In diesem Kapitel möchte ich zunächst die historische Entwicklung in der Mensch-Tier-Beziehung aufzeigen. Im Anschluss daran werde ich die positiven Wirkungen in der Mensch-Tier-Beziehung, die sich in die drei Bereiche physische, psychische und soziale (Aus)Wirkungen unterteilen lassen, benennen. Danach werde ich verschiedene Theorien aus der Biologie und Psychologie verwenden, um die positiven (Wechsel)Wirkungen in der Mensch-Tier-Beziehung zu erklären.
Abschließen werde ich dieses Kapitel mit einer Zusammenfassung.
Menschen und Tiere waren zu allen Zeiten miteinander verbunden. Schon die frühen Hochkulturen glaubten an Götter in Tiergestalten, bzw. lebten mit der Vorstellung, dass Tiere Mittler zwischen Menschen und Göttern seien. Für viele heute noch lebenden Naturvölker und religiösen Gruppen bildet diese Vorstellung die Basis ihrer ethisch-religiösen Sozialordnung. Im Hinduismus und im Buddhismus wurden Normen entwickelt, die die Nichtverletzung von Tieren achten. Im Janismus[11] wird das Töten oder die Schädigung lebender Wesen strikt verboten.
Bei vielen anderen Naturvölkern ist die Mensch-Tier-Beziehung vom mythischen Denken und einer Ordnungsstruktur beeinflusst. So finden nach einem Fehlverhalten – etwa einer Tiertötung – anschließend Beschwörungs- oder Entschuldigungsriten statt. „Naturvölker haben Tiere immer mit großem Interesse und Bewunderung betrachtet und sie als Mitgeschöpfe gesehen, welche uns Lehren erteilen, an denen wir wachsen sollen.“[12]
Nach Otterstedt „...ist es aber vor allem die menschliche Vorstellung vom Wesen des Tieres, welche die emotionale Grundlage der Mensch-Tier-Beziehung innerhalb einer geschichtlichen Entwicklung sichtbar werden lässt. Die Mensch-Tier-Beziehung kann somit nicht losgelöst von dem Gesamtkontext menschlicher Kultur und Gesellschaft gesehen werden.“[13] Die Mensch-Tier-Beziehung hat also im Laufe der menschlichen Entwicklungsgeschichte unterschiedliche Ausprägungen und Gewichtungen erfahren. Diese Einschätzung wird von Lehne geteilt: „Kulturgeschichtlich gesehen war das Verhältnis von Mensch und Tier schon immer von religiösen, kulturellen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und psychologischen Rahmenbedingungen mitbestimmt.“[14] Nach Lehne sind den Tieren im Laufe der Jahrhunderte jeweils unterschiedliche Rollen zugeschrieben worden: „Tiere sind zunächst in gleicher Weise nützlich wie heilig. Sie waren Tauschgegenstände ebenso wie Objekte der Selbstdarstellung, Sündenböcke und Verdammte ebenso wie geliebte Freunde.“[15] Nach Rheinz sei an der jeweils aktuell zugeschriebenen Tierrolle der psychische Entwicklungsstand des Menschen abzulesen: „Die Rolle, die der Mensch auf den verschiedenen Stufen seiner Kulturentwicklung dem Tier zuwies, gibt Aufschluss über seine eigene seelische Entwicklung. Die Geschichte des Tieres ist ein Schlüssel der Psychohistorie.“[16]
Im Folgenden möchte ich einige historische Stationen der Mensch-Tier-Beziehung aufzählen.
Während im Polytheismus Tiere als Mittler zwischen Menschen und Göttern verstanden und verehrt wurden, machte der allmähliche Wandel zum Monotheismus Tiere als Mittler zum nunmehr einzigem Gott scheinbar überflüssig. Nach Otterstedt entstand dadurch eine Mensch-Tier-Dissoziation. „Diese Entwicklung bildete die Grundlage der Störung eines geordneten Zusammenspiels des Menschen mit der Natur, des harmonischen Zusammenspiels und der Verhaltensprozesse zwischen Mensch und Tier.“[17] Greiffenhagen beschreibt diesen Vorgang noch deutlicher: „Die archaische Verbindung zwischen Mensch und Tier zerriss.“[18]
Das Judentum und die Schriften des Alten Testaments waren wegweisend für die spätere christliche Mensch-Tier-Beziehung und deren Deutung. Der Gott der Christen war nicht mehr Teil der Natur, sondern er selbst hat sie erschaffen. Die Menschen wurden sesshaft und machten sich, getreu dem biblischen Auftrag, Tiere und Erde untertan – die Domestikation der Tiere begann.[19] Dazu Rheinz: „Das christliche Naturverständnis, geprägt von Herrschaft und Unterjochung, verkennt das in den Fünf Büchern Mose festgelegte dialektische Verständnis von Nutzung und Schonung der Natur.“[20]
Im 13. Jahrhundert fand erneut ein Wandel in der Mensch-Tier-Beziehung statt. Tiere wurden nun als uns gleichgestellte Werke des allmächtigen Schöpfers gesehen. Es wurden ihnen eine spezifische Wahrnehmungsstruktur und Gefühle zugesprochen. „Und es entstand bereits die Erkenntnis, dass Grausamkeiten gegenüber Tieren zu Grausamkeit gegenüber Menschen führen kann: Ein verändertes Verhalten des Menschen zu den Tieren wird auch Einfluss auf das Verhalten der Menschen untereinander haben.“[21]
Nach Otterstedt wird das neuzeitliche Verständnis zwischen Mensch und Tier nicht von einer Fortführung dieser Gedanken bestimmt, sondern der Mensch bestehe erneut auf eine Sonderstellung gegenüber der Natur. „Erneut wurde die Mensch-Tier-Beziehung von der Antike beeinflusst und es verschärfte sich der Gegensatz zwischen Geistigem und Triebhaften, das heißt die Schwerpunkte der humanistischen Werte lagen in der rationalen, dem Menschen zugeordneten Lebenssteuerung.“[22]
Nach Otterstedt begann sich ab dem 18. Jahrhundert ein neuer Weg für Mensch und Tier abzuzeichnen. „So wurde nun nicht mehr allein die geistige Leistung als Maßstab genommen. Vielmehr entdeckte man im Bereich des Fühlens und der Sensibilität Gemeinsamkeiten zwischen Mensch und Tier. Dies führte zu menschlichen Verpflichtungen gegenüber den Tieren, v.a. aber auch zu Tierrechten und damit zu den ersten Tierschutzbewegungen.“[23]
Dieser neue Trend wurde im Zuge der Industrialisierung noch mal gefährdet. Tiere wurden zum kalkulierbaren Kosten- und Nutzenfaktor. Es entstanden große Mastbetriebe, die die Tierhaltung zu einer Tierproduktion wandelten. „Die Mensch-Tier-Beziehung entwickelte sich von einer Du- zu einer Es-Beziehung, das Tier wurde eine Sache, ein beliebiger Posten im Kontobuch des Betriebes.“[24] Doch zeitgleich befassten sich auch Naturwissenschaft und Philosophie (Tierethik) sowie immer mehr soziale Gruppen (u.a. Tierrechtsidee) mit der Lebensqualität der Tiere und setzten sich entsprechend ein.
Zusammenfassend lässt sich sagen: „Die gemeinsame Geschichte von Mensch und Tier ist eine Geschichte von Zuneigung und Grausamkeit, von Gefühlsübersteigerung und Gleichgültigkeit, vor allem jedoch von Macht und Machtmissbrauch.“[25]
Greiffenhagen betont, dass es wichtig sei, diese Widersprüche in der gemeinsamen Geschichte anzunehmen, um Tiere therapeutisch und pädagogisch für die menschlichen Zwecke einsetzen zu können. „Einerseits haben wir uns durch unsere Kulturgeschichte weit vom Tier entfernt, andererseits zeigen uns heute menschliche und tierische Verhaltensforschung, wie dicht wir von Natur dem Tiere benachbart sind und wie viel Leben wir mit ihm teilen. Nur wer diesen Widerspruch erträgt und mehr: ihn als Bestimmungsfaktor der Humanität annimmt, kann sich für menschliche Sozialisation auf die Hilfe von Tieren stützen.“[26]
„Das Verhalten zwischen Mensch und Tier ist immer ein Spiegel der menschlichen Kultur und des Umgangs des Menschen mit sich selbst.“[27]
In den modernen Gesellschaften des 20. und 21. Jahrhunderts ist das Tier Nahrungsquelle, Forschungs-, Status- und Sammelobjekt, und es wurde auch zum Partner und Freund. „Es ist vor allem das Haustier, welches durch seine psychosoziale Bedeutung das menschliche Bedürfnis nach Kontakt mit der Natur beantwortet.“[28]
Fast jeder Mensch wird im Laufe seines Lebens eine Phase durchleben, in der er mehr oder weniger bewusste Beziehungen mit Tieren eingeht. Dies gilt besonders während der Kindheit, den Entwicklungsjahren, aber auch im fortgeschrittenen Alter. Ein Kind sieht in seinem Tier häufig einen Spielkameraden oder Seelentröster, wenn es sich zum Beispiel von den Eltern unverstanden oder gar abgelehnt fühlt. Für einen alten Menschen wird sein Tier häufig zum sozialen Partner oder gar zum einzigen Freund. Ein Tier kann zum Freizeit- und Sportpartner werden. Und selbst das menschliche Bedürfnis nach Sicherheit kann von einem Tier gestillt werden.
Besonders Menschen, die Schwierigkeiten haben, Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen und zu erhalten, können von einer Beziehung zu einem Tier profitieren.
„Oft können traumatisierte Menschen erst durch ein Tier wieder Nähe, Intimität und Körperkontakt zulassen, da der Umgang mit Tieren authentischer und weniger bedrohlich ist als mit Menschen.“[29]
Aber was genau macht nun die positive Wirkung in der Mensch-Tier-Beziehung aus? Warum halten sich so viele...