Luis der Letzte
Alois Durnwalder alias Il Durni:
der erste Landeshauptmann aller Südtiroler
Von Peter Plaikner
Dinosaurier der Politik- und Medienszene: Luis Durnwalder im Gespräch mit Elmar Oberhauser im Oktober 2011 im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Zeitzeugen“ im Casino Innsbruck.
Menschenfänger unterwegs
Kimsch amoi wieda eini? Das ist schnell dahingesagt, wenn Hände im Zehn-Sekunden-Takt zu schütteln sind und freundliche Worte im Halb-Minuten-Takt den Adressaten wechseln müssen. Das Bad in der Masse, der Nahkampf, die Bodenübung für Politiker in der Ära der Mediendemokratie: Luis Durnwalder beherrscht es wie wenige andere, scheint es immer aufs Neue zu genießen wie kaum ein Routinier seines Fachs, wirkt daheim wie auswärts als einer, der einfach Menschen mag.
Ungeachtet der zeitgeistigen Faustregel, dass Politik – je größer ihr Publikum, desto stärker – sich über Massenmedien vermittelt, haben Experten längst das persönliche Kommunikationsgen als ewiges Erfolgsgeheimnis von Volksvertretung entlarvt. To be connected nennen das die Amerikaner, und wer Bill Clinton auf Celebrity-Stippvisite in Ischgl erlebt hat, weiß, warum der seine Affäre mit Monica Lewinsky politisch überlebt hat. Der einstige US-Präsident gilt als ungeschlagener Weltmeister des effizienten Kurzkontakts. Ein paar Momente eins mit dem Gegenüber: du und ich statt ihr und ich – so funktionieren Menschenfänger. Auch am 27. April 2012 im Management Center Innsbruck (MCI) nach dem Vortrag „Politik – eine Leidenschaft: Herausforderung zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ von Luis Durnwalder. Small talk am Stehbuffet: Kimsch amoi wieda eini?
Da hat er sie längst alle eingesackelt mit seiner Mischung aus Bauernschläue und Alleinherrschaft, in einer bodenständigen Art, die von Brüssel bis Berlin Unterschätzung züchtet und in Wien als so urtirolerisch ankommt, wie sich die Hauptstädter den ewigen Prototypen des Alpenmenschen ausmalen – zwischen dem wahren Eduard Wallnöfer selig und dem vermeintlichen Tobias Moretti heute. Also umlagern sie ihn im MCI, erhoffen Erstkontakt, Wiedererkennen, Rückbesinnung – und kriegen, was ihr wollt. Er genießt diese Auswärtspartie als Heimsieg, wie er kaum einem ortsansässigen Kollegen gelingt. Da überwindet einer die Distanz zwischen der Politik und dem Bürger. Kimsch amoi wieda eini? Nach Bozen, wo er allmorgendlich ab 6 Uhr für jeden zu sprechen ist. Ohne Voranmeldung im Südtiroler Landhaus. Seit fast schon einem Vierteljahrhundert.
Doch es braucht mehr als solche Offenheit, um den Status des Landesvaters derart zu prägen, wie dies Luis Durnwalder seit 1989 vollzieht. Der Mann verfügt über rare Eigenschaften im Zeitalter der Flüchtigkeit. Was situativ oft unverbindlich erscheint, ist von ihm meist ganz ernst gemeint. Kimsch amoi wieda eini? Am nächsten Tag Terminanfrage in seinem Büro, ein paar Wochen später ein ausführliches Gespräch. So wie im Jahr zuvor immer wieder, um ein Buch über ihn zu schreiben. Keine Biographie, das wäre zu hoch im Anspruch. Es gab und gibt Berufenere für eine Nahaufnahme von Luis Durnwalder. Doch die Distanz des Nordtirolers in Österreich zum Südtiroler in Italien ermöglicht andere Perspektiven, kann wie ein Zoom-Objektiv wirken – mit seiner subjektiven Motivveränderung durch den Wechsel von Teleskop und Weitwinkel.
Folgerichtig soll auch dieser Beitrag über den „Zeitzeugen“ eine Annäherung sein, ein Balanceakt für das Selbstverständnis eines kritischen Journalisten, der durchaus eingesteht, sich von der Ausstrahlung des Porträtierten immer wieder vereinnahmen zu lassen. Weil der ein Dinosaurier ist, ein machtvolles Urvieh inmitten der Cyborgs der aktuellen Politikszenerie. Ein legitimer Nachfahr der Wallnöfers und Gleißners, der Haslauers und Krainers (jeweils senior), wie es ihn heute in Österreich nicht mehr gibt – auch wenn Erwin Pröll, Durnwalders später Studienkollege von der Universität für Bodenkultur in Wien, in seiner Herrschaft über Niederösterreich noch am ehesten diesem Archetypus entspricht. Doch dort fehlt die Mischung aus demokratiepolitisch mitunter bedenklichen, aber autonomiespezifisch erklärbaren, wenn nicht gar notwendigen Handlungsmustern.
Die Kritik erfordert Distanz, das Porträt benötigt Nähe. Im Versuch, den Luis zu erklären, liegt schon die Grenzüberschreitung. Was im Buch Ursachenforschung ist, wäre für Tagesmedien Anbiederung. Es bietet Vor- und Nachteile zugleich, dies als einer von draußen (= in erster Linie Nord- und Osttirol, in weiterer Folge Österreich und Deutschland) über einen von drinnen (= Südtirol und sonst nichts) zu tun. Einerseits bist du nirgends drin, und andererseits bist du nirgends drin. Der Abstand zu Partei, Flügel, Fraktion hilft dem Unterfangen, die Entfernung zu Themen, Anliegen, Bedürfnissen erschwert es.1
Der verhinderte Priester
Vier Tage jünger als Umberto Bossi und fünf Tage älter als Edmund Stoiber, wird Luis Durnwalder, anders als der Chef der Lega Nord und der Ehrenvorsitzende der CSU, in keinem Staat geboren, den er je als Heimat empfinden kann. Bei seiner Geburt am 23. September 1941 in Pfalzen gehört Südtirol schon 22 Jahre zu Italien. Das sechste von elf Kindern ist Waage. Das entspricht den späteren Aufgaben – ausgleichend zwischen österreichischer Minderheit im Staat und italienischer Minderheit im Land. Integrierend für nah und fremd, für die eigenen Leute und seine wachsende Wählerschar mit voti di preferenza, die er erst spät kennenlernen sollte. Die andere Realität Südtirols, wo zwei Kulturen erst ganz langsam zusammenwachsen: Der Landeshauptmann ist ein Sinnbild dafür.
Luis Durnwalder kommt auf eine Welt, die es so nicht mehr geben soll. 1939 vor die Wahl gestellt, auszuwandern oder sich italienisieren zu lassen, entscheiden sich 86 Prozent der Südtiroler für das Deutsche Reich. Die Optanten geben lieber ihre Heimat auf als Sprache und Kultur. 75.000 ziehen weg. Die Durnwalders sollen auf die Krim. Doch 1943 besetzt die Wehrmacht Südtirol. Die Option ist beendet. Die Durnwalders behalten bis 1949 die deutsche Staatsbürgerschaft, um dann wieder die italienische zu erhalten. Luis sieht sich bis heute als Vertreter einer österreichischen Minderheit. In die Schule kommt er aber formal als Deutscher in Italien. 1948, im Jahr des ersten Autonomiestatuts, als US-Präsident Harry Truman den Marshall-Plan unterzeichnet und die Berliner Luftbrücke beginnt, schickt Vater Durnwalder seinen Hüterbuben mit zwölf Monaten Verspätung zum Lernen. Jeden Schultag legt er 90 Minuten von und zum elterlichen Hof zurück. Gut zu Fuß, besser noch im Kopf. Das fällt bei der Abschlussprüfung auf: 1955, als der Warschauer Pakt geschlossen und Österreichs Staatsvertrag unterzeichnet wird, kommt der Luis nach Neustift ins Gymnasium. Berufsziel: Priester.
1961 wird John F. Kennedy US-Präsident, ist Juri Gagarin der erste Mann im All, beginnt der Bau der Berliner Mauer und hat Südtirol andere Sorgen. Durch Sprengung von 37 Strommasten in der Feuernacht vom 11. auf den 12. Juni erreicht die Auseinandersetzung zwischen dem Staat und seiner nördlichsten Provinz ihren Höhepunkt. Durnwalder dagegen plagt ein unpolitischer Konflikt: Es naht sein Noviziat. Doch der 20-Jährige verlässt den vorgezeichneten Weg. Ein kleiner Verlust für die Kirche, ein großer Gewinn für die Politik. Luis maturiert 1962 und beginnt in Wien mit dem Studium – offiziell an der Universität für Bodenkultur, heimlich auch Jus. Das eine, vom Vater gewollte, schließt er nach vier Jahren ab, das andere, selbst erstrebte, lässt er nach neun Semestern sein – aber er sammelt erste politische Erfahrung als Präsident der Südtiroler Hochschülerschaft. Der Heimleiter in seinem Döblinger Domizil ist Josef Riegler, der künftige ÖVP-Obmann und Vizekanzler. Auch Helmut Kohl, den späteren deutschen Bundeskanzler, lernt er bereits 1963 bei einem Ferialjob kennen. Silvius Magnago, seinen Südtiroler Landeshauptmann, trifft er dagegen erstmals 1965.
Bergpredigt: Der Landeshauptmann spricht zur Landeseinheit.
Blutsbrüder: Die Tiroler Landeshauptleute Luis Durnwalder und Wendelin Weingartner entfernen den Grenzbalken am Brenner.
Dottore Bürgermeister
Im Herbst 1966 schließt Luis Durnwalder als DiplomIngenieur in Wien ab, promoviert anschließend in Florenz zum Doktor und – kehrt heim. Während seine Studienorte zusehends im Banne der Studentenbewegung stehen, steigt er 1968 vom Stellvertreter zum Direktor des Bauernbunds auf. Doch den Beginn seines realpolitischen Engagements sieht er rückblickend in der Kommunalpolitik: 1969, als Richard Nixon US-Präsident und Willi Brandt...