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E-Book

Ursachen und Behandlung der Krankheiten

AutorHildegard von Bingen
VerlagEdition Lempertz
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl222 Seiten
ISBN9783939284765
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis2,99 EUR
Die Bedediktinerin Hildegard von Bingen ist eine der faszinierendsten Universalgelehrten der Menschheitsgeschichte. Nicht nur die katholische Kirche, sondern auch die Anglikaner und Protestanten verehren sie als bedeutende Kirchenlehrerin. Hildegard von Bingen war seit ihrer Geburt kränklich und schwächlich, war aber seit frühster Kindheit visionär veranlagt. In dem vorliegenden E-Book lesen Sie ihre Schrift 'Causae et curae oder liber compositae medicinae' - 'Ursachen und Behandlungen der Krankheiten'. Hildegard von Bingen war als Ärztin tätig und hat die Klosterapotheke und den Würzgarten gepflegt. Hier hat sie eine Art Hausbuch der Medizin verfasst. Es werden auch Tierkrankheiten und deren Behandlung erwähnt, wie auch faszinierende Details der Landwirtschaft. Lesen Sie hier das faszinierende Erbe einer der brillantesten Frauen der Weltgeschichte.

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Leseprobe

VON DEN KRIECHENDEN TIEREN. Wie aber die übrigen Tiere geschaffen sind, dem Menschen zu dienen, so helfen und dienen die kriechenden Tiere ihm dadurch, dass sie die Erde durchlöchern, damit Wasser und Regen sie durchfeuchten können. Deshalb liegen sie auch immer an feuchten Stellen in der Erde, erwärmen diese durch ihre Ausdünstung und befeuchten sie mit ihrem Schaum und Schweiß, so dass die Erde durch solche Ausscheidungen und Ausdünstungen einigen Zusammenhalt und Kraft gewinnt. Der Grund dafür, dass die Würmer dabei giftig sind, liegt in dem üblen Geruch und der Fäulnis der Erde. Regen und Tau waschen die Erde an ihrer Oberfläche, und die Sonne erwärmt sie, und deshalb ist die Erdoberfläche rein und bringt reine Frucht hervor. Schmutz und Fäulnis dagegen fließen in ihr Inneres herab. Daraus wachsen dann in ihr die giftigen Würmer, wie denn auch Würmer aus der Wundjauche des Menschen in ihm entstehen, die ihn schädigen. So entwickeln sich auch die Würmer in der Erde, die sich von ihr ernähren. Knochen aber besitzen die Würmer fast gar nicht, ihr Gift tritt bei ihnen an die Stelle der Knochen und des Blutes und verleiht ihnen Kraft. Einige von ihnen sind unbehaart, weil sie aus der Erdfeuchtigkeit entstehen, in der Erde leben und die oberen Regionen fliehen, also weder von der Luft noch dem Tau des Himmels noch auch von der Sonnenwärme durchdrungen werden, denen die übrigen Tiere ihre Behaarung zu verdanken haben. Weil sie eine dem Menschen und den höheren Geschöpfen entgegengesetzte Natur haben, sind sie diesen feindlich, töten sie mit ihrem Gift und schädigen die Menschen und die höher als sie selbst stehenden Tiere. Obwohl sie aber das Gift in sich tragen, sind doch einige derselben sowohl für die Menschen wie auch für die Tiere als Arznei dienlich, wenn auch nicht immer im ganzen, so doch mit irgendeinem Körperteil, da sie von dem guten Erdsaft in sich haben und der gute Erdsaft die heilsamen Kräuter hervorbringt. So verjüngt sich der Hirsch, wenn er eine Schlange verschluckt1).

VON DEN FLIEGENDEN TIEREN. Alle fliegenden Geschöpfe und Tiere, die für den Menschen brauchbar werden können und bereits sind, nehmen nach göttlicher Bestimmung ihr Leben aus der Luft und halten sich deshalb über der Erdoberfläche auf. Die Würmer dagegen und kriechenden Tiere nehmen ihr Leben vom Saft der Erde und verweilen deshalb mit Vorliebe auf und unter der Erde.

VON DEN FISCHEN. Die Fische aber empfangen ihr Leben von der Wasserluft der Flüsse, halten sich demgemäß auch in den Gewässern auf und können die Trockenheit nicht aushalten. Wenn sie sterben, schwindet bei ihnen allen ihr Leben mit ihrem Fleisch dahin wie der Schnee in der Wärme. Was übrigbleibt, geht entweder in die Luft oder in den Erdsaft oder in die Wasserluft der Flüsse über, woher es gekommen ist. Von da ab bringt aber das, was so vergangen ist, kein anderes Geschöpf, das bereits verdorrt ist, mehr zum Leben. Ebenso wie der Saft und die Fähigkeit zu ergrünen bei Bäumen und Kräutern, die abgeschnitten sind, eintrocknet und ausgedörrt wird und andere Pflanzen nicht mehr zum Ergrünen bringt, weil er ausgetrocknet ist, ebenso auch kann die Lebenskraft der unvernünftigen Tiere, wenn sie in ihnen verdorrt und ausgetrocknet ist, kein anderes Tier mehr lebendig machen, eben weil sie nicht mehr existiert, sondern ganz und gar verschwunden ist.

VON DER VERSCHIEDENEN ART DER EMPFÄNGNIS. Wenn ein Mann mit dem Erguss eines kräftigen Samens in rechter Liebe und Zuneigung zum Weibe sich diesem naht und das Weib zur selben Stunde ebenfalls die rechte Liebe zum Manne empfindet, so wird ein männliches Kind empfangen, weil dies so von Gott angeordnet ist. Es ist auch nicht anders möglich, als dass ein männliches Kind empfangen wird, weil auch Adam aus Lehm geschaffen wurde, der ein kräftigerer Stoff ist wie das Fleisch. Dieser Knabe wird klug und reich an Tugend werden, weil er empfangen wurde mit kräftigem Samen und bei der richtigen gegenseitigen Liebe und Zuneigung. Fehlt aber dem Weibe die Liebe zum Manne, so dass nur der Mann zu dieser Zeit das rechte liebende Verlangen zum Weibe hat und das Weib nicht zum Manne, so wird gleichwohl ein männliches Kind empfangen, wenn der Samen des Mannes kräftig ist, weil das Liebesgefühl des Mannes die Überhand hat. Dieser Knabe wird aber schwächlich sein und keine tüchtigen Eigenschaften besitzen, weil hier dem Weibe die Liebe zum Manne fehlte. Ist der Samen des Mannes schwach, hat dieser gleichwohl Liebe und Zuneigung zum Weibe und dies die gleiche Liebe zu ihm, so wird ein tugendreiches weibliches Kind gezeugt. Empfindet nur der Mann Verlangen zum Weibe und diese nicht zu ihm, oder fühlt nur das Weib die rechte Liebe zum Manne und dieser nicht zu ihr, ist zur selben Stunde der männliche Samen dünn, so entsteht, weil dem Samen die Kraft fehlt, daraus ebenfalls ein Mädchen. Ist aber der Samen des Mannes vollkräftig, hat aber trotzdem weder der Mann zum Weibe noch das Weib zum Manne die gegenseitige liebende Zuneigung, so wird ein Knabe gezeugt, weil trotzdem der Samen seine Vollkraft hatte. Er wird aber ein unangenehmer Mensch werden wegen der gegenseitigen Abneigung der Eltern. Ist aber der Samen des Mannes dünn und fühlt zur selben Stunde keiner von beiden Liebe und Zuneigung zum anderen, so wird ein Mädchen von unerfreulichem Wesen gezeugt. Die Wärme solcher Frauen, die von Natur fettleibig sind, überwältigt den Samen des Mannes, daher häufig das Kind im Gesicht solchen Frauen ähnlich wird. Solche Frauen aber, die von Natur mager sind, bringen zumeist Kinder zur Welt, die in ihrem Antlitz dem Vater gleichen.

VON DEN KRANKHEITEN. Der Grund dafür, dass manche Menschen an allerlei Krankheiten leiden, liegt am Phlegma2), das sie im Übermaß in sich haben. Wäre nämlich der Mensch im Paradiese geblieben, so würde er die Phlegmen, von denen viele Übel herkommen, nicht in seinem Körper haben, sondern sein Fleisch würde ganz gesund sein und frei von Schleim. Weil er aber dem Schlechten sich zugewandt und das Gute im Stich gelassen hat, wurde er der Erde ähnlich, die gute und nützliche Kräuter neben schlechten und unnützen hervorbringt und gute und schlechte Feuchtigkeit und Saft in sich trägt. Denn nach dem Genüsse des Apfels wurde das Blut der Söhne Adams in das Gift des Samens verwandelt, aus dem die Nachkommen der Menschen entstehen.

Daher ist auch ihr Fleisch geschwürig und durchlöchert. Diese Geschwüre und Löcher erzeugen in den Menschen sozusagen Sturm und einen feuchten Rauch, woraus dann die Phlegmen entstehen und zusammengerinnen, die den menschlichen Körpern mancherlei Krankheiten bringen. Es ist die Folge jener ersten Sünde, die der Mensch zuerst auf sich lud, weil, wenn Adam im Paradiese geblieben wäre, er die erfreulichste Gesundheit neben dem besten Aufenthalte haben würde, wie auch der kräftigste Balsam den schönsten Geruch ausgibt. Stattdessen und im Gegensatz dazu hat jetzt der Mensch Gift und Phlegma in sich und allerlei Krankheiten.

VON DER ENTHALTSAMKEIT. Es gibt Menschen, die enthaltsam sind, wenn sie wollen. Wollen sie aber nicht enthaltsam sein, so sind sie in ihrem Wollen stark. Sie sind geizig und essen gerne fette Speisen. Daher läuft dann in ihnen ein gefährliches, giftiges, dickes und trockenes Phlegma zusammen, das nicht feucht, wohl aber bitter ist. Es lässt dickes, schwarzes und unkräftiges Fleisch an den Menschen wachsen, und wenn diese sich nicht des Genusses fetter Speisen enthalten wollen, so ziehen sie sich leicht den Aussatz zu. Die bittere Beschaffenheit dieses Phlegmas erzeugt in der Umgebung der Leber und der Lunge solcher Leute einen Rauch, etwa so, wie der Rauch der Schwarzgalle ist. Daher sind sie jähzornig und hartherzig. Die Feuchtigkeit ihres Schweißes ist nicht sauber, sondern schmutzig. Dabei sind sie nicht etwa schwächlich, sondern tüchtige Leute, tapfer und im Zorn tyrannisch und habgierig, eben aus dieser ihrer Veranlagung heraus. Das aus einer derartigen Veranlagung entstandene Phlegma ruiniert und tötet einzelne von ihnen in kurzer Zeit, weil seine Kraft groß ist. Anderen gestattet es aber ein längeres Leben.

VON DER UNENTHALTSAMKEIT. Es gibt aber auch andere Menschen, die eine überschüssige Natur besitzen und unenthaltsamer sind wie ihre Mitmenschen, so dass sie sich kaum zurückhalten können und infolgedessen häufig krank werden. Sie leiden an einem Überfluss von feuchtem Phlegma, weil sich in ihnen eine üble Feuchtigkeit entwickelt, und weil dies schädliche Phlegma in ihnen gerinnt und einen bösen Rauch zu ihrer Brust und zu ihrem Gehirn hinsendet. Die Feuchtigkeit dieses Rauch erzeugenden Phlegmas in der Brust macht eine kalte Feuchtigkeit im Magen, und die Feuchtigkeit desselben Phlegmas verringert im Gehirn die Hörkraft in den Ohren. So steht diese Feuchtigkeit im Magen und in den Ohren wie ein unnützer Nebel, der die guten Kräuter und Früchte schädigt. Die Lunge beeinträchtigt dieses Phlegma nicht, weil die Lunge selbst feucht ist, wohl aber die Milz, weil diese fett ist, die Feuchtigkeit von sich ab wehrt und, wenn sie Feuchtigkeit enthielte, sofort auseinanderlaufen und sich verflüssigen würde. Auch das Herz wird angegriffen, weil es im...

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