Die Aufstellung einer Übersicht über die aktuell verwendeten Verfahren ist mit einer Reihe von Problemen behaftet. Dies liegt zum einen daran, dass sich viele Verfahren ähneln. Andererseits stellt sich die Frage, welche Verfahren derzeit in der Praxis eingesetzt werden.
Viele Verfahren sind eindeutig gleich und können zusammengefasst werden. Andere sind eindeutig verschieden, doch es gibt auch eine Vielzahl von Verfahren, welche ähnlich aber nicht identisch sind. Einige Verfahren mit gleichen Vorgehensweisen wurden aufgrund unterschiedlicher Gründe oder zeitgleich unabhängig von einander entwickelt. Wieder andere glichen sich im Laufe der Zeit an.[57] Insgesamt werden „– je nach Abgrenzung – ca. 150 Verfahren“[58] unterschieden. Unter Berücksichtigung aller Unterschiede und Gemeinsamkeiten lassen sich die Verfahren im Wesentlichen in die folgenden 3 Gruppen einteilen:
Abbildung 5: Übersicht der Bewertungsverfahren[59]
Zunächst wird anhand von empirischen Untersuchungen die praktische Relevanz der einzelnen Verfahren beleuchtet, bevor sie anschließend detailliert dargestellt und beurteilt werden. Empirische Erhebungen der letzten 15 Jahre zeigen, welche Verfahren sich in der Praxis durchgesetzt haben und welche eine weiter steigende Bedeutung erwarten lassen.
Dieses Kapitel soll die Frage klären, welche Verfahren die betriebliche Praxis gegenwärtig einsetzt. Hierzu werden im Kapitel III 1.1 empirische Erhebungen eingehender betrachtet, welche einen Schluss auf die Häufigkeit der Anwendung zulassen. Des Weiteren soll die Frage geklärt werden, ob es in den Branchen unterschiedliche Vorlieben gibt. Das Kapitel III 1.2 widmet sich im speziellen den großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften Ernst & Young, KPMG sowie PricewaterhouseCoopers und den von ihnen eingesetzten Verfahren. Am Ende findet in Kapitel III 1.3 eine Zusammenfassung der Erkenntnisse statt.
Um eine möglichst repräsentative Darstellung gewährleisten zu können, wurden mehrere Untersuchungen herangezogen. Dies umfasst die Umfragen von SUCKUT (1990), PEEMÖLLER (1993), BECK (1994), HOORMANN/LANGE-STICHTENOTH (1996), HANSMANN (2000), sowie speziell zur Anwendung des Realoptionsansatzes die Umfrage von PEEMÖLLER (2001). Außer bei der Umfrage von SUCKUT, bei der auch Unternehmen aus den USA beteiligt waren, wurden nur deutsche Unternehmen befragt.
Aufgrund unterschiedlicher Vorgehensweisen, verschiedenen Fragestellungen und Auswertekriterien ist ein 100 %er Vergleich der verschiedenen Umfragen nicht möglich.[60] Trotzdem soll versucht werden eine Aussage bezüglich der Anwendung einzelner Verfahren und eventueller Trends zu machen. Die folgende Tabelle soll einen Überblick über die meistgenutzten Verfahren und Kalkulationszinssätze in den Umfragen ermöglichen.
Abbildung 6: Veränderung des dominierenden Bewertungsverfahrens62
Wie zu erkennen ist, zeichnen die Studien ein eindeutiges Bild: Erfolgsorientierte Verfahren, wie das Ertragswertverfahren und das Discounted-Cashflow-Verfahren nehmen in Deutschland den höchsten Stellenwert ein.
Die Discounted-Cashflow-Verfahren haben im Laufe der 10 Jahre ständig an Bedeutung gewonnen. Betrug ihr Anteil 1990 noch 20 %[61], so stieg er 1993 auf 33%[62] und im Jahre 2000 auf 68 %[63]. Damit überholten die DCF-Verfahren bis zum Jahre 2000 die Ertragswertverfahren (mit 68% zu 32%), welche 1990 mit ca. 42 %[64] noch die meistgenutzten Verfahrensvarianten darstellten.[65]
Die marktorientierten Bewertungsverfahren wie die Multiplikatormethode und der Börsenwert nehmen eine untergeordnete Rolle ein. Obwohl sie recht häufig eingesetzt werden, dienen sie hauptsächlich als Hilfsfunktion für erfolgsorientierte Verfahren bzw. zur Gewinnung erster Wertvorstellungen.[66]
Eine interessante Erkenntnis liefern die Umfragen auch zur Nutzung von Substanzwertverfahren. Ihre Nutzung ist in den Umfragen, welche eine Mehrfachnennung ausschließen, sehr gering (1990 = 11%, 1993 = 4%, 2000 = 6 %). Bei erlaubter Mehrfachnennung lagen sie bei ca. 59 % (1996), jedoch mit dem Hinweis, dass sie hauptsächlich als Hilfsfunktion für erfolgsorientierte Verfahren dienten.[67]
Mischverfahren fanden innerhalb des untersuchten Zeitraums in deutschen Unternehmen fast keine Anwendung, lediglich das Stuttgarter Verfahren wurde aus steuerrechtlichen Gründen angewandt.[68]
Der in der jüngsten Literatur häufiger vertretene Realoptionsansatz scheint in der Praxis noch geringe Bedeutung zu genießen. Die Umfrage von PEEMÖLLER, welche sich explizit mit der aktuellen Anwendung dieses Verfahrens beschäftigt, kommt zur Erkenntnis, dass „deutsche Unternehmen den Realoptionsansatz sehr selten anwenden“[69]. Gleichzeitig wird seine zukünftige Entwicklung und Bedeutung relativ positiv eingeschätzt, jedoch mehr als Ergänzungsverfahren, denn als Standardbewertungsverfahren.[70]
Bei einer differenzierten Betrachtung nach anwendendem Unternehmenstyp fällt auf, dass Investmentbanken und Unternehmensberatungen bereits 1993 eine wesentlich höhere Nutzung der DCF-Verfahren, zu lasten der Ertragswertverfahren, aufweisen.[71] Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften nutzen dagegen fast ausschließlich das Ertragswertverfahren (80%).[72]
Nach Auswertung der unterschiedlichen empirischen Studien ist wegen der „Vorreiterrolle“ des beratenden Berufsstandes in diesem Kapitel noch einmal speziell auf die Bewertungsdienstleistungen der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften einzugehen. Die Erkenntnisse der Erhebungen bis 2000 sollen nicht einfach durch eine Trendextrapolation in die Zukunft fortgeschrieben werden, sondern durch die Anwendung der Verfahren in den drei großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften bestätigt bzw. widerlegt werden.
Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young nutzt je nach Bewertungsanlass und Bewertungsobjekt verschiedene, jedoch mindestens 3 Bewertungsverfahren. Dies wird damit begründet, dass sich erstens erst im Laufe der Bewertung das geeignete Verfahren herauskristallisiert und zweitens die jeweils anderen Verfahren eine Interpretation des Unternehmenswertes zulassen. Einen festen Platz besitzen dabei DCF-Verfahren und Multiplikatorverfahren. Der Grundgedanke dabei ist die Abbildung unterschiedlicher Risikoeinschätzungen. Diese Daten werden dann bei Bedarf[73] durch die Nutzung des Realoptionsverfahrens weiter differenziert. Dadurch ist es dann möglich Differenzen zwischen DCF-Verfahren und Marktwert zu erklären, sowie Wertargumente zu generieren.[74]
KPMG setzt ebenfalls mehrere Verfahren ein, die je nach Bewertungsobjekt variieren können. Hierbei stellen DCF-Verfahren[75] zusammen mit Multiplikatorverfahren den Kern der angewendeten Verfahren dar. KPMG betont dabei, dass die Multiplikatorverfahren nicht nur „irgendein Hilfsinstrument“[76] darstellen. Der Vergleich der Ergebnisse zeigt vielmehr auf inwieweit die eigenen Annahmen mit den Erwartungen des Marktes übereinstimmen. Bei einer hohen Wertdynamik finden Entscheidungsbäume Anwendung, an deren Knotenpunkten jeweils DCF - Berechnungen durchgeführt werden. Realoptionsverfahren finden nur in sehr seltenen Fällen Anwendung.[77]
Ähnlich sieht es bei PricewaterhouseCoopers aus. Hier finden alle derzeit bekannten Bewertungsverfahren Anwendung, wobei ein deutlicher Schwerpunkt bei der Nutzung der DCF-Verfahren, sowie der Multiplikatorverfahren zu erkennen ist. Substanzwertverfahren werden lediglich für die Bewertung nichtbetriebsnotwendigen Vermögens und stiller Reserven angewandt und das Ertragswertverfahren findet nur bei „aktienrechtliche[n] Vorbehaltsaufgaben in Deutschland“[78] Verwendung. Für die strategische Entscheidungsunterstützung hat PWC das Real Option Valuation™ – Verfahren entwickelt. Hierbei handelt es sich um eine Entscheidungsbaumanalyse, welche der Realoptionstheorie folgt.[79]
Zusammenfassend zeigt der Vergleich der empirischen Daten mit den von den drei großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften angewandten Verfahren:
1. Es gibt nicht das „richtige“ Verfahren, vielmehr muss das Verfahren je nach Bewertungszweck und Bewertungsobjekt ausgesucht werden.
2. Insbesondere bei den WP-Gesellschaften wird deutlich, dass zur Unternehmensbewertung die Anwendung mehrerer Verfahren notwendig ist. Nur so können aussagefähige Informationen gewonnen werden.
3. Die...