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Und wenn die Welt voll Teufel wär

Luthers Glaube und seine Erben: Fünfhundert Jahre Protestantismus

AutorBarbara Beuys
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl606 Seiten
ISBN9783688103805
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Keiner würde sich heute an den Theologieprofessor Martin Luther erinnern, wenn er nicht wirklich etwas zu sagen gehabt hätte. Dennoch erfahren wir in Schule und Kirche viel mehr von den äußeren Umständen seines Lebens als von seiner Theologie, seinem Wort. Doch für eben dieses Wort wurden einst Menschen vertrieben und getötet; aus seiner Theologie entwickelten sich die evangelischen Kirchen, die Einfluß nahmen auf die Politik, auf das private und öffentliche Leben der Menschen bis heute. Die Historikerin Barbara Beuys zeigt uns einen anderen, unbekannteren Luther. Fasziniert und mit kritischer Sympathie berichtet sie von dem Weg dieses theologischen Feuerkopfes und der Wirkung eines Mannes über fünf Jahrhunderte, dessen radikaler Glaube auch heute noch eine Herausforderung ist.

Barbara Beuys, Jahrgang 1943, promovierte Historikerin und Journalistin; arbeitete als Redakteurin beim «Stern», bei «Merian», bei der «Zeit».Veröffentlichungen u.a.: «Familienleben in Deutschland. Neue Bilder aus der deutschen Vergangenheit», «Und wenn die Welt voll Teufel wär. Luthers Glaube und seine Erben», «Eltern behinderter Kinder lernen neu leben», «Vergeßt uns nicht. Menschen im Widerstand 1933-1945», «Florenz: Stadtwelt - Weltstadt. Urbanes Leben von 1200 bis 1500» und «Heimat und Hölle. Jüdisches Leben in Europa durch zwei Jahrtausende».

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Leseprobe

Mönche streiten gern


Am Anfang war das Wort. Als Jesus, der Sohn eines Zimmermanns aus Nazareth, im Alter von dreißig Jahren durch Palästina wanderte, kam er am Galiläischen Meer vorbei und sah zwei Fischer, die ihre Netze ins Wasser warfen. Und er sagte zu ihnen: «Folget mir nach. Ich will euch zu Menschenfischern machen.» Es waren Petrus und Andreas, zwei Brüder, und auf sein Wort hin folgten sie ihm. Drei Jahre später stand Jesus in Jerusalem vor Pilatus, dem römischen Statthalter, angeklagt von hohen jüdischen Priestern. Was hatte er getan? Er sah es so: «Ich habe frei öffentlich geredet vor aller Welt. Ich habe allezeit gelehrt in der Synagoge und in dem Tempel, wo alle Juden zusammengekommen, und habe nichts im Verborgenen geredet.» Das Wort ist eine Macht. Die Mächtigen haben es stets gewußt.

Als der Mann am Kreuz gestorben war, zogen jene, die seine Worte gehört hatten, in die Welt, um sie allen mitzuteilen. Andere schrieben im letzten Drittel des ersten Jahrhunderts auf, was Jesus gesagt hatte. So wie man es ihnen erzählte. Denn mit eigenen Ohren hatte keiner der Männer gehört, was seitdem als Gottes Wort gilt: das Evangelium, die «frohe Botschaft». Doch das Wort kann immer doppeldeutig und mißverständlich sein. Auch das geschriebene schützt nicht vor hitzigen Diskussionen und Streit. Paulus, der missionierende Apostel, drohte den Galatern, einer Gemeinde in der heutigen Türkei, in einem Brief: «Wenn jemand euch das Evangelium anders predigt, als ihr es von mir empfangen habt, der sei verflucht.»

Die Geschichte der Christen kennt keinen idyllischen Urzustand, keine reine Lehre, die erst in späteren Zeiten durch Ketzereien und Anpassungen an die Welt getrübt und verzerrt worden ist. Der Glaube an Jesus als den Sohn Gottes war umstritten von Anfang an, weil das Wort, ohne das dieser Glaube nicht lebensfähig ist, keine eindeutige Botschaft weiterträgt. Ist das so wichtig? Wenn ein Mensch überzeugt ist, daß er eine Seele hat, auf die ein ewiges Leben bei Gott oder bei dem Teufel wartet, dann kann ein Wort entscheidend sein. Es ist ja auch nicht irgendeines, sondern kommt von dem, der als Gottes Sohn gilt. Die Worte des Evangeliums sind für den gläubigen Christen Gottes Wort. Aber wer entscheidet, wenn es zum Streit darüber kommt? Wer hat auf Erden in Sachen Gott das letzte Wort?

Die römisch-katholische Kirche entschied sich erst 1870 für eine Autorität, die in letzter Instanz bei strittigen Glaubensfragen ein Machtwort spricht. So viele Ketzer die Päpste auch verurteilen und verbrennen ließen, das Dogma ihrer Unfehlbarkeit ist nicht viel mehr als hundert Jahre alt. In den frühen Jahrhunderten, als die ersten christlichen Dogmen und Lehrsätze sich langsam in den Auseinandersetzungen bildeten, war man nicht zimperlich, sich die Meinung zu sagen. Augustinus, berühmter Kirchenvater und Bischof von Hippo, im heutigen Algerien, ließ sich im Kampf gegen solche Christen, die er für Abweichler von der reinen Lehre hielt, zu immer radikaleren Aussagen provozieren. Als er schließlich behauptete, jeder Mensch sei schon im Augenblick der Geburt von Gott für den Himmel oder die Hölle bestimmt, erhielt er Widerspruch in der Sache und im Grundsätzlichen.

Die Mönche auf der winzigen Insel Lerin vor Marseille wollten keinen Gott, der dem Menschen keine Entscheidungsfreiheit ließ. Einer von ihnen, Vincentius, ließ sich von Augustinus zu der Überlegung anregen, mit welchen Maßstäben man den wahren katholischen Glauben messen soll, da ganz offensichtlich das Evangelium unterschiedlich ausgelegt werden kann. Unter dem Pseudonym Peregrinus schrieb er 434 nach Christus, der untrügliche Beweis sei die Tradition, nämlich das, «was an allen Orten, zu allen Zeiten, von allen geglaubt wird». Dieser Tradition müssen sich alle beugen, seien sie nun Bischof von Hippo oder von Rom. (Übrigens haben die Bischöfe von Rom – die sich später Papst nannten – die Konzilien der ersten Jahrhunderte, auf denen grundsätzliche und bis heute verbindliche Lehren des Christentums aufgestellt wurden, weder einberufen, noch waren sie überhaupt anwesend.)

Die Lust am Diskutieren und Disputieren verging den Christen so schnell nicht. Im Gegenteil: Sie wurde ein fester Bestandteil des kirchlichen Lebens. Nur wer gut streiten konnte, war im christlichen Mittelalter ein guter Theologe. Wer es zur Meisterschaft darin brachte, zog die besten Geister Europas an seinen Lehrstuhl, bildete eine eigene Denkschule – lateinisch: schola – aus, und seine Schüler trugen seine Gedanken weiter. Nichts anderes bedeutet der Begriff «Scholastik», der als Etikett für die Blütezeit der mittelalterlichen Theologie benutzt wird. Es entstanden immer neue theologische Schulen, immer subtilere theologische Systeme, mit denen man bis in den Himmel reichen wollte.

An welcher Universität der Meister auch lehrte, gleichgültig welche Schule er vertrat, er gehörte stets jener Elite an, die in den mittelalterlichen Jahrhunderten Kultur, Bildung und sogar den technischen Fortschritt verkörperte. Es war die hohe Zeit der Mönche. (Auch gar nicht so wenige Nonnen – gelehrt, geistreich und tiefgläubig – haben Einfluß genommen auf ihre Umgebung und mit den Großen in Welt und Kirche korrespondiert. Die Lehrstühle allerdings blieben ihnen versagt.)

In den Bibliotheken der Klöster überlebte die Literatur der heidnischen Antike und wurde auf kostbare Pergamente gemalt. Die Mönche rodeten das Land und machten es fruchtbar. Die Zisterzienser waren nicht nur führend in der europäischen Eisenproduktion und in der Schafzucht. Europas Weinberge gehen auf ihre kundigen Hände zurück. Die Orden der Bettelmönche – Dominikaner und Franziskaner – besetzten die wichtigsten theologischen Lehrstühle der christlichen Welt in Oxford und Paris.

Dominikaner und Franziskaner – dem gleichen Armutsideal, dem gleichen Wort Gottes verpflichtet – waren sich keineswegs freundlich gesonnen. Wie zwei feindliche Armeen kämpften sie um die ewigen Wahrheiten und keineswegs nur mit intellektuellen Waffen. Mit Franziskus von Assisi, der im 13. Jahrhundert Menschen für sein ohnmächtiges Christentum begeistert hatte, glaubten seine Mitbrüder und seine Nachfolger im Orden an die Lehre von der Unbefleckten Empfängnis Marias. Der berühmte Kirchenlehrer Thomas von Aquin, ein Dominikaner, lehnte sie ab und mit ihm sein Orden. Der Streit ging über Jahrhunderte. Es gab Päpste, die die Franziskaner, und solche, die die Dominikaner unterstützten. Keiner wollte eine endgültige Entscheidung treffen, und so war trotz allem Lärm auf den unterschiedlichen Kanzeln kein Katholik verpflichtet, an die Unbefleckte Empfängnis zu glauben.

Im Jahre 1509 schließlich inszenierten vier Dominikanermönche in Bern ein «Marienwunder», um die franziskanischen Marienverehrer zu blamieren. Der Plan ging schief. Die Dominikaner büßten auf dem Scheiterhaufen. Die Sache selbst blieb weiterhin offen und umstritten. Erst 1854 erklärte Pius IX. in seiner Bulle «Ineffabilis Deus» – «Der unaussprechliche Gott» –, daß Maria «von jedwedem Makel der Sünde allzeit frei, und ganz schön und vollendet, eine Fülle der Unschuld und Heiligkeit zur Schau trüge, wie sie größer unter Gott gar nicht vorstellbar ist, und wie sie niemand außer Gott auch nur in Gedanken erreichen kann … Alle wissen aber auch, mit welchem Eifer diese Lehre von der Unbefleckten Empfängnis der Jungfrau-Gottesgebärerin von den angesehensten Ordensfamilien, den berühmten theologischen Hochschulen und den ausgezeichnetsten Vertretern der Gottesgelehrtheit weitergegeben, erklärt und verteidigt worden ist.» Mit dieser Bulle ist seit 1854 jeder Katholik im Gewissen verpflichtet, an eine Lehre zu glauben, die von ausgezeichneten Vertretern der Theologie über Jahrhunderte bekämpft worden ist.

Die Päpste schlugen sich im Streit der Professoren-Mönche mal auf die eine, mal auf die andere Seite. Theologische Impulse gingen von Rom nicht aus. Man ließ nur zu gern die Mönche für sich arbeiten. Die taten es willig und begeistert, fühlten sich aber gerade deshalb zu beißender Kritik an der römischen Kirche und den Stellvertretern Christi berechtigt. Mönche und Nonnen nannten die Mißstände laut beim Namen. Katharina, die Tochter eines Wollfärbers aus Siena, machte sich 1376 auf den gefährlichen Weg nach Avignon, wo die Päpste seit Jahrzehnten in luxuriöser Gefangenschaft des französischen Königs lebten. Sie drang tatsächlich bis zum Papst vor und sagte seiner Heiligkeit vor Kardinälen und Prälaten ins Gesicht, «daß die Sünden des päpstlichen Hofes bis nach Siena stinken». Es war ein Jahrhundert, in dem der Widerspruch zwischen päpstlichen Ansprüchen und christlicher Lebensweise selbst mit Dutzenden von Bannflüchen nicht mehr zuzudecken war. Feierliche Verdammungssprüche des Herrschers auf dem Stuhle Petri hinderten im 14. Jahrhundert Kaiser und König nicht mehr, der imperialen päpstlichen Politik entschiedenen Widerstand zu leisten. Kein deutscher Kaiser trat mehr den Gang nach Canossa an. Im Gegenteil, an seinem Hofe fanden jene Mönche Schutz, die als kritische Dissidenten aus dem Machtbereich des Papstes geflohen waren. Theologen im Exil, die in Deutschland darüber nachdachten, wie die verweltlichte Kirche wieder zu ihrer wahren Aufgabe zurückfinden könnte, und mit ihren Gedanken Sprengstoff für Jahrhunderte lieferten.

Im Dunkel der Nacht vom 26. auf den 27. Mai 1328 gelang es einem halben Dutzend Franziskanermönchen, die Stadt Avignon unbemerkt zu verlassen. Sie schlugen sich bis Aigues-Mortes im Rhonetal durch und nahmen von dort mit einer Galeere Kurs auf die Toskana. Kaum hatte man an...

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