TRIGGER-WARNUNGEN
Zur Politisierung eines traumatherapeutischen Konzepts
Markus Brunner
Der Begriff der Trigger-Warnung machte in den vergangenen Jahren in Tageszeitungen die Runde, die über hitzige Campus-Debatten an amerikanischen Universitäten berichteten. An verschiedenen Orten gab es studentische Klagen über Lehrveranstaltungen als potenziell traumatisierende Räume bzw. darüber, dass Lehrinhalte, allen voran literarische Werke, bei Menschen mit Gewalterfahrungen Retraumatisierungen auslösen (triggern) könnten. An der Columbia University in New York entflammte beispielsweise eine Debatte um die graphische Darstellung von Vergewaltigung und sexueller Belästigung in Ovids »Metamorphosen«, die bei Frauen, insbesondere Überlebenden von Vergewaltigungen, kaum zu ertragende Gefühle auslösten.1 Gefordert wurde jeweils je nach Ausrichtung der studentischen Proteste zum Beispiel einfach, dass die Studierenden im Unterricht zukünftig vorgewarnt werden sollten, wenn im Lehrstoff graphische Darstellungen von sexueller Gewalt oder selbstverletzendem Verhalten oder rassistische Beschreibungen vorkämen, die Studierenden der Columbia University forderten eine Schulung der Professor_innen zum Umgang mit potenziell triggerndem Material und von massiven Gefühlen überrollten Studierenden im Unterricht. An anderen Orten wurde darauf bestanden, potenziell traumatisierende Stoffe ganz aus dem Unterricht zu nehmen. Eine amerikanische Sexualrechtsprofessorin berichtet sogar von Forderungen Studierender, dass sie den Begriff »verletzen« nicht mehr benutzen solle, weil er Opfer von Gewalt triggern könne.2
Gegen die studentischen Forderungen liefen Hochschulangehörige, aber auch journalistische Kommentatorinnen Sturm: Von liberaler wie konservativer Seite wurden die studentischen Klagen als Zensurmaßnahmen angeklagt und als Folgen einer lächerlichen Political Correctness gelesen, die erstens die fundamentalen Prinzipien der Redefreiheit und des akademischen freien Austauschs von Argumenten angreife und zweitens Ausdruck einer narzisstischen Selbstbezüglichkeit und Verweichlichung der heutigen Studierenden sei. Gerade von liberaler und linker Seite wurde eingeworfen, dass es doch gute Bildung auszeichne, dass sie die zu Unterrichtenden nicht nur intellektuell, sondern auch emotional herausfordere, sie aus ihrer Comfort Zone herausreiße und es so ermögliche, auch kontroverse Debatten auszuhalten und sich in ihnen zu engagieren – kontroverse Debatten, in denen es genau um die wichtigen Themen ginge, die auch den Studierenden ein Anliegen seien: Rassismus, Sexismus oder andere Formen gesellschaftlicher Diskriminierung.
Die Debatte um Trigger-Warnungen beschränkte sich keineswegs nur auf die Universitäten, sondern auch auf andere Bereiche der Öffentlichkeit. In New York wurde zum Beispiel eine Petition lanciert, die forderte, ein umstrittenes Gemälde des Malers Balthus, das ein junges Mädchen in einer als sexuell aufreizend wahrgenommenen Pose zeigt, aus dem Metropolitan Museum zu entfernen. Auch in Deutschland gibt es mittlerweile solche Diskussionen: Die Berliner Alice Salomon Hochschule kündigte an, den vehementen Forderungen von Studierenden nachzukommen und ein Gedicht von ihrer Fassade zu entfernen, in dem gleichermaßen die Schönheit von Alleen, Blumen und Frauen bewundert wurde. In der Populärkultur sind explizite Trigger-Warnungen sowieso schon gang und gäbe: Zahlreiche Fernsehsender und Streaming-Seiten warnen ihre Zuschauerinnen vor Beginn von Filmen und Serienepisoden vor graphischen Darstellungen von Gewalt, Sexualität oder Drogenkonsum.
Die zum Teil hohe Wellen schlagenden Debatten, vor allem um den Unterrichtsstoff an Universitäten und um öffentliche Kunst, führten dazu, dass das Jahr 2013 von der Internetzeitschrift Slate gar zum »Jahr der Trigger-Warnung« erklärt wurde. Der englische Begriff »trigger warning« war etwa ein Jahrzehnt davor erstmals im Internet aufgetaucht, wohl zuerst in Fanfiction-Communitys, wo sorgsame Schreiber_innen ihre Leser_innen vor möglicherweise verstörenden Inhalten zu warnen versuchten.
Der Begriff »Trigger« stammt aus der Traumatheorie und bezeichnet bestimmte Reize, die unwillkürlich die Erinnerung an ein zurückliegendes Trauma auslösen und dadurch Flashbacks hervorrufen können; die Traumatisierten fühlen sich dann plötzlich in die traumatische Situation zurückversetzt, werden von Angst überflutet und reagieren – wie in der früheren traumatischen Situation – mit Zuständen psychischer Dissoziation, massiven Aggressionen oder werden psychisch gelähmt.
Es ist denn auch die Möglichkeit von solchen Retraumatisierungen durch Schlüsselreize, die in den sensibelsten Beiträgen zur Trigger-Warnungsdebatte im Zentrum stehen: Häufig aus den Disability Studys stammende Pädagoginnen3 argumentieren, dass es zum Beispiel Opfern von Folter, Krieg oder sexueller Gewalt verunmöglicht werde, am Unterricht weiter teilzunehmen und sich mit dem Unterrichtsstoff zu beschäftigen, wenn sie durch Gewaltdarstellungen getriggert und dadurch paralysiert würden. Triggerwarnungen dienen hier einem möglichst inkludierenden, barrierefreien Unterricht: Könnten sich die Traumatisierten psychisch auf solche Darstellungen vorbereiten, würden sie auch nicht von der Traumadynamik überrollt, was es ihnen ermöglichte, am Unterricht besser teilzunehmen. Richtigerweise betonen die Autorinnen, die aus dieser Richtung schreiben, dass eine Retraumatisierung etwas anderes sei als das Rütteln an der eigenen Komfortzone oder das Konfrontiertwerden mit unangenehmen Wahrheiten. Trigger-Warnungen hätten in diesem Kontext gerade nicht die Funktion, dem verstörenden Material auszuweichen, sondern im Gegenteil sollen sie es den Betroffenen gerade ermöglichen, sich mit diesem auseinanderzusetzen.
Um psychische Zusammenbrüche zu verhindern, ist ein Unterricht, in dem eine Sensibilität gegenüber der Wirkung von Gewaltdarstellungen vorherrscht und in dem die Studierenden auch im Vorfeld gewarnt werden, sicher nicht verkehrt. Darauf zielt zum Beispiel die Resolution der Minnesota Student Association, die Lehrende ersucht, Trigger-Warnungen bei graphischen Darstellungen von Missbrauch, Folter, sexueller Gewalt, Selbstverletzung und bei der Porträtierung von Menschen mit schweren psychischen Problemen oder Essstörungen auszusprechen.4 Studien in den USA zeigen auch, dass über die Hälfte der College- und Universitätsdozierenden in den USA immer wieder solche Warnhinweise im Unterricht geben.5
Solchen Maßnahmen zur Traumaprävention sind allerdings Grenzen gesetzt. Triggern können nämlich nicht nur explizite Gewaltdarstellungen, sondern schon äußerst subtile Wahrnehmungsmomente: Bestimmte Gesichtszüge, Gesten oder Stimmen können an die Täter_innen erinnern, spezifische Gerüche oder Geräusche an den Ort der Tat, zuweilen kann nur ein durch Vorhänge produziertes Licht-und-Schatten-Spiel oder das Parfüm des Sitznachbarn Flashbacks auslösen. Kein auch noch so sensibel gestalteter öffentlicher Raum kann also Betroffene vor retraumatisierenden Situationen wirklich schützen. Angesichts dessen wäre es eher wichtig, Lehrpersonen für diese Möglichkeiten zu sensibilisieren, und eventuell dadurch einen Raum zu schaffen, in dem sich Betroffene auch vertraulich an diese wenden können und die Möglichkeit haben, im Notfall den Raum zu verlassen – auch wenn natürlich Lehrpersonen keine Traumatherapeut_innen werden können und sollen.
Solche Forderungen nach einem inkludierenden Unterricht und einer Sensibilität für Überlebende von Gewalt oder Menschen, die unter schwereren psychischen Krankheiten leiden, würde wohl kaum auf riesigen Widerstand stoßen und hitzige Debatten auslösen. Was aneckt ist, dass die Forderung nach Trigger-Warnungen Teil politischer Kämpfe ist, die sich in den letzten Jahrzehnten immer mehr mit Traumadiskursen verwoben haben. Das hängt ebenso mit allgemeinen diskursiven Verschiebungen zusammen wie mit einer Eigenart des Traumadiskurses selbst, der immer schon sehr dezidiert Teil politischmoralischer Debatten war.
José Brunner6 verortet das Aufkommen des Diskurses über psychische Traumatisierungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in einem erst in der bürgerlichen Gesellschaft auftauchenden individualistischen und demokratischen Ethos, der das Individuum nicht nur mit spezifischen Rechten und Pflichten ausstattet, sondern es auch als vor Unrecht zu beschützendes Wesen konzipiert. Die ersten Traumadebatten in Deutschland fanden denn auch vor Gericht statt, als im Zuge einer neuen Sozialgesetzgebung, welche nach Arbeitsunfällen arbeitsunfähig gewordenen Arbeiterinnen Rentenansprüche gewährte, auch Arbeiterinnen Renten einklagten, bei denen nach Unfällen keine physische Versehrung nachzuweisen war, die aber psychische Schädigungen geltend machten. In den Gerichten ging es darum, die wirklich Kranken von den Simulant_innen zu trennen, während es den Klägerinnen darum...