Kapitel I
Grundlagen und Pläne
Kapitel 1., Erste These: (1.1)
Sun Tsu sagt:
Die Kunst des Krieges ist für den Staat von lebenswichtiger Bedeutung.
Wenn Krieg geführt wird, sollen Ziele erreicht werden. Beide oder alle Kriegsparteien hegen Absichten, wollen Vorteile erringen. Ziele können mannigfacher Art sein – Land, Gold oder Arbeitskräfte lauten die populärsten unter ihnen.
Um ein Ziel zu erreichen, muss ein Weg gefunden werden. Das ist bildlich, aber auch durchaus auch wörtlich zu verstehen. Den Weg zum Erfolg zu finden und zu sichern, kann von existenzieller Bedeutung sein. Einen wirklichen Weg oder einen Pfad unkenntlich zu machen, eine Brücke zu zerstören, kann ebenso bedeutsam sein.
1.2.
Die Kunst der Kriegsführung ist eine Frage von Leben und Tod, ein Weg, der in die Sicherheit mündet oder aber in den Untergang führen wird. Fürderhin darf sie unter keinen Umständen zu gering geschätzt werden.
Im Leben wie im Krieg sind Grundsätze von Bedeutung. Sie sind die Eckpfeiler unseres Handelns, sie sind die Stützen unseres Seins. Um unser Handeln rechtfertigen zu können – sei es unter den Gesichtspunkten des Erfolges oder unter dem Aspekt der Integrität – ist es für uns selbst, vor allem aber für diejenigen, die uns folgen, von größter Wichtigkeit, diese Eckpfeiler, diese Grundwerte festzulegen und zu erklären.
1.3.
Die Kunst des Krieges wird von fünf Gegebenheiten bestimmt, welche stets gleich bleiben. Von ihnen sollen wir wissen, wenn wir zu wissen trachten, wie das Schlachtfeld beschaffen ist.
1.4.
Diese Gegebenheiten aber heißen: Das Gesetz der Moral, Himmel, Erde, der Kommandant, Methode und Disziplin.
1.5.
Das Sittengesetz bewirkt eine vollständige Übereinstimmung der Menschen mit dem Manne, der sie führet …
1.6.
… sodass sie ihm aller mögliche Gefahren für Leib und Leben zu Trotze bedingungslos und unverzagt ins Felde folgen.
1.7.
Himmel aber bezeichnet Nacht und Tag, Kälte und Hitze, die Zeiten und Stunden von Jahr und Tag.
1.8.
Erde umfasst Entfernungen – ob groß oder klein; Gefahr und Sicherheit, offenes Feld und enge Passwege, die Möglichkeiten und Fährnisse von Leben oder Tod.
Ein wichtiger Fels, ein Sinnbild für die Kunst des Krieges ist der Kommandant, sei es eines Heeres, einer Kompanie oder einer Einheit. Er muss in sich scheinbar widersprüchliche Tugenden vereinen, Tugenden, die ihm Zuneigung ebenso wie Treue einbringen, die seinen Soldaten Mut als auch die nötige Disziplin bescheren.
1.9.
Derjenige, der führet, er stehe für die Tugenden von Weisheit, Aufrichtigkeit, Güte, Mut und geradlinige Klarheit im Denken.
Hat man sich mit dem Zwang zu handeln und den daraus sich ergebenden Notwendigkeiten, dem Mühsal und Forderungen an das Selbst vertraut gemacht, so ist es unabdingbar für den Verantwortlichen, sich auch mit den »niedrigen« Elementen der Kriegskunst zu befassen. Der Handelnde muss das Wohl und Wehe seiner Armee stetig im Blick behalten. Diejenigen, die von ihm an hervorragender und führender Statt eingesetzt werden, müssen ebenso einen Blick für das Große, Ganze haben, wie der Führende für die kleinsten Dinge.
1.10.
Unter Methode und Disziplin ist zunächst die Unterteilung der Armee in Divisionen von geeigneter Form und Größe zu verstehen, außerdem die Rangordnungen unter den Offizieren, die stete Passierbarkeit der Versorgungswege und fürderhin die stete Kontrolle der nötigen Ausgaben für die Kriegsführung.
1.11.
Diese fünf Schlüsselbegriffe sollten jedem General vertraut sein. Er, der um sie weiß, wird siegreich sein; er, der sie kennt, kann nicht scheitern.
So sprach Sun Tsu und mit diesen Worten geleitet er den Lesenden in seine 13 Kapitel über die Kriegskunst. Nun aber, da der Leser vertraut ist mit dem Wesen des Generals und seinem Ideal, da spricht der General nur noch zu ihm, zum Lesenden, selbst:
1.12.
Wenn du also nach diesen Überlegungen vorgehen und bestimmen willst, wie die militärischen Bedingungen aussehen mögen, so gib deinem Geist die folgenden Fragen zum Vergleiche:
1.13.1.
Welcher der beiden Herrscher handelt im Gleichklang mit dem Gesetz der Moral?
1.13.2.
Welcher der beiden Führenden ist der Fähigere?
1.13.3.
Bei wem liegen die Vorteile von Himmel und Erde?
1.13.4.
Auf welcher Seite ist das Streben nach Disziplin stärker ausgeprägt?
1.13.5.
Welche Armee ist die stärkere?
1.13.6.
Auf welcher Seite sind Offiziere und Mannschaften besser ausgebildet?
1.13.7.
In welcher Armee herrscht größere Gewissheit darob, dass Verdienste angemessen belohnt und Missetaten gerecht bestraft werden?
1.14.
Wenn ich um diese sieben Bedingungen weiß, dann vermag ich Sieg oder Niederlage vorherzusagen.
So sagt Sun Tsu, dass nichts unverzeihlicher wäre, als mit blindem Mute voranzustürmen. Zwar braucht der Sieg auch Eigenschaften wie Tollkühnheit und Raserei, doch sollten diese stets dem gemeinen Soldaten, niemals jedoch den Führenden zu Eigen sein. Wenn aber der einfache Kämpfer in die Schlacht gesandt wird und sein Blut ist heiß vor Kampfeslust, so soll der Mann, der ihn gesandt hat, stets um die Folgen der Raserei wissen und auch darum, dass Krieg ein Morden ist, das schwer zum Ende findet. So sollte mannigfacher Tod durch klugen Plan vermieden werden – nur wenn der Krieg ein schnelles Ende findet, wird noch Leben auf dem Felde sein.
1.15.
Der General, der auf diesen meinen Rat hört und nach ihm handelt, wird obsiegen und so belasse diesem den Befehl. Der aber, der meinen Rat nicht hört und nicht nach ihm handelt, wird eine Niederlage heraufziehen lassen, diesen musst du gehen heißen!
1.16.
Wenn du meinem Rat vertraust und aus ihm Nutzen ziehest, so sollst du doch auch nicht säumen, dich aller anderen Umstände, die hilfreich sein mögen, zu bedienen – auch jener, die abseits der gewöhnlichen Umstände und Ratschläge liegen.
Denn Sun Tsu weiß wohl, dass eine Weisheit alleine nie genügen wird, um alles zu verstehen. Das Befolgen von Regeln ist gut, das Befolgen von Regeln und das Wissen um weitere Möglichkeiten ist besser.
1.17.
Sei gewahr, dass Krieg zu führen stets auf Täuschung gründet.
Denn, so weiß Sun Tsu, im Krieg ist alles erlaubt, was schnell zum Siege führt. So mag dies zuweilen wohl die offene Feldschlacht sein, weit häufiger jedoch ist es die List, die den Frieden schneller möglich macht.
1.18.
Dies bedeutet, dass wir glauben machen, wir könnten nicht angreifen, wenn wir doch angreifen könnten, dass wir untätig scheinen, wenn wir doch unsere Streitkräfte marschieren lassen. Wenn wir dem Feinde nahe sind, müssen wir ihn doch glauben machen, wir seien noch weit entfernt, und wenn wir in weiter Ferne sind, so soll er aber glauben, wir seien ihm nah.
1.19.
Lege auch Köder aus, um den Feind zu locken. Täusche Unordnung vor und dann zerschmettere ihn.
1.20.
Dann, wenn der Feind sich all überall sicher wähnt, sei du für ihn bereit. Doch wenn seine Kräfte überlegen sind, dann weiche ihm aus.
1.21.
Wenn dein Gegner hitzigen Gemütes ist, dann versuche ihn zu reizen. Zeige dich ihm als schwach, das mag ihn überheblich werden lassen.
1.22.
Wenn er sich sammeln will, dann gönne ihm keine Ruhe. Wenn seine Kräfte gebündelt sind, dann trachte sie zu zersplittern.
1.23.
Greife ihn dort an, wo er nicht damit rechnet, erscheine dort, wo deiner nicht erwartet wird.
1.24.
All jene Listen aber, die zum Siege führen sollen, dürfen zu keinem Preis zuvor offenbart werden.
So plane die Schlacht, wäge Sinn und Unsinn des Kampfes ab. Wisse um den Nutzen des Denkens, des Planens, was den Menschen unterscheidet vom tollwütigen Tiere. Viele schätzen den Wert des guten Denkens zu gering im Angesicht des Zorns, der Raserei, der blinden Wut. Mit solchen...