3.
Der Glaube an Gott den Schöpfer
3.1. Die Schöpfung
Das Bekenntnis zu Gott dem Schöpfer allen Seins ist Grundlage des christlichen Glaubens. Im gemeinsamen Glaubensbekenntnis heißt es für Christen aller Konfessionen: »Gott ist Schöpfer des Himmels und der Erde.«
Schöpfung im Alten Testament
Die Schöpfung als Werk Gottes wird in der Heiligen Schrift dezidiert betont. Die beiden biblischen Schöpfungsberichte im Alten Testament (Gen 1,1–2,4a und 2,4b–3,24) sind keine historischen Berichte, was jeden kreationistischen Ansatz ausschließt. Sie stellen vielmehr als »erzählte« Theologie das Schöpfungswirken Gottes an den Anfang der weiteren (Heils-)Geschichte Gottes mit dem Menschen. Während der erste Schöpfungsbericht vom Sechs-Tage-Werk Gottes erzählt, an dessen Ende der Mensch geschaffen wurde, setzt der zweite Schöpfungsbericht mit der Erschaffung Adams ein, auf die alle weitere Schöpfung – Land, Pflanzen, Tiere und schließlich Eva – folgt.
Schöpfung als Ausdruck der Allmacht und Gnade
Der Schwerpunkt der biblischen Schöpfungserzählung liegt auf dem (kommunikativen) Akt der Schöpfung selbst, nicht auf dessen Abfolge: Die Welt wurde von Gott ins Sein gerufen, ohne Bedingung und Voraussetzung. In der Schöpfung zeigen sich sowohl Gottes Allmacht als auch Gottes Gnade und Barmherzigkeit, indem er sich selbst der Schöpfung schenkt. Beide Aspekte, Gottes Allmacht und seine Güte, stehen in einem Zusammenhang bzw. Widerspruch, der sich in der Frage der Theodizee zuspitzt.
Ohne den Schöpfer wäre nichts, durch ihn ist alles. Nichts, was ist, ist aus sich selbst heraus. Das verweist auf die bleibende Angewiesenheit aller Geschöpfe auf Gott.
Schöpfung als Gemeinschaft
Gott ist in seiner Schöpfung gegenwärtig und dadurch dem Menschen nahe – Gott ist in der von ihm geschaffenen Welt. Schöpfung ist in Anknüpfung daran und darüber hinaus Stiftung und Bewahrung von Gemeinschaft: Die Schöpfung spiegelt die Gemeinschaft von Gott und dem Menschen als Teil der Schöpfung wider. Der Mensch wiederum ist Geschöpf inmitten aller geschaffenen Kreatur. Beide Aspekte, die Gemeinschaft der Schöpfung mit dem Schöpfer und die Verbundenheit der Geschöpfe untereinander, sind unlösbar miteinander verknüpft. Der Klage menschlicher Einsamkeit geht Gottes Wort, »es ist nicht gut, dass der Mensch allein bleibt« (Gen 2,18), voraus. Die gesamte Schöpfung ist Gemeinschaft.
Der Mensch hat lediglich im Hinblick auf die ihm von Gott verliehene Verantwortung für Gottes Schöpfung eine Sonderstellung inmitten der Schöpfung inne. Das verpflichtet ihn zum verantwortlichen Umgang mit der Schöpfung, zur Bewahrung der Schöpfung. An diesem Punkt beeinflusst die Schöpfungslehre elementar die christliche Ethik.
Schöpfung stiftet Freiheit
Darüber hinaus wird durch die Schöpfung Freiheit ermöglicht, da erst durch Existenz Freiheit Wirklichkeit wird. Durch die Schöpfung wird die geschaffene Welt in die Freiheit des eigenen Seins entlassen und damit in Selbstverantwortlichkeit, Selbstentfaltungsmöglichkeiten und Macht. Ein starker Ausdruck für die dem Menschen verliehene Macht ist z.B. die Definitionsmacht, Tieren Namen zu geben (Gen 2,19f.). Zu der Freiheit des Menschen als Kulturwesen gehört auch die Abgrenzung zur Natur, deren Teil er ist. Die Spannung zwischen Kultur und Natur – die allerdings keinen diametralen Gegensatz darstellt – ist ein Aspekt der Schöpfung.
Durch die ihm verliehene Freiheit steht der Mensch Gott, dem Urgrund alles Seins, auf der einen Seite eigenständig gegenüber, ohne auf der anderen Seite seinen Charakter als Geschöpf Gottes zu verlieren. Diese ihm verliehene Freiheit, in der er auf Gottes Anrede antwortet, befähigt ihn aber auch zum Widerspruch gegen Gott, d.h. zur Sünde. Durch die Sünde stellt sich der Mensch außerhalb der in der Schöpfung gestifteten Gemeinschaft mit Gott und der gesamten Schöpfung. Damit sind in theologischer Perspektive Schöpfungslehre und Sündenlehre eng miteinander verknüpft.
Schöpfung im Neuen Testament
Mit der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus zeigen die Erzählungen des Neuen Testaments eine neue Qualität von Schöpfung an. Der Anfang des Johannesevangeliums (Joh 1,1–18) nimmt die Schöpfungsthematik aus Genesis auf und führt sie weiter: Der mit Gott gleichgesetzte Logos wird Mensch. Gott kommt in Jesus Christus zu seiner Schöpfung und wird ihr gleich. Das wiederholt die Schöpfung auf einer neuen Ebene. Jesus Christus als Sohn Gottes, der Kyrios, ist Schöpfungsmittler, ohne den »nichts [wurde], was geworden ist« (Joh 1,3).
3.2. Der Mensch
In unmittelbarem Zusammenhang mit der Schöpfungslehre steht theologisch die Lehre vom Menschen, die Anthropologie. Der Mensch muss theologisch in erster Linie von der Schöpfung her gedacht werden. In diesem Sinne ist er ein auf Gott unmittelbar angewiesenes Geschöpf.
Charakteristik von Mensch-Sein
Der Mensch ist in seiner Körper- oder Leiblichkeit gebunden an die materielle Natur und ihre Gesetzmäßigkeiten. Das Eingebunden-Sein in die Form- und Entwicklungsgesetze der organischen Natur impliziert auch, dass der Mensch in evolutionäre Entwicklungen involviert ist. Über die materiell vorfindliche Welt geht der Mensch durch seine Geistigkeit, seine Personalität und Individualität, sein Selbstbewusstsein und durch seine Sozialität sowie durch seine Seele und die Möglichkeit der Wahrnehmung von Transzendenz hinaus. Erst in der Verbindung dieser Elemente mit dem körperlich-materiellen Sein des Menschen kann sich der Mensch selbst verwirklichen.
Der Mensch ist eingebunden in die Gemeinschaft der Mitmenschen, durch die die Gestaltung von Gesellschaft, Kultur und Welt im weitesten Sinne ermöglicht wird.
Die Freiheit, Selbstgestaltung und Kommunikationsfähigkeit des Menschen ist begrenzt durch seine Endlichkeit, sowohl in materieller (Tod) als auch geistiger (Grenzen des Erkennbaren) Hinsicht, aber auch durch seine Geschichtlichkeit und durch den Rahmen individuellen Handels im sozialen Bezug.
Der Mensch in biblischer Perspektive
Die Heilige Schrift spricht sowohl von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen (Gen 1,27) als (viel häufiger und nachdrücklicher) von der Nichtigkeit, Ohnmacht und Vergänglichkeit des Menschen (z.B. Ps 39). Die Geschöpflichkeit des Menschen verweist derart grundsätzlich auf seine Abhängigkeit vom Schöpfer, dass eine Selbsterkenntnis des Menschen nicht ohne Gotteserkenntnis bzw. der Beziehung des Menschen zu Gott möglich ist.
Die Trennung des Menschen von Gott geschieht durch die Sünde, die v.a. zur Selbstverabsolutierung des Menschen führt. Das gesamte Neue Testament geht auf die Sündhaftigkeit des Menschen ein.
Paulus erklärt in Röm 5,12–19, dass nicht nur der Tod die Folge der Sünde ist, sondern die Sünde von Adam kommend von ihm auf all seine Nachfahren vererbt wurde. Weiterhin ist nach Paulus der Mensch außerstande, Gottes Gesetz zu erfüllen, und nur Gottes Barmherzigkeit kann ihn retten, wenn er das Evangelium von Christi Heilswerk glaubend annimmt (Gal 3,22; Röm 3,9–24). Die Spannung zwischen Sünde und Heilsgewissheit bestimmt das Dasein des Menschen.
Das theologische Phänomen der Sünde existiert mit dem Menschen und kann nicht ohne den Menschen gedacht werden. Sünde wird oft durch Begriffe wie »Schuld« oder »Verfehlung«, d.h. mit der Negation moralischer Kategorien bezeichnet. Das ist besonders der Fall mit dem in der Neuzeit generell schwindenden Bewusstsein für die Bedeutung von Sünde, aber schon das Alte Testament und das Neue Testament bezeichnen menschliches Fehlverhalten als Sünde. Jedoch ist mit Verstößen gegen moralische Kategorien »Sünde« nicht ganz und gar beschrieben. Der Mensch ist in der von Gott verliehenen Freiheit prinzipiell sündig und kann sich aus diesem Verhaftet-Sein allein nicht befreien. Durch die Sünde stellt sich der Mensch außerhalb der in der Schöpfung gestifteten Gemeinschaft mit Gott und der gesamten Schöpfung. Durch sein Sündig-Sein steht er in erster Linie im Widerspruch zu Gott. Darüber hinaus aber wird das Verhältnis des Menschen zu sich und seiner Umwelt durch Sünde zu einem verkehrten Verhältnis. Kern der Sünde ist Unglaube – die Sünde kann im Glauben zumindest als solche erkannt werden.
Das neue Sein des Menschen in Christus und im Glauben an Christus unterscheidet sich grundsätzlich von dem ursprünglichen Verhaftet-Sein des Menschen an die Sünde, ist aber noch nicht das endgültige Heil, für das Gott den Menschen bestimmt hat, da der Mensch immer wieder in die Sünde zurückfallen kann.
Christus selbst ist als Gottmensch oder »der neue Mensch« der Maßstab des zu seinem Heil, zu Gott und damit zu seiner eigentlichen Bestimmung gebrachten Wesens des Menschen.
3.3. Gott und das Leid (Theodizee)
Die Frage nach dem Ursprung und dem Sinn des Leidens gehört zu den bedrängendsten Fragen der Glaubenden. Gerade der Glaube an den einen, guten Gott, der alles aus dem Nichts geschaffen hat, lässt die Frage nach dem Ursprung und dem Sinn des Leidens, das Menschen begegnet und das sie sich selbst zufügen, besonders dringlich werden. Denn der Glaube an die gute Schöpfung Gottes schließt jede dualistische Antwort aus, wonach das Böse und das Leiden von einem bösen Gott verursacht seien, der dem guten Gott entgegenstünde. Zugleich scheinen sich aber angesichts des Leidens in der Welt Gottes Güte und Gottes Allmacht zu widersprechen. Die Frage nach dem Leiden wird so zur Frage nach der Rechtfertigung Gottes oder, wie man seit dem Philosophen G.W....