Einblick
Ob die Kunden kaufen, entscheidet sich an den Touchpoints eines Unternehmens – und ob sie treu sind, auch. Vor den Kunden ist immer Showtime. Doch die Rollen sind nun vertauscht. Die Konsumenten sind die neuen Vermarkter. Alles ist entweder »like« oder »dislike«. Das »Reh« hat jetzt die Flinte in der Hand. Unternehmen können nur noch dann überleben, wenn die Netzwerke sie lieben. Weiterempfehlungen sind die neue Währung. Und Suchmaschinen sind das neue Weltgewissen.
»Sei wirklich gut und bringe die Leute dazu, dies engagiert weiterzutragen!«
Das Web ist wie eine gigantische, öffentliche Podiumsdiskussion. Vernebeln, vertuschen und Marketinglügen, all das ist in diesem Szenario ein Auslaufmodell. Selbst kleinste Fehler werden einem um die Ohren gehauen. Minderwertiges wird gnadenlos aussortiert. Nicht nur das Zahlenwerk, auch die moralische Bilanz muss zukünftig stimmen. Wer glaubhaft hilft, die Welt ein kleines bisschen besser zu machen, der wird in diesen neuen Zeiten die Zukunft am besten erreichen.
»Sei wirklich gut und bringe die Leute dazu, dies engagiert weiterzutragen!« So lautet das neue Businessmantra. Wer heute nicht empfehlenswert ist, ist morgen nicht mehr kaufenswert – und übermorgen tot. Aus der »Weisheit der Vielen«(James Surowiecki) ist eine »Macht der Vielen« geworden und aus der »Weisheit der Freunde« (Dan Rose) eine weltumspannende »Macht der Freunde«. An dieser neuen Konstellation kommt nun wirklich kein einziges Unternehmen mehr vorbei.
Die durchgängige Verschmelzung von Online und Offline steht an.
Wem diese Entwicklung zu verdanken ist? Der Hochzeit zwischen dem Social Web und dem mobilen Internet. Vor allem der Turboboom der Smartphones, Tablet-Computer und Apps verändert mit atemberaubender Geschwindigkeit die Art und Weise, wie wir Dinge tun und miteinander Geschäfte machen. Sie sind die Booster in das Universum einer neuen Businesswelt und markieren den Start des Web 3.0. Im Web 2.0 haben wir nur geübt, jetzt wird es ernst. Digitale Mobilgeräte öffnen das Tor in einen virtuellen Raum, der uns schon jetzt wie eine zweite Aura umgibt. Sie machen aus der schnellen Webgeneration eine superschnelle Mobile-Generation. LoMoSos (Local, Mobile, Social) nennt man sie gern.
Doch nicht nur die LoMoSos, wir alle leben in einer komplexen Symbiose mit dem Web. Die durchgängige Verschmelzung von Online und Offline steht an. Mixed Reality heißt dieses Phänomen. »Für die Menschen da draußen sind beide Welten längst zusammengewachsen. Die größte Herausforderung für die Unternehmen ist es nun, hier Ideen und Kommunikationsstrategien zu entwickeln, die so selbstverständlich mit beiden Medienwelten spielen wie die Menschen, die sie nutzen«, sagt Wayne Arnold, CEO der Kommunikationsagentur Profero.
Das Rüstzeug dazu finden Sie in diesem Buch.
Abb. 1: Die alten und die neuen Berührungspunkte mit den Kunden
Touchpoints: Die Momente der Wahrheit
Touchpoints sind Berührungspunkte zwischen Unternehmen und Kunden und auch zwischen Führungskraft und Mitarbeiter. »Momente der Wahrheit« (Jan Carlzon) nennt man sie gern. »Berühren« ist ein bezauberndes Wort. So viel Leichtes, Zartes, Subtiles, ja fast schon Intimes schwingt dabei mit. Berührungspunkte erzählen von Nähe, von Vertrautheit und von wissendem Verstehen. Und sie sind sehr fragil: Ein falsches Wort, ein schräger Blick, und alles ist aus. Es ist letztlich die Meisterschaft der kleinen Dinge, die Summe der vielen Details, die Tuchfühlung zulässt und schließlich zum Ziel führt.
Im Marketingdeutschen wird die Vokabel »Touchpoint« in aller Regel mit »Kontaktpunkt« übersetzt. Doch dies ist eine unterkühlte, versachlichte, technokratische Begrifflichkeit. Das Wort Berührungspunkt drückt sehr viel besser aus, wie die Kundenbeziehungen in Social-Media-Zeiten neu zu gestalten sind.
Eine Berührung bedingt Freiwilligkeit.
Denn wer Menschen erreichen will, der muss sie »berühren« – und Emotionalität zum Schwingen bringen. Entscheidend dabei: Eine Berührung bedingt Freiwilligkeit. Damit sie nicht nur flüchtig sei, muss sie zugelassen werden. Der Berührte selbst entscheidet dann, wie es weitergeht. Damit ist eigentlich schon alles über eine gute Kundenbeziehung gesagt: bitten statt auffordern, einladen statt aufdrängen, hinhören statt zuquatschen, fragen statt sagen, hinschauen, interagieren, sich kümmern, Interesse, Respekt und Wertschätzung zeigen, zeitnah agieren. Wenn schließlich dann noch ein Hauch von Magie und eine Brise Sternenstaub hinzugefügt werden, weckt das ein heftiges Wollen. Weil es fasziniert. Das macht Sie unvergleichbar und – viel wichtiger noch – unkopierbar.
Abb. 2: Kommunikationsmöglichkeiten über Social Media (Quelle: Ethority 2011) Der Einfluss sozialer Netzwerke auf Gesellschaft, Wirtschaft und Politik wird – in Verbindung mit dem mobilen Internet – exorbitant steigen.
Wie war das Leben leicht, als es nur ein paar wenige Touchpoints gab: klassische Werbung (Anzeigen, Fernseh- und Radiospots, Plakate) und dialogische Interaktion (telefonisch, persönlich, schriftlich). Heute sind die Touchpoints dort, wo die Kunden ihre Zeit verbringen: im Zickzack zwischen physischer und virtueller Welt, »social« und »mobile« vernetzt. Alle diese Touchpoints so virtuos zu verknüpfen, dass Transaktionen für kaufwillige Kunden immer wieder begehrenswert sind und positiven Buzz (Mundpropaganda) bewirken – das wird nun die große Herausforderung sein.
Dazu bescheren uns emsige Software-Schmieden fast täglich neue Tools, die sowohl digitale als auch mobile Interaktionen zwischen (potenziellen) Kunden und Unternehmen möglich machen und das Internet mit dem Outernet in Echtzeit verbinden. Es kommt für Anbieter und Konsumenten einer Sisyphusarbeit gleich, das Passende auszuwählen und für sich zu erschließen. Abbildung 2 wirft einen Blick auf die »neuen Momente der Wahrheit«, die Social Media Touchpoints, die allein in den letzten Jahren entstanden sind. Einige sind nur Spielereien, andere bei Erscheinen des Buchs womöglich schon tot. Und neue werden hinzugekommen sein.
Dabei spielen die indirekten Touchpoints wie zum Beispiel Meinungsportale, User-Foren, Testberichte, Blogbeiträge, Presseartikel, Mundpropaganda und Weiterempfehlungen eine zunehmend wichtige Rolle. Diese werden als »Earned Media« bezeichnet, denn man kann sie sich nicht kaufen, man muss sie sich stattdessen verdienen. Immer öfter werden heutzutage die webbasierten O-Töne Dritter – Google nennt sie die »Zero Moments of Truth« (ZMOT) – von anschaffungswilligen Kunden zuerst angesteuert. Diese – und absteigend weniger die teuer bezahlte Werbung (Paid Media) – führen zum Kauf oder Nichtkauf. Das heißt: Die Konsumenten entscheiden als neue Vermarkter über die Zukunft eines Unternehmens maßgeblich mit.
Hilfe! Komplexitätsreduzierer dringend gesucht
Um aus dieser gigantischen Welle mit all dem Wissen im Web das Relevante herauszufiltern und die Spreu vom Weizen zu trennen, brauchen wir technologische und auch persönliche Helferlein. Smarte Türsteher (Gatekeeper) werden zu einer lebenswichtigen Notwendigkeit. Digitale Diener und virtuelle Assistenten werden in naher Zukunft nur noch die Infos passieren lassen, für die es von uns – den Kunden – eine Erlaubnis gab. Unternehmen werden dann anklopfen und um Einlass bitten müssen. Alles, was nicht passt, muss draußen bleiben. Nur wer die richtigen Touchpoints im richtigen Moment richtig bespielt, kommt bis zum Kunden durch.
Apps sind die Boten dieser neuen Zeit: Komplexitätsreduzierer, die uns nur noch das in den Eingangskorb legen, was unserer Interessenlage entspricht. Während also viele sich gerade erst die Spielregeln der Social Media erarbeiten, ist »Personal Mobile Media« bereits absehbar. Der nächste Schritt wird dann die nötige Abschottung sein. Denn die unendliche Offenheit des universellen Webs ist ja nicht nur mühsam, sie macht uns auch verletzlich. Google+ bildet diese Entwicklung bereits ab. Da kann jeder seine eigene kleine Netzwerkwelt in geschlossenen Kreisen (Circles) formieren und so ein wenig Intimität genießen.
Vertrauen ist die Brücke zum Neuland.
Neben den technologischen Komplexitätsreduzierern gibt es übrigens einen Helfer, der aus einer ganz anderen Werkzeugkiste stammt. Sein Name: Vertrauen. Wo die Zeit nicht reicht oder das Wissen fehlt, um eine Sache genau zu durchleuchten, ist Vertrauen der beste Kitt. Und dort, wo wir von Fremden auf dem globalen Marktplatz Internet etwas kaufen, gibt es nur eine Chance: Vertrauen. Vertrauen ist die Brücke zum Neuland. Und...