Die Traumapädagogik ist ein junges Fachgebiet, welches sich grundsätzlich im letzten Jahrzehnt entwickelte. Die aus der Traumatologie gewonnenen Forschungsergebnisse und Theorien werden durch die Traumapädagogik in die Praxis übersetzt und angewandt. Zudem fließen bereits erprobte Methoden und Erfahrungen aus der Pädagogik mit ein, wobei die Heilpädagogik einen großen Teil ausmacht. (Vgl. Beckrath-Wilking, Biberacher et al., 2013, 283) Die Traumapädagogik besitzt traumabearbeitende Hilfemaßnahmen, die als Ergänzung zu therapeutischen Hilfen gesehen werden sollen. (Vgl. Gahleitner, Hensel, 2014, 19)
„Traumapädagogik [wird] somit als die konsequente Anwendung des aktuellen Wissensstandes über die Folgen und Symptome von Traumatisierungen zur Gestaltung des sozialpädagogischen Alltags, zur Sicherstellung eines stabilisierenden, „sicheren “ Milieus auf der Wohngruppe und bei Besuchskontakten sowie zur gezielten, individuellen heilpädagogischen und erlebnispädagogischen Förderung in den prototypischen Problembereichen von traumatisierten Kindern und Jugendlichen [verstanden].“ (Schmid, Wiesinger et al., 2007, 333f)
Das Bewusstsein, mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen anders agieren zu müssen, entstand hauptsächlich im Kinder- und Jugendhilfebereich. Eine englische Studie zeigt auf, dass etwa 60% der Kinder und Jugendlichen in stationärer Heimunterbringung Missbrauch, Misshandlung und/ oder Vernachlässigung erfahren haben. Die Ulmer Heimkinderstudie führt an, dass mehr als die Hälfte der zu Betreuenden behandlungsbedürftige psychische Störungen aufweisen, mehr als ein Drittel sogar an mehreren stark ausgeprägten psychischen Störungsbildern leiden. Ursache hierfür sind vermutlich frühe Traumatisierungen und Störungen in der Bindungsbeziehung der Kinder und Jugendlichen zu ihren Bezugspersonen. (Vgl. Fegert, Ziegenhain et al., 2010, 31) Das zeigt auf, dass solche negativen Erfahrungen in einem dysfunktionalen Familiensystem stattfinden und somit oft mehrere Risikofaktoren bestehen. (Vgl. Schmid, Wiesinger et al., 2007, 332) Das Statistische Bundesamt veröffentlichte 2012 die aktuellen Zahlen der Inobhutnahmefalle von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. So wurden 40.200 Kinder und Jugendliche in Obhut genommen aufgrund eigenen Wunsches oder Hinweisen durch andere wie z.B. der Polizei oder ErzieherInnen. Ergänzend ist zu sagen, dass 69% der Minderjährigen vor der Inobhutnahme bei ihren Eltern bzw. einem Elternteil lebten, 39% später wieder zu ihren Familien zurückkehrten, 13% (5.300 Fälle) allerdings stationär in einem Krankenhaus oder der Psychiatrie aufgenommen wurden. Die anderen Kinder und Jugendlichen erhielten eine Unterbringung in einer Pflegefamilie oder einer Wohngruppe der Jugendhilfe. Der häufigste Grund laut statistischem Bundesamt war die Überforderung der Familie bei 43%. (Vgl. D Statis) Aus diesen Zahlen ist ersichtlich, dass ein hoher Anteil von gefährdeten Kindern und Jugendlichen in Jugendhilfemaßnahmen untergebracht ist. Die dort arbeitenden Fachkräfte, empfanden durch die gängig angewandten Methoden kaum Wirkung auf diesen Personenkreis und kamen aufgrund der hohen Anforderungen an ihre Handlungsgrenzen.(Vgl. Schmid, Wiesinger et al., 2007, 340) Bereits heute können Einrichtungen, die traumapädagogische Konzepte anwenden, von einer höheren pädagogischen Wirksamkeit berichten, worüber jedoch noch keine empirischen Daten zur Verfügung stehen. (Vgl. Weiß, 2011, 95)
Nicht nur die Traumapädagogik stellt ein junges Fachgebiet dar, auch die Psychotherapieforschung hat sich erst im letzten Jahrzehnt vermehrt mit der Behandlung von Traumata beschäftigt. Die Wirkungen unterschiedlicher Verfahren sind positiv zu vermerken. So werden z.B. manualisierte Therapieformen verschiedener Therapieschulen wie EMDR[16] angewandt, was auch für Kinder und Jugendliche wirksam ist. Imaginative Verfahren finden häufig bei komplex Traumatisierten statt, beinhalten eine integrative und ressourcenorientierte Ausrichtung und können als Kombination oder eigenständig durchgeführt werden. (Vgl. Ipsis.de, http://www.ipsis.de/literatur/littraumatherapie.htm) Und auch ausdrucksorientierte Verfahren wie unter anderem die Gestalttherapie finden positiven Zuspruch. Der am meisten untersuchte und als derzeit erfolgreichste Ansatz wird der kognitiv-verhaltenstherapeutische Ansatz von Cohen benannt.
All diese Therapieverfahren haben Standards, die erfüllt werden müssen, um eine wirksame Traumabearbeitung ermöglichen zu können. Hierzu zählt eine therapeutische Beziehung zum Klienten sowie eine ressourcenorientierte Stabilisierungsphase, auf die hohes Augenmerk gerichtet wird. Zudem gehört zu einem therapeutischen Verfahren eine behutsame gut strukturierte Konfrontation mit dem traumatischen Ereignis, ausgeführt von einer ausgebildeten Fachkraft. Speziell in der Therapie mit Kindern und Jugendlichen sollte eine multimodale Behandlung stattfinden. Das bedeutet neben der Traumatherapie die Arbeit mit den Eltern, eine gegebenenfalls notwendige Medikation der Patientinnen sowie die Inanspruchnahme anderer psychosozialer Hilfesysteme. (Vgl. Schmid, Wiesinger et al., 2007, 331ff)
Wie bereits erläutert, musste ein Großteil der von der Jugendhilfe zu betreuenden Kinder und Jugendlichen traumatische Erfahrungen machen, die sie in ihrer Persönlichkeit, Identität und in ihrem Verhalten verändert haben, woraus sich nicht selten psychische Störungen entwickelt haben, was sie zu sehr anspruchsvollem Klientel macht. In der stationären Unterbringung kann z.B. eine Regelwohngruppe diesen Anforderungen nicht ohne Weiteres gerecht werden, (Vgl. ebd. 340) sodass eine traumapädagogische Ausrichtung im Konzept verankert sein sollte und nötige Weiterbildungen für die Fachkräfte selbstverständlich. Die bisherige Zuschreibung der Traumaaufarbeitung bzw. - begleitung zum psychotherapeutischen Arbeitsfeld wird demnach hinfällig. Es gibt jedoch eine Abgrenzung zwischen Traumatherapie und Traumapädagogik, die hilfreich erscheint. Zum einen die sozialrechtliche Grenzziehung, wobei die Kinder- und Jugendhilfe dem SGBVIII zugeordnet ist und die Psychotherapie als Krankenversorgung dem SGB V, in der zum Praktizieren eine Approbation Voraussetzung ist. So kann zum anderen das unterschiedliche Aufgabengebiet von Therapie und Pädagogik angeführt werden. Kurz gesagt ist die Aufgabe der Therapie die fachliche Konfrontation mit dem traumatischen Erlebnis, sodass der Pädagogik die Stabilisierung der KlientInnen im Alltag zukommt, ohne die keine wirksame Therapie möglich ist. Um ein gelingendes Arbeiten auf beiden Seiten zu erreichen, ist eine Kooperation zwischen TherapeutIn und betreuender Einrichtung unabdingbar, was leider noch unzureichend realisiert wird. (Vgl. ebd. 333ff) So könnte die pädagogische Einrichtung Therapieverfahren z.B. mit regelmäßigen Übungen, die die soziale Kompetenz und Perspektivübernahme der Kinder und Jugendlichen schult, unterstützen. Da speziell hoch belastete Klientel nur sehr wenig sozialkompetente Vorbilder haben, hat die Therapieforschung in dieser Förderung eine hohe Effektivität erkannt. (Vgl. ebd. 343)
Anschließend wird die Arbeit der Traumapädagogik detailliert vorgestellt und anhand der Bedarfe der traumatisierten Kinder und Jugendlichen verdeutlicht.
Die Traumapädagogik nutzt den Alltag der traumatisierten Kinder und Jugendlichen, um sie bei den Selbstfindungs- und Selbstheilungsprozessen zu unterstützen. (Vgl. Gahleitner, Hensel, et al., 2014, 59) Das pädagogische Arbeitsfeld wird zum Erlebnisraum für die Traumatisierten. Hier können sie ihre Verhaltensweisen und Annahmen, die aufgrund des Traumas entstanden sind, testen und möglicherweise korrigieren. So wird der Alltag der Kinder, begleitet von pädagogischen Fachkräften, zum zentralen Feld der Traumabearbeitung. (Vgl. ebd. 22) Es kann eine kognitive Umstrukturierung der Erfahrungen stattfinden (Vgl. Weiß, 2011, 86f) und somit zu einer psychischen und sozialen Stabilisierung führen. Zentral ist die Wiederherstellung des Dialoges mit sich selbst, mit der Umwelt und mit dem Leben generell, welcher durch das Trauma zerstört wurde. (Vgl. Gahleitner, Hensel, et al., 2014, 23) Zudem kommen korrektive Beziehungserfahrungen, die das Vertrauen der Traumatisierten wiederherstellen sollen. Der sichere Raum des pädagogischen Feldes und die Psychoedukation[17] ermöglichen, die Selbster- mächtigungs- und Bewältigungsfähigkeiten zu fördern. Hierzu gehört, die Selbstwahrnehmung zu stärken, sodass Empfindungen und Gefühle wieder wahrgenommen und zugeordnet werden können. Die Kinder und Jugendlichen lernen ihre Impulse und Emotionen zu regulieren und das Geschehene in ihr Leben einzuordnen. (Vgl. Beckrath- Wilking, Biberacher et al., 2013, 300f) Die negativen Selbstbilder und behindernden Verhaltensweisen der Betroffenen müssen korrigiert und eine Orientierungshilfe für eine selbstbestimmte Zukunft geschaffen werden. Dazu gehört die Wiedereingliederung in die Gesellschaft, die Bestärkung von Eigeninitiative sowie die Beschaffung von Bildungsmöglichkeiten. (Vgl. Weiß, 2011, 92f) All diese Aspekte helfen den Betroffenen, zum einen ein Generationstrauma zu verhindern und ihre Geschichte mit vorhandenen Verhaltensweisen nicht an ihre späteren Kinder weiterzugeben, zum anderen aus einem...