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E-Book

Vertrauen - Schuld - Angst

Menschen, Grenzerfahrungen, Begegnungen und was dem Leben eine neue Richtung verleiht.

AutorRalf Veith
Verlagepubli
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl253 Seiten
ISBN9783746778761
Altersgruppe1 – 99
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
Was haben ein Polizist, ein kleiner Junge und ein Kioskbesitzer gemeinsam? Sie alle kreuzen in unterschiedlicher Weise den Lebensweg von Menschen, die psychische Grenzerfahrungen gemacht haben. Jede dieser Begegnungen bleibt nicht ohne Folgen und hinterläßt auf ihre ganz eigene Art Spuren bei den Beteiligten. Ein Plädoyer für vorurteilsfreie Begegnung von Menschen, den eigenen Standpunkt zu verändern, für ein aufeinander Zugehen und dem voneinander Lernen. Drei Erzählungen, die den Leser einladen, an den Gedanken, Erlebnissen und Veränderungen der Handelnden teilzunehmen, in die Geschichten einzutauchen und diese mit eigenem Erleben zu füllen, um hierdurch bereichert aufzusteigen.

Ralf Veith ist ausgebildeter Diplom-Psychologe, Kinderliederautor, Musiker und Komponist. Er ist seit vielen Jahren im Bereich der psycho-sozialen Versorgung tätig und Moderator von Psychoseseminaren. Durch seine Geschichten versucht er seine Leser zum Eintauchen in die Gedanken- und Lebenswelt der Handelnden anzuregen, um durch die Auseinandersetzung hierdurch bereichert aufzutauchen.

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Leseprobe

Die Mauer


Kapitel:

1. Lina

2. Gefunden

3. Pete

4. Der Fall

5. Berührung

6. Erkenntnisse

7. Welten

8. Erkundungen

9. Herzschlag

10. Ins Leere

11. Ankommen

12. Unerwartet

13. Warum?

14. Befragungen

15. Freude

16. Schlaflos

17. Oder doch?

18. Grenzbereich

19. Ganz anders

1. Lina

Lina ging wie so oft zum Hafen und setzte sich auf eine der Steinmauern. Vor ein paar Tagen war ihr zwanzigster Geburtstag gewesen und heute hatte sie ihren Job verloren. Nicht das sie diesem Zustand an sich wirklich eine Träne nachweinte. Der Grund warum sie heute hierhin zum Hafen kam, war, dass diese Tatsache ihre Sichtweise auf sich selbst wieder einmal zu bestätigen schien.

Hier auf der Mauer hatte sie schon häufig die großen Containerschiffe beobachtet, die pausenlos bis in die Nacht zum Löschen und Beladen kamen. Meistens kam sie alleine hierher, damals manchmal aber auch mit Pete. Besonders am Abend gefiel ihr der Anblick dieser Kulisse, mit den vielen Lichtern und der pausenlosen Geschäftigkeit, verbunden mit dem Wissen, dass all dieses Treiben einem Ziel entgegenstrebte, um dieses auch meistens zu erreichen. Die großen Kräne schwenkten sich machtvoll und zielstrebig von einem Schiff zum nächsten und luden ihre schwere Fracht ab. Alles folgte einem Plan, einer zugrundeliegenden Struktur und war oftmals das Ergebnis des Zusammenwirkens vieler Handgriffe, die nun bestimmungsgemäß, quasi oft als lohnender Abschluss von viel Arbeit und einer langen Reise, ihre Bestimmung finden würden. Lina war sich sicher, dass es diese Fracht auf Grund der oft vielen Mühe, die in ihr steckte, verdient hatte den Weg bis an ihr Ziel zu vollenden.

Lina zog an ihrer Zigarette und auch diese Tatsache bestätigte wieder mal ihre Sichtweise auf sich selbst. Sie hatte sich so viele Male geschworen, diesem nicht logisch begreifbar zu machenden Laster abzuschwören ohne es je wirklich geschafft zu haben.

Am liebsten wäre Lina jetzt mit Pete hier gewesen. Er hatte es mit seiner Art irgendwie immer geschafft, ihren Gedankenkreisel zum Stillstand zu bringen. Sie bewunderte ihn gerade deshalb. Er konnte sich für alle Dinge auf dieser Welt interessieren und auf diese Weise kam es, dass auch Lina an der Welt teilnehmen konnte. Die Frage, warum sie nicht von sich aus diese Fähigkeit besaß konnte sich Lina nicht beantworten, aber auch diese Tatsache bestätigte insgeheim, wie sie sich selbst sah.

Aber Pete war nicht da und das war gut so, dachte Lina. Sie öffnete den Kragen ihrer Jacke etwas, denn es war immer noch sehr warm an diesem Sommerabend.

Im Containerhafen ging das geschäftige Treiben unermüdlich weiter. Zeitweise schafften es die Scheinwerfer der Kräne, die Mauer auf der Lina saß zu beleuchten. Wie einem Leuchtturm gleich huschte der Lichtkegel dabei bis ans andere Ufer und war schnell wieder verschwunden. Der kurze helle Schein erinnerte Lina an die wenigen Momente, an denen ihr Leben nicht unaufhörlich auf ein vorbestimmtes Ziel zulief. Es waren kurze Momente, die so kurz waren, dass sie Lina unwirklich erschienen und sie erschreckten. Ganz anders wie der lange Zeitraum, in dem der Schein sie nicht traf. Oft hatte sie sich schon gefragt, ob nur ihr Leben auf immer wieder vorbestimmten Bahnen verlief, oder ob dies auch für die anderen galt. Natürlich nicht für Pete. Nein, das war klar. Nicht für Pete, den Freund der Überraschungen. Pete, den Freund des Unplanbaren. Für Pete war das Unvorhersehbare regelmäßig vorhersehbar. Ja, Lina bewunderte Pete, aber gleichzeitig machte er ihr Angst. Oder besser gesagt, das ständige Unvorhersehbare, das ihn umgab.

Auch wenn das Ergebnis des Vorhersehbaren Lina ihrer Möglichkeiten im Leben beraubte, so war es der Bereich ihres Lebens, der nicht im Lichtschein stand. Und gerade deswegen war er gewohnt und machte Lina hierdurch keine Angst.

Ihre Beine hingen an der Kaimauer herunter und baumelten in einem Rhythmus, der von Linas innerer Unruhe bestimmt wurde. Sie hörte das Wasser gegen die Mauer klatschen. Die Kaimauer war so hoch, dass Lina das Meerwasser nicht erreichen konnte. Ein leichter Wind kam auf und ihre dunkelbraunen, langen Haare wehten ihr vor das Gesicht. Sie wischte sie mit einer Handbewegung weg, steckte sich eine weitere Zigarette an, zog daran und blickte hinunter auf das Wasser, dessen auf und ab wogende Wellen nur durch das Lichtspiel der umherschweifenden Scheinwerfer der Kräne zu erkennen waren. So war auch das Leben ein beständiges Auf und Ab für Lina gewesen, nur hatte sie kein Boot dabei, um auf ihrem Leben zu reiten.

Im Lichtkegel eines Scheinwerfers sah sie eine Gestalt auf sich zukommen. An den Umrissen konnte sie erkennen, dass es kein Unbekannter war.

2. Gefunden

Ich konnte es nicht leiden, wenn das Telefon läutete während ich noch im Bett war. Es konnte gar nicht so dringlich sein, als dass es dazu berechtigte mich so unsanft aus dem Schlaf zu wecken. Und ausgerechnet wieder an einem Samstagmorgen.

Der Anrufer war hartnäckig, und beim Übergang von meinem Traum ins Wachwerden deutete die übermäßige Länge, die der Anrufer mit seinem Anruf durchhielt, schon auf den Anrufer selbst hin.

„Ja, ja, ja!“, sagte ich in den Raum hinein, wobei ich mir den zweiten Pantoffel überstreifte und meinen Weg weiter zum Telefon fortsetzte, das im Wohnzimmer stand. In diesem Moment war ich mir mal wieder sicher, dass es nur meinem Beruf und diesem unvorhersehbarem morgendlichem Telefongeläute am Wochenende zu verdanken war, dass ich bis jetzt immer noch Single war. Nie wäre ich auf den Gedanken gekommen, es könnte an etwas anderem liegen.

„Ja, was ist?“, fragte ich den Anrufer.

„Hier Torben, Chef! Tut mir Leid fürs Stören, aber sie wissen schon. Wenn's nicht dringend wäre...“

„Ja, ich weiß schon. Kommen sie zum Punkt Torben!“, graulte ich in den Hörer hinein, um das Gegenüber am anderen Ende der Leitung mit meinem Gemütszustand zu erfreuen.

„Eine Leiche. Hier am Hafen. Die Spurensicherung und Dr. Halter sind schon da, Chef.“, erwiderte Torben kurz und knapp.

„Na, geht doch!“, dachte ich und legte den Hörer des Telefons etwas unsanft in seine Schale. Wenn mich jemand zu so unmöglicher Zeit aus dem Bett holte hatte er kein Anrecht darauf, mich erst nach abgearbeiteter Morgentoilette zu sehen und zu ertragen. Das musste jedem klar sein. So zog ich mir eine für die Jahreszeit leichte ungefütterte Jacke an, schlüpfte in die Schuhe und ging hinunter.

Mein Wagen hatte an dem Morgen Glück, dass er sofort ansprang. Ich klemmte mir das blaue Rundlicht auf das Dach, obwohl ich mir jedes Mal wie im Zirkus vorkam. Gleichzeitig verfluchte ich die Tatsache, dass die Dinger so laut waren. Und das am Morgen, wo ich noch gar nicht richtig wach war.

Egal, ich durfte auch im schlafenden Zustand fahren, ich war schließlich im Einsatz. In einem Einsatz, den ich mir nicht selbst ausgesucht hatte. Schon gar nicht am Samstagmorgen.

Ich fand es gut, dass es mittlerweile allen Kollegen klar war, dass mir an einem Tatort immer erst einmal ein Kaffee zustand. Und so nahm ich mir wie gewohnt den erstbesten Becher, der zufälligerweise von einer Hand gehalten wurde, die mit einem lebenden Körper verbunden war. Ich ging zu Torben, der, wie ich mit Erschrecken sah, an seinem Notizblock schon mindestens 5 Seiten umgeschlagen hatte. Ich war mir sofort im Klaren, dass es eine lange Begrüßung geben wird. Als Torben mich sah, fing er sofort mit den gesammelten Informationen an, wobei ich noch darüber nachdachte, warum eigentlich bei diesem kühlen Wetter keine gasbetriebenen Heizungen am Tatort aufgestellt wurden. So kann man doch nicht wirklich eine entspannte Ermittlungsarbeit erwarten.

„Eine junge Frau, etwa 20 Jahre alt, wurde im Wasser treibend von einem Spaziergänger gesehen. Der steht da drüben. Personalien hab ich, Chef.“

„Danke, Torben!“ Ich konnte ihm die Endtäuschung nicht nehmen, weil er seinen Block noch nicht zu Ende vortragen konnte und ich schaute hinüber zu dem Fußgänger.

Allein die Tatsache, dass jemand am frühen Samstagmorgen am Hafen spazieren geht, machte ihn für mich schon suspekt. Als ich genauer hinschaute, erkannte ich, dass der Spaziergänger einen Hund an einer Leine bei sich hatte. Gut, das erklärte vieles. Ich hatte keine Lust mich mit einem samstagmorgendtlichem Hundeführer zu beschäftigen. Ich ging lieber zu Dr. Karen Halter hinüber. Dr. Halter gehörte zu den Frauen, die meiner maßgeblichen Meinung nach, es bei jedem Wetter und gleichgültig an welchem Ort schafften, dass einem richtigen Mann das Herz kurz stehenbleibt, um dann in einem leicht erhöhten Tempo weiter zu schlagen, während man sich ihr näherte. Meiner Meinung nach machte sie besonders der für die Spurensicherung übliche weiße Overall besonders attraktiv. Vielleicht sollte ich sie endlich mal fragen, warum wir es noch nie geschafft hatten, gemeinsam essen zu gehen. Leider wurden meine Gedanken wieder in die nahe Wirklichkeit geführt.

„Sie ist seit ca. 5 – 6 Stunden tot. Eindeutig ertrunken. Keine Anzeichen für ein Gewaltverbrechen. Näheres gibt es ...“ .. wie immer nach der Obduktion.“, beendete ich den Satz, den Karen begonnen hatte. Irgendwie kam ich mir vor, wie in einer schlechten Krimiserie.

„Wie immer.“, bestätigte sie mit einem Lächeln und fügte noch hinzu: „Das ist wohl nicht dein Morgen, Ben? Meld' dich, wenn du wach bist!“

Bei jedem anderen hätte die letzte Bemerkung natürlich unweigerlich eine Zurechtweisung meinerseits zur Folge gehabt, aber natürlich nicht...

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