Kapitel eins
Der (virtuelle) Dritte Weltkrieg
Am 9. November 2016 um 9:32 Uhr Moskauer Ortszeit trat der Abgeordnete Wjatscheslaw Nikonow der Pro-Putin-Partei Einiges Russland ans Rednerpult der Staatsduma, des russischen Äquivalents des US-Repräsentantenhauses, um eine ganz außergewöhnliche Erklärung abzugeben.
Der Enkelsohn von Wjatscheslaw Molotow – dem kaltblütig-skrupellosen Stalinisten, nach dem der Molotowcocktail benannt wurde – war seit etwa 40 Jahren in der sowjetischen und russischen Politik aktiv gewesen und hatte dabei auch zeitweise in Wladimir Putins Stab gedient. Jetzt wollte er eine ziemlich schlichte, zurückhaltende Ankündigung machen, die auf ihre Art jedoch ebenso historisch und aufrührerisch war wie alles, was sein Großvater jemals getan hatte.
»Liebe Freunde, verehrte Kollegen!«, sagte Nikonow. »Vor drei Minuten hat Hillary Clinton anerkannt, dass sie die US-Präsidentschaftswahlen verloren hat. Vor ein paar Sekunden hat Trump begonnen, seine Antrittsrede als gewählter Präsident der Vereinigten Staaten zu halten, und dazu gratuliere ich Ihnen.«1
Obwohl Nikonow nicht erwähnte, was viele im Kreml bereits wussten, wurde sein kurzes Statement mit begeistertem Applaus begrüßt: Donald J. Trump war soeben zu Wladimir Putins Mann im Weißen Haus geworden.
*
Dieses Buch berichtet von einer der größten Geheimdienstoperationen der Geschichte, einem Unterfangen, das jahrzehntelang vorbereitet worden war und durch das die russische Mafia und russische Geheimagenten es schafften, ein entweder absichtlich unwissendes oder unerklärlich ahnungsloses Russian asset zu finden (mit »Asset« ist hier eine Person gemeint, die Einfluss auf die öffentliche Meinung hat), zu kompromittieren und dann als mächtigsten Mann der Welt im Weißen Haus zu installieren. Ohne einen einzigen Schuss abzugeben, schafften es die Russen durch diese Operation, einen Mann an die Macht zu bringen, der sich sofort daranmachte, das westliche Bündnis zu untergraben, das seit mehr als 70 Jahren das Fundament der nationalen Sicherheit der Vereinigten Staaten gebildet hatte; massive Handelskriege mit den langjährigen Verbündeten der Vereinigten Staaten vom Zaun zu brechen; gegen Zuwanderung agitierenden Populisten vom rechten Flügel Auftrieb zu geben und die rechtsstaatliche Verfasstheit der Vereinigten Staaten zu attackieren.
Kurzum, in einer Zeit, in der die USA mit einer neuen Form der Kriegsführung konfrontiert waren – einem hybriden Krieg, der über Cyberkrieg, Hackerangriffe, Desinformation und Ähnliches mehr geführt wurde –, sollten sie von einem Mann geführt werden, der die Abwehr des Landes untergraben und ungewollt dem Kreml in die Hände spielen würde.
Es ist eine Geschichte, die schwierig zu erzählen ist, obwohl Donald Trumps Beziehungen zu Russland im Verlauf der vergangenen 40 Jahre in vielerlei Hinsicht ein offenes Geheimnis sind. Ein Grund, warum sie so lange weitgehend unbemerkt blieben, könnte darin liegen, dass einige ihrer Aspekte so verstörend und grenzüberschreitend sind, dass es vielen US-Bürgern widerstrebt, sich den finsteren Realitäten zu stellen, die sich direkt vor ihren Nasen abspielen.
Das führt dazu, dass die eigentlichen Worte für das, was geschah, häufig durch erbitterte semantische Diskussionen verdrängt werden. Was immer Russland in Bezug auf die Präsidentschaftswahlen 2016 getan hat – war es nun ein Angriff auf die Souveränität der Vereinigten Staaten oder nur eine unerwünschte Einmischung? War es ein feindlicher Akt? Hat die Beeinflussung der Russen das Ergebnis der US-Präsidentschaftswahlen 2016 geändert? War es Landesverrat? Ist Donald Trump ein Verräter? Ein russischer Agent? Oder lediglich ein sogenannter nützlicher Idiot, der irgendwie – durch absichtliche Blindheit oder kolossale Ahnungslosigkeit – nicht einmal weiß, dass er durch Russland kompromittiert wurde?
Präsident Donald Trump bestreitet natürlich, irgendetwas mit Russland zu tun zu haben. Zehn Tage vor seiner Vereidigung hat er getweetet: »Russland hat nie versucht, mich unter Druck zu setzen. ICH HABE NICHTS MIT RUSSLAND ZU TUN – KEINE DEALS, KEINE KREDITE, ABSOLUT NICHTS!«2
Doch dieses Buch wird zeigen, dass Präsident Donald Trump und Konsorten in den vergangenen 40 Jahren bedeutsame Beziehungen zu mindestens 59 Personen hatten, die Geschäfte zwischen Trump und den Russen förderten – darunter auch Beziehungen zu Dutzenden Personen, die angeblich Verbindungen zur russischen Mafia haben.
Es wird zeigen, dass Präsident Trump die Verwendung von Trump-Immobilien als ein Vehikel zuließ, das wahrscheinlich seit mehr als 30 Jahren dazu diente, enorme Geldsummen – womöglich Milliardenbeträge – für die russische Mafia zu waschen.
Es wird zeigen, dass Präsident Trump in ungefähr demselben Zeitraum immer wieder für dem Kreml nahestehende Oligarchen und einige der mächtigsten Figuren der russischen Mafia eine Operationsbasis bereitstellte, in seinem Trump Tower – dem Kronjuwel seines Immobilienimperiums, wo er seine Privatwohnung und sein Büro hat – und in anderen Gebäuden.
Es wird zeigen, dass in diesem Zeitraum die russische Mafia wahrscheinlich de facto der Russischen Föderation gedient hat, ganz ähnlich wie US-Geheimdienste den Vereinigten Staaten dienen, und dass viele Personen aus Trumps Umfeld enge Beziehungen zum russischen FSB (»Föderaler Dienst für die Sicherheit der Russischen Föderation«) pflegten, dem staatlichen Geheimdienst, der als Nachfolger des gefürchteten KGB (»Komitee für Staatssicherheit«) fungiert.
Es wird zeigen, dass Präsident Trump für sowjetische und russische Geheimdienste seit über 40 Jahren eine Person von Interesse ist, und dass er wahrscheinlich das Ziel einer oder mehrerer Operationen war, die kompromat (kompromittierendes Material) über seine sexuellen Aktivitäten produzierten.
Es wird zeigen, dass russische Akteure, darunter auch Schlüsselfiguren der russischen Mafia, die Schwachstellen der Pay-for-Play-Kultur der US-Politik sehr genau analysierten – vom Vertrieb von Benzin bis zur Wall Street, von Wahlkampfspenden bis zu den Machenschaften von Lobbyisten in der Washingtoner K Street – und dann dutzendweise mächtige Anwälte, Lobbyisten, Steuerberater und Immobilienentwickler engagierten, um das Wahlsystem, die Justiz und diverse Finanzinstitutionen der Vereinigten Staaten zu kompromittieren.
Es wird zeigen, dass Präsident Trump keineswegs das einzige potenzielle »Asset« war, das von den Russen ins Visier genommen wurde, sondern nur einer von zig Politikern – die meisten von ihnen Republikaner, aber auch einige Demokraten – und Geschäftsleuten, die bei Russland in der Schuld standen, und dass seit über 20 Jahren Millionenbeträge von Einzelpersonen und Unternehmen, die aus Russland stammen oder Verbindungen zu Russland haben, an Politiker der Republikanischen Partei fließen, etwa an Mitch McConnell, den Mehrheitsführer im US-Senat.
Es wird zeigen, dass die mächtigsten Funktionäre der nationalen Sicherheitsdienste der Vereinigten Staaten – darunter die beiden FBI-Direktoren William Sessions und Louis Freeh sowie der Sonderermittler der CIA Mitchell Rogovin – letztlich mit Russen zusammenarbeiteten, die als ernsthafte Bedrohung für die Vereinigten Staaten galten.
Es wird zeigen, dass Präsident Trump mit vier Milliarden Dollar verschuldet war, als russisches Geld ihn vor dem Bankrott bewahrte, wodurch er nach wie vor tief in Russlands Schuld steht, weil es seine Businesskarriere wiederbelebte und sein neues Leben in der Politik auf den Weg brachte.
Es wird zeigen, dass Präsident Trump mit einem verurteilten Straftäter namens Felix Sater zusammenarbeitete, der angeblich Verbindungen zur russischen Mafia hatte, und dass Trump die Tatsache nicht öffentlich machte, dass Sater ein Krimineller ist und er selbst von dieser Beziehung profitierte.
Und es wird zeigen, dass Präsident Trump heute, da er Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte ist, im Endeffekt, um es mit den Worten des früheren Nationalen Geheimdienstdirektors James Clapper zu sagen, ein Geheimdienst-»Asset« ist, das dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zuarbeitet3 –, oder, noch schlimmer, wie der ehemalige CIA-Agent Glenn Carle gegenüber Newsweek sagte: »Meiner Einschätzung zufolge arbeitet Trump tatsächlich direkt für die Russen.«4
Aber vielleicht hat James Comey es am besten ausgedrückt. Im Januar 2017, also kaum eine Woche, nachdem Donald Trump als Präsident vereidigt worden war, lud der Präsident den damaligen FBI-Direktor Comey für ein Dinner unter vier Augen ins Weiße Haus ein. Comey hat Trump als »Mann ohne Moral« und »ohne jede Bindung an die Wahrheit« charakterisiert und sein Verhalten mit jenem eines Mafiabosses verglichen; in seinem Buch Größer als das Amt (A Higher Loyalty) schreibt er, Trump habe zu ihm gesagt: »Ich brauche Loyalität. Ich erwarte Loyalität.«5
Diese Forderung habe Comey an eine Initiationszeremonie der Cosa Nostra erinnert, mit Trump in der Rolle des Paten der Mafiafamilie. »Ich war erschüttert«, schreibt Comey. »Eine solche Begegnung hatte ich im Oval Office noch nie erlebt. Und die Tatsache, dass ich in den Trump’schen Dunstkreis gestoßen worden war, verursachte Flashbacks, lauter Dinge aus meiner Anfangszeit als Antimafiaermittler waren plötzlich wieder da....