2 Verwandtschaft mit anderen Verfahren und Methoden
Hier könnte man jetzt eine Aufzählung einer Vielzahl psychotherapeutischer Methoden, die heutzutage als psychodynamisch gelten, anführen. Eine Reihe humanistischer Therapien wie z. B. das Psychodrama und die Gestalttherapie würden sich dazurechnen. Um diese Diversifizierungen jedoch im Hinblick auf ihren psychodynamischen Gehalt, so wie er im Kapitel 1 ausgeführt wurde, diskutieren und einschätzen zu können, scheint es geboten, sich einerseits zunächst einmal ausführlicher mit dem Unbewussten als deren gemeinsamer konzeptueller Klammer auseinanderzusetzen und andererseits das Verhältnis der TP zum psychoanalytischen Verfahren bzw. zur AP zu untersuchen.
2.1 Das Unbewusste – ein Plädoyer für das unverzichtbare Paradoxon der Psychodynamischen Psychotherapieverfahren (PDT)
Sicherlich ist dies nicht der Ort, um die berühmt-berüchtigte Common-ground-Debatte der Psychoanalyse darzustellen (vgl. z. B. Thomä 2003; Erlich et al. 2003; Zwiebel 2013), aber dennoch gilt es, dem Unbewussten als dem unverzichtbaren Paradoxon einen gebührenden Stellenwert einzuräumen. Letztendlich war es auch der Nachweis der Wirkungen des Unbewussten sowohl auf die Entstehung psychischer Störungen als auch in deren therapeutischer Bearbeitung, der maßgeblich zur Übernahme der TP und AP als kassenfinanzierte Behandlungen beigetragen hat (Dührssen 1962). Die Vielzahl an modernen störungsorientierten Behandlungskonzeptionen, so begrüßenswert sie auch sein mögen, vermittelt neben massiver theoretischer Konfusion und Überforderung doch auch oft die Illusion einer generellen Machbarkeit im Sinne eines »Was mache ich, wenn …?«. Die Rückbesinnung auf das Unbewusste als Fundament, als »Zentralmassiv der Psychoanalyse« (Gödde und Buchholz 2005, S. 11) und damit auch der Psychodynamischen Psychotherapieverfahren (PDT) schützt davor, in etwas abzugleiten, was man im ungünstigsten Fall schlecht durchgeführte Verhaltenstherapie nennen würde (Boll-Klatt und Kohrs 2018, S. 5). Somit ist die Fragestellung nach einem common ground keineswegs rein theoretischer oder akademischer Natur. Sie berührt sehr zentrale Konsequenzen für die Aus- und Weiterbildung, wenn etwa angesichts der aktuellen Novellierung des Psychotherapeutengesetzes (PsychThG) darüber nachgedacht wird, was Studierende lernen sollen, um sich für eine Approbation in psychologischer Psychotherapie zu qualifizieren ( Kap. 11). Dieses Fundament des Unbewussten entzieht sich aber dem vollen Zugriff der bewussten kognitiven Untersuchung, es fordert stattdessen eine oft schwer erträgliche, letztlich nie abzuschließende Auseinandersetzung im Prozess des Patienten wie des eigenen Selbst in der Therapie und im Lebensprozess:
»Und genau in diesem Bereich ist wohl das Fundament der psychoanalytischen Konzeption bis heute zu sehen: zwischen dem unbedingten Ziel, auch beängstigende, hoch konflikt- und triebhafte Bereiche des menschlichen Seelenlebens offen zu legen, zu benennen und sie in ihren Funktionen wie Dysfunktionen so gut wie möglich zu begreifen – und dem Wissen um den nicht auszulotenden Urgrund des zutiefst irrationalen leiblich-seelischen Bereiches des Unbewussten. Im besten Fall gelingt es dann, das Unheimliche in uns zumindest teilweise zu entschlüsseln, ein Verständnis für das letztlich Un-fassbare zu entwickeln und Inhalte des mystischen, abergläubischen, religiösen voraufgeklärten Kosmos, die zum Grundbestand des menschlichen Seelenlebens gehören, gewissermaßen zurückzuerobern – diesmal aber in einem humanistischen und wissenschaftlichen Kontext« (Gödde und Buchholz 2005, S. 11).
Anhand eines Fallbeispiels sollen diese Überlegungen illustriert werden.
Fallbeispiel: »Nicht mit, aber auch nicht ohne meinen Mann«
Eine 45-jährige Patientin kommt mit einem depressiven Erschöpfungssyndrom in die stationäre Behandlung. Wütend-empört unter Strömen von Tränen der Verzweiflung schildert sie eine hoch belastende eheliche Situation. Ihr Mann sei alkoholabhängig, arbeite zwar, aber gebe bis auf die Miete sein gesamtes Gehalt für Alkohol und Glücksspiele aus. Sie und ihre beiden Kinder müssten weitgehend von dem leben, was sie als Halbtagskraft im Büro eines Rechtsanwalts verdiene. Ihr Mann beleidige sie oft und kritisiere sie heftig. Ständig gebe es Streit mit den Kindern, die sich nicht mehr alles gefallen ließen. So wolle sie nicht mehr weiter mit ihrem Mann zusammenleben; sie wolle in der Klinik die Kraft und den Mut finden, sich von ihrem Mann zu trennen. Sie brauche mehr Selbstvertrauen und verbesserte Fähigkeiten sich durchzusetzen. – Diese Zielsetzungen der Patientin werden zunächst aufgegriffen, allerdings zeigt sich rasch, dass die Patientin auf entsprechende Interventionen sowohl in der Einzel- als auch in der Gruppentherapie immer wieder mit einem »ja, aber …« antwortet und kaum etwas in sich aufnehmen kann. Im Zuge der ersten beiden Behandlungswochen geht es der Patientin eher schlechter als besser, so dass sie überlegt, den Aufenthalt vorzeitig zu beenden, um – rationalisierend – doch lieber für ihre Kinder da zu sein. Erst die vertiefte Beschäftigung mit der biografischen Anamnese ermöglicht einen verbesserten Zugang zu ihr. Rasch lässt sich eine Parallele zwischen Vater und Ehemann ziehen: Auch der Vater sei Alkoholiker gewesen, habe immer viel gearbeitet und seine Kinder eigentlich nur im an- bzw. betrunkenen Zustand gesehen. Die Mutter habe wohl wegen ihrer unglücklichen Ehe schon früh im Leben der Patientin eine Depression entwickelt und habe die Kinder zwar materiell gut versorgt, emotional aber kaum zur Verfügung gestanden. Umso größer ist die Sehnsucht der Patientin nach einem liebevollen Vater gewesen, der ihre ausgeprägte Bedürftigkeit letztendlich aber auch nur enttäuschen konnte. Unbewusst hat die Patientin mit ihrem Ehepartner im Sinne des Wiederholungszwanges die Möglichkeit gesucht, die Wunden von damals zu heilen. Sie ist geleitet von dem Streben, es jetzt zum guten Ende zu führen, sprich, die Alkoholabhängigkeit des Mannes/Vaters zu beenden und dann zu einer Befriedigung ihrer regressiven Wünsche zu gelangen. Die Rationalisierung, sie müsse für die Kinder da sein, ist unterlegt von den eigenen Versorgungswünschen. In unbewusster Identifikation mit den eigenen Kindern versucht die Patientin, eigene frustrierte Bedürfnisse zu befriedigen. Vor diesem Hintergrund wird nachvollziehbar, warum die einseitige Förderung bewusster autonomer Tendenzen entsprechend der von der Patientin geäußerten Zielsetzung nicht zum Ziel führen konnte, weil diese dazu auf ihre abgewehrten infantilen Abhängigkeitsbedürfnisse und Wiedergutmachungswünsche hätte verzichten und anerkennen müssen, dass ihre (kindlichen) Sehnsüchte ungestillt bleiben würden. Nur durch einen intensiven Trauerprozess um das Nicht-Gehabte und Nicht-zu-Habende konnte sich die Patientin dann in der anschließenden ambulanten Einzeltherapie die innerpsychischen Voraussetzungen für eine mögliche Trennung erarbeiten. Die zunächst praktizierte therapeutische Orientierung an den bewussten Zielsetzungen und Behandlungserwartungen musste in Anbetracht der unbewussten Hoffnungen und Ängste zu einer Verstärkung von Widerstand und Abwehr führen.
Das Beispiel veranschaulicht die Bedeutung zweier wichtiger psychodynamischer Konzepte, die untrennbar zusammengehören: das Konzept des (dynamischen) Unbewussten ( Kap. 3) und des biografisch determinierten intrapsychischen Konfliktes. Erst die Bewusstmachung der verdrängten frustrierten kindlichen Bedürfnisse und der Fixierung daran ließ die innerpsychische konflikthafte Situation mit den daraus resultierenden Spannungen bewusst erlebbar werden und bot nun eine völlig veränderte Ausgangssituation für die weitere psychodynamische Behandlungsarbeit. Statt weiter sehnsüchtig die väterliche Zuwendung zu begehren, ging es darum, einerseits die aus den vielen Frustrationen stammenden aggressiven Gefühle zu spüren und zum Ausdruck zu bringen und andererseits Trauer, Enttäuschung und Einsamkeitsgefühlen Raum zu geben. Erst die Anerkennung der traurigen Realität ermöglichte es dem erwachsenen Ich, wirklich eine Wahl zu haben und autonome, flexible Entscheidungen treffen zu können. Das ist gemeint, wenn in dem o. g. Zitat von Gödde und Buchholz von einem humanistischen Kontext die Rede ist. Im Zusammenhang mit der Darstellung des spezifischen therapeutischen Vorgehens in der TP soll dieses Beispiel wieder...