In Erinnerung an die verheerenden Auswirkungen der Great Depression war die Nachkriegszeit des zweiten Weltkrieges in Skandinavien geprägt von einer starken staatlichen Regulierung der Märkte. Im Fokus der Wirtschaftspolitik lagen vor allem niedrige Zinssätze und geringe Inflationsraten (cheap money and low inflation policy).[67] Insbesondere der Finanz- und Bankensektor wurde in Schweden, Norwegen und Finnland seit Anfang der 1950er bis in die 1980er Jahre stark staatlich reguliert.[68] Dies fand seinen Ausdruck u. a. in
strengen Bar- und Mindestreservevorschriften,
Niederlassungsbeschränkungen für Auslandsbanken,
Kontrollen des Devisenverkehrs und der Anleiheemissionen und vor allem
in der Regulierung der Zinssätze und der Rationierung des Kreditvolumens durch den Staat.[69]
Auffallend ist dabei die starke Ähnlichkeit der wirtschaftspolitischen und wirtschaftlichen Entwicklungen der einzelnen Länder: „The regulations, which shaped the structure of their financial systems, were motivated by the same principles and objectives in the three countries.“[70] Die strenge Bankenregulierung hatte vor allem das Ziel, den priorisierten Bereichen Staatshaushalt und Immobilien günstige Kredite bereitzustellen mit der Folge, dass den Banken Profitabilität auf niedrigem, aber stabilem Niveau gesichert wurde.[71] Ab Anfang der 1980er Jahre kam es in den skandinavischen Ländern zu einem wirtschaftlichen Aufschwung (Vgl. dazu Abb. 6 u. 7), der seinen Anstoß in einer Verbesserung der Exportmöglichkeiten erfuhr.[72] Das Wirtschaftswachstum im Vergleich zum Vorjahr betrug 1985 in Norwegen 5,2 Prozent, in Schweden 2 Prozent und in Finnland 3,3 Prozent.[73]
Beispielhaft für die Krisen der skandinavischen Länder Ende der 80er bis Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts werden in den nachfolgenden Ausführungen zu den Krisenursachen Norwegen und Finnland betrachtet.[74] Dabei werden die beiden Volkswirtschaften aufgrund der starken Ähnlichkeiten der Krisen[75] nicht getrennt betrachtet. Auf länderspezifische Besonderheiten wird im Kontext eingegangen.
Die beschriebenen Regulierungsmaßnahmen des Finanzsektors, insbesondere das künstliche Niedrighalten des Zinssatzes und die Kreditrationierung führten in Norwegen und Finnland zu einem Nachfrageüberhang an Krediten.
3.1.1 Deregulierung und Liberalisierung des Finanzsektors
Die Deregulierungsmaßnahmen und Reformen des Finanzsektors begannen in Norwegen ab Anfang der 1980er Jahre, vor allem aufgrund der zunehmenden internationalen Integration, der finanziellen Globalisierung und der Entstehung sog. „grauer“ Märkte (die Regulierungsmaßnahmen zu umgehen versuchten).[76] Die Liberalisierung verlief in Etappen wie folgt, wobei es 1986 fruchtlose Versuche gab, die Deregulierungen teilweise zu revidieren:[77]
1980 Aufhebung der Zinssatzregulierung durch den Staat; die Durchschnittsverzinsung wurde durch den Leitzins des Finanzministeriums bestimmt,
1984 Abschaffung der Mindestreserveregelungen,
1985 komplette Abschaffung der Zinssatzregulierungen durch das Finanzministerium,
1986 Wiedereinführung von Mindestreservesätzen; Erlaubnis für Auslandsbanken Zweigstellen zu eröffnen,
1987 erneute Abschaffung der Mindestreserveregelungen,
1989 bis 1991 Abschaffung aller restlichen Devisenkontrollen.
Auch in Finnland kam es Mitte der 1980er Jahre zur schrittweisen Deregulierung des Finanzsektors, ebenfalls bedingt durch die zunehmende finanzielle Globalisierung (u. a. musste Finnland Anschluss an die Entwicklung in den übrigen OECD- und EU-Ländern finden)[78] und die im Vorfeld aufgrund der hohen Kreditnachfrage entstandenen „grauen“ Märkte.[79] Die Liberalisierung und Deregulierung verlief dabei ähnlich wie in Norwegen, zeitlich jedoch etwas später:[80]
1982 Erlaubnis für Auslandsbanken Zweigstellen zu eröffnen,
1983 Lockerung der Kreditzinsregulierungen,
1984 Banken können Geld ins Ausland verleihen und in ausländische Sicherheiten investieren,
1986 die Regulierung der durchschnittlichen Kreditzinsen wurde abgeschafft; langfristige Auslandsfinanzierungen der Fertigungs- und Schiffsunternehmen wurden von der staatlichen Kontrolle befreit; Erlaubnis von Floating Rates bei ausgewählten Krediten,
1987 Kreditvorgaben wurden komplett eingestellt; Anforderungen bei Anzahlungen bei privaten Immobilienkrediten und Konsumentenkrediten wurden abgeschafft; Restriktionen bei langfristigen Auslandsfinanzierungen von Unternehmen wurden gelockert,
1988 Banken wurde die Nutzung langfristiger Marktzinsen als Kreditreferenzzinssatz erlaubt; die verbliebenen Regulierungen für Auslandskredite wurden (außer für Haushalte) abgeschafft; direkte Auslandsinvestitionen für Unternehmen wurden erlaubt,
1991 Liberalisierung aller grenzüberschreitender kurzfristiger Kapitalbewegungen und Abschaffung aller Devisenkontrollen.
3.1.2 Lending Boom und Asset Price Bubble
Die Folge dieser weit reichenden Deregulierungsmaßnahmen war eine immense Ausweitung des Kreditvolumens.[81] Vor allem mit der Abschaffung der Mindestreserveregelungen 1984 begann auch der Boom bei der Vergabe von Bankkrediten (Vgl. Abb. 8). Diese Situation wurde begünstigt durch die cheap money and low inflation policy der Zentralbank[82], die erhöhte Inlandsnachfrage aufgrund des wirtschaftlichen Booms und durch ein unvorteilhaftes Steuersystem.[83] Die Deregulierung des grenzüberschreitenden Kapital- und Geldverkehrs und die Abschaffung der Devisenkontrollen erleichterten zudem die Verschuldung in ausländischer Währung. Vor allem bei Bau- und Dienstleistungsbetrieben betrug der Anteil an Fremdwährungsverbindlichkeiten oftmals 50 Prozent der gesamten Verbindlichkeiten.[84] Auch Banken schlossen mit Hilfe von Auslandsschulden die durch wachsender Kreditnachfrage und geringer heimischer Sparquote die aufreißende Finanzierungslücke. Das Verhältnis von Bankkrediten zum nominalen BIP stieg in Finnland von 55 Prozent in 1984 auf fast 100 Prozent in 1990.[85] In Norwegen verlief die Entwicklung ähnlich. Ein steigendes Kreditvolumen (Lending Boom) stellt für sich allein genommen kein gravierendes Problem dar. Empirische Untersuchungen zeigen jedoch, dass insbesondere in Zeiten eines wirtschaftlichen Aufschwunges der Grundstein für die spätere Krise gelegt wird. „ A number of studies have found that banking sector problems often follow an economic boom.”[86] Hoggarth/Reis/Saporta (2001) kamen aufgrund der Auswertung der Daten von 47 Bankenkrisen zu dem Ergebnis, dass Bankenkrisen in entwickelten Ländern oft einem wirtschaftlichen Boom folgen. Eine Begründung hierfür ist der beschriebene Lending Boom (auch Overlending). Konjunkturhochs können in Anbetracht der rosigen wirtschaftlichen Perspektiven zu einer Lockerung externer Finanzierungsbeschränkungen und zu optimistischeren Kreditvergabeentscheidungen führen. Die Boomphase führt demnach typischerweise zu einer expansiveren Kreditvergabepolitik.[87] Banken vergeben Kredite auch an weniger gute Kunden für unsichere Investitionsobjekte. Die Kreditnachfrage ist aufgrund des Booms ausreichend vorhanden. Die Verbindung von geringen, teils negativen Sparquoten der privaten Haushalte (Vgl. Abb. 9 u. 10) und einem rasanten Kreditwachstum stellt die Frage, was mit Geldern geschah: „Die immense Verschuldung privater Haushalte wurde in großem Umfang zur Finanzierung von Wohnimmobilien genutzt, deren Preise sich zwischen 1980 und 1989 vervierfachten…“[88] Zeitlich etwas früher (1980 bis 1987) vervierfachten sich auch in Norwegen die Immobilienpreise.[89] Ähnlich verliefen die Entwicklungen des norwegischen und finnischen Aktienmarktes.[90] Im Zuge...