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Therapeutisches Chaos

Realistische Einblicke in die Komplexität menschlichen Verhaltens

AutorGuido Strunk, Günter Schiepek
VerlagHogrefe Verlag GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl155 Seiten
ISBN9783840924972
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis23,99 EUR
Wie funktioniert Psychotherapie? Auf diese zentrale Frage gibt wohl jede Therapierichtung eine andere Antwort. Optimisten glauben, dass menschliches Verhalten grundsätzlich verstanden werden kann und psychische Probleme bei Kenntnis ihrer Ursachen durch handwerklich korrekte Therapien behoben werden können. Das bezweifeln die pessimistischen, die den Menschen für grundsätzlich nicht verstehbar halten. Vielfältige Umwelteinflüsse, ein freier Wille, das Chaos der Gefühle und eine sich immer schneller verändernde Welt würden dazu führen, dass man letztlich gar nichts wissen könne. Vor diesem Hintergrund erscheint Psychotherapie als schwer erlernbare Kunst. Wie häufig liegt die Wahrheit wohl in der Mitte. Weder sind Menschen triviale Maschinen, noch ist ihr Verhalten gar nicht verstehbar. Die vorliegende Einführung in die Chaosforschung für Psychotherapeutinnen und -therapeuten bietet eine wissenschaftlich fundierte Antwort auf die Frage nach der organisierten Komplexität menschlichen Verhaltens. Psychotherapie auf der Grundlage der modernen Komplexitätsforschung akzeptiert die Nichtvorhersagbarkeit menschlichen Verhaltens, aber steht ihr nicht hilflos gegenüber.

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Kapitelübersicht
  1. Inhaltsverzeichnis
  2. 1 Einleitung
  3. 2 Eine Landkarte fu¨r die Komplexität
  4. 3 Verstärken, Regulieren und Mischen
  5. 4 Merkmale des Komplexen
  6. 5 Psychotherapeutische Veränderung als Ordnungsu¨bergang
  7. 6 Alles nur bunte Theorie?
  8. 7 Schon Schluss?
  9. Literatur
  10. Sachregister
Leseprobe
3.2 Geschichten als lineale Ereignisabfolgen Mit Recht kann man behaupten, dass der Mensch erst durch seine „Geschichten“ zum Menschen wird . Nicht nur erzählen Menschen gerne, sie erfinden sich und ihre Umwelt in ihren Geschichten, ordnen sich selbst und ihr Tun in einen Kontext ein und verorten sich so in ihrem sozialen Raum . Daher haben in wohl allen Psychotherapieschulen Fallgeschichten eine große Bedeutung und nimmt die Arbeit mit den Geschichten der Klientinnen und Klienten einen breiten Raum ein – so etwa in den narrativen Ansätzen der Systemischen Therapie (Anderson & Goolishian, 1990; Grossmann, 2000) . Eine Fallgeschichte berichtet als komprimierte Erzählung über aktuelle Lebensumstände, Problemlagen, Vorgeschichten (Anamnese) und – falls die therapeutische Arbeit bereits abgeschlossen ist – auch über diese hinaus (Katamnese) . Aus der Perspektive qualitativ orientierter Systemtheorien der Kybernetik 2 . Ordnung sind solche Narrationen im sozialen Diskurs verhandelbare Konstruktionen, so dass Therapien oft alternative Deutungen anbieten und die vermeintliche Ausweglosigkeit von Problemgeschichten hinterfragen (de Shazer, 1992) .

Zentral erscheint uns in diesem Zusammenhang die Auflösung typisch linealer Erzählmuster . Meist beginnen Erzählungen in der Vergangenheit und der Erzählfluss wird durch die vergehende Zeit in eine Verlaufsrichtung kanalisiert . Wer kennt nicht die Aufgabe aus der Grundschulzeit, bei der es darum geht, eine durcheinander geratene Bildergeschichte „richtig“, das heißt zeitlich zu ordnen . Geschichten mit Zeitsprüngen und Rückblenden sind relativ neue Formen des Erzählens und nicht selten intellektuell und emotional weit anspruchsvoller als die normal-geradlinige Erzählung, die wir aus Märchen, der Bibel oder im Alltag kennen . Eine lineal-geradlinige Erzählung entwickelt einen starken Sog ins Faktische: Ereignisse, die zeitlich aufeinander folgen, entsprechen unserer Vorstellung von der natürlichen Ordnung der Dinge . Für viele Klientinnen und Klienten ist es evident und nicht diskutierbar, dass ihre Problemgeschichte bereits in früher Kindheit begann und die vermeintlichen Leiden der Kindheit sowohl Tatsachen darstellen als auch ursächlich für heutige Probleme sind . Man vergleiche dazu das idiografische Systemmodell der anorektischen Klientin, welches wir in Abbildung 4 in fünf Schritten vorgestellt haben . Eine andere Erzählreihenfolge wäre ebenso möglich gewesen und hätte eventuell zu einem ganz anderen Eindruck über die Rolle der Eltern geführt . Die häufig kreiskausalen Rekursionsschleifen und vielfältigen Rückkoppelungen in Systemdarstellungen machen deutlich, dass man die Erzählfolge auch anders durchlaufen und damit Zusammenhänge in unterschiedlicher Weise konstruieren könnte, was fast zwangsläufig zu alternativen Sichtweisen und „kognitiven Umstrukturierungen“ führt . Freud zum Beispiel hat mitunter hinterfragt, ob die Kindheitsberichte seiner Klientinnen und Klienten reale Erinnerungen seien . Es könnte sich ebenso gut um Projektionen heutiger Probleme in die Vergangenheit handeln, mit dem Ziel, die als natürlich erlebte zeitliche Ordnung des Ereignisstroms einzuhalten . Lineale, also geradlinige Ereignisfolgen (siehe das Beispiel in Abb . 5) orientieren sich am Lauf der Zeit und ordnen Ereignisse nach Ursache und Wirkung, so dass die Ursache immer vor der Wirkung geschieht .
Inhaltsverzeichnis
Therapeutisches Chaos1
Inhaltsverzeichnis7
1 Einleitung9
2 Eine Landkarte fu¨r die Komplexität11
3 Verstärken, Regulieren und Mischen16
3.1 Was Systeme sind und wie man ihr Verhalten erfasst16
3.2 Geschichten als lineale Ereignisabfolgen21
3.3 Teuflische Explosivität in Verstärkungsschleifen24
3.4 Regelkreise: Systeme, in denen sich die Kräfte von selbst ausgleichen28
3.5 Wenn das Vorzeichen wechselt – Diskontinuität des Feedbacks32
3.6 Von schnellen und langsamen Prozessen34
3.7 Ist das Ganze die Summe seiner Teile?35
3.8 Systemdenken – Denken in Zusammenhängen36
3.9 Nun wird es komplex52
4 Merkmale des Komplexen66
4.1 Muster des Lebendigen66
4.2 Musterhaftigkeit, Organisation und Ordnung69
4.3 Komplexität, Schmetterlingseffekt und fehlende Periodik80
4.4 Wie der Schmetterling die Therapie verändert84
5 Psychotherapeutische Veränderung als Ordnungsu¨bergang87
5.1 Synergetik – die Theorie der Ordnungsu¨bergänge87
5.2 Kugelschieben versus Landschaftsgestaltung94
5.3 Therapie vor, während und nach einem Ordnungsu¨bergang102
6 Alles nur bunte Theorie?110
6.1 Systemmodelle und Simulationsstudien112
6.2 Organisierte Komplexität in der therapeutischen Beziehung120
6.3 Die Inhomogenität von psychotherapeutischen Prozessen137
7 Schon Schluss?141
Literatur143
Sachregister153

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