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E-Book

Tausend Geschenke

Eine Einladung, die Fülle des Lebens mit offenen Armen zu empfangen.

AutorAnn Voskamp
VerlagGerth Medien
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783961222117
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Augenblicke. Der Augenblick, das Jetzt, ist alles, was wir haben. Durch wie viele kostbare Momente unseres Lebens sind wir mit weit offenen Augen mitten hindurchgerauscht? Wie viele dieser lachenden, beinebaumelnden Momente haben wir wirklich wahrgenommen? Jemand muss uns aufwecken, uns aufmerksam machen auf das Rauschen von Vogelschwingen, das Plätschern des Bachs, die letzten silbernen Strahlen des Sommers auf dem Wasser. Wir müssen einen Weg finden, um jetzt, in diesem Moment, ganz und gar da zu sein. Die Dankbarkeit für das scheinbar Kleine und Unbedeutende ist die Saat, aus der das große Wunder wächst ... Wie finden wir inmitten des Alltags Freude, Glück, Frieden? Dieses Buch ist ein wunderbar praktischer Ratgeber zu einem Leben in Fülle. Es lädt dazu ein, hinter dem grauen Morgennebel Gottes Segen zu entdecken.

Ann Voskamp ist Autorin und Botschafterin des christlichen Hilfswerks 'Compassion International'. Sie hat Psychologie studiert, ist verheiratet und Mutter von sechs Kindern. Gemeinsam mit ihrer Familie lebt sie auf einer Farm im Südwesten Ontarios. Durch ihren Bestseller 'Tausend Geschenke' erlangte sie Bekanntheit. Dieses Buch würde über 1 Million Mal verkauft und in 20 Sprachen übersetzt.

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Leseprobe

Kapitel eins

ein leereres, erfüllteres Leben

Jede Sünde ist ein Versuch, der Leere zu entfliehen.

Simone Weil, Schwerkraft und Gnade

Es ist August. Glutrot steht die Sonne am Himmel. Der Tag, an dem diese Geschichte beginnt, ist der Tag meiner Geburt. Ich beginne zu leben.

Ich komme aus dem Leib meiner Mutter, durchbreche diesen Ring aus Feuer und kämpfe mich heraus. Zum ersten Mal entfalten sich meine Lungen und füllen sich mit der Luft dieser Erde. Wie jeder kleine Mensch komme auch ich mit geballten Fäustchen auf die Welt.

Ich hatte ihren runden Bauch ausgefüllt, nun lasse ich sie leer zurück – blutend. Verschmiert und weinend werde ich ins Licht gehoben.

Sie geben mir einen Namen.

Gibt es einen kürzeren Namen? Nur drei Buchstaben, nicht einmal ein schmückendes e am Ende – „Ann“ werde ich genannt, ein Trio aus Strichen und Kurven – mein Name.

„Voller Gnade“ bedeutet er.

Doch davon bin ich weit entfernt.

Wie lebt man voller Gnade? Wann ist man vollkommen lebendig?

Sie waschen meine klebrige Haut. Ich atme und wehre mich. Ich schlage um mich.

Seitdem, jahrzehntelang, mein Leben lang, habe ich nicht aufgehört, mich zu wehren, um mich zu schlagen und zu kämpfen. Und dennoch bleibe ich … so leer. Ich lebe nicht das, was das Christentum mich lehrt.

Vielleicht war es anders, in den ersten Jahren, als mein Leben sich vorsichtig entfaltete, als ich – mit zwei hohlen, aneinandergelegten Händchen – offen war für alles, was Gott in mich hineinlegen wollte. Aber an diese Jahre erinnere ich mich nicht. Das Gedächtnis wird durch traumatische Erlebnisse wachgerüttelt, sagt man. Ich war vier. In diesem Jahr, als sich die Blutlache bildete und meine Schwester starb, verschloss ich mich, genau wie alle anderen, gegenüber der Gnade.

g

Durch das Fenster neben der Haustüre beobachte ich meine Eltern, die fassungslos am Boden knien, und ich frage mich, ob mich meine Mutter damals, als sie mir meinen Namen gegeben hat, ebenso in ihren Armen gehalten hat wie jetzt meine tote Schwester.

Im fahlen Novemberlicht sehe ich meine Eltern auf den Stufen der Veranda, wie sie den eingehüllten Körper in ihren Armen wiegen. Ich presse mein Gesicht gegen die Scheibe des Küchenfensters, spüre das kalte Glas, beobachte sie. Ihre Lippen formen Gebete, doch sie sind anders als unsere Gutenachtgebete, es sind Schreie zu Gott, ein Flehen um Auferweckung, Wiederherstellung, Wunder. Nichts geschieht. Nur die Polizei kommt. Berichte werden geschrieben, rot sickert das Blut aus dem Bündel. Ich kann es heute noch sehen.

Die Erinnerung verblasst nicht.

Die Farbe ihres Blutes hat sich mir eingebrannt, doch mehr noch ihr Anblick, sie dort, am Boden, totgefahren. Auf kurzen Beinchen ist sie den Weg entlanggelaufen, hinter einer Katze her. Ich sehe den Fahrer des Lieferwagens, er sitzt am Küchentisch, hat seinen Kopf in den Händen vergraben und schluchzt. Er hat sie nicht gesehen. Aber ich sehe sie, immer noch, ich kann den Anblick nicht vergessen. Ihr Körper, klein und zerbrechlich, zerquetscht unter dem Gewicht des Lastwagens, mitten in unserer Einfahrt. Blut sickert in die trockene Erde, wo Reifen ihre Spuren eingegraben haben. In diesem Moment steht das Universum still. Hände, die entgegengenommen haben, schließen sich. Noch immer höre ich den Schrei meiner Mutter, einer Augenzeugin, sehe die aufgerissenen Augen meines Vaters, riesengroß und voller Entsetzen.

Meine Eltern ziehen nicht vor Gericht. Sie sind Farmer, sie versuchen zu atmen, weiterzuleben, weiterzumachen – in der Hoffnung, dass dabei auch die Seele heilt. Mama weint, während sie die Wäsche aufhängt. Sie stillt unsere jüngste Schwester, die erst drei Wochen alt ist. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es ihr geht, meiner Mutter, die gerade erst ihr viertes Kind entbunden hat und ihr drittes Kind blutig auf den Steinen liegen sieht. Sie hat nicht genug Milch für das Baby, sie hat nicht genug Tränen für ihre tote Tochter. Unzählige Male erzählt Papa uns nach dem Essen die Geschichte der kleinen Schwester, deren Augen klar und blau waren wie ein uferloser Bergsee. Er erzählt, wie sie ihn immer so fest umarmte hat, mit kräftigen Ärmchen, mit denen sie sich an seinen Nacken klammerte. Ihr Tod war ein Unfall, das verstanden wir. Aber wie konnte Gott diesen Unfall zulassen?

Jahrelang wandelt meine Schwester durch meine Träume. Immer wieder sehe ich ihren zerschmetterten Körper auf dem steinigen Weg. In manchen Träumen hülle ich sie in die Decke, die Mama für sie genäht hat, hellgrün, mit handgestickten Kindermotiven. Entschlossen schlage ich die Zipfel um sie, fest und sicher packe ich sie ein. Ich warte, dass sie sich aus der Decke befreit und wieder lebendig wird. Doch die Erde tut sich auf und verschlingt sie.

Wir stehen am Abgrund des Grabes, Erde klebt an unseren Schuhen, der Himmel über uns stürzt ein. Erdklumpen treffen auf den Sarg und zerfallen. Erde fällt auf meine kleine Schwester mit den hellblonden Haaren, die kleine Schwester, die mich lachend geneckt hat. Sie warf ihr Köpfchen in den Nacken und lachte laut, ihre hellen Wangen strahlten vor Vergnügen, sie war so lebendig, so voll herzlicher Freude. Der Grabstein wird flach auf die Erde gelegt, schwarzer Granit. Keine Zahlen sind eingraviert, nur die fünf Buchstaben ihres Namens: Aimee, „Geliebte“. Das war sie.

Wir haben sie so sehr geliebt. Und als der Stein ihr Totenbett verschließt, verschließen sich auch unsere Seelen.

Wir sind unerreichbar für die Gnade.

g

Wer ein Kind zu Grabe trägt – oder wer auch nur jeden Tag aufstehen muss, um sein hartes Leben zu leben –, der stellt sich tonlos die Frage, die keiner hört. Kann es einen gnädigen Gott geben? Einen Gott, der Gutes gibt, wenn das Kinderbett leer bleibt, Nacht für Nacht, während Würmer sich durch den Sarg fressen? Wo ist Gott wirklich? Wie kann dieser Gott gut sein, wenn kleine Kinder sterben, Ehen auseinanderbrechen und Träume verwehen wie Staub im Wind? Wo ist die Gnade, wenn Krebs sich ausbreitet, wenn Einsamkeit an der Seele nagt, wenn Teile unserer Persönlichkeit in uns absterben, lautlos, ohne Grund davongetragen werden wie Erdschichten vom Regen? Wo zeigt sich da die Freude am Herrn? Wo verbirgt sich dieser Gott, der die Erde mit seiner Güte erfüllt? Wie kann ich das Leben in vollen Zügen genießen, wenn ich von so viel Schmerz umgeben bin? Wie kann ich Freude, Gnade, Schönheit, all das Gute wahrnehmen, das zu einem Leben in Fülle gehört, während ich vor Trauer wie taub bin, vor dem Scherbenhaufen meines Lebens stehe und innerlich immer leerer werde, ganz gleichgültig, was ich tue?

Meine Familie – Vater, Mutter, Bruder und jüngste Schwester –, wir alle quälen uns über Jahre mit diesen Fragen, ohne sie auch nur einmal auszusprechen. Jahrelang bleiben wir innerlich leer. Dann füllen sich unsere Seelen allmählich – mit Entfremdung. Unsere Hände bleiben zu Fäusten geballt. Was Gott uns an jenem Novembertag zugemutet hat, reißt tiefe Wunden. Weitere Verletzungen werden wir nicht riskieren.

Jahre später sitze ich am Rand unserer braun karierten Couch, mein Vater hat sich der Länge nach über die restliche Fläche ausgestreckt. Den ganzen Tag ist er mit dem Traktor unterwegs gewesen, Sonne und Wind ausgesetzt, jetzt bittet er mich, seinen Kopf zu massieren. Ich streiche die Haare um seinen Wirbel glatt, über den kreisförmigen Abdruck seiner Mütze, von der Stirn zum Nacken. Während er die Augen schließt, kann ich ihm Fragen stellen, die nie über meine Lippen gekommen wären, hätte er mich angesehen.

„Bist du früher zur Kirche gegangen? Ganz früher?“ Zwei benachbarte Familien holen mich sonntags immer abwechselnd zum Gottesdienst ab, wenn ich im gebügelten Kleid und mit der Bibel in der Hand bereitstehe. Papa arbeitet dann immer.

„Ja, als Kind bin ich zur Kirche gegangen. Deine Oma hat dafür gesorgt, dass wir jeden Sonntag nach dem Melken hingegangen sind. Das war ihr sehr wichtig.“

Mein Blick bleibt auf seine dunklen Haarsträhnen gerichtet. Mit meinen Fingern glätte ich die zerzausten Stellen.

„Ist es dir jetzt nicht mehr wichtig?“ Die Frage, flüsternd nur, scheint zwischen uns zu schweben.

Er schiebt seine karierten Hemdsärmel nach oben, dreht seinen Kopf, lässt die Augen geschlossen. „Na ja …“

Ich warte, kämme mit den Fingern durch sein Haar, lasse ihm Zeit, um Worte zu finden für dieses vage Gefühl, das sich nur schwer in klaren Sätzen mit Punkt und Komma einfangen lässt.

„Nein, ich glaube nicht. Als Aimee starb, habe ich mit dem Thema abgeschlossen.“ Ich schließe die Augen, krümme mich zusammen. Die Bilder explodieren in meinem Inneren.

„Falls da oben wirklich einer ist, dann war er damals wohl gerade eingeschlafen.“

Ich sage nichts. Der Klumpen in meinem Hals brennt. Ich höre nicht auf, über sein Haar zu streichen, möchte seinen Schmerz lindern. Er lässt noch mehr Gefühle zu, versucht, sie in Worte zu fassen.

„Wie kann jemand ein so süßes kleines Mädchen diesen sinnlosen, grausamen Tod sterben lassen? Sie ist nicht einfach gestorben. Sie wurde umgebracht.“

Die Worte verzerren sein Gesicht. Ich möchte ihn streicheln, bis es nicht mehr wehtut, möchte alles wegwischen. Seine Augen bleiben geschlossen, aber jetzt schüttelt er heftig den Kopf, schreit allem, was an jenem schrecklichen...

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