahm er bereits zwischen fünf und sechs Uhr früh in seinem Arbeitszimmer ein. Dabei wurde Tee oder Kaffee gereicht und neben Butter, Schinken und Eier wahlweise mürbes Gebäck, Brioches oder Guglhupf vorgelegt.
Das Déjeuner – eigentlich das Mittagessen von Franz Joseph – wurde zwischen 11 und 12 Uhr mittags angerichtet und am kaiserlichen Schreibtisch serviert. Der Kaiser bevorzugte dabei Gerichte der bürgerlichen Wiener Küche und ließ sich gerne Butternockerl-, Fleischknöderl-, Kalbsragout- oder Gemüsesuppe servieren – nicht zu vergessen potage aux fleques, die klassische Fleckerlsuppe. Bei den Hauptspeisen waren besonders Rindfleisch mit Beilagen, aber auch Rostbraten, Kalbspörkelt, Wiener Schnitzel und Beuschel mit Grießstrudel beliebt. Auf eine Nachspeise wurde beim Déjeuner verzichtet, an Getränken wurden je nach Speisenfolge ein Glas Bier oder ein Glas Wein aus der Hofkellerei und zum Abschluss schwarzer Kaffee gereicht.
Das Dîner wurde zwischen sechs und sieben Uhr abends angesetzt und war die eigentliche Hauptmahlzeit des Kaisers, der es sehr gerne mit Familienmitgliedern teilte. In der K. und K. Hofhaushaltung wurden diese Dîners daher auch Familiendîners genannt, zum Unterschied von Galadîners für ausländische gekrönte Häupter, Militärdîners für militärische und zivile Gäste und Diplomatendîners für Botschafter und Delegationen. Je nach Art und Anzahl der Gäste fanden die repräsentativen Dîners in den Festsälen von Schloss Schönbrunn oder im Marmorsaal, Zeremoniensaal oder im Reichskanzleitrakt der Hofburg statt. Die Familiendîners wurden in gemütlicherem, kleinerem Rahmen zelebriert.
Soweit es seine Pflichten erlaubten, zog sich Franz Joseph am Abend gerne zurück und begab sich bereits gegen halb neun zur Ruhe.
Das Menübuch und die Wiener Hofküche
„Mit Gott 1913“ eröffnet am 4. Mai 1913 der Hofkoch erster Klasse Anton Häring das Menübuch Seiner Kaiserlichen und Königlichen Apostolischen Majestät Kaiser Franz Joseph. Der Kaiser steht im 83. Lebensjahr und Habsburgs Vielvölkerstaat vor einer dramatischen Schicksalswende. Noch konnte der alte Kaiser trotz aller Wirren im politischen Tagesgeschäft nicht ahnen, welcher Zukunft die Österreichisch-Ungarische Monarchie entgegenging, noch hatte der „erste Diener des Staates“ die Zügel fest in der Hand, noch war er der erhabene Mittelpunkt, um den alles kreiste. Wie verlief das Leben von Kaiser Franz Joseph in diesen Schicksalsjahren? Wer waren seine offiziellen Gäste bei Déjeuners und Dîners? Wer sorgte für sein leibliches Wohl? Wie funktionierte die K. und K. Hofhaushaltung – und wer waren die Hofköche, Hofzuckerbäcker und Hofkellermeister, allesamt Meister ihres Berufsfaches und tägliche Begleiter des Kaisers.
Franz Joseph verbrachte die Monate Mai und Juni in Wien. Es wird den Kaiser nicht gestört haben, dass in der Vorsommerzeit nur wenige hochoffizielle Gäste ihre Aufwartung machten. Anfang Juni war der bayerische Prinzregent einige Tage zu Besuch, es gab ein Galadîner bei Hofe und ein Déjeuner bei Franz Ferdinand. Aber das war ja fast ein Verwandtschaftsbesuch.
Bald danach erscheint eine interessante Persönlichkeit: Graf Zeppelin ist Ehrengast beim Déjeuner Dînatoire und wird dem Kaiser bei Consommé en tasse, Œufs à la Diane und Gelée des jeunes poulets a l’Élysée von seinem geplanten Luftschiff erzählt haben. Dafür hat Franz Joseph auf sein Schreibtischdéjeuner mit Schinkenfleckerln und pommes de terre vielleicht ganz gerne verzichtet.
Knapp vor Abreise nach Bad Ischl hat der Kaiser seine Elferdragoner geladen. Für die hohen Chargen wurden auf der Hoftafel 112 Gedecke aufgelegt und Köstlichkeiten wie Tartelettes Montgelas und Côtelettes de homards rénaissance neben einem Château Lafite 1904 und einem Veuve Clicquot rosé kredenzt. Bei der separierten Unteroffizierstafel ging es etwas deftiger, aber auch sehr schmackhaft zu. Wer kann schon was gegen Paradeissuppe, Stirl mit Kartoffeln, Schweinsrücken garniert, Rehfilets mit Risotto, Kapauner, Salat, Kompott, Spargel, Erdbeercrème, Käse und Dessert sagen. Noch dazu gewürzt mit Bier und Offizierswein!
Am 1. Juli hat der Kaiser seinen Urlaub in Bad Ischl angetreten. Auf die in jüngeren Jahren so geliebte Pirsch wird Franz Joseph nicht mehr gegangen sein, lange Spaziergänge und der eine oder andere Ausritt haben aber sicher zur sommerlichen Erholung beigetragen. Die Rückkehr nach Wien erfolgte am 7. September. Aktenberge erwarteten die Majestät, wollten bearbeitet und erledigt werden. Die schöne Sommerzeit war vorbei. Bis Ende Januar 1914 hat der Kaiser die Haupt- und Residenzstadt nicht mehr verlassen – das Menübuch ist lückenlos geführt. Ab September fällt auf, dass bei den Dîners der Rotstift zum Teil sehr kräftig eingesetzt wurde. Wahrscheinlich wollte der Kaiser sein Bad Ischler Idealgewicht erhalten.
Derartige Streichungen waren am 26. Oktober nicht möglich: Der deutsche Kaiser Wilhelm II. war zu Besuch bei Franz Joseph und die K. u. K. Hofküche bereitete von Potage royale bis Crème viennoise kulinarische Höhepunkte.
Manchmal gab Franz Joseph zwischendurch Dîners – so am 1. Dezember für den König von Spanien in der Hofburg; vielleicht war es in Schönbrunn zu kalt.
Zu Weihnachten erfreute sich der Kaiser nach einem opulenten Heiligabend-Dîner beim Christtagsdéjeuner an einem Gericht, das in Mailand kreiert, von Feldmarschall Radetzky nach Wien transferiert wurde – und seit damals nicht mehr Mailänder, sondern Wiener Schnitzel heißt. Symbol für Altösterreich! Der Jahresbeginn 1914 wurde traditionell mit einem großen Dîner du 1. janvier gefeiert. Für 42 hohe Herrschaften waren dabei nicht weniger als acht Hofköche mit der gesamten Küchenbrigade im Einsatz! Die exquisiten Gänge können sich sehen lassen – wie immer ist auch das hochgeschätzte Rindfleisch dabei, diesmal als Pièce de bœuf et selle d’agneau.
Die Hofküche
In der strengen hierarchischen Ordnung der K. u. K. Hofhaushaltung war die Hofküche der Mittelpunkt. An der Spitze des kaiserlichen Haushaltes stand das Hofwirtschaftsamt, geleitet vom Hofkontrollor und unterstützt vom Hofwirtschaftsdirektor, der wieder zusammen mit dem Rechnungsführer die Aufsicht über Hofküche, Hofzuckerbäckerei, Hofkeller und Hoftafelinspektoren hatte.
Die im Schweizerhof unter der Burgkapelle situierte Hofküche bestand ursprünglich aus einer ganzen Flucht saalähnlicher Räume, in denen verschiedene Küchen für bestimmte Aufgaben eingerichtet waren. Nach einem Umbau und einer technischen Modernisierung im Jahre 1904 waren dies die große Küche für Gala-, Militär- oder Diplomatendîners, die Mundküche für Familiendîners und den sonstigen kulinarischen Bedarf der kaiserlichen Familie, die Buffetküche für kalte Speisen, die Mehlspeisküche und – nicht...