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E-Book

Toppler

Ein Mordfall im Mittealter

AutorE.W. Heine
VerlagVerlag Friedrich Pustet
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl280 Seiten
ISBN9783791761305
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
In Rothenburg ob der Tauber ist bis heute die Legende von Heinrich Toppler lebendig, dem Bürgermeister, der gegen Ende des 14. Jahrhunderts aus dem verschlafenen Städtchen einen Stadtstaat machte, verbündet mit König Wenzel und mit den Juden der Stadt. Wer war dieser Mann, der vom Gastwirtssohn zum 'König von Rothenburg' aufstieg? - Und das zu einer Zeit, in der Bauern- oder Handwerkersöhne grundsätzlich Hof und Werkstatt zu übernehmen hatten. Nach geradezu kriminalistischen Recherchen in den Archiven von Rothenburg, Nürnberg, Würzburg und Prag hat E. W. Heine den 'Fall Toppler' neu aufgerollt und liefert überzeugende Beweise dafür, dass die Legende um Toppler und seine grausame Ermordung in manchen Punkten korrigiert werden muss. Die Rekonstruktion dieser Lebensgeschichte wird zur Rekonstruktion der ganzen Zeit.

E. W. Heine, Architekt und Schriftsteller. Seine historischen Romane und makabren Geschichten wurden in viele Sprachen überSetzt. Er publizierte zudem Texte zur Kulturgeschichte und schrieb Drehbücher für Film und Theater.

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Leseprobe

Das 3. Kapitel

Das 14. Jahrhundert war wie das 20. eine Epoche gewaltiger Veränderungen und Umbrüche. Der Niedergang des Lehenswesens erschütterte die abendländische Ordnung. Die vertraute Gesellschaftsordnung ruhte auf drei Säulen, dem Klerus, der Ritterschaft und den Bauern. Jeder Stand lebte nach seinen eigenen Regeln und kulturellen Idealen. Und dennoch benötigten sie einander wie Tiere und Pflanzen, die miteinander in Symbiose leben.

Der Adel, dessen Aufgabe die Verteidigung der beiden anderen Stände war, hatte als Erster seine Einheit verloren. Die Fürsten regierten selbstherrlich wie Könige. Auf der untersten Stufe der Adelshierarchie kämpfte die verarmte Ritterschaft. Sie kämpfte vor allem ums Überleben. Die alte Kaiserherrschaft, die mit Karl dem Großen einen so kraftvollen Anfang genommen hatte, war nur noch ein schwacher Abglanz ihrer selbst. Die Erbmonarchie hatte sich im Reich nicht durchgesetzt. Die Königswahl der Kurfürsten verflachte im Laufe der Zeit immer mehr zu einem unwürdigen Kuhhandel um die Macht.

Die größte Abwertung aber hatte der Ritterstand erfahren. Einst mit den Staufern zu höchster Blüte emporgestiegen, waren die Ritter die eigentlichen Träger höfischer Kultur gewesen. Im Übergang vom 12. zum 13. Jahrhundert befand sich diese Kultur auf ihrem Höhepunkt. Bis in die Gegenwart hat sie nicht an Glanz eingebüßt. Kaum eine andere Zeit hat so kraftvolle Gestalten hervorgebracht. Vermutlich waren auch die Helden des kleinen Heinrich Toppler allesamt Ritter, denn das Rittertum war nicht nur ein Stand, sondern es verkörperte vor allem ein Ideal. Von einem deutschen Ritter wurde erwartet, dass er für die Schwachen, Witwen und Waisen eintrat und für den rechten Glauben sowie für seinen Lehnsherrn kämpfte. Von einem ritterlichen Mann wurden folgende Fähigkeiten verlangt: Er musste reiten können wie ein Zirkusartist, sollte schwimmen und tauchen und natürlich mit Bogen und Armbrust umgehen können. Er musste ein guter Jäger und Falkner sein. Ein Ritter zeichnete sich dadurch aus, dass er ein Meister im Turnierkampf war, zu Pferd und zu Fuß. Das Fechten musste er sowohl mit der linken als auch mit der rechten Hand beherrschen. Laufen, Ringen, Springen, Klettern und Speerwerfen wurden täglich trainiert. Weiter erwartete man von ihm gute Tischmanieren, die Beherrschung der Tänze, des Brettspiels und des Lauteschlagens. Die geistige Ausbildung dagegen wurde weitgehend vernachlässigt. Hartmann von Aue beginnt seinen „Armen Heinrich“ mit den Worten: „Ein Ritter so gelehret war, dass er in einem Buche las.“ Ein Ritter, der las, muss den Zeitgenossen Hartmanns von Aue offensichtlich komisch vorgekommen sein.

Außer der Jagd, dem Kriegshandwerk und dem Kampfspiel geziemte es sich für den Ritter nicht, einer Arbeit nachzugehen. Bei der Aufzählung der gesellschaftlichen Rangfolge kam selbst der reichste Kaufmann hinter dem ärmsten Ritter. Dabei stammten viele Ritter aus ursprünglich nicht adligen Familien. Ihre Vorfahren waren bäuerliche Hörige und Dienstmannen von Königen und Fürsten gewesen und im Laufe der Zeit zu Ritterwürden emporgestiegen. Sie konnten noch von ihren Herren mitsamt dem Grund, auf dem sie saßen, verkauft oder verschenkt werden und durften nur mit deren Erlaubnis Geschäfte abwickeln oder heiraten. Gegen einen Freigeborenen durften sie grundsätzlich nicht vor Gericht klagen. Später, im 14. Jahrhundert, waren diejenigen Ritter, die einen Herrn hatten, noch gut dran, denn viele zogen bettelarm durch die Lande, auf der Suche nach einem Herrn, dem sie für Unterkunft und Verköstigung dienen durften.

Zu der Zeit waren die ehemaligen Tugendvorbilder zur Landplage verkommen. Stolz und missgünstig blickten sie auf die reichen Bürger und Bauern hinab. Überheblichkeit und Dünkel prägten ihr Denken. Keine Fehde und kein Krieg wurde ohne sie ausgefochten. Ihr Handwerk war der Kampf. Auch waren sie im Allgemeinen gebildeter als die Bauern und Handwerker. Sie wollten deshalb mit „Herr“ und „Ihr“ angeredet werden, um sich vom einfachen Volk abzusetzen, das sich mit der Anrede „Du“ zufriedengeben musste.

Das Turnier zu Pferde war der glanzvolle Höhepunkt im Alltag eines Ritters. Beliebter als der Zweikampf war der Mannschaftskampf im abgesteckten Feld. Hierbei gab es feste Spielregeln wie beim Fußball und Rugby. Es galt, die Front des Gegners zu durchreiten und einzelne Mannschaftsmitglieder zu entwaffnen.

Im Kampf kam es dem Ritter nicht so sehr darauf an, den Gegner zu töten, als vielmehr ihn vom Pferd zu werfen und gefangen zu nehmen. Ein Toter brachte kein Lösegeld. Überhaupt war die ganze Lebensführung des spätmittelalterlichen Ritterstandes sowohl im Turnier als auch im Krieg auf Geiselnahme und Erpressung aufgebaut. Als der englische König Richard Löwenherz 1192 von einem erfolgreichen Kreuzzug zurückkehrte, wurde er von Herzog Leopold von Österreich gefangen gesetzt, obwohl er als Kreuzritter unter freiem Geleit stand. Gemeinsam mit dem deutschen Kaiser Heinrich VI. betrieb Herzog Leopold eine unbarmherzige Erpressung. 100 000 Mark Silber forderten sie für die Freilassung ihrer Geisel. Daraufhin war die englische Krone für Jahrzehnte so verschuldet und geschwächt, dass sie den englischen Baronen ein Vorrecht nach dem anderen einräumen musste und schließlich sogar gezwungen war, die Magna Charta zu unterschreiben, die das Gesetz über den König stellte. (Das ist einer der wenigen Fälle, in denen sich ein Verbrechen im wahrsten Sinne des Wortes als Recht schaffend erweisen sollte.)

„Wer gefangen ward, schlich traurig zu den Juden, denn Ross und Rüstung waren dem Sieger verfallen“, so heißt es in einem zeitgenössischen Bericht. Glaubt man den höfischen Dichtern jener Zeit, so ging es bei diesen Turnieren vornehmlich um Mannesehre und Minnedienst. In Wirklichkeit jedoch lockten vor allem Ruhm und Geld. Auf den Sieger warteten hohe Prämien. Die Überlieferung berichtet von einem Magdeburger Turnier, bei dem ein Mädchen namens Fee als Preis für den Sieger ausgesetzt worden war. Ein draufgängerischer Habenichts konnte hier, wie heute beim Poker oder Roulette, alles gewinnen und alles verlieren, einschließlich seiner Freiheit.

Obwohl diese Turniere so kostspielig waren, dass sie ganze Familien ruinierten, wurden ständig neue und prächtigere veranstaltet. Für den Preis eines guten Turnierpferdes konnte man drei bis fünf Bauernhöfe mit dem dazugehörigen Land kaufen. Im Jahr 1360 – Toppler war jetzt an die 20 Jahre alt – sollen auf einem Limburger Turnier 1000 Ritter gegeneinander angetreten sein. In Würzburg waren es gar 2000. Alles, was Beine hatte, lief herbei. Die Zuschauer stauten sich wie in unseren Fußballstadien. Hunderte von Trommlern und Pfeifern spornten die kämpfenden Mannschaften an. Wie sehr die Turniere das kulturelle Leben ihrer Zeit durchdrungen haben, erkennt man daran, dass sich in unserer Sprache bis heute darauf zurückgehende Redewendungen erhalten haben wie: sich keine Blöße geben, gut gerüstet oder rüstig sein, für jemanden eine Lanze brechen, jemanden aus dem Sattel heben, jemanden in Harnisch bringen, aus dem Stegreif heraus, jemanden in die Schranken verweisen oder ausstechen, etwas im Schilde führen.

Die Minnesänger, die Romantik und der Patriotismus des 19. Jahrhunderts haben den ritterlichen Kampfsport zu einem Heldenkampf auf Leben und Tod stilisiert, was er in Wirklichkeit nicht war. Aus dem Bericht über ein Turnier zu Topplers Zeiten erfahren wir, dass während der vierwöchigen Kämpfe bei 300 Anritten nur sechs Gegner vom Pferd geworfen wurden. Dabei soll es lediglich leichte Verwundungen, Blutergüsse und zerschundene Knie gegeben haben.

Die Ritterschaft verlor immer mehr von ihrem ursprünglichen Ansehen. Bei jeder Heerfahrt erhöhten Könige und Fürsten ihr ritterliches Gefolge, denn frisch geschlagene Ritter waren billige Söldner. Später erteilten selbst Bischöfe den Ritterschlag. Gegen Bezahlung konnte man sich sogar per Schreiben in den Ritterstand erheben lassen. Und König Rudolf von Habsburg ließ aus reinem Jux selbst einen schwachsinnigen Hofzwerg und ein zahmes Pinseläffchen zum Ritter schlagen.

Am meisten Schaden aber erlitt das Ansehen der Ritter durch den Verlust ihrer Kampftüchtigkeit. Aufgrund der einseitigen Turnierausbildung hatten diese ihre kriegerische Schlagkraft verloren. In vielen bedeutenden Schlachten mussten sie eine Niederlage nach der anderen hinnehmen. Sie wurden überrannt von der leichten Reiterei der Mongolen und Ungarn und verloren selbst gegen die Spieße und Dreschflegel der aufständischen Bauern. Die schweren Rüstungen konnten erst unmittelbar vor der Schlacht angelegt werden, was viel Zeit in Anspruch nahm. Die Pferde mussten bis zur Kampfhandlung geschont werden. Ein Ritter mit Rüstung wog über drei Zentner. In ihrer Sicht behindert und unbeweglich wie Krebse an Land, hatten sie nur eine Chance gegen Feinde, die sich an die turniermäßigen Spielregeln hielten. Im Zweikampf wahre Artisten, waren sie in der Schlacht so hilflos wie Stierkämpfer gegen eine anstürmende Büffelherde. Es stimmt nicht, wie immer wieder behauptet wird, dass erst die Erfindung des Schießpulvers die ritterliche Glanzzeit beendet hätte. Ihr Untergang war die Folge einer völlig überholten Kampfweise.

Mit dem Verlust ihrer praktischen Aufgaben ging ein moralischer Verfall ohnegleichen einher. Verarmt, aber kämpferisch den Bauern und Bürgern überlegen, griffen sie zur Selbsthilfe. Nie zuvor und niemals mehr danach gab es so viele...

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