Step 1: Das Haifischbecken
„Vertrieb ist doch ein einziges Haifischbecken.“
„Fressen oder gefressen werden!“
„Wir als kleine Firma haben doch gar keine Chance gegen die Großen.“
„Alles geht doch eh nur noch über den Preis.“
Kommen Ihnen solche Aussagen bekannt vor? Mir begegnen sie immer wieder. Von Unternehmern, Verkäufern, Vertriebsleuten und Führungskräften. Gedanklich ergänze ich dann: „Okay, und früher war sowieso alles viel einfacher.“
Ist das wirklich so? Gleicht das Vertriebs- und Verkaufsleben oft einem einzigen Haifischbecken? Geht es wirklich darum zu jagen? Geht es um fressen oder gefressen werden?
Hai oder Hering?
Vielleicht glauben wir nur, dass wir in einem Haifischbecken sind. Vielleicht glauben wir nur, dass wir kämpfen müssen. Vielleicht sind um uns herum gar keine Haie. Vielleicht sind es nur kleine Heringe, die wir zu Haien gemacht haben. Und überhaupt: Wer zwingt uns, in dem Becken zu bleiben? Wir entscheiden!
1.1 Sturz vor der Ziellinie
Der Startschuss fällt. Bald setzen sich die ersten beiden Radfahrer ab. Sie führen das Feld an. Es geht in die letzte Kurve. Müller liegt vorne. Die Zielgerade kommt. Müller führt noch immer, aber Schmidt bleibt dran. Noch 20 Meter bis zum Ziel. Müller ist nach wie vor vorne. Er reißt die Arme hoch. Jubelt. Sein Rad kommt ins Straucheln. Müller verliert das Gleichgewicht. Er stürzt, liegt am Boden. Schmidt überholt. Müller rappelt sich auf, packt sein Rad. Schmidt ist im Ziel. Müller schiebt sein Rad enttäuscht über die Ziellinie.
Gewonnen wird am Schluss!
Dumm gelaufen! Gewonnen wird nun mal am Schluss. Als Hai ins Rennen gegangen und als Hering wieder rausgekommen. Kommt Ihnen die eben beschriebene Situation bekannt vor? Sie sind mit Ihrem Kunden im Verkaufsgespräch. Sie beraten ihn. Sie arbeiten Angebote aus, führen Preisverhandlungen, geben Rabatte. Sie fahren das Rennen. Sie glauben, Ihr Kunde kauft. Und kurz vor der Ziellinie, kurz vor dem Abschluss, legen Sie sich auf die Klappe. Sie stürzen.
Ihr Kunde hat es sich auf den letzten Metern noch anders überlegt und kauft bei der Konkurrenz. Dort war der Preis besser. Der Deal ist geplatzt. Oder das Projekt, an dem Sie mit Ihrem Team die letzten Monate hart gearbeitet haben, ist gescheitert. Blöderweise kurz vor der finalen Unterschrift. Oder der Partner, mit dem Sie sich in der letzten Zeit getroffen haben, verabredet sich plötzlich mit jemand anderem. Dabei haben Sie sich schon vor dem Altar gesehen. Dumm gelaufen.
Wie oft fahren wir ein Rennen und legen uns dann kurz vor dem Ziel auf die Klappe? Wie oft sitzen wir mit unseren Kunden am Tisch, beraten, machen und tun. Wir sehen uns schon im Ziel und hören dann: „Vielen Dank für Ihre Beratung. Aber ich nehme erst einmal Abstand von Ihrem Angebot.“ Oder: „Das war wirklich eine sehr gute Beratung, aber ich muss noch eine Nacht drüber schlafen.“
Sicher ins Ziel!
Es macht doch keinen Spaß, ein Rennen zu fahren, wenn wir uns kurz vor dem Ziel auf die Klappe legen. Es macht doch keinen Spaß, unsere wertvolle Zeit und Energie, unser Know-how und unser Geld zu investieren, wenn am Ende ein Kunde mit Schlafmangel vor uns sitzt. Wäre es nicht schön, wenn uns das zukünftig nicht mehr passiert und wir sicher ins Ziel kommen? So oft wie möglich?!
Übung 1.1:
Denken Sie an Ihre ersten Verkaufsgespräche zurück.
- Wie haben Sie sich damals gefühlt, als Ihr Kunde nicht gekauft hat?
- Was fühlen Sie, wenn Ihnen heute so etwas passiert?
- Kennen Sie Ihre Quoten? Wie hoch ist Ihre Abschlussquote? 1 : ?
Tut es noch weh?
Können Sie sich vorstellen, dass der Radfahrer sich nach dem Sturz auf der Zielgeraden schwarzgeärgert hat? Sicher wird er alles dafür tun, dass ihm dieser Fehler so schnell nicht noch einmal passiert!
In dem Moment, in dem wir scheitern, in dem uns etwas wehtut, unternehmen wir alles, um nicht noch einmal in diese Situation zu kommen. Scheitern wir aber öfter, tritt genau das Gegenteil ein. Wir gewöhnen uns daran. Irgendwann akzeptieren wir es einfach. Vielleicht glauben wir sogar, dass es so sein muss.
Stellen Sie sich vor, der Radfahrer würde bei jedem zweiten Rennen kurz vor der Ziellinie stürzen. Irgendwann würde er wahrscheinlich aufgeben und denken: „Ich kann es eben nicht. Das Scheitern gehört halt einfach dazu!“ Der Sturz tut ihm dann nicht mehr so weh.
Glück oder Gewohnheit?
Wie ist das bei Ihnen im Verkauf? Schauen Sie sich Ihre Antworten aus der Übung 1.1 noch einmal genauer an. Haben Sie heute noch die gleichen Emotionen wie am Anfang Ihrer Verkäuferzeit, wenn ein Kunde nicht kauft? Oder ist bei Ihnen vielleicht schon ein Gewohnheitseffekt eingetreten? Haben Sie noch das Gefühl, kurz vor dem Ziel gestürzt zu sein, wenn ein Kunde nicht unterschreibt? Oder haben Sie sich mittlerweile damit abgefunden? Glauben Sie, das gehört halt einfach dazu?
Wenn uns Dinge nicht mehr wehtun, wenn es uns nicht mehr ärgert, wenn ein Kunde nicht kauft, dann wird es schwer. Das heißt: Wir machen es uns selber schwer. Wir akzeptieren, dass wir kurz vor der Ziellinie stürzen. Es tut uns nicht mehr weh. Warum sollten wir dann noch etwas daran ändern? Zudem haben wir auch nicht mehr dieses wahnsinnige Glücksgefühl und fühlen uns nicht mehr wie ein Sieger, wenn wir die finale Unterschrift in der Tasche haben. Das macht es uns dann gleich doppelt schwer.
Kennen Sie Ihre Abschlussquote?
Die Abschlussquote
Mit „kennen“ meine ich „wissen“. Aussagen wie: „Meine Quote ist in etwa 1 : x.“ oder: „Ich vermute jeder dritte oder vierte Kunde kauft“ sind Schätzungen. Das hat nichts mit Wissen zu tun.
Wie war Ihre Antwort in Übung 1.1 auf die Frage nach Ihrer Abschlussquote?
Vielleicht wollen wir unsere Quote gar nicht wissen, weil uns das Ergebnis wehtun könnte. Damit tappen wir in unsere eigene Falle. Denn: Das „Wehtun“ auf der einen und das „Siegergefühl“ auf der anderen Seite sind die Grundvoraussetzungen, damit wir so oft wie möglich ins Ziel kommen. Messen Sie daher ab sofort Ihre Quoten. Machen Sie sich bewusst, wie oft Ihre Kunden nicht kaufen. Machen Sie sich aber auch bewusst, wie oft Ihre Kunden kaufen. Wie oft Sie ins Ziel kommen. Und wenn Sie im Ziel sind, dann jubeln Sie bitte auch. Feiern Sie jeden Abschluss. Das haben Sie sich verdient!
Wenn wir ins Ziel kommen wollen, dann müssen wir uns bewusst machen: Jeder Kunde, der nicht kauft, ist ein Sturz vor der Ziellinie. Und: Jeder Kunde, der kauft, ist ein Sieg!
1.2 Ausreden
Seit ich im Vertrieb unterwegs bin, höre ich, dass die Rahmenbedingungen schwieriger und das Verkaufsleben härter geworden ist. Das heißt: Seit dem Jahr 2000, in dem ich im Vertrieb angefangen habe, geht es für Verkäufer steil bergab. Glauben Sie das auch?
Übung 1.2:
Denken Sie bitte kurz über die folgende Frage nach:
Was macht Ihnen Ihr Leben als Verkäufer schwer?
Notieren Sie fünf Antworten, die Ihnen spontan einfallen:
Die Ego-Falle
Wir kommen später noch einmal auf diese Übung zurück. Bevor wir uns aber damit befassen, was uns das Leben schwer macht, schauen wir uns zuerst an, womit wir uns das Leben vielleicht selbst schwer machen. Können Sie sich vorstellen, dass viele Dinge eigentlich ganz einfach sind und wir sie erst kompliziert machen? Kann es sein, dass wir uns manchmal selbst im Weg stehen – und nicht die anderen?!
Nehmen wir wieder unseren Radfahrer. Sicher stimmen Sie mir zu, dass er als Erster ins Ziel wollte? Dass er gewinnen wollte? Woran ist er gescheitert, als er kurz vor der Ziellinie die Arme hochgerissen und gejubelt hat? An seinem Ego!
Wer ist schuld?
Unser Ego – einer meiner Lieblingsfallstricke im Verkauf. Wir haben oft zu viel davon oder zu wenig. Ein Leben mit einem geringen Ego ist echt anstrengend; mit einer Überdosis ist es aber auch nicht besser! Wir brauchen die richtige Dosierung.
Wie ist es bei Ihnen? Gab es in Ihrem Leben die eine oder andere Situation, in der Ihnen Ihr Ego im Weg stand? Haben Sie vielleicht auch schon mal jemand anderem die Schuld für etwas gegeben, das Sie verbockt haben?
Sündenbock gesucht
Entscheidend ist nicht, ob wir etwas verbockt haben. Entscheidend ist, wie wir damit umgehen. Wie gehen wir mit Niederlagen um? Seit meiner Kindheit habe ich immer alles versucht, um die Schuld von mir zu schieben. Ich wollte nicht diejenige sein, die mit dem Ball die Glasscheibe des Nachbarn zerschossen hat. Ich wollte nicht diejenige sein, die in der Schule abgeschrieben hat. Ich wollte nicht diejenige sein, die ihr Studium abgebrochen hat und ihrer Mutter mit 23 Jahren noch auf der Tasche lag. Ich war ja auch gar nicht schuld. Nicht ich habe es verbockt, sondern die anderen!
Genauso wenig wollte ich diejenige sein, die einen Verkauf in den Sand gesetzt hat. Die den Kunden nicht gekriegt hat. Die in Preisverhandlungen gescheitert ist. Nicht ich war schuld, sondern der Kunde. Oder das Produkt. Oder der Markt. Oder ganz einfach die Umstände.
Vertriebsleiter: „Warum haben...