Zweites Kapitel
DIE MORAL VON DER GESCHICHT’?
Trau Fabrikanten, Bossen, Unternehmern nicht, und denen nicht, die reich sind
Dieses Buch faßt die Einsichten zusammen. Dieses Buch zieht die Bilanz. In diesem Buch wird die Moral von der Geschicht’, und zwar von dieser Art Literaturgeschichte, gezogen. Und die Moral ist diese: Wir leben in einer eigenartigen Welt, in der junge Menschen händeringend aufgefordert werden, Unternehmen zu gründen. Gleichzeitig aber werden in der mächtigsten kulturellen Instanz unseres Alltags – der Unterhaltung – mit wohligem Schauer Raffgier, Bösartigkeit, Korruption, Intriganz, Rücksichtslosigkeit, Borniertheit und Kleinbürgerlichkeit, Verschwendungssucht, Unmenschlichkeit der Bosse, der Fabrikanten, der Unternehmer und der Reichen im allgemeinen inszeniert. Und wir? Wir sitzen mit ebenso wohligem Schauer davor. Und manchmal sehen wir die Leute, die in diesen Büchern, Filmen, Comics, Theaterstücken und Spruchweisheiten überführt werden, gar im Spiegel.
Wenn wir reich sind, sind wir natürlich durch Arbeit reich geworden (wie sonst?). Aber offensichtlich kann man niemandem erklären, wie man durch Arbeit reich wird. Also müssen die, die vorgeben, durch Arbeit reich geworden zu sein, irgendwie mit dem Teufel im Bund stehen. Immer wieder, ob Kino, Fernsehen oder Buch, ist es das eine Motiv: Das Böse kommt auf reichen Sohlen – oder auch umgekehrt: Reich wird man nur, wenn man mit dem Bösen einen Pakt hat und die alte biblische und die alte philosophische Weisheit verdrängt, daß das wahre Glück im Stillen liege, so wie es auch der Volksmund sagt und wie es vor zweitausend Jahren Lukrez besang, und wie es danach so viele immer wieder betonten, bis es zur volkstümlichen Wahrheit in den Sprüchen der niederen Stände wurde, die ein weiteres Studienfeld darstellen.
Auch da nämlich, in den Spruchweisheiten des Volkes aller Generationen, kommt der Reiche, kommen die Händler und Unternehmer nicht gut weg.
Wundert man sich darüber, daß es an der Mentalität fehlt, Unternehmen zu gründen? Wer solches tut, gerät doch sofort in Verdacht!
Auch deren Handlanger geraten ins Kraftfeld des Bösen („Dienstleister“ würde man wohl heute sagen), die Werber und Anwälte, Ärzte, alles Gangster, Erpresser, Intriganten, gefühllose Spekulanten, ja Ehebrecher, denen Macht und Geld über alles geht. Selbst im „Faust“ wird die Medizin vom Teufel zu nichts anderem hervorgehoben als … aber lassen wir das an dieser Stelle. Es wird an geeigneterer Stelle (und zwar auf Seite 275) darüber zu reden sein, wobei hier nur soviel verraten werden darf: Der tiefere Sinn des ganzen „Faust“ besteht darin, daß die reine Ausrichtung auf den Nutzwert geradewegs in Hölle führt. Was sich hier schon aus dem „Faust“ festhalten läßt, ist, daß allein die unschuldige Tugend die schuldige Gier nach immer mehr erlösen kann, daß die Katharsis immer ein reiner Mensch ist, der meist so aussieht wie Isabel Adjani oder, in männlicher Version, Tom Cruise.
Es ist eben eine Frage der Ehre.
Auf den rechten Pfad gebracht, wenn überhaupt, wird der Reiche also durch Außenseiter, durch gute Geister, wie im Märchen. Fäuste (oder wäre es besser zu sagen: Fauste?), die mit Mephistopheles den Bund auf ihre Seele geflochten haben, aber nur um des – wie es so schön heißt – „schnöden Mammons“ willen, der weiteren Mammon erzeugen soll und so fort, bis man, wie Dagobert Duck, nicht einmal mehr mit dem Zählen nachkommt, Fäuste also werden durch reine Jungfrauen (die sie oft geschändet haben) oder durch naive, aber pfiffige Neffen immer wieder an die Wahrheit des Lebens gemahnt: Menschen sind es, die im Mittelpunkt stehen.
Humankapital!
Dessen Wert wird in der Literatur am Ende dann doch immer höher geschätzt als der schnöde Mammon.
Medien-Tycoons und Tagelöhner
Dieses Buch wird eine Menge Beispiele dafür geben, mit über fünfzig Büchern, Stücken, Comics, Märchen, Bibelzitaten und Sprüchen. Denn irgendwie muß man mit der Moral von der Geschieht’ ja umgehen lernen. Modern gesagt: Es gibt offensichtlich ein PR-Defizit, wenn diese schaurig-schönen Schwarten und Streifen so unausrottbar das tiefe Lied vom bösen Unternehmer singen.
Und doch: daß das alles so wahrscheinlich klingt, hängt damit zusammen, daß die Geschichten in den Büchern den Geschichten, die das Leben schrieb, so ähnlich sind. Abenteuerliche Karrieren, Aufstieg und Fall, sicher auch Intrigen und Machtkämpfe – es braucht nur einen geschickten Autor, der alles ein wenig überzeichnet, die eine oder andere miese Figur in das Szenario einfügt, das eine oder andere Verbrechen erfindet und ansonsten abschreibt, was im Leben passiert. So nämlich wird das Publikum die Wirklichkeit wiederfinden, zu großen Teilen sogar, und die kriminellen Einzelheiten, die es ja in der Wirklichkeit manchmal auch gibt, werden in die abenteuerliche Geschichte eingewoben. Und so entsteht ein literarisches Ganzes, das nicht fiktiv und auch nicht wirklich ist, aber für wirklich gehalten wird.
In der Wirklichkeit geht es manchmal um abenteuerliche Geschichten von Revolutionen gegen das Kapital. Um die Geschichte des Aufstands der amerikanischen Unternehmen gegen das Image, das ihnen in Fensehserien wie „Dallas“ angedichtet wurde (von dem sie allen Ernstes behaupteten, das sei das Werk linksintellektueller Revolutionäre), bis sie in einem beispiellosen Showdown erkennen mußten, daß sich das Publikum sein Lieblingsbild vom bösen Unternehmer nicht nehmen läßt. Um die Geschichten von Verschwörungen und geldgierigen Yuppies, dann wieder auch von Medien-Tycoons, wie Robert Maxwell, der sich vom Tagelöhnersohn zum Weltbeherrscher emporarbeitete, und Rupert Murdoch, der sich eben anschickt, den deutschen Fernsehmarkt auszuhöhlen, oder um manche Vorgänge in der Schweiz (und andernorts), die sehr nah an dem sind, was Gottfried Kellers „Martin Salander“ schon vor mehr als hundert Jahren beobachtete.
Und so wird vieles, was in den Romanen und Filmen vorkommt, plausibel, weil man es ja aus der Wirklichkeit kennt. Weil man es so sehen will. Denn nichts prägt (und das wird die Geschichte Yuppies zeigen) die Wirklichkeit so sehr wie die Vorstellung, die die Menschen von ihr haben. Und eines ist sicher: Dem breiten Publikum gefällt es gut. Das breite Publikum kennt nur schwarz und weiß. Die moralischen Differenzierungen, die im Charakter des Reichen in der klassischen Literatur immer noch für mehrere Ebenen sorgten, auch für existenzialistische Verstrickungen, werden in der volkstümlichen Aufbereitung der Motive entsorgt.
Da geht es zur Sache.
Gut und Böse.
Arm und Reich.
Reichtum durch Arbeit?
Noch einmal: Es geht darum, daß sich niemand erklären kann, wie man durch Arbeit reich wird.
Dieses Motiv greift ja die akademische Kritik auf, in den späten sechziger Jahren, die der Gruppe der Achtundsechziger ihren Namen gaben. In ihren Theorien verdichtete sich das neutestamentarische Verdikt, wie sie meinten als Auseinandersetzung mit der Saturiertheit der Nachkriegsbundesrepublik. Aber sie waren keineswegs die ersten. Man braucht sich nur einmal Gottfried Kellers „Martin Salander“ etwas genauer anzuschauen, um zu sehen, wie bereits fast einhundert Jahre vor der Bewegung der Achtundsechziger und ihrer Nachfahren, der Grünen, eine nahezu wortgetreue Kapitalismuskritik vorweggenommen wurde, die auch die Konsequenzen für die Umwelt einbezog. Martin Salander, ein Kaufmann alter Schule, von Gottfried Keller erfunden. Aber einer, der durch seinen einwandfreien Charakter im Umfeld der Habgier und des Egoismus immer wieder um sein Vermögen gebracht wird. Ein ehemaliger Lehrer, der die Moral der stillen Zufriedenheit predigt, obwohl er durch harte Arbeit in Übersee zu einem Vermögen gekommen ist. Ein Schulmeister der alten Werte, die Gottfried Keller in der Schweiz der Gründerjahre mit Füßen getreten sah.
Wo man für Geld alles tat.
Das ist schon fast visionär und stärkt die Motivation, zumal es ja auch einen guten Reichen gibt, der allerdings bescheiden ist und nie verzweifelt.
Zweiter Exkurs
Gottfried Keller: Martin Salander
Der Autor
Gottfried Keller (1819 bis 1890) war der Autor der berühmten „Leute von Seldwyla“ und des „Grünen Heinrich“. Er wurde in der Schweiz als Sohn eines Drechslers geboren, besuchte die Armenschule, wechselte später an eine Industrieschule, die er aber verlassen mußte. Er beschloß, Maler zu werden, was ihm eine Existenz wie aus dem Klischee bereitete: in völliger Armut seiner künstlerischen Mission lebend. Seine Gedichte, die auch politisch motiviert waren, brachten ihm schließlich ein Reisestipendium ein. Das ermöglichte ihm, in Berlin und in Heidelberg Geschichte, Philosophie und Literatur zu studieren. 1861 wurde er Erster Staatsschreiber von...