Johannes Rogalla von Bieberstein
Zur Geschichte
der Verschwörungstheorien
In der Zeitschriftendatenbank „Jade“ bin ich kürzlich auf diesen 1997 im „Materialdienst der Europäischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen“ publizierten Artikel gestoßen: „Paranoia als Programm. Verschwörungstheorien haben Hochkonjunktur“.1 Von dieser Konjunktur profitieren auch wir. So habe ich gleich Michael Hagemeister im Mai 1999 auf der vom Deutschen Historischen Institut Warschau veranstalteten Tagung über „Verschwörungstheorien“2 gesprochen und treffe ihn heute hier im schönen Innsbruck wieder, auf einer dem gleichen Thema gewidmeten, allerdings thematisch wesentlich enger gefaßten Tagung.
Ohne daß ich auf diese Konjunktur näher eingehen möchte, sei hier doch angemerkt, daß sie auch manch unseriöse, primär der Unterhaltung, dem Kommerz oder aber auch der Verbreitung dubioser Vorstellungen dienende Publikationen hervorbringt. So heißt es denn ja in dem 1998 erschienenen Buch: Wer steckt dahinter? Die 99 wichtigsten Verschwörungstheorien: „Überall kursieren Verschwörungstheorien und zu jedem Mist“.3
Unseren Forschungen legen wir nicht den weiten, ja uferlosen Verschwörungsbegriff zugrunde, der – so das amerikanische Recht – „eine Verbindung beinhaltet „von zwei oder mehrereren Personen zu dem Zweck, eine illegale oder verbrecherische Tat zu verüben“. Bei den vermeintlichen Verschwörungen, welche hier zu diskutieren sind, handelt es sich also nicht um kriminelle und auch nicht um lokale Verschwörungen. Vielmehr um – wie Daniel Pipes in seinem Buch Verschwörung. Faszination und Macht des Geheimen schreibt – eine „Weltverschwörung“.4 Diese zeichnet sich dadurch aus, daß im Verborgenen agierende Konspiratoren ein umfassendes politisch-ideologisches Konzept mit dunklen Machenschaften und somit unter Täuschung der Bevölkerung durchzusetzen suchen.
Der Ausgangspunkt unseres Forschungsinteresses ist die in Reaktion auf Aufklärung und Französische Revolution entwickelte Verschwörerthese.5 Sie ist im 19. und 20. Jahrhundert fortgeschrieben und weiterentwickelt worden, d.h. an die veränderten politisch-historischen Rahmenbedingungen angepaßt worden. Dabei ist die Verschwörerthese säkularisiert und radikalisiert worden. Hierbei ist es es zu einer Verschiebung der angeprangerten und stigmatisierten Subjekte der Verschwörung, also von den Philosophen/Freidenkern zu den Freimaurern und Juden gekommen. Die Kombination des antisemitischen mit dem antimasonischen, speziell jedoch dem antikommunistischen Feindbild, welches zu der Vorstellung von einem „jüdischen Bolschewismus“ bzw.der „Judokomuna“ verdichtet worden ist, ist in verhängnisvoller, ja mörderischer Weise geschichtsmächtig geworden.6
Der Vollständigkeit halber sei eingeschoben, daß es neben antirevolutionären und antiliberalen, „rechten“ Verschwörertheorien auch sich fortschrittlich gerierende gegeben hat und noch gibt. So wurde von einigen Aufklärern im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts die Vorstellung von einer das Licht der Aufklärung verdunkelnden reaktionären „exjesuitischen“ Verschwörung verbreitet. Daniel Pipes und andere haben darauf verwiesen, daß Kommunisten vielfach in paranoider Weise an eine gegen sie gerichtete weltweite Verschwörung geglaubt haben. Dabei ist dem „Kapital“ als vermeintliche Verschwörungsagentur eine Schlüsselrolle zugefallen. Diese Verschwörungsthese, die so weit geht, Adolf Hitler und Adolf Eichmann als Agenten des Kapitals hinzustellen,7 ist noch nicht systematisch erforscht worden. Sie hat mit der antirevolutionären gemein, daß es sich dabei gleichfalls um ein umfassendes und zwar marxistisches „Welterklärungsmodell“ handelt.
Ohne daß ich hier Armin Pfahl-Traughber vorgreifen möchte oder könnte, sei hier darauf verwiesen, daß das gegenwärtige Interesse esoterischer Kreise an Verschwörertheorien das Links-rechts-Schema sprengt. Man kann hierin einen Ausdruck der Spaßgesellschaft erblicken, die ja den Slogan „Hitler ist Pop“ hervorgebracht hat, oder auch eine Bestätigung für den Satz, daß sich die Extreme berühren. Es scheint mir bezeichnend, daß mir vor einiger Zeit ein ganz offensichtlich zur linksalternativen Subkultur gehörender Bibliotheksbenutzer das Buch von Jan Helsing zur Anschaffung vorgeschlagen hat, in dem sich absurde antisemitische Verschwörungsbeschuldigungen befinden.
Als Einstieg in die konterrevolutionäre Verschwörerthese möchte ich die Eingabe eines Wiener Gubernialsekretärs vom August 1790 an den Kaiser wählen. Darin glaubte dieser nachweisen zu können, daß „das Rad der gegenwärtigen Irrungen und Revolutionen Europens von der Bruderschaft der Freymaurer getrieben“ werde8.
Die Basis für diesen Verschwörungsglauben ist 1791 von einem Augsburger Jesuiten so formuliert worden: „Eine Bruderschaft, die unter Personen von verschiedenen Ständen eingegangen wird, hat kein Verhältnis zu der Verschiedenheit der hierarchischen Ordnung, welche Gott zur guten Leitung der Welt eingesetzt hat, daraus folgt unnachläßlich der Umsturz des geistlichen und weltlichen Systemes“.9
Die Tatsache, daß die Verschwörungsthese von einem ständisch-hierarchischen Standpunkt aus Fundamentalkritik am Gleichheitsprinzip übt, erklärt den Sachverhalt, daß sie sowohl von Repräsentanten des Ancien Régime, als auch später von antiliberalen Vertretern des laizistischen Rechtsradikalismus in Anspruch genommen werden konnte. Die Verschwörungsthese konstituiert also ein antimodernistisches Feindbild. Es hat im zwanzigsten Jahrhundert mit seinen „Sündenböcken“ dabei geholfen, in „feindlicher Nähe“ zueinander stehende christliche Konservative und Nationalsozialisten in gemeinsamer Frontstellung gegen Laizismus, Liberalismus und Sozialismus miteinander zu verbinden.
So hat Kaiser Wilhelm II., welchem Ludendorff seine antifreimaurerischen Pamphlete ins holländische Exil nachschickte, 1924 behauptet, die Schuld an der Revolution von 1918 „trifft in erster Linie die Freimaurer“10. Dabei ging er davon aus, daß die Freimaurer der Mittelmächte mit den Entente-Freimaurern unter einer Decke gesteckt hätten. Den Hintergrund für diese Unterstellung bildet jene deutsche Kriegsideologie11, nach der es „um den Sieg des demokratisch-nationalen Prinzips über das theokratischautokratische, monarchisch-feudale, militaristisch-imperialistische“ ging.
Dies hatte der Jesuit Hermann Gruber in seiner 1917 publizierten Schrift Freimaurerei, Weltkrieg und Weltfriede behauptet.12 Ähnlich hat der alldeutsche Präsident des Flottenvereins, Fürst Otto zu Salm-Horstmar, am 9. Juli 1918 in seiner Herrenhaus-Rede argumentiert. Unter Bezug auf die bayerischen Illuminaten erklärte er, alle Revolutionen der Neuzeit wären von Freimaurern „in Szene“ gesetzt worden. Dabei stellte er die „jüdisch-demokratische“ der „deutsch-aristokratischen Weltanschauung“ gegenüber und warnte vor der „jüdisch-freimaurerischen“ Sozialistischen Internationale.
Bevor ich die Entfaltung der Verschwörungstheorie skizziere. möchte ich vorausschicken, daß es nicht angängig ist, alle Propagatoren der Verschwörungstheorie als Opfer eines Wahns zu betrachten. Vielmehr lassen sich unter ihren Fabrikanten und Propagatoren neben naiven und fanatischen Gläubigen auch skrupellose Machttechniker ausmachen. Und zwar Leute, die in durchaus zynischer Weise die Ressentiments und Ängste der durch krisenhafte Entwicklungen Verunsicherten mit oft nicht geringem Erfolg zu manipulieren versucht haben.
Für die Geburt von Verschwörungstheorien stellen tiefgreifende gesellschaftliche und geistige Umbrüche den erforderlichen Nährboden dar. Sie pflegen viele Menschen in hohem Maße zu verunsichern und lassen sie nach einfachen Formeln zur Erklärung der komplexen Realität suchen. Dabei ist für die Plausibilität von Verschwörerheorien ein Korn Wahrheit erforderlich, welches dann in verzerrter Form präsentiert wird. Die „idée de complot“, welche François Furet als „notion centrale et polymorphe“ gekennzeichnet hat,13 erfüllt eine rationalisierende Funktion, indem sie vorgibt, für alle existentielle Ängste hervorrufenden gesellschaftlichen Umbrüche eine griffige Erklärung bereit zu haben. Sie ist durch eine interessengeleitete Denkstruktur gekennzeichnet, welche dualistisch-manichäistische Züge trägt.
Damit entspringt die Verschwörerthese einem Bedürfnis nach Reduktion der komplexen Realität und vermag eine – wegen ihrer Wahnhaftigkeit – gefährliche Orientierungsfunktion wahrzunehmen. Denn bei der Verschwörungsthese handelt es sich nicht um ein distanziertes und unparteiisches Erkenntnisinstrument, sondern vielmehr um eine der Feindbestimmung und damit der Feindbekämpfung dienenden ideologisch politische Waffe,...