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Tage und Nächte in Urwald und Sierra

AutorKurt Faber
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl273 Seiten
ISBN9783849653057
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Dieser Reiseroman entstand 1926 nach Fabers Reisen durch Peru, Bolivien und Brasilien. Er beschreibt nicht nur Land und Leute sondern auch seine durchaus abenteuerlichen Fahrten.

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Leseprobe

 


Was nun? – Ein Kapitel über gelernte und ungelernte Leute.– Seltsames Nachtquartier. – Barfuß-Jim erzählt eine Geschichte. – Ein großes Geschäft. – Ich male den Kirchturm. – Seine Eminenz, der Bischof ist mit mir nicht zufrieden. – Ungeahnte Möglichkeiten. – Ich versuche mich als Wahrer Jakob. – Von Puppen und Teddybären. – Armer Pepito!

 

Der Anfang in Peru war gemacht, und das war immerhin ein Trost in diesen traurigen Zeiten, wo die Tage tatenlos vergingen und Hunger und Not und die Angst vor dem Morgen mir allenthalben entgegenkam aus allen grauen Gassen. Da war freilich kein Tag, der mir nicht eine schöne Stelle vorgegaukelt hatte, aber wenn man zufassen wollte, da war sie zerronnen in nichts, und oh! nun soll ich wohl noch einmal die Geschichte wiederholen, die ich so oft schon erlebt und erzählt habe in aller Herren Ländern? Die trübe, traurige Geschichte von langen Wanderungen und bösen Enttäuschungen, von kleinen Menschen, die sich zappelnd wehren am Wegrande, während kalt und gleichgültig der große Wagen der Weltgeschichte über sie hinweggeht. Ach, es ist eine gar so alltägliche Geschichte für den, der sie liest oder hört, aber sie ist Leben und Tod, und immer nur allzu neu und interessant für den, der sie erleben muß an jedem neuen Tage.

 

Das Geld war fort, fast bis auf den letzten Centavo, und auf Tausende Kilometer im Umkreis war niemand, der mir auch nur einen Pfennig Kredit eingeräumt hätte.

 

»Bliebe noch der Konsul,« höre ich sagen.

 

Gewiß: aber wie sagten schon die Römer?

 

»Videant consules!«

 

So ein Herr ist gepanzert mit Mißtrauen und vorsichtig in seiner Hilfe. Und das aus guten Gründen, denn wenn er alle lieben Landsleute unterstützen wollte, so würde sich das schnell herumsprechen in ganz Südamerika. Es gäbe eine Wallfahrt zu seiner Tür, und bald müßte er selbst die Unterstützung eines Konsuls in Anspruch nehmen, um sich vor dem Armenhaus zu sichern. Und doch –

 

Wenn ein Engel käme und würde mich an eine maßgebende Stelle in Deutschland setzen, so würde ich zuerst das Konsulatswesen an Haupt und Gliedern reformieren, so würde ich Maßregeln ergreifen, um die reißende Flut des Blutes zu dämmen, das heute wie einst vor unseren Augen ins Ausland fließt.

 

Das Wandern ist ja heute eine Modesache im deutschen Vaterland. Auf allen Wegen sieht man Wandervögel, Zupfgeigen und was immer dazu gehört. Es klingt und singt an allen Enden. Man errichtet Herbergen und Arbeitsstätten, und es ist gut, daß man es tut. Wer aber kümmert sich um den wahren Wandersmann, dem kein Land zu weit, kein Meer zu groß ist, immer unterwegs und nimmer zufrieden. Ist er nicht auch ein Deutscher? Und ist nicht gerade er ein besonders typischer Vertreter des ewig unruhigen, ewig unzufriedenen Geistes unseres Volkes? Ein direkter Nachkomme jener besonderen Abart des deutschen Michels, des abenteuerlichen Simplizius Simplizissimus, der tatendurstig durch die Länder zog, aus purer Lust am Abenteuer, aus Lust am Erleben. Und findet man ihn nicht auf allen Wegen und Umwegen in aller Herren Ländern; oftmals schmutzig, oftmals zerlumpt und abgerissen, aber immer tatendurstig, in mehr als einer Hinsicht ein Sinnbild des faustischen Menschen: »Im Weiterschreiten find' er Qual und Glück, er unbefriedigt jeden Augenblick.« –

 

Ah, wenn andere Völker solches Aktivum hätten! Wie würden sie es einsetzen als einen Faktor in ihrer Rechnung! Wie würden sie es zusammenfassen zu einem Stoßtrupp ihrer Macht und Größe. Wir aber lassen diese überschäumende Volkskraft verkommen auf amerikanischen Landstraßen, verhungern in fremden Städten, verderben in ausländischen Tretmühlen, sterben im Wüstensand in feindlichen Fremdenlegionen, und manche unserer lieben Landsleute im Ausland liefern ihn der fremden Polizei ans Messer und tun sich noch etwas darauf zugute.

 

Wahrlich, es ist niemand so verlassen, wie der deutsche Wandersmann in der Fremde! Aber so war es immer gewesen, solange es Deutsche im Ausland gegeben hat. – Was aber geschieht heute mit den zwanzig Millionen: Mit den zwanzig Millionen, die wirklich zu viel sind im deutschen Vaterland? Mit den armen Abgebauten, den früheren Studenten, Offizieren, die man heute auf allen Landstraßen in Südamerika findet? Leute, an die der Staat ein Vermögen von Erziehungsgeldern auf Universitäten und sonstigen hohen Schulen gehängt hat, und die zu sammeln und zu erhalten die erste Pflicht sein müßte aller derer, die es angeht, wenn anders nicht die Erfahrungen mit den Achtundvierzigern sich wiederholen sollten.

 

Statt dessen –

 

Ich muß zur Illustration dieses »Statt dessens« etwas aus eigener Erfahrung berichten: Das war in einer großen amerikanischen Stadt. Natürlich waren die Zeiten schlecht. Natürlich hatte ich kein Geld und drohend erhob sich die Frage: Was nun? Gab es irgendwo Häuser oder Zäune anzustreichen? Suchte jemand einen Matrosen, einen Hafenarbeiter, einen Hausierer? War irgendwo ein Jahrmarktsrummel, auf dem es etwas zu verdienen gab? Wie war das alles so erbärmlich! Ich besann mich darauf, daß ich doch auch noch etwas anderes gelernt hatte und daß vielleicht auch einmal in dieser Richtung eine rettende Planke zu finden wäre. Das war natürlich eine recht seltsame Idee. Aber man hat zuweilen solche schwachen Stunden.

 

Eine halbe Stunde später stand ich vor dem hohen Konsul. Er schaute mich von oben bis unten an und sagte mir, er wolle sehen, was er für mich tun könne. Er selbst habe ein großes Unternehmen und Landgut und könne mir eine Stelle verschaffen, wenn ich etwas gelernt hätte. Was ich denn wäre, von Beruf?

 

»Doktor der Staatswissenschaften.«

 

»Hm. So. Sonst nichts –«

 

»Nein.«

 

»Können Sie Spanisch?«

 

»Ja. Und Englisch, Französisch ...«

 

»So –«

 

Eine Weile schaute er sinnend auf die Lehne seines Klubsessels. Dann stand er auf, ging einige Schritte auf und ab, blieb wieder vor mir stehen und schaute mich an mit einer Miene des allertiefsten Mitleids.

 

»Das ist schwierig. Was fängt man mit Ihnen an? Haben Sie denn gar – nichts – gelernt?«

 

Nichts gelernt! Das ist das böse Wort, über das drüben jeder mit einer höheren Schulbildung versehene Anfänger stolpert. Ein tüchtiger, ein gelernter Mann ist zum Beispiel einer, der drei Jahre bei Schulzens im Kontor war und hochachtungsvolle Mahnbriefe zu schreiben versteht, ein Mann, der zum Beispiel ordentlich die Fässer übereinanderstellen kann in einer Bierbrauerei. Bist du ein gelernter Barbier, ein Zimmermann, so bist du ein tüchtiger Mann; bist du aber ein Kaufmann, so bist du ein Laufmann, warst du Student, Assessor, so bist du ein Nichts, warst du ein Offizier, so bist du ein Tagedieb. Man wirft dir ein Almosen hin, wenn du hungrig bist – vielleicht, aber das, um dessentwillen du die weite Reise unternommen hast, Arbeit, tüchtige, anständige Arbeit gibt man dir nicht. Man duckt und kuscht dich, wo man kann, und findet eine Art Sport in solchem Tun. – Ja, und wenn dann so ein armes Menschenkind zuletzt zerrieben wird von der harten, ungewohnten Arbeit, wenn seine Kleider verdreckt und verlaust sind, ohne die Möglichkeit der Anschaffung von Ersatz, und das und tausend andere an sich lächerliche Kleinigkeiten ihn hinabziehen in den Sumpf und ewig dort festhalten, dann gibt es gewisse »deutsche« Kreise, die sich in den Sesseln räkeln im Klub von Buenos Aires, die sich nicht genug tun können an moralischer Entrüstung über die »schlechte Qualität der derzeitigen Einwanderer«. Und es sind genug in der alten Heimat, die das kritiklos nachbeten. – – –

 

Doch was wollte ich eben noch erzählen? Dieser Ausflug ins allgemeine Gebiet der sozialen Frage und der Auswandererfürsorge hat mich unversehens weit entführt von der Erzählung meiner eigenen kleinen Erlebnisse, und so muß ich wohl oder übel wieder zurückkehren zu dem Zeitpunkte, wo ich mich verlassen habe, selbst so ein armer, unruhiger, ausgeplünderter Vertreter der zwanzig Millionen, die wir zuviel haben in Deutschland. Mißmutig ging ich noch einmal über die weite Plaza, auf der ich längst schon jeden Stein vom anderen kannte, und jedes Blättchen der Palmen, die da kümmerlich vegetierten in der heißen Sonne.

 

Natürlich war es eine Plaza Grau! Wie konnte es anders sein in Peru? Es ist eine eigenartige Erscheinung, daß die sonst so phantasiebegabten Südamerikaner so wenig von dieser Eigenschaft verraten in der Benennung der Straßen und Plätze ihrer Städte. In Argentinien gruppiert sich jedes kleinste Pueblo unweigerlich um die Plaza San Martin, in Brasilien besorgt das die Praça Ypirenga, in Chile und Peru gibt es keinen noch so unbedeutenden Ort ohne das Denkmal eines Seehelden in allen erdenklichen Positionen. Nur mit dem Unterschied, daß er hier den Admiral Grau und dort den Kapitän Prat darstellt. Was hat es nun auf sich mit Prat und Grau? Grau war der Mann, der mit seinem Panzerschiffe den chilenischen Kreuzer Esmeralda versenkte, dessen Kommandant, der Kapitän Prat, mit Ehren unterging bei wehenden Flaggen. So kamen beide – Sieger und Besiegter–zu ihrem Denkmale und zu ihrer Plaza.

 

Wie dem auch sei: abgesehen von den Namen gleichen sich die...

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