2. Die Eltern
Louis Henri Fontane wurde am 24. März 1796 in Berlin geboren. Sein Vater war der Maler und Zeichenlehrer Pierre Barthélemy Fontane, 1757 in Berlin geboren, 1826 dort gestorben. Die Familie Fontane stammte aus der französischen Kolonie, wie es hieß, also aus der Gemeinschaft der französischen Protestanten, der Hugenotten, die hundert Jahre zuvor, aus Frankreich fliehend, in Preußen eingewandert waren. Die Malkunst des Pierre Barthélemy beschränkte sich, so sein Enkel, auf das Kopieren englischer Werke, doch als Zeichenlehrer hatte er Erfolg. Zu Beginn des Jahres 1800 kam er an den Hof, er wurde Zeichenlehrer der ältesten königlichen Prinzen, und Königin Luise zog ihn als Kabinettsekretär in ihren Dienst. Dabei mag das Urteil des Bildhauers Gottfried Schadow, wenn auch nicht ohne Neid gesprochen, zutreffend sein: «Ein Herr Fontane, seines Zeichens Maler, ist Kabinettsekretär der Königin geworden; er malt schlecht, aber er spricht gut französisch.» (Kin, 8) So zitiert der Enkel aus Schadows Tagebuch. Nach der Niederlage bei Jena und Auerstedt 1806 gegen Napoleons Truppen flüchtete die königliche Familie nach Königsberg. Ihren Zeichenlehrer Pierre Barthélemy Fontane versorgte sie noch zuvor. Er wurde Kastellan des Schlosses Niederschönhausen.
Das ist ein bescheidener, wohlproportionierter Bau, einst der Sitz der Frau König Friedrichs II., des alten Fritz, der sie dort weit weg von Potsdam unterbrachte, damit er sie nicht zu Gesicht bekam. 1740 schenkte er Königin Elisabeth Christine dieses Schloss als Sommerresidenz, den Winter verbrachte sie im großen Berliner Schloss, während ihr Mann in Potsdam residierte. Das Haus steht heute noch, renoviert und zugänglich am Rande von Pankow in einem Park an dem Flüsschen Panke. Dort wuchs Louis Henri auf, Sohn aus der ersten Ehe seines Vaters mit Louise Sophie Deubel, die aus einer westfälischen Familie stammte. Sie starb ein Jahr nach der Geburt ihres Sohnes. Der Vater heiratete noch zweimal. «Von hier aus besuchte mein Vater», so Theodor Fontane in Meine Kinderjahre, «also wahrscheinlich bis Herbst 1809 das Gymnasium zum Grauen Kloster. Es waren harte Schuljahre, denn der weite, wenigstens anderthalb Stunden lange Weg nach Berlin erforderte, dass jeden Morgen spätestens um sechs Uhr aufgestanden werden musste.» (Kin, 8) Man kann es heute noch ausprobieren und vom Schloss Niederschönhausen bis in die Mitte Berlins laufen, es sind mehr als zwölf Kilometer. Der Schulweg war besonders im Winter eine entsetzliche Strapaze, auch als die beiden Jungen, Louis Henri lief zusammen mit seinem Bruder, endlich warme Mäntel erhielten, denn diese waren von der Art, dass sie das Gespött der anderen Jungen hervorriefen. Louis Henri hielt drei Jahre durch, dann nahm er Abschied mit 13 Jahren. Und damit endete auch seine Schulbildung.
In diesem Punkt ist er in der Familie Fontane nichts Außergewöhnliches. Alle, die von den Refugiés, den französischen Einwanderern, besonderen Fleiß und Ehrgeiz erwarteten, was bei den meisten auch der Fall war, werden von der Familie Fontane enttäuscht, denn auch Theodor Fontane schaffte nicht das Abitur. Als sein zweiter Sohn, ebenfalls Theodor genannt, zum Erstaunen des Vaters nicht nur das Abitur bestand, sondern auch noch «primus omnium», der beste von allen war, schrieb er ihm einen anerkennenden Brief am 27. März 1875: «Mein lieber alter Theo. Ich glaube nicht nur, dass Du der erste ‹primus omnium› in der Familie bist, ich bin dessen gewiss. Nach meiner durch vier Generationen gehenden Kenntnis zählt es zu den fragwürdigen Vorzügen unseres Geschlechts, dass nie ein Fontane das Abiturexamen gemacht, geschweige vorher die Stelle eines primus omnium bekleidet hat. Der Durchschnitts-Fontane […] ist immer aus Oberquarta [nach der dritten Klasse des Gymnasiums] abgegangen und hat sich dann weitergeschwindelt, das beste Teil seiner Bildung aus Journalen dritten Ranges zusammenlesend.» Das war denn auch bei Louis Henri der Fall, was dieser aber später nicht als Nachteil, sondern als Vorteil sah, worin er von seinem Sohn unterstützt wurde.
Die Mutter Emilie Fontane. Porträt von Pierre Barthélemy Fontane, 1817.
Wie Louis Henri auf die Idee kam, Apotheker zu werden, ist nicht überliefert. Es gibt kein Beispiel für diesen Beruf in der Familie oder in der Kolonie. Dass sein ältester Sohn Theodor ebenfalls zunächst diesen Beruf ergriff, geschah wohl genauso wie beim Vater aus Verlegenheit. Er wusste keinen besseren, den er rasch ergreifen konnte. Und wie der Sohn unzufrieden in diesem Beruf war, so dass er schließlich einen anderen wählte, so auch der Vater. Nur dass dieser nie zu einem anderen Beruf kam und dass vor allem dies sein lebenslanges Ungenügen begründete, was ihn dann zur Spielsucht führte.
Apotheker war damals ein Beruf, den man ohne Studium erlangen konnte. Nach einer gewissen Lehrzeit in einer Apotheke und nach einem Examen, «damals nicht viel mehr als eine Formsache», schreibt Theodor Fontane, konnte man den Beruf ausüben (Kin, 17). 1818 bestand Louis Henri als 22-Jähriger das Apotheker-Examen zweiter Klasse. Zuvor hatte er eine junge Frau kennengelernt und sich mit ihr verlobt. Nachden er das Examen hatte, heirateten sie, kauften mit vereinten Mitteln eine Apotheke, die Löwen-Apotheke in Neuruppin, und zogen dorthin. Damit beginnt Theodor Fontanes «autobiographischer Roman»: «An einem der letzten Märztage des Jahres 1819 hielt eine Halbchaise vor der Löwen-Apotheke in Neuruppin und ein junges Paar […] entstieg dem Wagen und wurde von dem Hauspersonal empfangen. Der Herr […] war erst dreiundzwanzig, die Dame einundzwanzig. Es waren meine Eltern.» (Kin, 7) Neun Monate später, am vorletzten Tag des Jahres 1819, am 30. Dezember, wurde der älteste Sohn des Paares geboren: Henri Théodore Fontane. Theodore mit Akzent auf dem ersten e und Fontane nasal, also französisch ausgesprochen.
Der Vater Louis Henri Fontane. Bleistiftzeichnung von Helmuth Raetzer, 1859.
Louis Henri Fontane war 1819 keineswegs ohne jegliche Erfahrung, wie er später zu seiner Entschuldigung gerne anführte, er hatte die blutigste durchgestanden: den Krieg. 1809 war er als Lehrling in die Berliner Elefanten-Apotheke am oberen Ende der Leipziger Straße eingetreten und hätte dort auch brav seine Lehrzeit bis 1813 vollendet, wenn nicht der Aufruf König Friedrich Wilhelms III. erfolgt wäre: Zu den Fahnen. Es ging gegen Napoleon. Die Befreiungskriege begannen. Er kürzte seine Lehrzeit um ein halbes Jahr ab und meldete sich als Freiwilliger mit kaum siebzehn Jahren. «Du warst wohl sehr patriotisch», fragte ihn der Sohn. «Nein, höchstens Durchschnitt.» Und der Vater erzählte eine Geschichte, die er erlebt und die ihn tief beeindruckt hatte. Eine feine Dame, wohl von Adel, trat in einen Laden, in dem auch Louis Henri sich gerade aufhielt, es war das Tuchgeschäft Köppen und Schier in der Burgstraße. Hinter der Theke stand ein hübscher junger Mann. Die Dame wunderte sich, ihn hier zu sehen. «Ich stehe hier lieber als anderswo», erwiderte der Junge, worauf ihm die Dame eine schallende Ohrfeige gab und verschwand. (Kin, 11) Der Druck, als junger Mann sich freiwillig der Armee anzuschließen, war also enorm. Louis Henri gab ihm nach.
Der Siebzehnjährige erhielt ein Gewehr, eine Büchse, die nicht recht funktionierte, doch auch wenn sie geschossen hätte, hätte er nicht getroffen, so der Vater. Die Büchse stand sein Leben lang in einer Ecke der Wohnung, die er jeweils bewohnte. Mit etwa fünfzig anderen Freiwilligen kam er ohne rechte Ausbildung in ein Garde-Bataillon. Der Hauptmann, der sie dorthin führte, ließ sie antreten und stellte fest: «Wenn unser allergnädigster König und Herr darauf angewiesen ist, mit Ihnen den Kaiser Napoleon zu besiegen, tut er mir jetzt schon leid.» Vier Wochen nach seinem Eintritt in die Armee nahm er an der Schlacht bei Groß-Görschen teil und danach an der bei Bautzen. Er hatte Glück. Eine Kugel traf ihn, aber sie ging in seinen Tornister, durchbohrte seine Wäsche und blieb in den Pergamentblättern der dicken Brieftasche stecken. Die Brieftasche mit der Kugel darin war neben der Büchse viel bestauntes Überbleibsel der ruhmreichen Militärzeit des Vaters. Im Sommer 1814 war diese Zeit zu Ende. Der Vater «konditionierte» in etlichen Apotheken, wie das damals hieß, er arbeitete also als Praktikant bis zu seinem Examen...