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Ungleichheit, soziale Mobilität und Umverteilung

AutorKlaus Gründler, Norbert Berthold
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl249 Seiten
ISBN9783170315549
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis22,99 EUR
Seit Beginn der 1980er Jahre kam es in den reichen Volkswirtschaften zu einem starken Anstieg der Einkommensungleichheit, der begleitet ist von geringen Chancen, auf der Einkommensleiter emporzusteigen. Norbert Berthold und Klaus Gründler erläutern in ihrem Buch kurz und prägnant, wie Ökonomen Ungleichheit messen, wie sie sich in reichen und armen Volkswirtschaften entwickelt hat und wodurch sie entsteht. Die Autoren erläutern zudem in verständlichen Worten, von welchen Faktoren die soziale Mobilität, also die Aufstiegschancen innerhalb und zwischen den Generationen, abhängt. Während die zunehmende Ungleichheit die reichen Länder in gleicher Weise trifft, reagiert die nationale Politik jeweils völlig unterschiedlich auf diese Entwicklung. Das Buch zeigt, was die Reaktion der Politik beeinflusst und welche Faktoren die staatliche Umverteilung im politischen Prozess bestimmen.

Prof. Dr. Norbert Berthold lehrt VWL, insbesondere Wirtschaftsordnung und Sozialpolitik an der Universität Würzburg. Dr. Klaus Gründler ist dort wissenschaftlicher Mitarbeiter.

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Leseprobe

 

Kapitel 1
Wie ungleich ist die Welt? Die Entwicklung der Welt-Einkommensverteilung von der Nachkriegszeit bis heute


 

 

Im ersten Kapitel wollen wir mit der globalen Betrachtung beginnen. Wir stellen uns die Frage: Wie ungleich ist die Welt? Wir beginnen also zunächst mit einer Bestandsaufnahme und betrachten das Ausmaß sowie die Entwicklung der weltweiten Ungleichheit über die Zeit. Diese Bestandsaufnahme stellt den Startpunkt für die Erforschung der Ursachen der Ungleichheit und die Entwicklung von Maßnahmen zu ihrer Reduzierung dar. Wenn wir gefragt werden, wie hoch die Ungleichheit in der Welt ist, so denken die meisten Menschen automatisch an die Verteilung der Einkommen innerhalb von Landesgrenzen. Mit anderen Worten, wir betrachten die Ungleichheit der Einkommen in Deutschland und stellen fest, dass die Einkommen in Brasilien wesentlich ungleicher, jene in Finnland hingegen wesentlich gleicher verteilt sind und so weiter. Das ist relativ nachvollziehbar, leben wir doch in einer Welt, in welcher der Nationalstaat die dominierende Rolle für die meisten relevanten Aspekte der Verteilung einnimmt, etwa die Ausgestaltung des Schulsystems, die Bereitstellung von sozialen Sicherungssystemen oder die Organisation des politischen Lebens. Im Zuge der fortschreitenden Globalisierung ist es jedoch sinnvoll, über die Landesgrenzen hinaus zu denken und sich zunächst mit dem Ausmaß der globalen Ungleichheit zu befassen, also der Ungleichheit zwischen sämtlichen Personen auf der Erde.

Die weltweite Ungleichheit: Drei Konzepte


Wenn wir über die grenzüberschreitende Ungleichheit sprechen, so haben wir häufig nicht nur ein, sondern drei Konzepte im Kopf, auch wenn das vielen Menschen selbst nicht bewusst ist. Es ist allerdings wichtig, diese verschiedenen Konzepte klar voneinander zu trennen, um die unterschiedlichen und sich scheinbar widersprechenden Meldungen zu diesem Thema aus der Wissenschaft, den Nachrichten und der Politik richtig einordnen zu können. Das erste Konzept der weltweiten Ungleichheit ist die ungewichtete internationale Ungleichheit. Sie betrachtet schlicht die Ungleichheit der durchschnittlichen Einkommen zwischen den Ländern. Da nur dann ein Einkommen erzielt werden kann, wenn etwas produziert wird, entspricht das durchschnittliche Einkommen langfristig dem realen Pro-Kopf-BIP eines Landes. Aus diesem Grund verwenden wir die Begriffe Einkommen, BIP und Produktion häufig als Synonyme. Die ungewichtete internationale Ungleichheit gibt Aufschluss darüber, wie stark diese Größen auf der Erde voneinander abweichen und wie sich der Abstand über die Zeit hinweg verändert hat. Der Vorteil dieses Konzeptes ist es, dass es eine Einschätzung darüber erlaubt, ob es zwischen den Volkswirtschaften zu einer Annäherung (Konvergenz) oder einer Abweichung (Divergenz) der Einkommen kommt. In diese Betrachtung gehen alle Länder mit derselben Gewichtung ein, d. h. Luxemburg und China besitzen das identische Gewicht.

Das zweite Konzept, die gewichtete internationale Ungleichheit, bewegt sich weg von der reinen Betrachtung auf Ebene der Volkswirtschaften und bezieht die Bevölkerung der einzelnen Länder mit ein. Hierfür wird das durchschnittliche Einkommen der Länder mit ihrem jeweiligen Anteil an der Weltbevölkerung gewichtet. Das Konzept betrachtet somit nun jede einzelne Person auf der Erde, ordnet aber jeder Person das durchschnittliche Einkommen seines jeweiligen Landes zu. Das bedeutet, die 576.249 Einwohner von Luxemburg gehen in die Berechnung mit dem nationalen Durchschnittseinkommen von 102.717 US-Dollar ein, während China knapp 1,358 Milliarden mal mit seinem Durchschnittseikommen von rund 6.500 US-Dollar in die Kalkulation einfließt. Damit ist das Gewicht von China knapp 2355-Mal höher als das von Luxemburg und etwa 17-Mal höher als das von Deutschland. Diese Form der Untersuchung deckt die Weltbevölkerung wesentlich genauer ab und gibt demnach ein etwas detailliertes Bild über das Ausmaß der weltweiten Ungleichheit. Wie im Falle des ersten Konzepts wird weiter unterstellt, dass die Einkommen in einem Land gleich verteilt sind, da jeder Einwohner exakt mit dem Durchschnittswert in der Berechnung erfasst wird.

Dieser Mangel wird mit dem dritten Konzept, der globalen Ungleichheit, behoben. Hier werden die einzelnen Haushaltsdatensätze aller Länder zusammengeführt, sodass eine Verteilung der individuellen Einkommen über die Grenzen hinweg auf individueller Ebene berechnet wird. Damit wird so getan als gebe es keine einzelnen Nationalstaaten. Mit diesem Konzept wird die personelle Ungleichheit am besten abgebildet, denn es hilft, die Schwierigkeiten der Durchschnittsbetrachtung zu überwinden. Hierzu ein Beispiel: Die USA sind gemessen am kaufkraftbereinigten BIP pro Kopf das sechstreichste Land der Erde und besitzen ein durchschnittliches Einkommen von rund 53.000 US-Dollar. Gleichzeitig ist die Marktungleichheit sehr hoch: Mit einem Gini-Koeffizient von 46,7% besitzen nur rund ein Viertel aller Länder der Erde eine noch ungleichere Verteilung der Einkommen. Dennoch geht jeder Amerikaner mit 53.000 US-Dollar in die Betrachtung ein. An dieses Einkommensniveau kommt allerdings bei weitem nicht jeder Amerikaner heran. So ist mit Bill Gates zwar ein Amerikaner gegenwärtig der reichste Mensch der Erde. Allerdings sind viele US-Bürger aus den unteren Einkommensschichten deutlich ärmer als etwa ein reicher Brasilianer oder ein Franzose aus der Mittelklasse. Die Betrachtung aller Haushaltseinkommen über die Landesgrenzen hinweg würfelt die einzelnen nationalen Verteilungen durcheinander und gruppiert jedes Individuum in einer einzelnen Verteilung neu an. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf die Höhe der Ungleichheit.

Alle drei Konzepte haben jeweils mit einer Reihe von statistischen Schwierigkeiten zu kämpfen. So nimmt eine im Zeitverlauf schwankende Anzahl an Ländern, für die Daten vorliegen, natürlich einen Einfluss auf alle Konzepte. Die Auflösung der Sowjetunion beispielsweise machte sich schlagartig in der gewichteten und der ungewichteten internationalen Ungleichheit bemerkbar. Auch die Umrechnung der Währungen und die Berücksichtigung unterschiedlicher Preisniveaus erschwert die Berechnung. Vor allem aber die Berechnung der globalen Ungleichheit stellt Statistiker regelmäßig vor große Herausforderungen, weil hierfür Mikrodatensätze für alle Länder verfügbar sein und mit unterschiedlichen Methoden zusammengeführt werden müssen. Für die meisten Teile der Erde existieren jedoch erst ab dem Ende der 1980er Jahre einigermaßen verlässliche Haushaltsdaten, für viele Nationen sind diese Daten bis heute nur bruchstückhaft vorhanden – wenn überhaupt.

Weltweite Ungleichheit in Zahlen


Ignorieren wir die statistischen Schwierigkeiten an dieser Stelle und verlassen uns auf die Ergebnisse, die der ehemalige Weltbank-Ökonom Branko Milanovic in einem Forschungsaufsatz von 2016 sorgfältig berechnet hat.4 Blicken wir zunächst auf die beiden Formen der internationalen Ungleichheit und betrachten die Periode seit Ende des Zweiten Weltkriegs bis an den aktuellen Rand. Nach einem kurzen Anstieg in den frühen 1960er Jahren blieb die ungewichtete Ungleichheit rund 20 Jahre lang konstant. Das bedeutet, es kann in der Periode zwischen 1960 und 1980 keinerlei Tendenz zu Divergenz oder Konvergenz beobachtet werden. Ab dem Beginn der 1980er Jahre kam es hingegen zu einem beträchtlichen Anstieg der internationalen Ungleichheit, welcher erst ab der Jahrtausendwende abflachte. Seit Beginn des neuen Millenniums ist schließlich eine spürbare Reduktion der Ungleichheit eingetreten. Das Bild ändert sich hingegen, wenn die bevölkerungsgewichtete Ungleichheit betrachtet wird. Zwar legt der Vergleich der Gini-Koeffizienten nahe, dass die mit diesem Konzept gemessene Ungleichheit zu Beginn der 1950er Jahre erheblich höher lag. Die gewichtete internationale Ungleichheit nahm im Zeitverlauf jedoch mehr oder weniger konstant ab und liegt gegenwärtig in etwa auf dem Niveau der ungewichteten Ungleichheit. Dieser Trend hat seit Beginn des neuen Jahrtausends deutlich Fahrt aufgenommen.

Woher kommen die großen Unterschiede zwischen den beiden Konzepten? Im ersten Konzept nehmen wir an, jedes Land würde im selben Umfang zur Konstellation der Weltbevölkerung beitragen. In anderen Worten gehen wir davon aus, Luxemburg und China wären »gleich wichtig« für die Berechnung der weltweiten Ungleichheit. Im zweiten Konzept hingegen betrachten wir die Länder anteilig nach ihrer Bevölkerung. Dies hat starke Konsequenzen zur Folge, da gerade die bevölkerungsstarken asiatischen Staaten in den letzten Jahrzehnten stark an Wohlfahrt hinzugewonnen haben. Insbesondere China, Indien, Kambodscha, Vietnam, Indonesien und Thailand haben von dieser Entwicklung profitiert. So stieg etwa das durchschnittliche Einkommen in China von 344 US-Dollar in 1980 auf rund 6.500 US-Dollar im Jahre 2015, was einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von rund 8,7% entspricht. Gleichzeitig war das Wachstum...

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