Einleitung
Der rückschauende Blick von Söhnen auf ihre Väter stellt eine ganz eigene Gattung innerhalb der biografischen Schriften dar. Dieser Blick, eigentlich nicht für die Öffentlichkeit gedacht, hat etwas sehr Privates und Intimes. Auch die Methodik bei der Verschriftlichung dieser persönlichen Gedanken, Reflexionen und Erinnerungen in Bezug auf den eigenen Vater weicht stark von dem ab, was man gemeinhin von einem biografischen Werk erwartet: Faktentreue, Einordnung in ein historisches und soziologisches Umfeld, die wissenschaftliche, zumindest jedoch eine professionelle, Herausarbeitung der betroffenen Persönlichkeit, ihrer Wirkkraft in ihrer Zeit und deren Ausstrahlung auf die Gegenwart.
Von all dem kann hier nicht entfernt die Rede sein. Die liebevollen Beiträge der Söhne haben eher eine lyrische und emotionale Komponente, befremden den Leser ob ihrer sentimentalen Attribute und ihrer Konkretmachung persönlicher Zuneigung und Dankbarkeit, die man von sonstigen Schriften aus der scheinbar „strengen alten Zeit“, in der es angeblich keinen Raum für die Artikulation von Gefühlen gab, nicht erwartet. Erst wenn man sich auf den eigenwilligen Duktus, die teilweise fast naive und kindliche Ausdrucksweise der sonst literarisch (noch) nicht erfahrenen Autoren einlässt, erschließt sich auch dem Leser die wahre Intensität der Familienbeziehungen. Es zeigt aber auch, wie Familienbande eine eigene vertikale Prägekraft über viele Generationen hinweg entfalten und außerhalb zeitgenössischer Gender-Utopien eine lang reichende Prädisposition schaffen.
Dem verständigen Betrachter fällt dabei ein sympathisches Detail ins Auge, das sich durch alle Zeiten, sicherlich in wechselnden Gewändern, zeigt, nämlich die geschilderte Opferbereitschaft und Hingabe der Väter für ihre Kinder auch unter schwersten Umständen und im Gegenzug die vorurteilsfreie Zuneigung und der tiefe Respekt der Söhne für ihre Väter.
Die vorliegenden Betrachtungen entfalten auch in anderer Hinsicht eine besondere Faszination. Es handelt sich eben nicht um eine Familiensaga wie die prosaische Darstellung der fiktiven Buddenbrooks, sondern um ganz reale Bildnisse, die grundsätzlich zwar unabhängig voneinander entstanden sind, aber doch unter Kenntnis der jeweiligen präexistenziellen Werke aufeinander aufbauen.
Was bewegte wohl einen Sohn, über seinen Vater zu schreiben, zumal in Zeiten, in denen schriftstellerische Tätigkeit nur wenigen zugänglich war? Sicherlich ist und war die Beschäftigung mit dem eigenen Vater eine gewisse Art der Selbstreflexion und, nachdem alle Werke posthum erschienen waren, auch eine Aufarbeitung des oft nicht einfachen Vater-Sohn-Verhältnisses. Im Vordergrund dürfte aber die Intention gestanden haben, der eigenen Familie, den eigenen Söhnen und Enkeln einen Leitfaden an die Hand zu geben, eine konkrete Handhabe zur Selbstverortung als Teil einer generationenübergreifenden Wertegemeinschaft, der Familie. Insofern ist eine solche schriftliche Biografie in gewisser Weise auch ein Transportmittel von Idealen und Wertmaßstäben, die von Generation zu Generation wie ein Staffelstab weitergereicht werden sollten und wie man sieht auch weitergereicht wurden.
Die vorliegenden Einzelwerke überspannen einen Zeitraum von der Geburt Peter (Petrus) Löws (*1870) bis zum Tode des Karl Peter Johann Löw (*1923) im Jahr 2016, decken also fast 150 Jahre ab. Der historische Rahmen, der dadurch abgesteckt wird, beginnt mit dem Verlust der Selbstständigkeit des bayerischen Königreiches, gefolgt von der deutschen Reichsgründung, der kaiserlichen Kolonialzeit, dem Weltkrieg (wie der Erste Weltkrieg noch optimistisch genannt wurde), der Weimarer Republik, der nationalsozialistischen Diktatur, dem Zweiten Weltkrieg mit der Zerstörung Deutschlands, dem Wiederaufbau, der Gründung der Bundesrepublik Deutschland, dem Kalten Krieg, dem Zusammenbruch der Sowjetunion, der Wiedervereinigung Deutschlands und der Verfestigung der EU als supranationale Organisation. Und alle diese Ereignisse haben ihre Spuren in der Familie Löw hinterlassen. Insbesondere die Weltkriege haben ihren Blutzoll auch von den Löws gefordert, aber die tiefsten Narben wurden durch die Zeit des Nationalsozialismus geschlagen, als sich die Familie gezwungen sah, gegen das Unrecht aufzustehen und im Untergrund Widerstand zu leisten. Die Existenzängste von damals sind innerfamiliär bis heute präsent.
Hatte die erste Betrachtung über Peter Löw (*1870) noch sein ältester Sohn Peter (Petrus) Löw (*1897) verfasst, so stammt dessen Lebensbild nicht von seinem ältesten Sohn Karl Peter, sondern von seinem jüngsten Sohn Konrad, der später als Autor zahlreicher wissenschaftlicher Werke und als Ordinarius an der Universität Bayreuth eine akademische Laufbahn einschlug. Das Lebensbild von Karl Peter Löw (*1923), ältester Sohn des Peter Löw (*1897), ist wiederum von mir, Peter Werner Maria Löw (*1960), als seinem ältesten Sohn verfasst worden. Eine derart lückenlose Betrachtungsfolge über letztlich vier Generationen ist sicherlich nicht häufig anzutreffen und fasziniert.
Die vorliegenden Einzelarbeiten, insbesondere die ersten drei Texte, wurden gegenüber ihrer Ursprungsfassung weder redaktionell überarbeitet noch sprachlich geglättet. Es handelt sich also um die unverfälschte Wiedergabe der historischen Werke, wie sie in ihrer jeweiligen Zeit öffentlich gemacht worden waren. Der unterschiedliche Entstehungsgrund, nämlich als posthumes schriftliches Lebensbild oder als mündliche Nachrufsrede, muss im Rahmen einer kritischen Würdigung Berücksichtigung finden.
Sozialgeschichtlich sind die Texte Zeugnisse einer Entwicklung von der bäuerlichen Unterschicht hin zum gehobenen Mittelstand in Bayern. Was auf den ersten Blick nach einer gelungenen dynastischen Aufstiegsgeschichte aussehen mag, ist im Detail von vielen Rückschlägen und wirtschaftlichen Katastrophen begleitet. Wenn Peter Löw (*1870) als Sohn eines Schmiedes bereits mit 14 Jahren die Familie verlassen musste, um als Lohnbauer sein Dasein zu fristen, so war dies sicherlich noch keine Erfolgsstory. Erst die zweijährige Dienstzeit beim 1. Bayerischen Infanterieregiment war der entscheidende Schritt innerhalb eines Emanzipationsprozesses, der zu einem graduellen Aufstieg führen sollte. Vom Fuhrmann zum Verwalter eines Gastwirtschaftsbetriebes, vom Baumeister in einem Sägewerk zum Kanalmeister des Carbidwerkes in Trostberg, gelang es Peter Löw (*1870) schließlich doch noch, sein eigener Herr als Eigentümer eines kleinen Gütlerhofes in Tacherting zu werden.
Und wenn sein ältester Sohn Peter Löw (*1897) das Erbe, den Gütlerhof, bewusst ausschlug, um in den Staatsdienst und schließlich nach München zu gehen, so kennzeichnet auch dies einen weiteren emanzipatorischen Akt in der Familienchronik. Als Autodidakt, fern den bäuerlichen Geisteswelten beheimatet, absolvierte er das Große Latinum und studierte Italienisch, um dann als Inspektor des Kirchensteueramtes zu wirken.
Und wenn er später als Oberkriegsinspektor der Wehrmacht (im Range eines Oberleutnants) wegen „Gesinnungsunzuverlässigkeit“ im Sinne der NSDAP-Doktrin 1944 zum einfachen Soldaten degradiert wurde, so war das für ihn eher Auszeichnung als Schmach. Folgerichtig ließ er sich nicht entmutigen, druckte nachts Flugblätter des katholischen Widerstandes und wurde von der Gestapo verhaftet. Erst nach dem Krieg gelang es der Familie, wieder Fuß zu fassen und am Aufbau aktiv mitzuwirken.
Auch der Lebensweg seines ältesten Sohnes Karl Peter Löw (*1923) verlief alles andere als unkompliziert. Weimarer Republik, Nationalsozialismus, Zweiter Weltkrieg, Nachkriegsgesellschaft und Wirtschaftswachstum waren die Bühnen seines Wirkens. Die Ablehnung jeglicher Obrigkeit entwickelte er im Dritten Reich. Die in dieser Zeit praktizierten Abwehrstrategien sollten sich in der fast anarchischen Nachkriegszeit bewähren und einen phönixartigen wirtschaftlichen Aufstieg fördern.
Fast alle gesellschaftlichen Strukturen waren mit den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs in Mitleidenschaft gezogen worden, aber die Familie überlebte intakt. Und auf diesem Fundament baute er sein Leben unter den geänderten Rahmenbedingungen wieder auf, eine typische Nachkriegskarriere.
Eine weitere Konstante zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Löws: nämlich die Liebe zu Gott und die Nähe zur katholischen Kirche. Nicht umsonst führen alle ersten Söhne den „Peter“ im Vornamen, als demonstratives Zeichen der Zugehörigkeit und der unerschütterlichen Treue zum Papsttum. Und wie bei ihrem Namensgeber sollte ihr Glaube immer wieder auf die Probe gestellt werden. Aber auch der Tod der eigenen Kinder, allein drei bei Peter Löw (*1870), die Verfolgungen des Nationalsozialismus und die Versuchungen des Relativismus konnten ihre Überzeugung nicht erschüttern. Immer wieder fanden sie im Glauben ihre Stütze und Hoffnung und beschlossen schließlich ihr Leben im Kreis ihrer Familie, in der sicheren...