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Vergeßt uns nicht

Menschen im Widerstand 1933-1945

AutorBarbara Beuys
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl602 Seiten
ISBN9783688103287
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Barbara Beuys schildert in diesem erstmals 1987 erschienenen Buch eindrucksvoll das gesamte Panorama des Widerstands, Jahr für Jahr, von 1933 bis 1945. Sie erzählt vom Widerstand der Arbeiterbewegung wie von der Entwicklung des konservativen Widerstands. Es geht um die Schicksale von Menschen, um das gefährliche Leben im Untergrund, um Folter und Tod. Es geht um politische Illusionen und Widersprüche, aber auch um außerordentliche Beispiele von Mut und Standhaftigkeit. Gemessen am Erfolg sind Adlige wie Arbeiter im Kampf gegen den Nationalsozialismus gescheitert. Doch dieses Buch will den Widerstand in seiner ganzen Breite, will Licht- und Schattenseiten der jüngeren deutschen Vergangenheit in Erinnerung rufen. Die Autorin schildert, wie einsam die Widerstandskämpfer aller politischen Lager starben und wie sehr sich am Ende alle den besten Traditionen und Werten der europäischen Geschichte verpflichtet fühlten, Maßstäbe für die Gegenwart zu setzen.

Barbara Beuys, Jahrgang 1943, promovierte Historikerin und Journalistin; arbeitete als Redakteurin beim «Stern», bei «Merian», bei der «Zeit».Veröffentlichungen u.a.: «Familienleben in Deutschland. Neue Bilder aus der deutschen Vergangenheit», «Und wenn die Welt voll Teufel wär. Luthers Glaube und seine Erben», «Eltern behinderter Kinder lernen neu leben», «Vergeßt uns nicht. Menschen im Widerstand 1933-1945», «Florenz: Stadtwelt - Weltstadt. Urbanes Leben von 1200 bis 1500» und «Heimat und Hölle. Jüdisches Leben in Europa durch zwei Jahrtausende».

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Leseprobe

Einleitung


Im Jahre 1964 antworteten auf die Frage «Wenn Sie von einem Deutschen hören, er habe als Soldat oder Beamter während des Krieges insgeheim in einer Widerstandsgruppe gearbeitet, spricht das für oder eher gegen ihn?» nur 29 Prozent der Deutschen in der Bundesrepublik, es spreche für ihn. Zwanzig Jahre später waren 60 Prozent aller Bundesbürger der Meinung, daß der Widerstand gegen das NS-Regime «einen Menschen auszeichnet». Knapp 70 Prozent der 1984 Interviewten fiel zum 20. Juli 1944 der Name Stauffenberg ein. Doch obwohl dieses Datum in der Geschichte der Bundesrepublik zum Synonym für Widerstand geworden ist, konnten sich nur 12 Prozent an Carl Goerdeler erinnern, und auch andere Männer aus dem engsten Verschwörerkreis um Stauffenberg sind längst aus dem Gedächtnis entschwunden.

Wie der Widerstand im «Dritten Reich» nach 1949 in den beiden deutschen Staaten aufgenommen, verarbeitet oder verdrängt wurde, das ist selbst schon wieder Geschichte geworden. Die Bundesrepublik stellte die Männer des 20. Juli–Adlige, Militärs, hohe Beamte, einige Sozialdemokraten – aufs Podest und nannte ihr Handeln eine patriotische Tat. Die gleichen ehrenhaften Motive sprach sie den kommunistischen Widerstandskämpfern ab und schloß diese 1952 im Bundesentschädigungsgesetz von Wiedergutmachungszahlungen aus, weil die Kommunisten «nach dem 23.5.1949 die freiheitlichen Grundrechte» bekämpft hätten. Die Ermordeten und Gefolterten mußten im Zeichen des Kalten Krieges herhalten für die politische Auseinandersetzung. Die DDR machte den Widerstand der Kommunisten zum Bestandteil ihrer Staatsdoktrin, ließ keinerlei kritisches Nachdenken über die Rolle der KPD im Nationalsozialismus zu und verbannte ihrerseits die Verschwörer des 20. Juli aus der ehrenvollen Erinnerung. «Monopolbourgeoisie» und «reaktionäre Militärs» hatten angeblich mit dem Attentat nichts anderes im Sinn, als den «deutschen Imperialismus» zu retten.

Mitte der sechziger Jahre wurde die Bundesrepublik durch den Frankfurter Auschwitz-Prozeß jenseits aller Feiertagsreden sehr konkret mit den Verbrechen der jüngsten Geschichte konfrontiert. Das Schweigen brach auf, historische Tabus wurden zerstört, die «Widerstandshelden» vom Sockel gestoßen. Die Täter von damals, die sich so nahtlos im emsigen Treiben von Wiederaufbau und Wirtschaftswunder in die Demokratie gefügt hatten, endlich zur Rechenschaft zu ziehen; den Juristen und Professoren, den Medizinern und Theologen, die den NS-Machthabern so willfährig gedient hatten, endlich die biedermännische Tarnkappe zu entreißen – auch das war Antrieb für die 68er Revolte der Studenten.

Dann schlug das Pendel wieder zurück. Das Erbe Preußens erlebte in Ausstellungen und Aufsätzen eine Renaissance – diesseits und jenseits der Demarkationslinie. Nicht nur Luther und Bismarck wurden von der DDR neu entdeckt. Zum 40. Jahrestag des Attentats in der Wolfsschanze wurde aus der «reaktionären Aktion» eine «mutige Tat von historischem Rang».

In der Bundesrepublik fanden sich seit den siebziger Jahren Historiker, die den Widerstand der Kommunisten und der Arbeiterbewegung insgesamt erforschten. Schülergruppen und engagierte Bürger gingen zu den Überlebenden, um deren Erinnerungen festzuhalten, und machten den Widerstand zu einem Thema der jungen oral history. Verdrängte Stätten der Verfolgung wurden entdeckt, ausgegraben – nicht selten gegen den Protest der heute dort Lebenden.

Immer umfangreicher wurde die Literatur zum Widerstand. Es erschienen Einzeluntersuchungen über «Widerstand und Verfolgung» in Mannheim und Essen, Duisburg und Braunschweig, Köln und Bremen und vielen anderen Orten (wenngleich es immer noch etliche weiße Flecken gibt). Das ist ein großes Verdienst, und nur auf Grund solcher regionalen Detailarbeiten ist dieses umfassende Buch über «Menschen im Widerstand» erst möglich geworden. Auch etliche zusammenfassende Darstellungen liegen vor. Aber sie spalten den Widerstand, die Namen, Statistiken und Dokumente kapitelweise nach Sachgruppen auf. Die Kirchen und die Jugend, die SPD und die KPD, die Konservativen und die Militärs werden jeweils für den gesamten Zeitraum von 1933 bis 1945 zusammengefaßt.

Dieses Buch ist der Versuch, den deutschen Widerstand in der Zeit des Nationalsozialismus zusammenhängend chronologisch zu erzählen. Jahr für Jahr wird geschildert, welche Menschen und welche Gruppen sich den Zwängen und Verführungen der Diktatur nicht anpaßten. Es wird der Alltag im Nationalsozialismus aufgezeigt, weil nur so zu verstehen ist, wie einsam die Widerstandskämpfer aller politischen und gesellschaftlichen Strömungen handelten, litten und starben. Es ist von Strukturen die Rede, von Parteiprogrammen und allgemeinen Entwicklungslinien. Aber daneben kommen die Menschen zu Wort, die für ihre Überzeugungen ihr Leben aufs Spiel setzten und das ihrer Familie dazu. Widerstand bedeutete im Alltag: untertauchen in die Illegalität, gehetzt werden, ständig das Quartier wechseln, vor verschlossenen Türen stehen, kein Geld haben, stets auf der Hut und in Angst vor den Verfolgern leben, Lüge und Verstellung praktizieren, keinen Kontakt mehr zur Familie und den Freunden haben. Und immer lebte man mit der Gewißheit, daß am Ende nicht nur KZ oder der Henker standen, sondern Brutalität und Folter warteten, mit denen die Gestapo aus ihren Opfern die Namen von Mitstreitern herauspreßte.

Damit es kein Mißverständnis gibt: Die Deutschen unter Hitler waren kein Volk von Widerstandskämpfern. Die große Mehrheit hat sich ohne Zwang dem «Führer» anvertraut und dem Terror gegenüber allen, die sich dem nationalsozialistischen Regime nicht beugten, zustimmend bis tatenlos zugesehen. Wer nicht mitjubelte, wer den Arm zum «Hitler-Gruß» nur hob, um nicht aufzufallen, war völlig isoliert und sehr einsam. Doch es gilt auch: Die Zahl der Menschen, die trotzdem Widerstand leisteten, ist viel größer, als es vom öffentlichen Bewußtsein bisher wahrgenommen wird. Auch neuere Veröffentlichungen in der Bundesrepublik haben den Kampf der Kommunisten und der kleinen radikalen Parteien und Gruppen vom linken Rand des politischen Spektrums gegen den Nationalsozialismus nicht in die Traditionen dieser Republik integrieren können. Der Widerstand der Arbeiterbewegung ist bei uns immer noch ein unbekannter Widerstand. Ebenso hat mancher Geistliche, ob evangelisch oder katholisch, mancher Mediziner und Lehrer, mancher Gewerkschafter keine Beachtung gefunden neben den übermächtigen «Helden» des 20. Juli.

Unbestritten ist, daß keine Gruppierung so entschieden vom ersten Tag an den Nationalsozialisten Widerstand leistete wie die KPD. Von den 360000 Mitgliedern haben zwischen 1933 und 1945 rund 150000 für längere oder kürzere Zeit in Gefängnis, Zuchthaus oder KZ gesessen, wohl 20000 Kommunisten sind ermordet worden. Die deutsche Sozialdemokratie entschied sich 1933 zuerst gegen den Kampf im Untergrund, weil dies ihrer Tradition zutiefst widersprach. Sie setzte auf Legalität und Vernunft und hoffte, die neuen Machthaber durch Zugeständnisse zu besänftigen, als diese den Untergang der Arbeiterkultur schon längst beschlossen hatten. Gemeinsam war SPD und KPD bis weit in das Jahr 1934 hinein die Illusion, der Hitlerspuk werde über Nacht verschwinden bzw. die Mehrheit sich in einem Volksaufstand erheben.

Dem Jahr 1933 gilt in diesem Buch ein ausführliches Kapitel, weil nichts so lehrreich ist, wie die Anfänge einer Entwicklung zu kennen, und weil Widerstand vom Januar 1933 an geleistet wurde. Es gab nicht nur im Frühjahr wilde Folterorgien der SA-Trupps, sondern das ganze erste Jahr der Diktatur war – vor den Augen der Bürger – erfüllt von systematischem Terror gegen Andersdenkende. Die Gewerkschaftshäuser wurden ebenso gestürmt wie die Redaktionen von SPD-Zeitungen. Akten und Mobiliar flogen auf die Straße und wurden angezündet, tagelang brannten die Feuer. Aus ordentlichen Sitzungen wurden SPD-Stadtverordnete hinausgeprügelt, ohne daß es Protest gab. Mit Erstaunen erlebten selbst die Nationalsozialisten, wieviel an Brutalität die Deutschen duldeten, wenn sie jene traf, die als verfemte Außenseiter galten wie Juden und Kommunisten, oder als Vertreter der verhaßten Republik von Weimar wie die Sozialdemokraten.

Und weil die Motive der Widerstandskämpfer des Jahres 1933, ihre Differenzen und ihre Hoffnungen, nur zu verstehen sind im Rahmen der Entwicklung seit 1918, wird zu Beginn dieses Buches die Zeit der Republik ausführlich geschildert: Wie jene sich zur Demokratie von Weimar verhielten, die – früher oder später – gegen das NS-Regime Stellung bezogen. Es wird erinnert an die blühende Kultur der Arbeiterbewegung, die den Verfolgten Kraft gab, ihren Idealen treu zu bleiben, und die doch von den Verfolgern innerhalb weniger Wochen bis auf den Grund zerstört wurde und bis heute keinen angemessenen Platz gefunden hat in den Museen und Traditionen der Bundesrepublik.

Die Organisationsformen von KPD und SPD konnten sich in der Illegalität nicht halten, 1935 waren sie weitgehend zerschlagen. 1937 hatte die Gestapo auch die kleinen Gruppen im Untergrund vernichtet. Trotzdem ging der Widerstand weiter und führte in den Kriegsjahren zu erstaunlichen Aktivitäten. Neue Zentren der KPD bildeten sich in Berlin und Sachsen, in Thüringen und im Ruhrgebiet, in München gab es Ableger und in Pommern, in Hamburg wie in Magdeburg....

Blick ins Buch

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