Ziel dieses Kapitels ist es, einige grundlegende Begriffe zu klären, die für das Verständnis der vorliegenden Arbeit von Bedeutung sind. Da die Leistungsbilanz den zentralen Betrachtungsgegenstand dieser Arbeit darstellt, gilt es zunächst, diese zu definieren. Die Leistungsbilanz erfasst alle mit dem Ausland abgewickelten Transaktionen, die mit dem Handel von Waren, Dienstleistungen und Faktorleistungen verbunden sind, sowie ohne Gegenleistung empfangene oder geleistete Zahlungen. Somit lässt sich die Leistungsbilanz in vier Komponenten unterteilen:
1. Handelsbilanz: Bezeichnet die Käufe und Verkäufe von Waren. Dabei werden die Exporte positiv, Importe negativ angerechnet. Hieraus ergibt sich der Handelsbilanzsaldo, der positiv ist, wenn die Exporte die Importe überschreiten.
2. Dienstleistungsbilanz: Diese erfasst alle aus dem Handel mit Dienstleistungen verbundenen Transaktionen. Bucht beispielsweise ein ausländischer Tourist ein Hotelzimmer in Deutschland, so geht dies positiv in die Dienstleistungsbilanz Deutschlands ein. Analog zur Handelsbilanz lässt sich so auch ein Saldo der Dienstleistungsbilanz bestimmen.
3. Bilanz der Erwerbs- und Vermögenseinkommen: Diese Bilanz „erfasst Einkünfte, die Inländer dafür erhalten, dass sie dem Ausland die Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital zur Verfügung stellen“[4], was als Faktorleistungen bezeichnet wurde. Dazu zählen zum Beispiel Zahlungen an eine in Deutschland wohnende Person, die diese für ihre Arbeit im Ausland erhält. Auch Zinszahlungen, die ein in Deutschland lebender Mensch aufgrund des Besitzes ausländischer Wertpapiere (z.B. Staatsanleihen) erhält, wirken sich positiv auf die (deutsche) Bilanz der Erwerbs- und Vermögenseinkommen aus.
4. Bilanz der laufenden Übertragungen: Wie schon oben beschrieben, gibt es für diese Zahlungen keine Gegenleistung. In die Bilanz der laufenden Übertragungen gehen zum Beispiel Zahlungen ein, die im Inland wohnende Immigranten an ihre im Ausland wohnende Familie zahlen. Auch Entwicklungshilfe-Zahlungen werden diesem Posten der Leistungsbilanz zugerechnet.
Addiert man nun die Salden aller vier Teilbilanzen, so wird die hieraus gebildete Summe als Leistungsbilanzsaldo bezeichnet. Als Beispiel sei die Leistungsbilanz von Deutschland im Jahr 2013 gezeigt, wobei alle Werte in Milliarden Euro angegeben sind:[5]
Handelsbilanzsaldo[6] + 168,7 Dienstleistungsbilanzsaldo + 2,4 Saldo aus Erwerbs- und Vermögenseinkommen + 76,9 Saldo aus Laufende Übertragungen - 42,0 = Leistungsbilanzsaldo 206,0
Eine mögliche Interpretation der Leistungsbilanz wäre, dass eine hohe, positive Leistungsbilanz das Indiz einer starken und wettbewerbsfähigen Volkswirtschaft darstellt, da z.B. die Exporte und somit die in einer Volkswirtschaft hergestellten Waren sich einer hohen Nachfrage auf den Weltmärkten ausgesetzt sehen.
Folgender bilanztechnischer Zusammenhang zeigt jedoch, dass ein positiver Leistungsbilanzsaldo auch eine etwas andere Schlussfolgerung zulässt:[7]
CAt steht hierbei für den Saldo der Leistungsbilanz, St für die gesamtwirtschaftliche Ersparnis und It für inländische Investitionen. Der Index t gibt an, dass sich alle Größen auf dieselbe Periode beziehen. Gleichung 2.1 verdeutlicht, dass ein hoher Leistungsbilanzüberschuss mit geringen inländischen Investitionen verbunden sein kann. Dies wiederum könnte dahingehend interpretiert werden, dass Investitionen in anderen Ländern attraktiver erscheinen, was implizit bedeutet, dass dort ein höheres Wachstum erwartet wird. Außerdem sind Investitionen, wozu zum Beispiel die Beschaffung von Maschinen und Anlagen, sowie das Errichten von Produktionsanlagen gehört, eine wichtige Voraussetzung für mittel- und langfristiges Wachstum einer Volkswirtschaft, da sie die Fähigkeit von Firmen zur Produktion erhöhen. So weist Deutschland im Zeitraum nach der Jahrtausendwende eine im europäischen Vergleich geringe Investitionsquote auf (siehe hierzu auch Kapitel 4.2), was durchaus kritisch gesehen wird und Gegenstand zahlreicher Debatten ist.[8]
Das Zustandekommen der Leistungsbilanz wurde aufgezeigt. Im nächsten Schritt soll, für das bessere Verständnis der Relevanz der Leistungsbilanz, diese in den größeren Rahmen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung eingeordnet werden, wobei die Darstellung nur soweit als hierzu erforderlich erfolgt. Die Leistungsbilanz ist ein Teil der Zahlungsbilanz, welche alle Transaktionen innerhalb eines bestimmten Zeitraums zwischen In- und Ausland erfasst und in zwei Kategorien unterteilt:[9] Die erste Kategorie bilden alle mit der Leistungsbilanz verbundenen Transaktionen. „Die zweite Kategorie umfasst Transaktionen, welche die Übertragung des Eigentums an Vermögenswerten widerspiegeln“[10], womit meist Ansprüche auf zukünftige Zahlungen verbunden sind, wie dies z.B. bei Aktien (Dividenden) oder Schuldverschreibungen (Zinszahlungen) der Fall ist. Diese zweite Kategorie der Transaktionen wird noch einmal in die Bilanz der Vermögensübertragungen und die Kapitalbilanz unterteilt, wobei die Kapitalbilanz den wesentlich größeren Posten darstellt. Auch von dieser zweiten Kategorie der Transaktionen wird ein Saldo gebildet. Der Leistungsbilanzsaldo (CAt) und der Saldo der Kapitalbilanz, sowie der Saldo der Bilanz der Vermögensübertragungen (letztere sind als KFAt zusammengefasst) weisen die Beziehung auf, dass deren Summe gleich Null ist:[11]
Dies ist der Fall, da bei der Zahlungsbilanz, wie auch bei Bilanzen der betrieblichen Buchführung, jeder Buchung eine Gegenbuchung gegenübersteht. Verkauft z.B. ein deutscher Betrieb Maschinen im Wert von 1 Mio. € an ein griechisches Unternehmen, so erhöht sich der deutsche Leistungsbilanzsaldo um 1 Mio. €. Als Ausgleich erhält der deutsche Betrieb entweder eine direkte Geldzahlung oder aber eine Zahlung in anderer Form, zum Beispiel griechische Staatsanleihen oder auch Aktien des griechischen Unternehmens im Wert von 1 Mio. €, was sich als negativer Wert in der deutschen Kapitalbilanz widerspiegelt. Addiert man beide Bilanzen, so ergibt sich eine Summe von Null. Das (in diesem Fall) negative Vorzeichen der Kapitalbilanz ist rein definitorischer Natur. Das deutsche Unternehmen „importiert“ die griechische Staatsanleihe, was sich genauso negativ auf die Kapitalbilanz auswirkt, wie sich ein Warenimport negativ auf die Leistungsbilanz auswirken würde.
Aus der Zahlungsbilanz lässt sich sodann die Nettoauslandsposition einer Volkswirtschaft, auch Nettoauslandsvermögen genannt, bestimmen. Die Nettoauslandsposition eines Landes gibt den Gesamtbestand allen Vermögens an, das ein Land, also seine Privatpersonen, Unternehmen und auch der Staat, gegenüber anderen Ländern hält. „Darüber hinaus reflektiert die Entwicklung des Netto-Auslandsvermögens aber vor allem den Saldo der Leistungsbilanz: Ein Land, dessen Exporte von Waren, Dienstleistungen und Faktorleistungen über den Importen liegen, baut gegenüber dem Ausland Ansprüche auf zukünftige Zahlungen auf, was sich in einem Anstieg des Nettoauslandsvermögens widerspiegelt.“[12] Dies verdeutlicht, dass dem Nettoauslandsvermögen und insbesondere der Leistungsbilanz eine wichtige Rolle bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Gesamtsituation eines Landes zukommt und insbesondere im Rahmen der Euro-Krise eine vieldiskutierte Einflussgröße darstellt. Um eine Vorstellung der Größenordnung des Nettoauslandsvermögens zu geben, sei erwähnt, dass dieses Ende 2013 für Deutschland 1323,575 Mrd. € beträgt.[13] Bei einer deutschen Staatsverschuldung von Ende 2013 mit 2034,728 Mrd. € ließen sich somit allein durch das Nettoauslandsvermögen 65,05% des Gesamtschuldenstandes sofort tilgen. Dies stellt natürlich nur eine theoretische Überlegung dar, nicht zuletzt aus dem Grund, dass das Auslandsvermögen nicht (in seiner Gänze) liquide ist und nicht dem Staat, sondern hauptsächlich Privatpersonen und Unternehmen gehört.
Da in dieser Arbeit die Leistungsbilanzungleichgewichte innerhalb der europäischen Währungsunion untersucht werden, werden im Folgenden kurz die Vor- und Nachteile des Beitritts einer Währungsunion skizziert.
Entscheidet sich ein Land, einer Währungsunion beizutreten, was gleichbedeutend ist mit dem Verlust der Kontrolle über die eigene Währung, so gibt dieses Land mit der Geldpolitik ein bedeutendes makroökonomisches Steuerungselement seiner Wirtschaft auf. Das beitretende Land ist zum Beispiel nicht mehr in der Lage durch Auf- oder Abwertungen den Preis seiner Währung zu beeinflussen.
Stattdessen gibt es jetzt eine einzige, für alle an der Währungsunion beteiligten Staaten zuständige Zentralbank, die einen einheitlichen kurzfristigen Zinssatz bestimmt. Vor allem aufgrund unterschiedlicher Konjunkturzyklen kann es vorkommen, dass die Entscheidungen der Zentralbank nicht für alle Länder gleichermaßen vorteilhaft oder für manche Länder sogar von Nachteil sind. An späterer...