B Gesetz zur Verbesserung der gesundheitsbezogenen Verbraucherinformation (Verbraucherinformationsgesetz – VIG)
vom 5. November 2007 (BGBl. I S. 2558)
Vorbemerkung
3. | Gesetzgebungskompetenzen | 10 |
1. Zweck des Gesetzes
Ein Gesetzeszweck wird im VIG selbst nicht benannt. Die Gesetzesbegründung führt für das Gesetz verschiedene Gründe an. Zum einen nennt sie als Ziel, das VIG solle ein zentraler Baustein zur Vorbeugung und raschen Eindämmung von Lebensmittelskandalen sein.1
Dabei bleibt offen, wie ein Gesetz, das dem Bürger grundsätzlich freien Zugang zu den bei den Lebensmittelbehörden vorhandenen Informationen über Lebensmittelerzeugnisse einräumt, sog. Skandale in der Lebensmittelbranche2 verhüten oder eindämmen können soll. Kennzeichnend für die Ereignisse um verdorbene Lebensmittel, insbesondere „vergammeltes“ Fleisch, waren kriminelle Energie auf Seiten der Täter und mangelnde Kenntnis von den Vorgängen auf Seiten der Behörden. Sind aber auch den zuständigen Behörden die Tatsachen nicht bekannt, die einen Verstoß gegen die einschlägigen lebens- und futtermittelrechtlichen Bestimmungen begründen oder begründen könnten, kann auch die Herausgabe solcher Informationen an den Bürger nicht gelingen: Was der Behörde selbst nicht bekannt ist, kann sie auch nicht auf Antrag eines Verbrauchers herausgeben. Liegen der Überwachungsbehörde jedoch entsprechende Informationen über einen Rechtsverstoß vor, ist es ihre – regelmäßig wahrgenommene – Pflicht, gegen den für den Rechtsverstoß Verantwortlichen mit dem Instrumentarium des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches (LFGB) vorzugehen. Besteht eine Gefahr für die Verbraucher ist ein sofortiges Handeln der staatlichen Stellen ohnehin Pflicht. Eine „Eindämmung“ des pflichtwidrigen Umgangs mit Lebens- oder Futtermitteln durch das VIG ist also weder nötig noch möglich, angesichts des schwerfälligen Verwaltungsverfahrens nach dem VIG ohnehin auch nicht empfehlenswert.
Weiter soll das VIG laut Begründung der Verbesserung der Verbraucherinformationsrechte dienen.3 Dieses Ziel soll zugleich das bessere Funktionieren der Märkte sicherstellen, weil „im extremen Fall ... Informationsdefizite zum weitgehenden Zusammenbruch von Märkten führen und erhebliche volkswirtschaftliche Schäden zur Folge haben“ können.4 Ein solcher Zweck ist legitim, an der Zielerreichung durch ein Verbraucherinformationsgesetz sind jedoch Zweifel angebracht. Wenn aus Sicht des Gesetzgebers Lücken in der bestehenden Rechtslage zur Verbraucherinformation bestehen, die sogar zu einer Ge?fährdung der Märkte beitragen können, ist es Aufgabe des Gesetzgebers, jeden Verbraucher über Kennzeichnungspflichten, Qualitätsvorschriften u. Ä. die für eine Kaufentscheidung wichtigen Informationen zukommen zu lassen und nicht zu warten, bis Einzelne diese Informationen mittels schriftlichen Antrages einfordern.
Als ein weiteres Ziel nennt die Gesetzesbegründung das gesteigerte Interesse der Verbraucher an Informationen, welches das VIG mit seinem Informationszugangsanspruch fördere.5 Ein Jahr nach Inkrafttreten des VIG ist allerdings festzustellen: Sollte es ein gesteigertes Interesse geben, drückt es sich jedenfalls nicht in einer entsprechenden Anzahl von Anfragen nach dem VIG aus. Im Land Brandenburg gab es bspw. in diesem Zeitraum lediglich zwei Anfragen von Verbraucherschutzorganisationen und zwei Anfragen von Privatpersonen.
Nach den Erfahrungen mit dem Umweltinformationsgesetz (UIG)6 und dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG)7 war auch nicht zu erwarten, dass Hauptnutzer des VIG der Normalbürger sein würde, sondern wie beim UIG und IFG auch Presse und Interessenorganisationen – eben diejenigen, die am deutlichsten nach dem Erlass der Gesetze verlangt hatten.8 Ob es ratsam war, das VIG mit entsprechenden Versprechungen auf den Weg zu geben („Meilenstein der Verbraucherpolitik“, „Durchbruch hin zu mehr Information und Transparenz“, „spürbare Verbesserung der Verbraucherinformation“9) darf bezweifelt werden. Zumal die Verbraucherschutzorganisation foodwatch e. V. in Auswertung ihrer sechsmonatigen Erfahrungen mit dem VIG und den dafür zuständigen Behörden bisher eine negative Bilanz zieht.10 Beim Bürger, für den die Organisation ja tätig wird, dürfte statt der Menge an Informationen lediglich die Politikverdrossenheit zunehmen, wenn solche Gesetzesversprechen in der Praxis nicht eingehalten werden können.
Es kann andererseits nicht behauptet werden, das VIG könne die ihm gestellten Ziele insgesamt nur verfehlen. Für ein Informationszugangsgesetz ist es ein schlicht nicht zu erreichendes Ziel, Rechtsverstöße zu verhindern.11 Das VIG kann aber allein durch seine Existenz zu einem allgemeinen Bewusstseinswandel führen und damit auch zu einer modernen Informationszugangs- und Verbraucherpolitik: Behörden werden ihre bisher restriktiv gehandhabte Informationspolitik aufgeben müssen, wenn ein Anspruch nach dem VIG auf Informationszugang besteht. Die betroffenen Unternehmen wiederum werden sich – noch mehr – bemühen, die gesetzlichen Vorgaben einzuhalten. Denn sie wissen, dass sie anderenfalls in die öffentliche Kritik geraten, weil Verbraucherschutzorganisationen die über sie erhaltenen Daten öffentlich zugänglich machen.
Die fehlende Festlegung von Zwecken und Zielen im VIG selbst erschwert allerdings die nach dem Gesetz zu treffenden Abwägungs- und Ermessensentscheidungen. Der Antragsteller braucht seine Interessen am Informationszugang nicht darzulegen. Bei der Entscheidung, ob dem Informationszugang öffentliche oder private Belange entgegenstehen, wäre es für die zuständige Behörden hilfreich gewesen, auf im Gesetz genannte Prinzipien zurückgreifen zu können.
2. Entstehungsgeschichte
Schon im Jahr 2002 wurde infolge der sog. BSE-Krise ein erster Anlauf unternommen, den Verbrauchern ein gesetzlich verankertes Recht auf möglichst umfassende Informationen einzuräumen.12 Der Gesetzentwurf der rot-grünen Bundesregierung scheiterte jedoch mangels Zustimmung des Bundesrates. Die nach der Bundestagswahl 2005 gebildete große Koalition hielt an der Idee eines Verbraucherinformationsgesetzes im Koalitionsvertrag fest. Zur konkreten Umsetzung kam es jedoch erst im Zuge der sog. Gammelfleischskandale. Als Reaktion auf die pflichtwidrige Verwendung verdorbener Lebensmittel für den menschlichen Verbrauch wurde im Mai 2006 ein Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU und SPD zunächst im deutschen Bundestag eingebracht. Diesmal stimmte der Bundesrat der Vorlage zu. Bundespräsident Köhler lehnte im Dezember 2006 jedoch die Ausfertigung wegen Verfassungswidrigkeit des Gesetzes ab. Nach dem erst im Zuge der Föderalismusreform im selben Jahr geschaffenen Durchgriffsverbot des Art. 84 Abs. 1 GG dürfen Gemeinden nur durch Landesgesetze Aufgaben zugewiesen werden, nicht aber durch Bundesgesetze. Die Vorschrift soll die Anwendung des in den Landesverfassungen verankerten strikten Konnexitätsprinzips sicherstellen, wonach das Land Aufgabenübertragungen an die Kommunen nur bei Zahlung der damit verbunden Kosten vornehmen kann. Der Bundespräsident sah dieses Verbot verletzt durch die ursprünglich vorgesehene unmittelbare Verpflichtung der kommunalen Behörden, Anträge nach dem VIG zu prüfen und zu bescheiden. Der Gesetzgeber nahm die Kritik auf und überarbeitete das Gesetz. Die novellierte Fassung wurde als Artikel 1 des „Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Verbraucherinformation“ verabschiedet und trat am 1. 5. 2008 in Kraft.
3. Gesetzgebungskompetenzen
Ausweislich der Gesetzbegründung ergibt sich die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für ein deutschlandweit einheitlich geltendes VIG aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG. Die Erforderlichkeit einer bundeseinheitlichen Regelung wurde mit den in den einzelnen Bundesländern unterschiedlichen Regelungen über den Zugang zu Informationen begründet, was nach Meinung des VIG-Gesetzgebers zu unterschiedlich informierten Verbrauchern und dies wiederum zu unterschiedlichem Marktverhalten führen und so den freien Wirtschaftsverkehr behindern könnte.13 Ob das VIG zur Wahrung der Wirtschaftseinheit im gesamtdeutschen Interesse im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG erforderlich war, sei dahingestellt. Eine bundeseinheitliche Regelung mit einheitlichen Antragsvoraussetzungen und Verfahrensregelungen ist jedoch insbesondere aus Sicht der Wirtschaftsunternehmen zu begrüßen, eine Auseinandersetzung mit 16 unterschiedlichen Landes- und einer Bundesregelung ist unzumutbar.
Insoweit greift die geäußerte Kritik etwas zu kurz, für ein eigenes VIG bestünde angesichts bestehender Informationsfreiheitsgesetze in Bund und...