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Theorie der Schule

Institutionelle Grundlagen pädagogischen Handelns

AutorHanna Kiper
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl304 Seiten
ISBN9783170239180
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis31,99 EUR
Diese profunde Einführung in die Institution und Organisation Schule beschreibt ihre Funktionen für die Gesellschaft und für das Individuum. Gleichzeitig zeigt sie, wie die hier Tätigen als Akteure an der Gestaltung der Schule beteiligt sind und welche Spielräume sie für pädagogisches Handeln haben. Es wird exemplarisch ebenso auf die heute anstehenden Aufgaben der Schule (Gestaltung der Ganztagsschule, inklusive Schule) eingegangen wie auf neue gesellschaftliche Herausforderungen (z. B. digitale Revolution, Globalisierung). Die Autorin betont die Dringlichkeit, dass die Schule, besonders in Zeiten schulkritischer Stimmungen, über sich selbst aufklärt und ihren Beitrag zur Förderung relevanter Hintergrundfähigkeiten zur Sicherung der Zivilgesellschaft (Fähigkeit zu Kommunikation, Kooperation, Konfliktlösungen) leistet. Die Möglichkeiten zukunftsweisenden pädagogischen Gestaltens und Veränderns innerhalb der Einzelschule und des Schulsystems werden theoriegeleitet diskutiert.

Dr. phil. habil. Hanna Kiper ist Professorin für Schulpädagogik und Didaktik an der Universität Oldenburg.

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Leseprobe

1          Zur Bedeutung einer Theorie der Schule


Die Schulpädagogik hat keine alleinige Definitionsmacht mit Blick auf die Schule und die Theoriebildung über die Schule. Vielfältige gesellschaftliche Akteure diskutieren über die Schule, ihre Ziele, Zwecke und Funktionen und über ihre institutionelle Gestalt. Dabei werden unterschiedliche Positionen eingenommen. Lehrpersonen heute sehen sich einer Situation gegenüber, in der sie sich gegenüber der Schule und in der Schule positionieren und ihre Sicht erklärend darlegen müssen. Daher scheint es mir sinnvoll, über die Schule als soziale Tatsache nachzudenken. Ich ziehe dazu die Überlegungen von John R. Searle und Hermann Giesecke heran, die Institutionen (wie die Schule) als soziale Tatsachen erklären und zeigen, wie sie durch das Handeln der Akteure hergestellt und gestaltet werden. Die Schule als gesellschaftliche Institution ist in staatliche Strukturen eingebunden; dabei delegiert der Staat die Wahrnehmung der Aufgaben an die Lehrkräfte. Diese handeln sowohl im Interesse des Staates als auch im eigennützigen Interesse; diese eigennützigen Interessen sollen durch die (Selbst-)Verpflichtung auf den Erwerb von Kompetenzen und ein Berufsethos begrenzt werden. Ich diskutiere Formen der Einflussaufnahme auf die Richtung der Schulentwicklung durch staatliche Steuerungsinstrumente und durch die Stärkung des Einflusses der Öffentlichkeit. Mit Jürgen Habermas zeige ich, dass Menschen auf die Richtung der Schulentwicklung durch Beteiligung an Diskursen in der Bürgergesellschaft über die Art der Modernisierungs- und Reformprozesse von Schule Einfluss nehmen können. Abschließend erörtere ich die Bedeutung von Theorie für das Denken über und das Handeln in der Schule.

Gesellschaftliche Diskurse über Schule – ein erster Streifzug


Die Schule ist heute keine gesellschaftliche Institution mehr, die unhinterfragt akzeptiert wird. Wir finden »Absetzbewegungen« von der Schule durch Lehrkräfte, die dazu auffordern, ihre Schule zu schließen, weil es – angesichts mangelnder Akzeptanz ihrer Grundlagen – unmöglich wird, Schule abzuhalten. Wir treffen auf Eltern, die die Schule kritisieren oder/und ihre Kinder von der Schule fernhalten und eine Unterrichtspflicht statt einer Schulpflicht einfordern (vgl. Haym 2012). Wir begegnen Lehrkräften, Eltern und Schüler/innen, die sich – trotz oder gerade aufgrund ihrer Tätigkeit in der Schule oder des Schulbesuchs (der Kinder) – von der Schule distanzieren. In unterschiedlichen öffentlichen und pädagogischen Diskursen finden wir disparate explizite oder implizite Bestimmungen ihres Charakters und ihrer Aufgaben. Im reformpädagogischen Diskurs wird die Schule als Institution kritisch gesehen; ihr Anstaltscharakter wird angeklagt und alternativ die Gestaltung einer Gemeinschaft von Lehrpersonen und Kindern und Jugendlichen eingefordert. (Diese kann hierarchisch oder symmetrisch gedacht werden). Lehrer sollen als Persönlichkeiten wirken; Kinder werden als gut, begabt, interessiert und zum eigenständigen Lernen befähigt gedacht. Sie dürfen selbst aussuchen, ob, was und wie sie lernen wollen. Sie dürfen in dem ihnen eigenen Tempo vorgehen. Manchmal geht die schulkritische Position so weit, dass Lehren und Lernen selbst eher verpönt wird. Die Erwachsenen sehen sich nicht in der Rolle als Lehrpersonen und Erzieher/innen, sondern als Begleiter, Beobachter, manchmal sogar schwärmerische Bewunderer dieser »göttlichen« Kinder. Sie übernehmen keine Verantwortung für den Lernprozess der Kinder und Jugendlichen. Die Interaktion zwischen den Schüler/innen und den Erwachsenen wird nicht als Auseinandersetzung mit den Lerngegenständen begriffen, sondern als eigener Wert verstanden.

Im Diskurs der Lehrerverbände wird die Aufmerksamkeit vor allem auf die Schule als Arbeitsplatz und auf die Sicherung von Rahmenbedingungen für eine gute professionelle Arbeit gerichtet.

In Positionspapieren der Arbeitgeberverbände wird die Schule als Institution des Staates kritisch diskutiert; die neue Leitidee versteht die Schule als Dienstleistungsbetrieb. Lehrer/innen werden als »Führungskräfte« verstanden. Quer zu dieser Bestimmung werden sie zugleich als Personal, das flexibel am Arbeitsmarkt eingekauft, eingesetzt, aber auch entlassen werden kann, gefasst. Lehrer werden nicht als Angestellte oder Beamte des Staates verstanden, die ein Amt innehaben und es entsprechend ausgestalten sollen und somit den Schüler/innen und der Gesellschaft verpflichtet sind. Nein, die Schüler/innen resp. ihre Eltern werden im »Dienstleistungsunternehmen Schule« als »Kunden« verstanden, die »Dienstleistungen« nachfragen. Bildung wird für den Einzelnen zur Investition, die sich rechnen soll. Dabei wird aus einem öffentlichen Gut ein Individualgut; es wird nicht mehr (weitgehend) kostenfrei bereitgestellt, sondern soll bezahlt werden. Die Beziehungen innerhalb der Schule sollen an ökonomischen Prinzipien ausgerichtet werden. Die Schule als Betrieb – so die Idee – soll sich die Lehrkräfte ebenso wie die Schüler/innen selbst aussuchen können. Die Schulen treten miteinander in einen Wettbewerb um (gute) Schüler/innen und um eine Elternschaft aus einem sozialen Milieu, die auch in der Lage ist, die Schule durch zusätzliche Spenden oder Formen der Zuarbeit zu unterstützen. Die von den Schulen erteilten Berechtigungen sollen nicht mehr die Eintrittskarte in weiterführende Systeme sein. Stattdessen sollen jeweils aufnehmende Systeme (Schulen und Hochschulen) ihre Schüler, Studenten oder Auszubildenden nach eigenen Anforderungen und Auswahlkriterien selbst auswählen.

Denkfiguren aus dem medialen Diskurs und dem dominanten Zeitgeist halten Einzug in Schule und Unterricht. Dirk Kutting setzt sich mit dabei vorhandenen Leitideen kritisch auseinander und fasst einige so zusammen:

»Der Mensch ist nicht mehr als ein höheres Tier. Der Mensch ist nicht mehr als sein Gehirn. (…). Der Mensch ist nicht mehr als eine autopoetische Maschine. Der Mensch erfährt keine Wirklichkeit, sondern seine Konstruktionen. Der Mensch ist kein Subjekt, das selbstbewusst frei Entscheidungen treffen kann, weil seine neuronalen Strukturen ihn determinieren. Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners. Wahrnehmung ist eine virtuelle Simulation von dem, was wir Wirklichkeit nennen. Unser Ich ist eine Fiktion, ein Traum des Gehirns. Dieses ›Ich‹ ist nicht im moralischen Sinne für das verantwortlich, was das Gehirn tut« (Kutting 2010, 35).

Er zeigt, dass damit »zwei grundlegende Voraussetzungen der Institution Schule diskursiv den Lehrern« genommen werden: »Die Frage nach dem Verstehen und der Aneignung unserer gegenständlichen Wirklichkeit und die Frage nach der Person, die diese Wirklichkeit verstehen und sich aneignen will« (ebd., 41). Nach Kutting sollte es in der Schule nicht darum gehen, eine Orientierung des »Das kann jeder sehen wie er will« durchzusetzen, sondern die Haltung zu fördern, etwas wissen zu wollen: also wissen zu wollen, wie etwas ist und darüber zu streiten (ebd. 2010, 46).

Die unterschiedlichen Auffassungen über den Charakter von Schule, ihre Aufgaben und Leistungen, können vielleicht mit als Ursachen für Fehlentwicklungen verstanden werden. Eine besteht darin, dass die Schule ihren Auftrag vergisst. »Das ist eine Schule, der ein klares Koordinatensystem fehlt und die sicheren Boden unter die Füße bekommen muss, um ihren Aufgaben gerecht zu werden« (ebd., 10). Kutting benennt als Fehlentwicklung, »wenn die Institution Schule mit unklaren Anforderungen überfrachtet wird, wenn Erwartungen geweckt werden, die nicht erfüllt werden können und wenn Eigeninteressen vor das öffentliche Interesse gestellt werden« (ebd., 10).

Zur Realutopie einer funktionierenden Schule


Es mehren sich Stimmen, die die Realutopie einer funktionierenden Schule formulieren. So schreibt Peter Brenner: »Die Schule der Zukunft ist die funktionierende Schule. Die Schule muss wieder in die Lage versetzt werden, ihre Aufgabe zu erfüllen: sie muss eine Schule sein, in der Unterricht erteilt wird und nicht ausfällt; eine Schule, in der Schüler Wissen und Fertigkeiten vermittelt bekommen; eine Schule, die dafür sorgt, dass jeder ihrer Schüler am Ende lesen, schreiben und rechnen kann und die jedem Schüler jenes kulturelle Grundwissen vermittelt, das nötig ist, um dem Zerfall der sozialen Bindekraft entgegenzuwirken« (Brenner 2006, 195). Nach Dirk Kutting hat die Schule ihre eigene Rationalität. Diese benennt er mit dem Begriff der »geerdeten« Schule.

Die geerdete Schule »gestaltet den Übergang der nächsten Generation ins Erwachsensein. Die geerdete Schule lässt sich ihre wichtige Aufgabe nicht schlechtreden. Sie nimmt Abschied von überspannten Hoffnungen und Erwartungen. In ihr arbeiten ausreichend gute Lehrerinnen und...

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