Ingo Froböse: vom Sprinter zum Dauerläufer – gar nicht leicht
Kann ich ein Buch, mit dem ich das Laufen jedem ans Herz lege, mit einem Geständnis anfangen? Ja, ich kann, und ja: Ich habe das Dauerlaufen gehasst – sogar aus tiefstem Herzen! Aber das ist längst vorbei, und heute liebe ich es. Wie das kam, erzähle ich Ihnen nun. Vielleicht hilft es dem einen oder anderen, dem Laufen eine Chance zu geben.
Ich bin mit einem »Bewegungsvirus« geboren, gegen das kein Kraut gewachsen ist. Mein Vater war Leichtathlet, meine Mutter Handballerin. Sport lag also in der Familie, und für meine Eltern war es klar, dass ich zum Sport mitkam und in den Sportverein meines Heimatdorfs eintrat. Damals boten die Dorfvereine im Frühjahr und Sommer Leichtathletik und im Herbst und Winter Turnen für die Kinder und Jugendlichen an. Darüber bin ich heute sehr froh, denn so habe ich früh eine umfassende physische Ausbildung erhalten, von der ich noch heute profitiere. Die beiden Sportarten bieten fast alles an Bewegung, was man als Basis für andere Sportarten braucht.
Dass ich schnell laufen konnte, zeigte sich früh, denn beim Fangenspielen hatten es die anderen nicht leicht mit mir. Der Sprint zur Eiche im Schulhof war mein erster Wettbewerb – gegen harte Konkurrenz von einigen Jungs aus meiner Klasse. Dieses kleine Pausenritual war ein tägliches Training meiner Sprintfähigkeit.
Meine Laufkarriere startete richtig, als ich etwa zehn Jahre alt war. Meine Eltern schenkten mir ein paar Spikeschuhe der Marke Adidas, Modell Rom: weiß mit drei blauen Streifen. Das war für mich der Himmel auf Erden. Von da an hatte ich nur noch wenig Lust auf Turnen, dafür umso mehr im Sommer auf meine ersten Wettkämpfe: Fünfzigmeterlauf, Weitsprung und Schlagball-Weitwurf! Werfen konnte ich nicht wirklich gut, aber Laufen und Springen waren mein Ding, und so erkämpfte ich meine ersten Erfolge und Urkunden.
Dauerlauf? Nie wieder!
In dieser Zeit machte ich meine erste Erfahrung mit einem längeren Lauf. Ich wurde bei einem Wettkampf in Bergkamen zu einem Lauf über 600 Meter angemeldet. Es war furchtbar! Ich kannte so etwas gar nicht. Ich war danach völlig kaputt und trotzdem unter den letzten in meiner Altersgruppe! Da habe ich sofort beschlossen, dass ich so etwas nie mehr mache. Längere Distanzen – und die begannen für mich bei 400 Metern – waren ab diesem Zeitpunkt für mich ein No-Go! Und noch länger zu laufen, das war unvorstellbar!
Als ich später nach der Schule meine Sprinterlaufbahn intensivierte und national wie international erfolgreich war, änderte sich an dieser Abneigung nichts. Wenn Langläufer unter der Dusche von ihren Laufzeiten und Kilometern redeten, verdrehten wir Sprinter nur die Augen. Für Sprinter waren und sind Langläufer Irre von einem anderen Planeten. Langlauf war für mich das Langweiligste überhaupt, und ich habe es gehasst! Auch als Sprinter habe ich im Winter immer wieder längere Laufeinheiten von etwa drei Kilometern absolvieren müssen. Und auch der Fünfkilometerlauf für das Deutsche Sportabzeichen, das ich aus Tradition jährlich bis zu meinem 30. Lebensjahr erworben habe, war für mich die Hölle! Lange Strecken waren nichts für mich!
Nach der Sprinterlaufbahn spielte ich Tennis und Basketball, merkte aber bald, dass ich kein Teamsportler bin. Auch von meinem Studium mit dem Schwerpunkt Gesundheit geprägt, wusste ich, dass ich nicht mehr in den Wettkampfsport wollte. Meine Sprinterkarriere hatte unglaublich tolle Momente: die Stille vor dem Start in großen Stadien, Anerkennung und Lob als Belohnung für die schmerzenden Füße … Dass es kein Leben neben dem Sport gab, war nicht schlimm, denn das Miteinander im Spitzensport ließ nichts missen! Aber es ist nicht alles Gold, was glänzt, und Profisport hat natürlich üble Seiten: Stress, Verletzungen, Frust, Feindschaften, Ungerechtigkeiten … Dass ich dahin nicht zurückwollte, wusste ich direkt beim Karriereende. Nie mehr ein Lauf gegen die Uhr! Was also tun?
Während meiner Sprinterzeit hatte ich eine süße und schnelle Kölner Sprinterin kennen- und lieben gelernt, die jetzt seit mehr als 30 Jahren an meiner Seite ist (sicher meine größte »sportliche« Leistung). Bianca und ich hoffen, dass es noch lange so bleibt!
Nach ihrer aktiven Wettkampfzeit lief Bianca zusammen mit ihrem Vater drei- bis viermal pro Woche etwa eine Stunde im Kölner Stadtwald. Ich konnte das gar nicht verstehen, weil ich darin nur Ausdauertraining sah. Das war mir zu langweilig, nicht trendy genug, nur was für Gesundheitsfans. Heute weiß ich, dass ich falschlag. Was war ich engstirnig!
Bianca weckt meinen Ehrgeiz
Um meinen Bewegungsdrang zu stillen, fing ich mit dem Mountainbiking an. Das war hip, dynamisch und anstrengend! Gerade im Urlaub am Gardasee, im Eldorado der Biker, wollte ich natürlich meinem Hobby nachgehen. Bianca machte mit – und dann wurde es furchtbar für mich. Diese zierliche Frau ließ mir gar keine Chance am Berg! 20 Kilo leichter und vom Joggen topfit, bekam ich keine Schnitte! Manchmal verabschiedete sie sich auf der Mitte des Bergs von mir und zog davon mit den Worten: »Wir sehen uns oben.« War das ein Frust! Da wusste ich, dass ich dringend etwas ändern musste. Im nächsten Winter würde ich meine Form aufbauen.
Aber im Winter geht man bei uns nicht zum Biken. Ich musste es also wohl versuchen mit den verhassten Dauerläufen. Ich hatte Zweifel und wusste, dass ich es allein nicht schaffen würde, denn Jogging war nichts für mich. Da war ich damals sicher. Hilfsbereit, wie meine Frau nun mal ist, bot sie mir ihre Unterstützung an. Ein- bis zweimal pro Woche mit mir und ein- bis zweimal mit dem Papa laufen – das war ihr und damit unser Plan.
So sah ich mich also eines Tages Anfang der 90er-Jahre auf einer Fünfkilometerrunde und kämpfte mich durch, während meine Frau locker neben mir herlief. Ich schaffte die Runde in etwa 30 Minuten und war sogar ein wenig stolz darauf, sie geschafft zu haben. Erstaunlicherweise fühlte ich mich nach dem Lauf gar nicht so schlecht, wie ich erwartet hatte. Liebe auf den ersten Blick war es nicht, aber es fühlte sich ganz okay an.
Der Anfang war geschafft! Meine Frau machte es mir leicht, denn sie passte sich meinem Schneckentempo an, und vor allem erzählte sie mir beim Laufen die ganze Zeit Geschichten. Ich war abgelenkt und musste nichts zum Gespräch beitragen, außer mal ein Nicken oder ein leises Ja. Das ist noch heute fast genauso, und ich glaube, dass es zu den Geheimnissen unserer glücklichen Ehe gehört.
Aber in den ersten Monaten habe ich gelitten! Einen Sprinterkörper auf Langlauf zu trimmen, war physisch und mental eine Tortur. Aber ich habe es geschafft und bin heute glücklich, wenn ich laufen kann und darf!
Beim Laufen treffe ich Wettkämpfer und ambitionierte Jogger, die an mir vorbeihuschen, als wären sie auf der Flucht. Dass mich viele überholen, habe ich aber schnell akzeptiert. Ich werde nie ein echter Dauerläufer sein, weil mir die physiologischen Voraussetzungen dafür fehlen. Das hat mich zuerst etwas geärgert und zugleich angespornt, aber heute bin ich insofern völlig entspannt. Ich treffe in meinem Tempo eher die etwas dicklichen Typen, denen vielleicht der Arzt erst kürzlich gesagt hat, dass sie sich endlich mehr bewegen sollten.
Ich sehe mich irgendwo zwischen diesen beiden Typen. Ich laufe ohne Ambitionen und Leistungsgedanken, einfach weil es mir guttut. Im Sommer fünfmal und in den dunklen Monaten des Jahres meist viermal pro Woche schnüre ich die Laufschuhe und bin dann immer 50 bis 75 Minuten unterwegs.
Laufen – nicht mehr wegzudenken
Für mich ist Laufen seit jetzt 25 Jahren körperliche Aktivität und Kur zugleich! Ich bin glücklich, mit dem Laufen etwas zu haben, das Spaß macht, meditativ und regenerativ zugleich ist. Ich laufe, weil ich es will – nicht mehr und nicht weniger! Ich habe keine Ziele, außer dass es mir danach besser geht. Ohne Pulskontrolle, Stoppuhr oder Plan macht mir die Bewegung an der frischen Luft große Freude.
Jetzt laufe ich zu jeder Jahreszeit und bei jedem Wetter und achte sogar darauf, dass in meinem Terminkalender auch auf Reisen immer Zeit fürs Laufen bleibt! Wer hätte das vor 30 Jahren gedacht? Ich alter Sprinter sicher nicht! Der bin ich innerlich immer noch, aber ich habe ihn gezähmt. Das Laufen ist mir wichtiger als Wettkämpfe, Bestenlisten und all das.
Heute laufe ich schon fast aus Gewohnheit, weil es zu mir und meiner Frau gehört wie Essen, Schlafen und Arbeiten. Wir denken gar nicht darüber nach, ob wir laufen sollen oder nicht. Wir tun es einfach: direkt zu Hause Schuhe an und los! Im Rückblick sehe ich heute, dass es ein Riesenglück ist, dass ich diesen aktiven Weg gehen konnte und einen Körper habe, der mir das erlaubt.
»Was denkst du beim Laufen?«, werde ich oft gefragt. Wenn mich jemand das fragt, weiß ich schon, dass er nicht läuft. Aber woran denke ich eigentlich beim Laufen?...