Die vorliegende Arbeit ist im Problemfeld einer Anzahl mitunter komplexer Verlustverrechnungsvorschriften und -beschränkungen anzusiedeln, deren Verfassungsmäßigkeit zum Teil erheblichen Bedenken ausgesetzt bzw. eine Unvereinbarkeit mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben besteht. Das Verlustverrechnungssystem nach deutschem Recht befindet sich im Spannungsfeld zwischen einer verfassungsrechtlich gebotenen Verlustberücksichtigung sowie der Vermeidung von Missbrauchsgestaltungen. Hinzu kommen immense Bestände körperschaft- und gewerbesteuerlicher Verlustvorträge, deren Realisierung in Hinblick auf die Finanzsituation der öffentlichen Haushalte möglichst gestreckt werden soll.[1] Im Folgenden wird kurz auf das Volumen der bestehenden körperschaftsteuerlichen Verlustvorträge in Deutschland eingegangen und deren wirtschaftlicher Wert für den Steuerpflichtigen aufgezeichnet, um die Problemsituation, die sich darstellt, im Wesentlichen aufzeigen zu können. Weiterhin werden wesentliche Grundlagen zur Verlustberücksichtigung behandelt, sowie Zielsetzung und Aufbau der Arbeit skizziert.
Die vorliegenden Angaben zur Quantifizierung des Volumens körperschaftsteuerlicher Verluste basieren auf den Daten der amtlichen Körperschaftsteuerstatistik für das Berichtsjahr 2012. Die dargestellten Sachverhalte beziehen sich ausschließlich auf unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtige Gesellschaften mit Ausnahmen von Organgesellschaften.
Ein Verlustabzug gem. § 10d EStG wurde im Berichtsjahr bei 23,51 % der Körperschaften durchgeführt. 48,80 % der Körperschaften verfügten zum 31.12.12 über verbleibende Verlustvorträge.[2] Die folgende Abbildung stellt die Entwicklung des Bestandes an körperschaftsteuerlichen Verlustvorträgen zwischen den Jahren 1992 und 2012 dar.
Abbildung 1: Entwicklung körperschaftsteuerlicher Verlustvorträge von 1992 – 2012
Quelle: Eigene Darstellung, Daten entnommen aus Destatis (Hrsg.) 2009, S.12; Destatis (Hrsg.) 2016b, S.20.
Die dargestellte Entwicklung zeigt einen stetigen Anstieg von Beginn des Betrachtungszeitraums an. Dabei war dieser zwischen 1992 und 2002 signifikant stärker, als in den folgenden zehn Jahren. Schon 2003, bei Einführung des Korb II-Gesetzes, sieht der Gesetzgeber in den steigenden Verlustvorträgen der Unternehmen eine Gefahr für das Steueraufkommen der öffentlichen Haushalte. Die i.R.d. Gesetzes eingeführten Änderungen des Verlustverrechnungssystems verfolgten primär einer Verstetigung sowie Sicherung der Staatseinnahmen.[3] Berücksichtigt werden sollte allerdings, dass der Umfang der Verlustvorträge keine Auskunft darüber gibt, ob und in welcher Höhe diese in Anspruch genommen werden. Lediglich der tatsächlich genutzte Verlustabzug wirkt sich auf die Höhe des Steueraufkommens aus.[4] Unter diesem Gesichtspunkt ist anzuführen, dass der Anteil des genutzten Verlustabzugs gemessen am Bestand der verbleibenden Verlustvorträge zum 31.12.2011 im Jahr 2012 bei 4,2 % lag.[5] Der Bestand gibt nur die Höhe der theoretisch nutzbaren Verluste an. Ob die betreffenden Körperschaften in Zukunft verrechenbare positive Einkünfte erzielen werden, bleibt ungewiss.[6] Nur in diesen Fällen, stellt ein Verlustvortrag einen ökonomischen Wert bzw. steuerlichen Vorteil dar.[7]
Ein steuerlicher Verlust mag einem Wirtschaftsgut gleichgesetzt werden. I.d.S. stellt er den Geldwert dar, der dem Steuerpflichtigen bei Verlustnutzung in Form einer Steuererstattung bzw. Steuerentlastung zufließt oder als Liquidität im Unternehmen verbleibt. Mindert ein Verlust im Zuge der Verlustberücksichtigung die steuerliche Bemessungsgrundlage ohne, dass er die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen berührt, so liegt ihm ein ökonomischer Wert inne. [8] Sowohl in der Rechnungslegung nach HGB werden Verluste gem. § 274 Abs.1 S. 4 HGB berücksichtigt, als auch nach IFRS entsprechend IAS 12.13 und 12.34.
Die Berücksichtigung von Verlusten ist verfassungsrechtlich zu rechtfertigen. Nach welchen Vorgaben dies erfolgt und welche Verlustverrechnungsvorschriften des EStG bei Körperschaften gelten, wird im Folgenden dargestellt.
Verzeichnet ein Steuerpflichtiger einen Verlust, so mindert dieser i.d.R. seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. An dieser Stelle ist das aus dem Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 GG abgeleitete Leistungsfähigkeitsprinzip vom Gesetzgeber zu beachten.[9] Dieses gibt vor, die steuerliche Belastung eines Steuerpflichtigen an seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auszurichten. Die Ausgestaltung dessen, wie die Leistungsfähigkeit konkret zu messen ist, obliegt dem Gesetzgeber und gewährt ihm einen gewissen Gestaltungsspielraum.[10]
Gem. den Vorschriften des EStG bemisst sich die Leistungsfähigkeit eines Steuerpflichtigen an dem Nettovermögenszuwachs bzw. dem Nettoertrag. Der Gedanke, dass die Leistungsfähigkeit an Nettoeinkünften gemessen wird, ist Ausdruck des objektiven Nettoprinzips. Werden zusätzlich Aufwendungen, die der Existenzsicherung dienen, berücksichtigt, so wird vom subjektiven Nettoprinzip gesprochen. Das objektive und subjektive Nettoprinzip sind Ausdruck des Leistungsfähigkeitsprinzips. Ein innerperiodischer Verlustausgleich, sowie eine periodenübergreifende Verlustberücksichtigung sind grundsätzlich durch das Leistungsfähigkeitsprinzip zu rechtfertigen.[11] Eine Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips kann nur bei Vorliegen wichtiger Gründe gerechtfertigt sein.[12] Im Spannungsverhältnis zu einer periodenübergreifenden Verlustberücksichtigung steht das Prinzip der Abschnittsbesteuerung.[13] Aus § 2 Abs. 7 S. 1 EStG ergibt sich, dass die ESt eine Jahressteuer ist. Das Prinzip der Abschnittsbesteuerung dient der Schaffung von Überschaubarkeit und Klarheit. Die Betrachtung lediglich eines VZ widerspricht hingegen dem abschnittsübergreifenden Nettoprinzip. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers durch Ausgestaltung der gesetzlichen Regelungen dieses Spannungsverhältnis auszuloten.[14]
Die einzelne Körperschaft ist ein eigenes Steuersubjekt und unterliegt mit dem zu versteuernden Einkommen der KSt und mit dem Gewerbeertrag der GewSt. Bei Körperschaften ist das Trennungsprinzip vorherrschend. I.d.S. wird zwischen Ebene der Körperschaft und des Anteilseigners unterschieden. Ein erzielter Gewinn wird auf beiden Ebenen besteuert.[15] Gem. § 7 Abs. 2 i.V.m. § 8 Abs.1 S. 1 KStG bestimmt sich das Einkommen einer Körperschaft nach den Vorschriften des EStG und KStG. Die Vorschriften des KStG ergänzen bzw. ersetzen die einkommensteuerrechtlichen Regelungen.[16]
Im Kontext der Verlustberücksichtigung zu nennende Vorschriften des EStG, die auch bei Körperschaften Anwendung finden, sind § 2 Abs. 1-3, § 2a, §§ 4 Abs. 1 und 5, § 4h, § 10d, § 15 Abs. 4, § 15a und § 15b.[17] Die genannten Vorschriften stellen teilweise Verlustverrechnungsbeschränkungen gewerblicher Einkünfte dar. Wie viele Verlustverrechnungsbeschränkungen bei einer Körperschaft Anwendung finden, hängt maßgeblich davon ab, ob diese Einkünfte unterschiedlicher Einkunftsarten oder nur Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt.[18] Gem. § 8 Abs. 2 KStG erzielen unbeschränkt steuerpflichtige Körperschaften i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1-3 KStG nur Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Verlustverrechnungsbeschränkungen, die sich auf andere Einkunftsarten beziehen, sowie eine einkunftsartenübergreifende Verlustberücksichtigung i.S.d. Verlustausgleichs nach § 2 Abs. 3 EStG können in diesem Zusammenhang außer Acht gelassen werden.
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Verlustberücksichtigung bei Körperschaften, insb. bei Kapitalgesellschaften, da diese 89,9 % aller Körperschaftsteuerpflichtigen ausmachen.[19] Es soll ein Gesamtbild der zu beachtenden Verlustverrechnungsvorschriften sowie Verlustabzugsbeschränkungen vermittelt werden. Auf Grundlage der für Körperschaften geltenden Regelungen des EStG wird in Teil B der Verlustabzug körperschaft- sowie gewerbesteuerlicher Fehlbeträge kurz erläutert. Das Prinzip des innerperiodischen Verlustausgleichs wird nicht näher betrachtet, da die Kapitalgesellschaft als Hauptanwendungsfall nur gewerbliche Einkünfte erzielt. Im Weiteren folgen spezielle Verlustverrechnungsvorschriften des KStG. Teil C und D stellen kurz die Verlustbehandlung in Umwandlungsfällen sowie bei Organschaften dar. Teil E widmet sich...