VORWORT
»Ich weiß wirklich nicht, ob ich mich freuen soll, nach Mexiko zu gehen, oder nicht«, schreibt Frances Calderón de la Barca am 23. April 1839 aus New Brighton auf Staten Island an den befreundeten Fuhrunternehmer Allyne Otis. »Es scheint mir wie das Ende des Lebens mit meiner eigenen Familie – denn anschließend wird unsere Bestimmung wohl Europa sein.« Wenige Wochen zuvor hatte Don Ángel Calderón de la Barca, der erst im Frühjahr 1838 als bevollmächtigter Gesandter der Spanischen Königin in Washington bestätigt worden war, die Nachricht erhalten, man habe ihn für eine wichtigere Aufgabe ausersehen: als ersten Gesandten Spaniens in Mexiko, der ehemaligen Kolonie, die mit Waffengewalt ihre bereits 1821 deklarierte, doch vom Mutterland lange nicht anerkannte Unabhängigkeit erkämpft hatte. Ende April scheint die Sache besiegelt, und Frances berichtet Otis in einem Brief vom 7. Mai, sie habe bereits einen spanischen Priester gefunden, bei dem sie die Sprache lernt – was ihr, wie sie bemerkt, nicht schwerfällt. Sie kündigt Otis auch schon an, dass sie beabsichtige, »lesenswerte« Briefe aus Mexiko zu schreiben.
Frances’ Leben hat sich in kurzer Zeit sehr verändert. Erst vor sieben Monaten, am 24. September 1838, war die dreiunddreißigjährige protestantische Schottin in New York von einem römisch-katholischen Geistlichen mit dem vierzehn Jahre älteren spanischen Diplomaten Ángel Calderón de la Barca getraut worden. Doch die kluge, lebenslustige und selbstbewusste Fanny, wie sie von Kindheit an genannt wird, wäre nicht sie selbst, hätte sie den neuen Möglichkeiten, die sich hier ergaben, nicht sogleich das Beste abgewinnen und sich auch an der Aussicht auf ein Reiseabenteuer freuen können. Die Rolle, die sie darin spielen wird, kommt in einem Brief ihrer Bostoner Freundin Mary Appleton vom 26. Mai 1839 zum Ausdruck: »Fanny Calderón ist nach Mexiko beordert worden, mit ihrem Don, hat aber über den Zeitpunkt der Abreise noch keine genaue Auskunft.«
Ende August erhält Calderón aus Madrid eine Kopie des Anerkennungsvertrags von Mexiko als unabhängiger Nation. Die beiliegenden Instruktionen weisen ihn an, gemeinsame kulturelle und religiöse Traditionen zu befördern, dabei strikte Neutralität zu wahren, sich nicht in innenpolitische Angelegenheiten zu mischen und stets daran zu denken, dass sich die fragilen Machtverhältnisse innerhalb der mexikanischen Parteien jederzeit ändern können. Fanny tritt Calderón und seiner Mission zuliebe zum Katholizismus über. Sie muss lernen, ihre protestantische Herkunft zu verbergen und sich nach außen hin als überzeugte Katholikin zu zeigen. Der Aufbruch kann so lange hinausgezögert werden, bis die heißesten Monate und damit die Gelbfieberschübe im tiefgelegenen Veracruz, dem wichtigsten Atlantikhafen am Golf von Mexiko, wo man an Land gehen soll, vorüber sind. Am 27. Oktober 1839 ist es soweit: Fanny und Calderón verlassen New York auf dem Paketschiff »Norma« in Richtung Havanna, am Ufer viele, »von denen der Abschied uns wahrhaft schwerfiel«. Lang hält die wehmütige Stimmung jedoch nicht vor. Fanny macht sich daran, das Schiff zu erforschen, erste Einzelheiten der Reise aufzuzeichnen und ihre Mitreisenden auf die ihr eigene pointierte, mitunter scharfzüngige Art zu charakterisieren.
Fanny wurde als Frances Erskine Inglis am 23. Dezember 1804, einem Sonntag, als fünftes von neun Kindern in ihrem Elternhaus in Edinburgh geboren. Ihr Vater William Inglis war Anwalt und führte die 1761 von seinem Vater Laurence begründete Kanzlei. Fannys Mutter Jane Inglis, geborene Stein, stammte aus einer angesehenen Unternehmerfamilie. Beide Eltern legten Wert auf Titel und Verbindungen und führten ein offenes Haus in 49 Queen Street, wozu auch die temperamentvollen Tanzvergnügen zählten, durch die Jane Inglis ihre Töchter in die Gesellschaft einführte. Da Platz für einen Schulraum vorhanden war, wurden alle Kinder zu Hause unterrichtet, und Fanny entdeckte im Alter von dreizehn Jahren nicht nur ihre Liebe zu Abenteuergeschichten, sondern auch zu Lord Byron, dessen Dichtungen sie zeitlebens zitieren wird – so berichten Marion Hall Fisher und Howard T. Fisher in ihrer sehr gründlichen Biographie der Autorin von »Life in Mexico«.
Schon früh begann sie, selbst zu schreiben. 1830 – da war sie sechsundzwanzig Jahre alt – erschien im Londoner Verlag H. Colburn & R. Bentley »Gertrude: A Tale of the Sixteenth Century« (Gertrude: Eine Erzählung aus dem 16. Jahrhundert), ein Roman in zwei Bänden. Fannys jüngster Schwester Lydia zufolge soll sie dieses Werk jedoch bereits als Fünfzehnjährige verfasst haben. »Gertrude« fand in mehreren Literaturzeitschriften Erwähnung. The London Literary Gazette vom 13. März 1830 bezeichnete Fannys Erstling als eine »schöne und romantische Erzählung«.
Von Fannys zweitem Roman »The Affianced One« (Die Versprochene) erhielt die Presse im Winter 1831 einige Vorabkopien, bevor das Buch zum Frühjahr 1832 herauskam. Der Autorin wurde ein »leichter, spritziger und lebendiger Stil« attestiert. Deutlich wird Fannys Affinität zum Süden. Sie beherrschte die italienische Sprache und kannte sich sehr gut in der italienischen Literatur aus. Mit ihren beiden älteren Schwestern hatte sie sich wahrscheinlich von Dezember 1822 bis Herbst 1823 in Italien aufgehalten, vor allem in Mailand und Florenz, hatte Alessandro Manzonis berühmten Roman »I Promessi Sposi« (Die Brautleute) gelesen und Dantes »Divina Commedia« studiert, zu der sie später einen vielbeachteten Kommentar schreiben wird. Dass Fannys Werke aber zu eben jenem Zeitpunkt an die Öffentlichkeit gelangten, war einer familiären Katastrophe geschuldet: 1828 musste William Inglis Bankrott erklären. Die Schulden waren enorm. Der größte Teil des Familienbesitzes wurde beschlagnahmt und zu Geld gemacht, um die Gläubiger auszuzahlen. Die Inglis packten die ihnen verbliebene Habe, verließen Schottland, überquerten den Kanal und fanden Unterkunft in Sainte-Adresse, einer kleinen Gemeinde westlich von Le Havre. Alles, was nur möglich war, musste zur Bestreitung des Lebensunterhalts verkauft werden – darunter auch Fannys Manuskripte, die sie, wie ihre Biographen vermuten, 1829 ihrem Bruder Henry nach London mitgab.
Am 19. Juni 1830 stirbt William Inglis in Sainte-Adresse, gesundheitlich und moralisch ruiniert. Jane Inglis und ihre Töchter nehmen ihr Leben nun selbst in die Hand. Sie beschließen, in die Vereinigten Staaten zu emigrieren. Am 18. November 1831 treffen sie in Boston ein: Jane, vier Töchter und vier Enkeltöchter – neun weibliche Wesen, von denen es schon am 12. Dezember 1831 heißen wird: »Hier ist eine interessante schottische Familie angekommen … die Mädchen tanzen wunderbar.« In Boston eröffnen die Inglis-Frauen eine Schule für junge Damen, die bereits Mitte 1832 gut etabliert ist. Fanny unterrichtet Musik, ihre Schwestern Richmond und Harriet Tanz und Malerei. Sie veranstalten Soireen: »Tanz-und-Unterhaltungsabende« – genau die Art von gesellschaftlichen Ereignissen, zu denen Fanny später auch in Mexiko einladen soll –, wodurch sie rasch bekannt werden. Ihr offenes, lebendiges Wesen verhilft ihnen zu einem großen Freundeskreis. Der Frieden währt jedoch nicht allzu lang. Es kommt zu einem Skandal, den vermutlich Fanny herbeigeführt hat, die neben ihrer Tätigkeit als Lehrerin auch als Autorin von Erzählungen, Geschichten und Essays zum Unterhalt der Familie beiträgt. Eine Mitte Mai 1833 erschienene Satire, »Scenes at the Fair« (Jahrmarktszenen) – wie Fannys Biographen mutmaßen, ohne ihr Wissen von einem befreundeten Schauspieler veröffentlicht –, in der sie ihre spitze Feder an den prominenten Bostoner Organisatorinnen einer Wohltätigkeitsveranstaltung auslässt, wird ihr von vielen Seiten nicht verziehen. Der Skandal wirkt sich auf die Schule aus, einige der jungen Damen ziehen sich zurück, die Kritik bleibt auch in den nächsten Jahren unterschwellig bestehen. Die Inglis beginnen allmählich, sich nach einem neuen Wirkungskreis umzusehen, und verbringen einige Zeit in Newport, um Kontakte zu knüpfen.
Dort, im Sommer 1836, begegnet Fanny Ángel Calderón de la Barca. Er verliebt sich in die gebildete, unterhaltsame und lebenslustige Schottin. Calderóns Position ist zu jenem Zeitpunkt nicht gesichert. In Spanien war es im Verlauf des Jahres zu Aufständen gegen die Regentin Maria Cristina und deren »Königliches Statut« gekommen, die in der Meuterei von Mitgliedern der Königlichen Garde gipfelten, um die 1812 »von Spaniern für Spanier« erarbeitete Verfassung von Cádiz wieder einzusetzen. Calderón wartet monatelang auf Nachricht aus Madrid, ob und für welchen Posten man ihn unter den veränderten politischen Verhältnissen vorgesehen hat. Vermutlich vermittelt Fanny während dieser Zeit den Kontakt zwischen ihm und dem Bostoner Historiker William H. Prescott, der an seinem ersten Hauptwerk über die spanischen Herrscher Ferdinand und Isabella, die »Katholischen...