Ziel und Struktur
des Buches
Trendspotting in zehn Sekunden
Als ich vor Kurzem mal wieder in der Buchhandlung war, ist mir eine große Anzahl von Titeln aufgefallen, die darauf abzielen, Menschen mit wenig Zeit zu helfen. So ändern Sie Ihr Leben in 20 Tagen. Einfach abnehmen im Schlaf. So schaffen Sie Ihre erste Million innerhalb eines Jahres. Da möchte ich natürlich nicht hintanstehen. Ich liefere Ihnen hier eine 10-Sekunden-Anleitung zum Thema Trendspotting: Geben Sie einfach bei Google das Wort »Trend« ein, und schon erhalten Sie Millionen von Links, die alle nur darauf warten, von Ihnen erkundet zu werden. Nun, das Resultat wird im besten Fall gemischt ausfallen und vor allem die Meinungen anderer Leute ausdrücken. Wenn Sie an einer reichhaltigeren und tief greifenderen Sicht der Dinge interessiert sind, müssen Sie wohl oder übel weiterlesen.
Eine verborgene Welt
Stellen Sie sich eine geheime, verborgene Welt vor. Solche Fantasien sind der Stoff, aus dem Märchen und Science-Fiction-Storys sind. Was aber, wenn ich Ihnen sage, dass es tatsächlich eine solche Welt gibt, und zwar hier, unmittelbar vor Ihrer Nase? Bevor also vor Ihrem geistigen Auge Bilder von sprechenden Hasen oder bösen Hexen auftauchen, lassen Sie mich festhalten, dass diese Welt mehr oder weniger denselben wissenschaftlichen Gesetzen folgt wie unsere eigene. Sie existiert hier und heute, und die Chancen sind groß, dass viele von uns sie einfach nicht sehen, weil wir unsere Rolle als Trendspotter nicht ernst genug nehmen. Aber wie um Himmels willen kann es denn sein, dass wir eine ganze Welt verpassen, die unmittelbar vor uns liegt?
Der Grund ist ganz einfach. Wir Menschen leiden unter einem Symptom, das ich Veränderungsblindheit nennen möchte – die Unfähigkeit, selbst elementarste Änderungen wahrzunehmen, die sich unmittelbar vor unseren Augen abspielen. Diese Blindheit hat verschiedene Gründe. So können die Veränderungen entweder zu groß und komplex sein oder über einen zu langen Zeitraum stattfinden, sodass wir keine Notiz davon nehmen. Umgekehrt können die Veränderungen aber auch zu gering oder zu gewöhnlich sein, sodass wir sie gar nicht erst wahrnehmen. Wir leben in einem Mikrokosmos, der von unserem Gehirn erschaffen wurde und nicht unbedingt ein akkurates Abbild dessen darstellt, was wir relativ unscharf als »die reale Welt« bezeichnen. Veränderungsblindheit ist einer der Gründe, weshalb so viele von uns von Ereignissen wie dem 11. September oder der Finanzkrise überrumpelt wurden.
Der blinde Führer
Die Rolle eines Trendspotters besteht darin, Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft aufzudecken. In dieser Funktion habe ich untersucht, weshalb über bestimmte Trends ganz viel gesprochen und geschrieben wird, während andere kaum bemerkt werden. Es schien mir, als ob viele Menschen blind für Veränderungen waren, die mir selbst aufgefallen sind, während ich im Gegenzug offensichtlich eine Menge Dinge verpasst hatte, über die mir andere erzählten. Am Anfang war ich unheimlich stolz darauf, etwas zu wissen, was nur wenigen bekannt war, und übersah großzügig die Punkte, die mir entgangen waren.
Irgendwann aber realisierte ich, dass der Grund, weshalb andere Menschen gewisse Veränderungen im Geschäftsleben und in der Gesellschaft übersehen, wenig bis gar nichts damit zu tun hat, welche Zeitungen, Zeitschriften oder Blogs sie lesen. Belesene Menschen werden oft als hip und trendy betrachtet – am Puls der Zeit. Natürlich gibt es eine Menge von Mode- oder Lifestyletrends, die man zwangsläufig mitbekommt, wenn man bestimmte Medien konsumiert. Aber diese kurzlebigen Trends und »letzten Schreie«, die heute kommen und morgen gehen, haben mich nie sonderlich beeindruckt. Ich interessiere mich eher für einen tief greifenden, transformativen Wandel, der mehr Veränderung in sich trägt als ein bloßer Wechsel der T-Shirt-Farbe oder der MP3-Player-Marke. Über diese Art von Trends wird in Zeitschriften oder Blogs selten bis nie geschrieben, denn sie erfordern, dass wir unter die Oberfläche schauen, verschiedenste Quellen anzapfen, unsere Antennen ausfahren und neben unseren Augen auch unseren Verstand weit öffnen.
Unsichtbare Trends
Viele Menschen betrachten ihre angeborene Fähigkeit zum Aufspüren von Veränderungen – also ihre Trendspotter-Qualitäten – als überdurchschnittlich. In den vergangenen Jahren habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht, alle Menschen, die ich treffe, diesbezüglich nach ihrer Selbsteinschätzung zu fragen, und zwar auf einer Skala von 1 bis 10, wobei 10 der Höchstwert ist. Ich habe sicher über 1.000 Personen aus allen Gesellschaftsschichten befragt und die Mehrheit dieser Leute, deutlich über 80 Prozent, nennt eine Zahl, die höher ist als 5. Dieses Phänomen lässt sich sehr gut mit Erhebungen vergleichen, bei denen sich 80 Prozent der Autofahrer für überdurchschnittlich souveräne Verkehrsteilnehmer halten, die ganz klar in den oberen 20 Prozent einzustufen sind.
Wir glauben nur allzu gerne, dass wir besonders gut im Erkennen von Veränderungen sind, weil dieser Fähigkeit ein hoher Stellenwert zukommt, besonders wenn Sie in der Geschäftswelt oder gar an Aktienmärkten tätig sind. Viele von uns täuschen sich jedoch gewaltig. Wir sind nicht annähernd so gut im Erkennen von Trends, wie wir gerne glauben. Die beschlagenen Brillengläser, durch die wir die Welt betrachten, funktionieren wie ein Schutzschild, das ein Universum voller Einblicke und Einsichten vor uns verbirgt. Um genau diese Facetten der Unsichtbarkeit geht es in diesem Buch.
Die sieben Facetten der Unsichtbarkeit
Dieses Buch ist in sieben Kapitel gegliedert, wobei sich jedes einzelne einer konkreten Ursache widmet, die bewirkt, dass wir bestimmte Arten von Trends nicht sehen. Ich werde jeden dieser Trends mit einem Beispiel illustrieren, das meine Sicht der Welt in den vergangenen Jahren verändert und geformt hat. Ich hoffe sehr, dass die eine oder andere Geschichte auch für Sie als Leser anregend ist und Ihnen die Augen für gewisse Dinge öffnet. Außerdem können Sie dieses Buch auf zwei Arten lesen: Zum einen dient es als Einblick in die Funktionsweise unserer Wahrnehmung, zum anderen gibt es einen Abriss der Trends, die gegenwärtig unsere Welt verändern.
Die sieben Facetten der Unsichtbarkeit sind:
1. Unsichtbarkeit durch Gewöhnung – die Veränderungen waren zu langsam, um von uns bemerkt zu werden.
Langsame und langfristige Veränderungen sind für uns oft unsichtbar, da unser Gehirn sie nicht registriert. Wenn Veränderungen mehrere Jahrzehnte umspannen, so wird sich jede Generation im Laufe der Zeit zunehmend an sie gewöhnen, sodass sie auf natürliche Weise in unser Leben eingebettet werden. Ein gutes Beispiel dafür ist die Umweltverschmutzung. Stellen Sie sich einmal vor, dass plötzlich von heute auf morgen an Seen und Flüssen Schilder aufgestellt werden, auf denen »Achtung, giftig! Schwimmen verboten!« steht. Wir würden in Panik geraten und wütend nach den Schuldigen suchen. Weil aber die Umweltverschmutzung im Laufe der letzten Jahrzehnte nach und nach zur Lebensrealität geworden ist, entlockt es kaum mehr jemandem ein Stirnrunzeln, wenn im Wetterbericht vor einem erhöhten Smoglevel gewarnt wird oder Seen und Flüsse erwiesenermaßen zu dreckig geworden sind, um darin zu schwimmen.
2. Unsichtbarkeit durch winzige Veränderungen – wir konnten den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen.
Die menschliche Sichtweise ist darauf trainiert, Dinge als starr zu betrachten, auch wenn sie in Wahrheit aus sich ständig bewegenden Teilen bestehen. Die Schweizer Alpen sind für uns ewig und unverrückbar, obwohl sie durch Abnutzung der Elemente ständig ein wenig schrumpfen. Auch die Persönlichkeit von Mitmenschen betrachten wir als statisch, mit Ausnahme von uns selbst natürlich, denn wir können uns ja jederzeit ändern, wenn wir wollen. Weil wir als Menschen diese Vorstellung von Starrheit bzw. Stabilität haben, tendieren wir dazu, diese auch auf die Märkte und die Gesellschaft im Allgemeinen zu übertragen. Organisationen definieren sich über Grenzen und basteln sich ausgeklügelte Leitbilder und Markenstrategien. Ganze Industrien werden mit Namen und Begrenzungen versehen. Menschen werden zu Clustern zusammengefasst. Geografische Territorien werden als Staaten definiert – durch das Setzen von Grenzsteinen im Erdboden. Diese starre Sicht der Dinge ist oft falsch und führt dazu, dass wir Änderungen übersehen, die unmittelbar vor unseren Augen stattgefunden haben. Wir waren so sehr damit beschäftigt, den Wald zu beobachten, dass wir nicht bemerkt haben, dass die Bäume bereits weitergezogen sind.
3. Unsichtbarkeit durch Plötzlichkeit – wir haben kurz geblinzelt und alles...